Perspektivlos
Mit Durchhalteparolen und neuen PR-Projekten reagiert Berlin auf zunehmenden Unmut am westlichen Besatzungsfiasko in Afghanistan. Während die Zustimmung der Bevölkerung zum Bundeswehreinsatz weiter schwindet und staatsfinanzierte Medien auf Distanz zur Bundesregierung gehen, schlagen Außenpolitiker der Regierungspartei CSU die Einsetzung eines „Afghanistan-Koordinators“ vor. Er soll im Bundeskanzleramt „gegenüber der deutschen Öffentlichkeit“ die Kriegführung „vermitteln“ und der Intervention, die als „alternativlos“ dargestellt wird, neue Akzeptanz verschaffen. Das Berliner Vorgehen erinnert an Taktiken aus der Zeit, als sich eine frühere deutsch-amerikanische Kriegsniederlage abzuzeichnen begann: Das Desaster der Intervention in Vietnam. Die damaligen Kämpfe wurden nicht nur von deutschen Unternehmen für Kriegsgeschäfte genutzt, sondern auch von bundesdeutschen Söldnern in erheblichem Umfang unterstützt. Als das Scheitern der transatlantischen Aggression absehbar wurde, zögerte Bonn den unvermeidlichen Rückzug mit jahrelangen Durchhalteparolen hinaus – nicht anders als heute.
Hintergrund der CSU-Forderung nach Installierung eines „Afghanistan-Koordinators“ ist die zunehmende Kritik am Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Umfragen zufolge sprechen sich inzwischen fast zwei Drittel der deutschen Bevölkerung gegen die Militärintervention aus; auch die Haltung Berlins im afghanischen Geiseldrama findet demnach keine Mehrheit mehr.[1] Selbst staatsfinanzierte Medien gehen inzwischen auf Distanz zur Bundesregierung. Die „kleinen Erfolge“ am Hindukusch machten „die Rückschläge nicht wett“, heißt es bei der „Deutschen Welle“: „Selbst wenn es der Bundesregierung in diesen Wochen gelingen sollte, der unangenehmen Frage nach dem Sinn des gesamten Afghanistan-Einsatzes trickreich auszuweichen – die Frage wird sich garantiert schon bald von neuem stellen.“[2]
PR-Koordinator
Wie die CSU-Außenpolitiker Christian Schmidt und Karl Theodor zu Guttenberg in einem Strategiepapier fordern, soll die Bundesregierung einen „Afghanistan-Koordinator“ bestellen – mit einem eigenen Arbeitsstab im Bundeskanzleramt. Der „Koordinator“ soll die Afghanistan-Aktivitäten der unterschiedlichen deutschen Stellen „strategisch bündeln“, heißt es mehr als fünf Jahre nach Beginn der aussichtslosen Militärexpedition. Insbesondere komme ihm auch „die wichtige Aufgabe zu, das deutsche Engagement in Afghanistan nach außen in seiner Gesamtheit darzustellen“.[3] Die Forderung nach einer „Bündelung“ der Kriegsbeteiligung folgt zunehmenden Differenzen innerhalb der Regierungskoalition, die sich nicht länger verborgen halten lassen. Die Situation erinnert an Ereignisse der 1960er und 1970er Jahre, die den Krieg in Vietnam begleiteten, den Rückzug aber letztlich nicht verhindern konnten. Damals waren nicht nur deutsche Unternehmen, sondern auch deutsche Soldaten in erheblichem Umfang in die Kämpfe verwickelt – und später von der schweren Niederlage der westlichen Interventionstruppen betroffen.
Krieg führen lernen
Bei Beginn der deutschen Kriegseuphorie, die in Vietnam ein lohnendes Handlungsfeld für militärische Gehversuche erblickte, schrieb die Tageszeitung „Die Welt“ 1964, es ließe sich in Südostasien „lernen, wie heute Kriege geführt werden“. Ein Jahr später verlangte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, man solle „neue operative und taktische Erkenntnisse“ des Vietnamkrieges studieren. Dieser Aufgabe widmete sich der BRD-Militärattaché an der deutschen Botschaft in Saigon: Es sei seine „Aufgabe, alle Entwicklungen, die für die eigene Militärpolitik, für die eigene Waffenentwicklung von Bedeutung sind, zu verfolgen“. Wie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger den Vereinigten Staaten am 13. Dezember 1966 zusicherte, sei die deutsche Seite bereit, „entschiedener als bisher Mitverantwortung in Vietnam zu übernehmen“.[4] Laut US-Sicherheitsberater McBundy wurde „die Freiheit Berlins in Saigon verteidigt“ – eine Formel, die der Berliner Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) 2002 plagiierte, als er die „Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt“ sehen wollte.
