»Wir kämpfen gegen die wichtigste Weltmacht, die Eigentümer des Universums! « — Francisco Arias Cárdenas
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Drohender Rückschlag

Der deutschen Außenpolitik droht in Südosteuropa ein herber Rückschlag. Seit einem Jahr befindet sich die Republik Moldau, die Berlin und Brüssel mit einem EU-Assoziierungsabkommen fest in ihre Hegemonialsphäre einzubinden versuchen, in einer Staatskrise, deren Ausgang ungewiss ist. Die bisherigen Partner der deutschen Moldau-Politik sind in der Bevölkerung wegen mutmaßlich krimineller oligarchischer Machenschaften ihrer Führungsfiguren weitgehenddiskreditiert; ihnen droht bei der nächsten Parlamentswahl eine krachende Niederlage. Vieles spricht dafür, dass Parteien, die anstelle der EU-Assoziierung einen Beitritt zur von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion favorisieren, die nächste Regierung übernehmen. Damit stünden die vergangenen anderthalb Jahrzehnte deutscher Moldau-Politik vor dem totalen Scheitern.

Fünf Regierungschefs in einem Jahr

Die Republik Moldau steckt in einer tiefen Staatskrise. Im vergangenen Jahr hatte sie insgesamt fünf Regierungschefs; einige amtierten als Übergangspremiers, andere wurden vom Parlament gewählt. Alle Premiers gingen in einem Strudel aus Korruptionsaffären unter. Moldauische Oligarchen sollen in einer beispiellosen Aktion staatliche Banken um Geld im Wert von rund einer Milliarde US-Dollar erleichtert haben; das entspricht rund 15 Prozent des moldauischen Bruttoinlandsprodukts. Der Verbleib des Geldes ist unklar. Nach dem Bekanntwerden des Bankenskandals verlor die moldauische Währung, der Leu, massiv an Wert, was den Lebensstandard der ohnehin darbenden Bevölkerung im ärmsten Land Europas weiter verschlechterte. Zehntausende gingen auf die Straßen – organisiert in zwei verschiedenen Lagern.[1] Während ein Teil der Demonstranten („Plattform Würde und Ehrlichkeit“) einen EU-Beitritt bevorzugt, stellt sich ein anderer Teil gegen den Pro-EU-Kurs und fordert die Annäherung an die von Russland mitbegründete Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU). Im Verlauf des Jahres 2015 verloren die Pro-EU-Demonstranten an Einfluss, während die proeurasischen Kräfte an Stärke gewannen.[2] Innerhalb des parlamentarischen Spektrums verloren die bisher regierenden Pro-EU-Parteien laut Umfragen zur nächsten Wahl massiv an Zustimmung. Der deutschen Außenpolitik gehen damit ihre wichtigsten Bündnispartner in der Republik Moldau verloren.

Meseberg-Memorandum

Noch im Jahr 2011 hatte sich die deutsche Regierung bereit gezeigt, ihren Einfluss in der Republik Moldau zu nutzen, um das Land in eine Art deutsch-russisches Kondominium zu führen. Im sogenannten Meseberg-Memorandum einigten sich der damalige russische Präsident Medwedew und Kanzlerin Merkel auf eine gemeinsam von der EU und Russland verantwortete Sicherheitsarchitektur, die am Beispiel Moldau zum ersten Mal zur Anwendung kommen sollte. Im Hintergrund schwenkte die deutsche Regierung auf die russische Position in der Frage um die abtrünnige Republik Transnistrien ein („Föderalisierung“) und versuchte, eine Lösung des Konflikts zu forcieren.[3] Die US-Administration und transatlantisch orientierte Regierungen in Rumänien, Polen und dem Baltikum verhinderten dies jedoch. Fortan setzte auch die Bundesrepublik auf eine komplette Einverleibung der Republik Moldau in den Einflussbereich des Westens. Im Jahr 2012 begann die EU dementsprechend mit Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit Moldau, analog zu dem mit der Ukraine.

Wahlkampf per Entwicklungshilfe

Im Zuge der Ukraine-Krise versuchten die Westmächte verstärkt, Moldau in größtmöglichem Umfang an sich zu binden. So beschleunigte die EU vor den moldauischen Parlamentswahlen im November 2014 ihren Kurs auf eine Assoziierung des Landes – zumal es so aussah, als könnten prorussische Parteien sowie die Kommunisten, außenpolitisch unsichere Kantonisten, die mehrfach ihren Kurs radikal geändert hatten, gewinnen. Am 27. Juni 2014 unterzeichneten Vertreter Moldaus und der EU ein Assoziierungsabkommen, obwohl große Teile der moldauischen Bevölkerung dies ablehnten. Eine EU-Beitrittsperspektive ist jedoch, wie die Bundesregierung einräumt, „weiterhin […] nicht vorgesehen“.[4] Zwei Wochen vor dem Urnengang sagte Brüssel Chisinau Entwicklungsgelder in der Höhe von 550 Millionen Euro zu [5] – eine eindeutige Einmischung in den Wahlkampf zugunsten der Pro-EU-Kräfte. Im August 2015 bedankte sich der damalige Premierminister Valeriu Strelet ausdrücklich dafür.

