Die Fregatte Bayern auf Kolonialfahrt
Deutsches Kriegsschiff bricht in Kürze aus Australien zum US-Stützpunkt Guam auf. Die Vereinten Nationen stufen Guam bis heute als US-Kolonie ein, die der Entkolonialisierung harrt.
Die Fregatte Bayern bricht auf ihrer Asien-Pazifik-Fahrt in dieser Woche erneut zu einer US-Militärbasis auf völkerrechtlich umstrittenem Territorium auf. Vor ihrer Ankunft im westaustralischen Perth, wo die Fregatte aktuell ankert, hatte sie auf dem US-Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean einen Tankstopp eingelegt. Diego Garcia, das eigentlich zu Mauritius gehört, wird bis heute rechtswidrig von Großbritannien okkupiert, um die dortige US-Basis aufrechterhalten zu können; zwei UN-Gerichtshöfe sowie die UN-Generalversammlung fordern inzwischen die Rückgabe der Inselgruppe – vergeblich. Die Fregatte Bayern soll nun am morgigen Dienstag aus Perth abfahren und nach einem Zwischenhalt im nordaustralischen Darwin die US-Militärbasis auf Guam ansteuern. Die Pazifikinsel Guam wird von den Vereinten Nationen als Kolonie eingestuft, die bis heute vergeblich der Entkolonialisierung harrt. Die Einwohner genießen keine vollen US-Bürgerrechte. Die Bundesregierung erklärt, die Fahrt der Fregatte Bayern verdeutliche den Einsatz Berlins für eine „regelbasierte internationale Ordnung“.
Der Beginn der Kolonialisierung
Die Kolonialisierung Guams reicht inzwischen mehr als 350 Jahre zurück. Der in Diensten des spanischen Königs stehende portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan hatte die Insel bereits im Jahr 1521 erreicht, sie aber rasch in Richtung Philippinen wieder verlassen. Im Vertrag von Saragossa einigten sich die spanische und die portugiesische Regierung acht Jahre später darauf, dass große Teile des Pazifiks unter spanische Kontrolle fallen sollten. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann dann die spanische Kolonialisierung der Marianeninseln im Westpazifik, darunter auch Guam. In brutalen Kolonialkriegen rotteten die Spanier auf Guam über 90 Prozent der einheimischen Chamorro-Bevölkerung aus.[1] Die spanische Dominanz dauerte gut 200 Jahre an. Mitte des 19. Jahrhunderts setzten sich deutsche Händler im Pazifik immer mehr gegen die spanische Konkurrenz durch. Im Karolinenstreit 1885 errang das Deutsche Reich dann das Recht auf Freihandel mit den Marianeninseln.[2] Zu einer direkten deutschen Eroberung kam es vorerst allerdings nicht.
Inbesitznahme durch die USA
Im Verlauf des mit einer US-Aggression gestarteten Spanisch-Amerikanischen Kriegs im Jahr 1898 übernahmen US-Truppen auch Guam – kampflos.[3] Freilich erhob nicht nur Washington Ansprüche auf die spanischen Kolonien im Pazifik, sondern auch Berlin. Aufgrund aggressiver deutscher Operationen in der Bucht von Manila erhielt das Deutsche Reich 1899 die nördlichen Marianeninseln.[4] Damit spalteten die Kolonialmächte das Siedlungsgebiet der Chamorro in zwei verschiedene Gebiete auf, Guam einerseits, die nördlichen Marianen andererseits – eine Teilung, die bis heute anhält. Im 1914 von Berlin vom Zaun gebrochenen Ersten Weltkrieg blieben die USA zunächst neutral, und der deutsche Hilfskreuzer SMS Cormoran lief den US-Hafen Apra Harbor auf Guam an. Die US-Kolonialtruppen hießen die deutschen Marinesoldaten als Gäste willkommen. Das Schiff blieb bis zum US-Kriegseintritt im Jahr 1917 in dem Hafen. Nach dem US-Kriegseintritt versenkten die deutschen Truppen das Schiff selbst.[5]
Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg fielen die vormals deutsch kontrollierten nördlichen Marianen als Völkerbundmandatsgebiet an das Japanische Kaiserreich. Die USA behielten weiterhin Guam. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs nahmen die japanischen Truppen auch Guam ein, bis die USA die Insel 1944 zurückerobern konnten.[6] Nach dem Zweiten Weltkrieg fielen die einst dem Deutschen Reich, dann Japan zugeschlagenen nördlichen Marianen gemeinsam mit weiteren Pazifikkolonien an die USA, die das gesamte Gebiet als „Treuhandgebiet der Pazifischen Inseln“ („Trust Territory of the Pacific Islands“, TTPI) verwalteten.
