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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Einflusskämpfe im Westpazifik (I)

Mit Beteiligung deutscher Soldaten hat am gestrigen Mittwoch das von den USA geführte weltgrößte Marinemanöver RIMPAC 2018 begonnen. Wie es vorab bei der U.S. Navy hieß, wird die Seekriegsübung unter anderem Operationen im westlichen Pazifik üben. Mit der südwestpazifischen Inselwelt gerät dabei eine Region in den Blick, die – in der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet – in jüngster Zeit erheblich an weltpolitischer Bedeutung gewinnt. Ursache ist zum einen der Einflussverlust, den die westlichen Staaten dort in den vergangenen Jahren hinnehmen mussten, während strategische Rivalen wie Russland oder China spürbar erstarkten; einige pazifische Inselstaaten bemühen sich seither um eine vom Westen unabhängige Außenpolitik. Zum anderen messen unter anderem Australien und die Vereinigten Staaten dem südwestlichen Pazifik zunehmende Bedeutung bei: Australien sieht in ihm seinen polit-ökonomischen Hinterhof, die USA ihr „Tor in den Indo-Pazifik“. Auch Deutschland bemüht sich, seine Aktivitäten in der Region auszubauen.

RIMPAC 2018
Am gestrigen Mittwoch hat im Pazifik mit Beteiligung deutscher Soldaten das von den USA geführte weltgrößte Marinemanöver RIMPAC 2018 begonnen. Die Seekriegsübung nimmt, wie es vorab bei der U.S. Navy hieß, gezielt auch etwaige Operationen im westlichen Pazifik in den Blick (german-foreign-policy.com berichtete [1]); zudem bindet sie mit dem kleinen Königreich Tonga einen Staat aus der weiten Inselwelt des südwestlichen Pazifik ein. Damit gerät eine Region ins Visier westlicher Militärstrategen, die in jüngster Zeit – in der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet – erheblich an weltpolitischer Bedeutung gewinnt. Unter den elf unabhängigen Nationen, zwei sich teilweise selbst verwaltenden Staaten und den diversen Kolonien der Pazifikregion [2] haben sieben Republiken eine – weithin vergessene – deutsche Kolonialvergangenheit: die Marshallinseln, Mikronesien, Nauru, die Nördlichen Marianen, Palau, die Salomoneninseln und Samoa. Lediglich zwei der pazifischen Inselstaaten, Fidschi und Tonga, unterhalten ein eigenes Militär. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten lange Zeit neben den traditionellen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich vor allem Australien, Neuseeland und die USA, die im ANZUS-Pakt organisiert sind [3], eine dominante Rolle in Politik, Wirtschaft und Militär der Region gespielt.

Erstarkende Rivalen
Dabei haben die westlichen Mächte in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend an Einfluss im Pazifik verloren – an aufstrebende Staaten wie Brasilien und Indien, aber auch an direkte Konkurrenten des Westens wie China, Kuba und Russland. Seit Anfang der 2000er Jahre unterhält etwa Kuba zu fast allen Staaten der Region Beziehungen und leistet insbesondere Hilfe im medizinischen Bereich; Mediziner der sozialistischen Republik sind dazu in mehreren der pazifischen Inselstaaten präsent. Im Jahr 2003 kündigte die Regierung der Volksrepublik China an, sie wolle die Beziehungen zu den Staaten des Pazifischen Inselforums ausbauen, zu dem sämtliche Inseln der Region gehören.[4] Im folgenden Jahrzehnt baute Beijing seinen Einfluss dort tatsächlich massiv aus – vorwiegend mit Krediten und Entwicklungshilfe.[5] Aber auch Russland intensiviert seine Präsenz im Pazifik: Nach einem Militärputsch in Fidschi im Jahr 2009 wandte sich die dortige neue Regierung verstärkt Moskau zu. Im Jahr 2012 besuchte mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow erstmals ein führender russischer Politiker die Inselrepublik. Vier Jahre später sorgte eine umfangreiche russische Waffenlieferung an Fidschi für internationale Aufmerksamkeit. Kurz nach der Ankunft der Rüstungsgüter trafen auch russische Militärberater auf der Insel ein.[6] Westliche Strategen sahen dies als herben Rückschlag.