EU-Vermittlung

In den Wahlkampf im Herbst 2014 mischte die EU sich auch direkt ein: EU-Diplomaten vermittelten für die Zeit des Wahlkampfs einen „Nichtangriffspakt“ zwischen der neutralistischen Demokratischen Partei und der Pro-EU-Partei der Liberaldemokraten, die ihrerseits mit der CDU-dominierten Europäischen Volkspartei (EVP) assoziiert ist. Diese beiden Parteien trugen die Pro-EU-Koalitionen seit 2009 und waren für Berlin und Brüssel wichtige Bündnispartner. Das Verhältnis zwischen den beiden größten bürgerlichen Parteien blieb dennoch angespannt.

„Unsere Bastarde“

Bei den Parlamentswahlen Ende November 2014 sicherten dann bemerkenswerte administrative Maßnahmen den Sieg der Pro-EU-Koalition. So standen beispielsweise den schätzungsweise 700.000 in Russland lebenden Moldauern, die als prorussisch gelten, lediglich 15.000 Stimmzettel in fünf Wahllokalen zur Verfügung.[6] Kurz vor den Wahlen schloss ein Gericht die laut Umfragen bei 18 Prozent stehende Partei „Patria“ des prorussischen Politikers Renato Usatîi aus. Nach dem Urnengang gab das Verfassungsgericht zu, dass die Entscheidung zur Entfernung von „Patria“ von den Wahllisten „zu schnell“ erfolgt sei.[7] Die Bundesregierung hingegen äußerte keine Einwände. Im Gegenteil: Trotz der vielen Unregelmäßigkeiten verstieg sich der damalige stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende und Russlandbeauftrage der Bundesregierung Andreas Schockenhoff zu der Aussage, die Wahl sei „ein klares Zeichen [… in] Richtung Europa“ gewesen.[8] Ein Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung warnte, Brüssel müsse „unmissverständlich klarmachen“, dass es „nicht nach der Maxime handelt, die während des Kalten Krieges für Washingtons Verhältnis gegenüber den Militärdiktaturen in Lateinamerika galt: Sie sind Bastarde, aber sie sind unsere Bastarde.“[9]

Staatskrise und Oligarchenherrschaft

Nach der Wahl geriet Moldau wegen des milliardenschweren Bankdiebstahls in die erwähnte Staatskrise. Verschiedene moldauische Oligarchen versuchen diese zu nutzen, um ihren Einfluss auszubauen. So soll der reichste Mann des Landes, Vladimir Plahotniuc, wesentliche Teile des Justizwesens und der Anti-Korruptionsbehörden kontrollieren und dies gegen den zweitreichsten Oligarchen, Vlad Filat, eingesetzt haben. Filat hatte von September 2009 bis April 2013 als Premierminister amtiert und stellte damals die Weichen in Moldau auf Pro-EU-Kurs. Berlin hat – anders als große Teile der moldauischen Bevölkerung, die der Machenschaften der Milliardäre schlicht überdrüssig sind – nie Kritik an den Oligarchen geäußert, solange sie nur Kurs auf die EU nahmen.

Machtkämpfe mit allen Mitteln

Im letzten Quartal 2015 spitzten sich die Ereignisse in Moldau allerdings zu. Plahotniuc gelang ein politischer Coup nach dem anderen. Erst nahm die von ihm kontrollierte Antikorruptionsbehörde seinen Rivalen Filat fest, dann stürzte die von ihm ebenfalls kontrollierte Demokratische Partei gemeinsam mit der Opposition den bis dahin amtierenden Premierminister Valeriu Strelet, und im Dezember gelang es Plahotniuc schließlich, 14 Abgeordnete der Kommunistischen Partei auf seine Seite zu ziehen. Die neue, von ihm zusammengeführte Koalition schlug ihn selbst schließlich am 13. Januar für den Posten des Premierministers vor. Allerdings gilt Plahotniuc nicht als Wunschkandidat Berlins: Er hat kurz vor den Wahlen 2014 erklärt, Moldau könne ein „bedeutender Kontaktpunkt“ zwischen der „slawischen“ und der „westlichen Welt“, eine „Brücke zwischen Ost und West“ werden [10]; er tritt damit für die in der Verfassung verankerte Neutralität des Landes und gegen eine Annäherung an die NATO ein – anstelle der von der Bundesregierung gewünschten exklusiv prowestlichen Orientierung.