Entwicklungshilfe
Mit sogenannten Entwicklungshilfegeldern schwang sich die Bundesrepublik in den 1960er Jahren zum zweitgrößten Finanzier des diktatorischen Marionettenregimes in Südvietnam auf – gleich nach den Vereinigten Staaten. Der massiven deutschen Kriegsbeihilfe standen Korruption und öffentliche Hinrichtungen nicht entgegen. Wie im jetzigen Afghanistan- und Irak-Krieg gab sich Washington mit den millionenschweren deutschen Finanzspritzen jedoch nicht zufrieden. Im November 1966 forderte das Pentagon zwei Infanteriedivisionen und eine Panzergrenadierdivision der Bundeswehr für den Feldzug in Südostasien an. Auch wenn dieser offiziellen Anfrage nicht offiziell stattgegeben wurde: die bundesdeutsche Armee beteiligte sich an den Kriegshandlungen – verdeckt.[5]
Legion Condor
Wie französische und amerikanische Medien herausfanden, verrichteten deutsche Piloten Dienst in den Reihen der US-Armee. Am 2. August 1966 bestätigte das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt), dass bundesdeutsche Staatsbürger in den amerikanischen Einheiten in Südvietnam eingesetzt wurden. Dabei machte man sich Praktiken der „Legion Condor“ zu eigen: Die Soldaten suspendierten ihren Bundeswehrdienst und traten als Freiwillige der US-Armee bei. So waren unter anderem 40 Hubschrauber der Bundeswehr im Einsatz – samt deutscher Crews. Insgesamt soll sich die Zahl der in Südvietnam tätigen bundesdeutschen Spezialisten auf 2.500 belaufen haben.[6]
Erste Hilfe
Auch bundesdeutsche Schiffe kamen unter fremder Flagge zum Einsatz – zum Transport amerikanischen Waffenmaterials. Die Besatzungen erhielten US-Pässe, um sich in den Hafengebieten frei bewegen zu können. Unter dem Oberkommando des BRD-Militärattachés in Saigon wurde das Lazarettschiff „Helgoland“ in Stellung gebracht, als „erste Stufe einer vormilitärischen Beteiligung“, wie es damals hieß.[7] Nach einer kurzen Visite in der Hauptstadt Südvietnams wurde die „Helgoland“ nach Da Nang verlegt und war dort, nahe der Grenze zu Nordvietnam, von 1966 bis 1972 im Einsatz – als einzige medizinische Versorgungsstation in der Region, die eine der größten Basen der US-Armee beherbergte. Empfehlungen des Internationalen Roten Kreuzes, das Schiff auch nach Nordvietnam auslaufen zu lassen, lehnte das Auswärtige Amt ab. An Wochenenden, in ihrer Freizeit, nahmen Mannschaftsmitglieder aktiv an Einsätzen der US-Armee teil. Das Lazarettschiff hatte nicht zuletzt hochspezialisiertes Fachpersonal an Bord: Chemiewaffenexperten der Bundeswehr.
Agent Orange
Chemikalien, die im Vietnamkrieg zum Einsatz kamen, stellte die Bundesrepublik ebenfalls zur Verfügung. Der deutsche, in Ingelheim am Rhein angesiedelte Pharmakonzern Boehringer lieferte im Jahre 1964, als sich die ersten US-Reservoirs des in großem Umfang eingesetzten Herbizids „Agent Orange“ dem Ende zuneigten, das Know-how zur Herstellung einer der Hauptzutaten. Geschäftsführender Gesellschafter von Boehringer und engster Vertrauter des Firmenchefs war zu diesem Zeitpunkt der spätere deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Drei Jahre später sandte der Chemiekonzern 720 Tonnen Trichlorphenolatlauge – ein essentieller Bestandteil von „Agent Orange“ – an das in Neuseeland ansässige Unternehmen Dow Watkins, eine Tochter des Konzerns Dow Chemical. Bis heute leiden etwa eine halbe Million Vietnamesen an den Spätfolgen des völkerrechtswidrigen Chemieeinsatzes.[8]
Kapitulation
Neben Boehringer stützten weitere bundesdeutsche Unternehmen die Kriegführung in Vietnam. Die „Bremer Werften“ beschafften der US-Armee Frachtschiffe für den Waffentransport, auch Stahlkonzerne mit Beteiligungen an amerikanischen Rüstungsgeschäften trugen zur Versorgung der kämpfenden Einheiten bei. Die Durchhalteparolen der deutschen Medien überbrückten zunehmende Proteste und Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung. Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen forderte die deutsche Presse 1968, Washington dürfe sich seinen Bombenkrieg keinesfalls „aus der Hand schlagen (…) lassen“; die Einstellung von Luftangriffen der US-Militärs wurde als „Kapitulation“ bezeichnet und heftig kritisiert.[9]
Dass sich Berlin in einer Phase erkennbarer Rückschläge der transatlantischen Militärintervention und zunehmender Kritik am Afghanistan-Einsatz erneut auf PR verlegt, offenbart die Perspektivlosigkeit der Gewaltoperationen.
[1] Jeder dritte Deutsche fühlt „links“; Zeit online 08.08.2007
[2] Auf der Suche nach einer neuen Afghanistan-Strategie; Deutsche Welle 08.08.2007
[3] CSU-Politiker für Afghanistan-Koordinator; Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.08.2007
[4], [5], [6] Irene und Gerhard Feldbauer: Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam, Bonn 2005
[7] Panorama, 28.02.1966
[8], [9] Irene und Gerhard Feldbauer: Sieg in Saigon – Erinnerungen an Vietnam, Bonn 2005
Bild: Soldaten der Afghanischen Nationalarmee (22.05.2008).
Picture: Soldiers of the Afghan National Army (05.22.2008).
This picture is in the public domain in the United States because it is a work of the United States Federal Government under the terms of Title 17, Chapter 1, Section 105 of the US Code.
german-foreign-policy.com, 09.08.2007.