Kolonie mit neuem Status
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen Diskussionen über die politische Zukunft Guams. 1950 verabschiedete der US-Kongress den „Organic Act of the Territorial Government of Guam“. Dieser beendete die US-Militärverwaltung der Kolonie. Seitdem hat Guam einen eigenen zivilen Gouverneur und ein lokales Parlament. Die Einwohner dürfen nun zudem US-Bürger werden; zuvor hatten sie lediglich den Status von „United States nationals“, einen Status zwar mit US-Nationalität, aber ohne Bürgerrechte. Sie dürfen auch nach der Verabschiedung des „Organic Act“ von 1950 immer noch nicht an den US-Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Experten bezweifeln, dass dieser über Jahrzehnte aufrechterhaltene, offenkundig dauerhafte Schwebezustand mit der US-Verfassung kompatibel ist.[7]
Verhinderte Entkolonialisierung
Die Vereinten Nationen führen seit ihrer Gründung eine „Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung“. Diese versammelt alle Kolonien; die große Mehrheit ist inzwischen zwar in die formale Unabhängigkeit entlassen worden, doch umfasst die UN-Liste immer noch 17 Territorien, die faktisch weiterhin als Kolonien gehalten werden. Diejenige Abteilung der Vereinten Nationen, die sich mit der Entkolonialisierung beschäftigt, wird von den westlichen Mächten systematisch unterfinanziert, sodass sie kaum arbeitsfähig ist. Die US-Regierung hat Kritik der Vereinten Nationen an ihrer Kolonialpolitik stets ignoriert.[8] Guam ist denn auch bis heute auf der UN-Liste fortbestehender Kolonien verzeichnet.
Endgültige Spaltung
Die Spaltung der Marianeninseln wurde endgültig, als 1978 die USA im Norden des Archipels den Commonwealth der Nördlichen Marianen (Commonwealth of the Northern Mariana Islands, CNMI) schufen. Der CNMI ist ein sich selbst verwaltendes Gebiet, dessen Außen- und Verteidigungspolitik aber von der US-Regierung übernommen wird. Das Territorium ist Mitglied der Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik der Vereinten Nationen, aber nicht der UNO selbst. Im Jahr 1990 strich die UNO die Nördlichen Marianen von der „Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung“. Die Politik des CNMI wird bis heute durch einige wenige weitverzweigte Familien dominiert. Die US-Parteien der Demokraten und der Republikaner existieren dem Namen nach auch auf den Nördlichen Marianen, haben aber mit den Parteien im Mutterland wenig gemein.[9]
Wiederaufnahme der Beziehungen: Wirtschaft…
Deutschland verstärkt seit einigen Jahren seine wirtschaftlichen Beziehungen zur US-Kolonie Guam wieder; in den vergangenen 15 Jahren ist die Bundesrepublik vom fünfzehnt- zum immerhin zehntgrößten Handelspartner der extrem weit entfernten Insel aufgestiegen, die für deutsche Konzerne freilich vor allem als Steueroase Bedeutung besitzt. Guams Platzierung auf der EU-Liste der Steueroasen hat die Europäische Kommission in diesem Frühjahr erneut bestätigt.[10] Die Bundesregierung schloss Guam im April auch in das sogenannte Steueroasen-Abwehrgesetz ein.[11]
… Diplomatie, Politik und Militär