Eine eigenständigere Außenpolitik
Tatsächlich führt der wachsende nichtwestliche Einfluss dazu, dass sich mehrere Inselstaaten der Pazifikregion um eine vom Westen unabhängige Außenpolitik bemühen. Dies zeigt sich an kleinen, für oberflächliche Beobachter kaum wahrnehmbaren Details. So erkannten zwischen 2009 und 2011 Nauru, Tuvalu und Vanuatu die Unabhängigkeit der von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien an – ein Schlag nicht nur für das westlich orientierte Georgien, sondern auch für die westlichen Staaten selbst, darunter Deutschland, das eine Unabhängigkeit der beiden Regionen bis heute strikt ablehnt. Tuvalu und Vanuatu zogen die Anerkennung allerdings auf massiven Druck aus dem Westen wieder zurück. Nach dem Wechsel der Krim in die Russische Föderation im Jahr 2014 lehnten es die Regierungen von fünf der pazifischen Inselstaaten ab, dies – wie der Westen es tut – als „völkerrechtswidrige Annexion“ zu verurteilen.[7] Im Jahr 2015 nahmen erstmals vanuatuische Polizisten an der Parade in der chinesischen Hauptstadt Beijing zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Asien teil.[8] In einer offenen Gegenreaktion auf das Streben unter anderem der pazifischen Inselstaaten nach einer eigenständigen Außenpolitik verabschiedete der US-Kongress im vergangenen Jahr ein Gesetz, das Ländern, die die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens anerkennen, Sanktionen androht. Davon betroffen ist Nauru.[9] Trotz des Drucks aus Washington hält die nauruische Regierung an ihrem Standpunkt fest – und empfing im Januar zum ersten Mal den südossetischen Außenminister.[10] Darüber hinaus wurden im April dieses Jahres erstmals Gerüchte bekannt, das chinesische Militär könne eine Basis auf Vanuatu eröffnen. Allerdings stritten die Regierungen beider Staaten dies ab.[11] Experten weisen jedoch darauf hin, dass eine Militärpräsenz auf Vanuatu auf lange Sicht durchaus eine strategische Option für China bilden könnte.

„Amerikas Tor in den Indo-Pazifik“
Entsprechend beginnen die westlichen Mächte ihre Einflussaktivitäten im südwestlichen Pazifik zu intensivieren. Beim jüngsten Shangri-La Dialogue in Singapur, einer Art asiatischem Äquivalent zur Münchner Sicherheitskonferenz, an dem seit einigen Jahren auch deutsche Spitzenpolitiker teilnehmen [12], kündigte US-Verteidigungsminister James Mattis Anfang Juni an, die US-Aktivitäten in den Pazifikstaaten auszubauen. Die Region sei „Amerikas Tor in den Indo-Pazifik“, erklärte Mattis.[13] Die Regierungen zumindest einiger Staaten der Region zeigen sich prinzipiell nach allen Seiten offen. „Wir begrüßen jeden, der uns unterstützt, denn wir können wirklich jede Hilfe gebrauchen“, erklärte der Wirtschaftsminister der Republik Fidschi, Aiyaz Sayed-Khaiyum, Anfang Juni gegenüber der deutschen Presse. Ob die Hilfe aus Australien, Deutschland oder China komme, spiele für sein Land keine Rolle.[14]

