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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Neue Regierung, alte Bekannte

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) lobt die nach heftigen Machtkämpfen installierte neue Regierung der Republik Moldau und bietet deutsche „Unterstützung“ an. Vergangene Woche hatte die zweite Staatskrise binnen fünf Jahren das kleine, zwischen Rumänien und der Ukraine gelegene Land erschüttert. Einst mit Deutschland verbündete Kräfte rund um den reichsten Oligarchen des Landes, Vladimir Plahotniuc, hatten eine Gegenregierung gebildet und die Polizei sowie wichtige Regierungsinstitutionen unter Kontrolle gehalten. Die verfassungsgemäß ins Amt gelangte neue Regierung wiederum hatte zunächst wenig Macht im Land – trotz rascher internationaler Anerkennung, unter anderem durch die Bundesrepublik. Seit die Gegenregierung am Freitag aufgegeben hat, ist nun die liberale Politikerin Maia Sandu unbestrittene Premierministerin. Sandu wurde bereits bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2016, die sie letztlich verlor, von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Europäischen Volkspartei (EVP) unterstützt. Sie setzt sich für die Anbindung Moldaus an die EU ein.

Eine überraschende Koalition
Für politische Beobachter vollkommen überraschend kündigten am 7. Juni in der Republik Moldau Vertreter des liberalen Pro-EU-Parteienbündnisses ACUM und der Sozialistischen Partei (PSRM) an, eine gemeinsame Koalition bilden zu wollen.[1] Die frühere Weltbank-Mitarbeiterin Maia Sandu wurde von einer Mehrheit des Parlaments zur Premierministerin gewählt, obwohl das von ihr mitgeführte Bündnis ACUM weniger Sitze im Parlament hat als die PSRM. Mit Sandu hatte sich schon kurz vor den Präsidentschaftswahlen 2016 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) getroffen und damit ihre Unterstützung für die neoliberale Politikerin angedeutet.[2] Die von der CDU dominierte Europäische Volkspartei (EVP) hatte für Sandus Wahlkampagne Mitarbeiter in das Land entsandt, obwohl Sandus Partei der EVP nicht angehört.[3] Sandu verlor damals die Wahl gegen Igor Dodon von der Sozialistischen Partei, die sich für einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion einsetzt. Im Rahmen der neu gebildeten ACUM-PSRM-Koalition erhielten die Sozialisten jetzt das Amt der Parlamentspräsidentin, des Vizepremiers und des Verteidigungsministers. Die restlichen Posten konnten die Liberalen besetzen.

Ein Gegen-Coup
Nur einen Tag nach der Bildung der neuen Koalition, am 8. Juni, setzte allerdings das moldauische Verfassungsgericht in einem ebenfalls überraschenden Schritt den amtierenden Präsidenten Dodon ab. Zudem erklärte es die Wahl der Premierministerin für ungültig und ebnete den Weg für Neuwahlen. Laut dem Gericht sollte ab sofort Pavel Filip, ein ehemaliger Premierminister und enger Vertrauter des Oligarchen Vladimir Plahotniuc, als Präsident amtieren. Plahotniuc, der als reichster Mann im Land gilt und auch über starken politischen Einfluss verfügt, hatte das moldauische Verfassungsgericht vor allem in den Jahren 2012 und 2013 mit seiner Partei DPM (Demokratische Partei Moldaus) unter seine Kontrolle gebracht.[4] Von den sechs Richtern sind drei ehemalige Mitglieder der DPM; zwei weitere wurden von der DPM-Mehrheit im Parlament kurz vor den Wahlen im Februar dieses Jahres eingesetzt.[5]

Einigung der Mächte
Plahotniucs politischer und wirtschaftlicher Einfluss ist zuletzt offenkundig mehreren ansonsten rivalisierenden Mächten ein Dorn im Auge gewesen, darunter Berlin und die EU. Am 3. Juni hatten in einem ungewöhnlichen Schritt hochrangige Vertreter von EU, USA und Russland gleichzeitig die Republik Moldau besucht und sich mit politischen Vertretern der drei großen politischen Blöcke im Land besprochen. Kurz darauf wandten sich die Liberalen und die Sozialisten einander zu und begannen Koalitionsgespräche – offenbar auf Anweisung aus Brüssel, Washington und Moskau: EU, USA und Russland hatten wohl endgültig beschlossen, Plahotniuc loszuwerden.[6]

Aufstieg eines Oligarchen
Plahotniucs Aufstieg hatte während der Regierungszeit der Kommunistischen Partei begonnen, die von 2001 bis 2009 herrschte und dabei eine Zeitlang – von 2003 bis 2007 – einen strikten Pro-EU-Kurs einhielt, diesen dann aber verließ. Nach einer vom Westen unterstützten „Farbrevolution“ kam im Jahr 2009 eine neue Pro-EU-Koalition an die Regierung, der nun auch Plahotniucs DPM angehörte. Gemäß einer internen Abmachung zwischen verschiedenen Oligarchen konnte Plahotniuc große Teile der Justiz unter seine Kontrolle bringen.[7] Auf seinen seitdem erkauften Einfluss, darunter auch die faktische Kontrolle des Verfassungsgerichts, setzte Plahotniuc in der Krise der vergangenen Woche.