Darüber hinaus intensiviert Berlin seit einigen Jahren auch seine diplomatischen und politischen Beziehungen zur US-Kolonie Guam. Im Jahr 2017 besuchte der Chargé d’Affaires der deutschen Botschaft in Manila die Insel. Anlass waren die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Selbstversenkung der SMS Cormoran im Ersten Weltkrieg.[12] Die deutsche diplomatische Vertretung auf den Philippinen ist für Guam eigentlich gar nicht zuständig, doch das nächstgelegene deutsche Generalkonsulat auf US-Boden befindet sich in Honululu und damit über 6.000 km von Guam entfernt. Im Juni dieses Jahres besuchte darüber hinaus Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erstmals Guam. Bei ihrem Besuch verwies der Kommandant der dort stationierten USS Charleston auf die Dieselmaschinen des Münchner Maschinenbauers MTU Aero Engines, die die USS Charleston antreiben.[13] Die Wiederaufnahme der deutschen Militärbeziehungen mit Guam erfolgt nun mit dem Besuch der Fregatte Bayern.
Mehr zum Thema: Illegal besetzte Inseln und „Eine gewisse Doppelmoral“.
[1] Anne Perez Hattori: Colonialism, Capitalism and Nationalism in the US Navy’s Expulsion of Guam’s Spanish Catholic Priests, 1898–1900, in: The Journal of Pacific History, Jg. 44 (2009), Nr. 3, S. 281–302 (hier: S. 284).
[2] Gerd Hardach: Bausteine für ein grösseres Deutschland: Die Annexion der Karolinen und Marianen 1898–1899, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 33 (1988), Nr. 1, S. 1–21 (hier: S. 4–5).
[3] Leslie W. Walker: Guam’s Seizure by the United States in 1898, in: Pacific Historical Review, Jg. 14 (1945), Nr. 1, S. 1–12.
[4] Don A. Farrell: The Partition of the Marianas: A Diplomatic History, 1898–1919, in: ISLA – A Journal of Micronesian Studies, Jg. 2 (1994), Nr. 2, S. 273–30; Hardach: Bausteine für ein grösseres Deutschland, S. 1–21. S. auch Auf nach Asien! (III).
[5] Donna De Jesus: Guam commemorates 100th anniversary of German warship SMS Cormoran II. pncguam.com 07.04.2017.
[6] Wakako Higuchi: The Japanisation policy for the Chamorros of Guam, 1941–1944, in: Journal of Pacific History, Jg. 36 (2001), Nr. 1, S. 19–35.
[7] E. Robert Statham Jr.: US Citizenship Policy in the Pacific Territory of Guam, in: Citizenship Studies, Jg. 2 (1998), Nr. 1, S. 89–104.
[8] Nic Maclellan: Pacific Diplomacy and Decolonisation in the 21st Century, in: Greg Fry/Sandra Tarte (Hgg.): The New Pacific Diplomacy, Acton: ANU Press 2015, S. 263–281 (hier: S. 264).
[9] Jimmie L. Ellis: Total Resource Sharing among Collegiate and Public Libraries in the Commonwealth of the Northern Mariana Islands: A Narrative Case Study, Diss., San Diego 2004, S. 65/66.
[10] Mar-Vic Cagurangan: Guam and other Pacific jurisdictions remain on EU’s ‚hall of shame‘. pacificislandtimes.com 03.03.2021.
[11] Guido Vogt: Mehr Steuergerechtigkeit durch das Steueroasen-Abwehrgesetz? dihk.de 12.04.2021.
[12] Donna De Jesus: Guam commemorates 100th anniversary of German warship SMS Cormoran II. pncguam.com 07.04.2017.
[13] German defense minister visits Guam military facilities. pncguam.com 01.06.2021.
Erschienen auf german-foreign-policy.com, 04.10.2021.
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