„Mehr australische Führerschaft“
Tatsächlich orientiert sich neben den Vereinigten Staaten vor allem das australische Politik-Establishment wieder verstärkt auf den südwestlichen Pazifik. Wie Peter Jennings, der Exekutivdirektor des Australian Strategic Policy Institute (ASPI), erklärt, benötige die Region „mehr australische Führerschaft“; das Land müsse dafür notfalls auch seine Armee einsetzen.[15] Das ASPI wird vom australischen Verteidigungsministerium kofinanziert.[16] Leitende Mitarbeiter des Think-Tanks haben unter anderem am Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung teilgenommen.[17] Australien ist ein traditioneller Bündnispartner der Bundesrepublik in der Region. Seit dem Jahr 2016 unterhält Berlin einen regelmäßigen Dialog mit Canberra auf der Ebene der Außen- und Verteidigungsminister – auch, um seine Stellung im Pazifik zu stärken.[18] Im vergangenen Jahr plädierten deutsche Unternehmensverbände zudem dafür, Freihandelsverträge mit Australien und Neuseeland abzuschließen.[19] Nicht zuletzt scheint die deutsche Regierung nun auch gewillt, ihren Einfluss jenseits der Kooperation mit Australien in der strategisch rasch an Bedeutung gewinnenden Pazifikregion auszubauen – unter anderem durch verstärkte Entwicklungshilfe. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

[1] S. dazu Kriegsspiele im Pazifik.

[2] Die Staaten sind: die Cook-Inseln (nicht unabhängig, mit Neuseeland assoziiert), Fidschi, Tonga, Tuvalu, Kiribati, die Marshallinseln, Mikronesien, Nauru, Niue (ohne diplomatische Beziehungen mit Deutschland, nicht unabhängig und mit Neuseeland assoziiert), Palau, Samoa, die Salomoneninseln und Vanuatu. Darüber hinaus ist der Commonwealth der Nördlichen Marianen bis heute eine US-Kolonie.

[3] Der 1951 gegründete ANZUS-Pakt ist das Pendant zur NATO im südlichen Pazifik. Seit 1986 ist Neuseeland teilweise von dem Pakt suspendiert, da die damalige Regierung erklärte, das Land wolle eine von Nuklearwaffen und von Atomkraft freie Zone sein.

[4] China announces initiatives to expand ties with PIF member countries. pg.china-embassy.org 24.11.2003.

[5] Lucy Craymer: China Seeks to Star in South Pacific. wsj.com 27.04.2012.

[6] Ben Doherty: Secret Russian arms donation to Fiji raises concerns of bid for Pacific influence. theguardian.com 22.01.2016.

[7] Roman Madaus: The Bear Returns to the South Pacific: Russia Sends Arms to Fiji. thediplomat.com 09.042016.

[8] Tiny Pacific Nation of Vanuatu to Join Motley Crew at China’s WWII Anniversary Parade. time.com 01.09.2015.

[9] Maximilian Hess: Congress Pushes Tougher Line on Russia. intersectionproject.eu 06.06.2017.

[10] David X. Noack: Signal an die Großen. junge Welt, 27.01.2018.

[11] Dan McGarry: Baseless rumours – Why talk of a Chinese military installation in Vanuatu misses the point. theguardian.com 11.04.2018.

[12] S. dazu Asiens Münchner Sicherheitskonferenz.

[13] Sorgen um Chinas Vordringen im Westpazifik. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.06.2018.

[14] „Uns ist gleich, ob die Hilfe aus China oder Deutschland kommt“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.06.2018.

[15] Peter Jennings: Leadership requires courage in the Pacific. aspi.org.au 14.04.2018.

[16] About Us. aspi.org.au [ohne Datum].

[17] Teilnehmer des 154. Bergedorfer Gesprächskreises „Frieden und Sicherheit in Asien-Pazifik“ – Jakarta, 1.-3. November 2013. koerber-stiftung.de [ohne Datum].

[18] S. dazu Sprungbrett in den Pazifik.

[19] S. dazu Vorstoß nach Down Under.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 28.06.2018.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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    […] [6] S. dazu Einflusskämpfe im Westpazifik. […]

    --5. Juli 2018 @ 12:46

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