Kaum Kritik aus Berlin
In den Jahren 2014/2015 kam es zu einer ersten Staatskrise in der Republik Moldau. Damals verschaffte sich Plahotniuc per Bestechung eine Mehrheit im Parlament und ließ den bis kurz zuvor mit ihm verbündeten Oligarchen Vlad Filat, der von 2009 bis 2013 als Premierminister amtiert hatte, verhaften. Die deutsche Bundesregierung sah damals nichts Kritikwürdiges an dem bemerkenswerten Vorgang und stützte Plahotniuc. Noch 2017 entsandte die Bundeswehr zudem Berater in das Land und finanzierte das moldauische Militär mit 300.000 Euro.[8] Auch als die moldauischen Streitkräfte entgegen der Order des Oberbefehlshabers, des Präsidenten Dodon, zu NATO-Manövern entsandt wurden, blieb die Bundesregierung dem einflussreichen Drahtzieher Plahotniuc treu.[9]

EU-Assoziierung faktisch am Ende
Einer der Gründe für die weitgehend kritiklose Haltung der deutschen Regierung war das Festhalten der moldauischen Regierungen an einem klaren Pro-EU-Kurs. Im Jahr 2016 erklärten nun allerdings erste Beobachter den Assoziierungsprozess der EU mit der Republik Moldau für gescheitert; gegen die Korruption der Pro-EU-Regierung gingen Demonstranten auf die Straße.[10] Die Bundesregierung suchte Kritik und Proteste herunterzuspielen und erklärte, das Reformtempo habe sich in den Jahren 2015 und 2016 lediglich verlangsamt.[11] Der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Moldau beschimpfte die Protestierenden als von Russland „gekaufte Demonstranten“, die zudem teilweise eigens aus der abtrünnigen Region Transnistrien antransportiert worden seien.[12] Auch als die EU aufgrund „fehlender Fortschritte im Justizsektor“ keine andere Möglichkeit mehr sah, als ihre Zahlungen an die moldauische Judikative im Jahr 2017 einzustellen, hielt die Bundesregierung zunächst noch an ihren engen Beziehungen zum Oligarchen Plahotniuc fest.[13]

Pro-EU-Regierung im Amt
Die Parlamentswahlen im Februar dieses Jahres gewannen dann die EU-kritisch eingestellten Sozialisten knapp. Lediglich drittstärkste Kraft wurde das Parteienbündnis ACUM, das sich für eine Fortsetzung des EU-Kurses einsetzt. Mit den Sozialisten als stärkster Kraft schien eine Pro-EU-Regierung lange Zeit ausgeschlossen. Als dann überraschend Maia Sandu zur neuen Premierministerin gewählt wurde, erkannte die Bundesrepublik ihre Regierung als einer der ersten Staaten an.[14] Die moldauische Polizei wiederum erklärte sich zur Gegenregierung von Plahotniucs Gnaden loyal. Das von Deutschland seit vielen Jahren finanziell und mit Beratern unterstützte Militär bekannte sich seinerseits zu strikter Neutralität.[15] Am vergangenen Freitag erklärte nun Gegen-Präsident Pavel Filip, er gebe auf. Die Entscheidung fiel, nachdem eine Plahotniuc-Delegation von politischen Gesprächen in der US-Botschaft zurückgekehrt war. Bundesaußenminister Heiko Maas ließ über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreiten, er begrüße den „Rückzug der alten Regierung in Moldau“ und biete deutsche Unterstützung an.[16] Maia Sandu, die schon seit 2016 öffentlich aus Deutschland gefördert wird, hat sich damit durchgesetzt: ein Überraschungssieg der mit der Bundesrepublik kooperierenden Kräfte über einen ehemaligen Kooperationspartner Berlins.

[1] Matei Rosca: Moldova gets surprise new government. politico.eu 08.06.2019.
[2] S. dazu Rückschlag für Berlin.
[3] David X. Noack: Berlin setzt auf Oligarchen. junge Welt 29.03.2017. Im Dezember 2017 erhielt die ACUM-Partei von Maia Sandu dann Beobachterstatus bei EVP.
[4] Oktawian Milewski: Moldova in the midst of an anti-oligarchic revolt. neweasterneurope.eu 20.06.2019.
[5] Dumitru Minzarari: Moldovan Political Crisis Brings Great Opportunities but Also Serious Risks. jamestown.org 10.06.2019.
[6] Oktawian Milewski: Moldova in the midst of an anti-oligarchic revolt. neweasterneurope.eu 20.06.2019.
[7] S. dazu Drohender Rückschlag.
[8], [9] David X. Noack: Intransparenz und zwielichtige Partner. Neues Deutschland 27.03.2018.
[10] Vladimir Socor: Romania Bidding for Influence in Moldova (Part Three). jamestown.org 26.04.2016.
[11] David X. Noack: Berlin setzt auf Oligarchen. junge Welt 29.03.2017.
[12] Johanna Siegemund: Oligarchie unter europäischem Deckmantel. detektor.fm 25.01.2016.
[13] David X. Noack: Intransparenz und zwielichtige Partner. Neues Deutschland 27.03.2018.
[14] European nations, Russia back new government in Moldova. foxnews.com 11.06.2019.
[15] Oktawian Milewski: Moldova in the midst of an anti-oligarchic revolt. neweasterneurope.eu 20.06.2019.
[16] Entscheidung in Moldaus Machtkampf. dw.com 14.06.2019.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 17.06.2019.

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    --13. Juli 2021 @ 07:56

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