Letzte Bastion Staatsoberhaupt

Der Machtkampf ist allerdings noch nicht entschieden. Zunächst weigerte sich der amtierende Präsident Nicolae Timofti, Plahotniuc als Kandidaten für den Posten des Premierministers anzuerkennen. Timofti gilt als „ausgesprochener Pro-Europäer“.[11] Die „pro-westlichen Kreise in Chisinau“ stünden „mit vollem Herz“ hinter Timoftis Entscheidung, wird berichtet.[12] Daraufhin nominierte Plahotniucs Demokratische Partei Pavel Filip, einen Mann aus Plahotniucs engerem Umfeld; gegen Filip demonstrierten allerdings am Wochenende wegen seiner Beziehungen zu dem Oligarchen Zehntausende. Die Lage ist unübersichtlich, eine stabile Regierung ist nicht in Sicht. Sowohl Plahotniuc als auch Berlin haben allerdings kein Interesse an Neuwahlen: Laut der aktuellsten Umfrage könnte die Antikorruptionspartei „Partidul Nostru“ von Renato Usatîi, der als Vorbild den belarussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko nennt, mit 22,5 Prozent gewinnen [13]; die Sozialisten, die für einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion werben, würden zur zweitstärksten Kraft (21 Prozent). Die bisher regierenden Parteien hingegen – enge Partner Deutschlands – kämen nur auf 15,5 Prozent. Selbst wenn zwei neu gegründeten Pro-EU-Parteien zusammen immerhin 27 Prozent zugetraut werden, scheint eine Mehrheit für eine Annäherung an die Eurasische Wirtschaftsunion möglich. Die Einbindung in die Hegemonialsphäre Berlins und Brüssels wäre damit gestoppt.

[1] David X. Noack: Staatskrise in der Republik Moldau, in: Neues Deutschland 06.11.2015.
[2] Vladimir Socor: Moldova’s Regime-Change Movements: Pro-Russia Ascendant, Pro-West Losing Steam (Part One), Eurasia Daily Monitor (Jamestown Foundation), Jg. 12, Nr. 180, 6. Oktober 2015. Vladimir Socor: Moldova’s Regime-Change Movements: Pro-Russia Ascendant, Pro-West Losing Steam (Part Two), Eurasia Daily Monitor (Jamestown Foundation), Jg. 12, Nr. 180, 6. Oktober 2015.
[3] S. dazu Ein Testlauf für Eurasien und Ein Testlauf für Eurasien (II).
[4] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Parlamentswahlen und die politische Situation in der Republik Moldau“. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/3790.
[5] Vladimir Socor: Inside Moldova’s Governing Coalition After the Elections (Part One), Eurasia Daily Monitor (Jamestown Foundation), Jg. 11, Nr. 217, 5. Dezember 2014.
[6] Heinrich Maetzke: Keine klare Entscheidung für Europa, bayernkurier.de 6. Dezember 2014; Karl-Peter Schwarz: Moldauische Wähler in Russland behindert, faz.net 30. November 2014.
[7] ????? ?? ???????, ??? Patria ???? ?????????? ?? ??????? «??????? ????????????», point.md 29. Dezember 2014. David X. Noack: Wahlen in Moldau – Entscheidung zwischen Ost und West verschoben, in: WeltTrends, Nr. 102, April 2015, S. 4-7.
[8] Republik Moldau setzt auf Europa. cducsu.de 1. Dezember 2014.
[9] Reinhard Veser: Die Oligarchenfalle, faz.net 4. Dezember 2014.
[10] Vladimir Socor: Inside Moldova’s Governing Coalition After the Elections (Part Three), in: Eurasia Daily Monitor (Jamestown Foundation), Jg. 11, Nr. 219, 9. Dezember 2014.
[11] Parteiloser Richter und Pro-Europäer, derstandard.at 16.03.2012.
[12] Vladimir Socor: Plahotniuc’s Power Base in Moldova: Allies and Instruments (Part One), Eurasia Daily Monitor (Jamestown Foundation), Jg. 13, Nr. 7, 12. Januar 2016. Vladimir Socor: Plahotniuc’s Power Base in Moldova: Allies and Instruments (Part Two), Eurasia Daily Monitor (Jamestown Foundation), Jg. 13, Nr. 7, 12. Januar 2016.
[13] Vladimir Socor: Plahotniuc Reshuffles Moldova’s Parliament, Claims Prime Minister’s Post, in: Eurasia Daily Monitor (Jamestown Foundation), Jg. 13, Nr. 9, 14. Januar 2016.

german-foreign-policy.com, 20.01.2016

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