»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« — Franklin D. Roosevelt
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Wahl in Bremen: Zahnlose Opposition

Die CDU hält sich in Bremen mit Attacken auf die rot-grün-rote Regierungskoalition zurück

Wenn am Sonntag die Bremische Bürgerschaft neu gewählt wird, gibt es eine Besonderheit: Die Fünf-Prozent-Hürde gilt für Bremen und das 65 Kilometer nördlich der Hansestadt gelegene Bremerhaven separat. Die Wähler im 1947 gegründeten Zwei-Städte-Staat haben fünf Stimmen, die sie auf einzelne Kandidaten und getrennte Listen verteilen können. Durch diese Regelung haben kleine Parteien, die es nur in einer der beiden Städte über diese Hürde schaffen, die Chance, ins Landesparlament zu kommen.

Als wichtigste Themen im Bürgerschaftswahlkampf gelten Bildung, Mobilität und die Innere Sicherheit. Wie bei fast allen Bürgerschaftswahlen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die SPD die Favoritenposition. Laut Umfragen erfreut sich Bürgermeister Andreas Bovenschulte, der zum linken Flügel der Partei zählt, großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Der Jurist gilt als bürgernah und greift im Wahlkampf gerne mal zur Gitarre.

Die SPD-Wahlplakate wiederum sind erstaunlich inhaltsleer und werben recht unambitioniert für das »gute Format« des seit 2019 an der Spitze einer rot-grün-roten Koalition regierenden hochgewachsenen Landeschefs. Man scheint sich recht sicher zu fühlen, denn in den jüngsten Umfragen liegt die SPD bei 28 Prozent, was einem Zugewinn von gut drei Prozentpunkten entspricht.

Wichtigster Herausforderer Bovenschultes ist CDU-Spitzenkandidat Frank Imhoff. Der amtierende Bürgerschaftspräsident – zur Wahl 2019 erreichte die CDU erstmals mehr Stimmen als die SPD – gilt als farblos. Als der DGB zu einer Podiumsdiskussion der Spitzenkandidaten einlud, ließ sich Imhoff entschuldigen. Am selben Abend besuchte er eine Cocktailparty und postete davon Fotos in den sozialen Medien – die Prioritäten schienen klar.

Imhoff zur Seite steht Wiebke Winter, seit Anfang 2021 jüngstes Mitglied des CDU-Bundesvorstands. Sie gründete vor zwei Jahren die »Klimaunion« mit, die sich für einen wirtschaftsliberalen Klimaschutz einsetzt. Winter kommt aus dem abgehängten Bremen-Nord. Der Stadtteil besteht nach dem Untergang der dortigen Werften und großen Industriebetriebe hauptsächlich aus Wohnvierteln. Mit Winter hofft die CDU offenbar, Wähler in Gebieten fern des Stadtzentrums anszuprechen. Bundesweit erntete die 27-Jährige Spott für eine »Bild«-Homestory, in der sie, in ihrem Wohnzimmer neben einem Porträt Ursula von der Leyens sitzend erzählte, die EU-Kommissionspräsidentin sei ihr Vorbild.

Die CDU setzt im Wahlkampf einerseits auf Themen wie bessere Radwege und gendert sogar auf Wahlplakaten: »Egal ob Lehrer*innen oder Lehrer – Hauptsache genug«. Andererseits macht die seit 2007 in der Opposition sitzende Partei mit Plakaten gegen angebliche Jugendbanden Stimmung. Das wirkt wie eine Kopie des Berliner Wahlkampfes, wo die von den Boulevardmedien aufgebauschte Silvesternacht der CDU den Weg ins Oberbürgermeisteramt erleichterte. Doch in Bremen scheint diese Strategie nicht aufzugehen.

Die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Maike Schaefer, der amtierenden Umwelt- und Mobilitätssenatorin, und die FDP mit dem IT-Unternehmer Thore Schäck an der Spitze führen keine originellen Kampagnen. Die Grünen werben damit, Klima- und Wirtschaftspolitik sinnvoll zu verbinden und die FDP wettert gegen angebliche Verbote und verspricht »klare Kante« gegen Kriminalität. Die meisten Wahlplakate beider Parteien könnte man problemlos in anderen Bundesländern recyceln.

Die Linke mit Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt an der Spitze fällt dagegen durch gut gestaltete und kreative Wahlplakate auf, die sogar Inhalte transportieren. Die Kampagne unter dem Motto »Das neue Rot« wirbt dafür, dass Bremen weiter auf sozial-ökologischem Kurs bleibt. So fordert die Partei einen fahrscheinlosen Nahverkehr. Eine Besonderheit des linken Wahlkampfes ist, dass die Linksjugend Solid eigene Wahlplakate hat. Die sind nicht besonders schön, aber auf ihnen wirbt die Parteijugend für den Nachwuchskandidaten Dariush Hassanpour.

Auf die Frage, welche die drängendsten sozialen Probleme der Stadt und was Lösungswege seien, geben die Regierungsparteien unterschiedliche Antworten. Juso-Landeschef Sebastian Schmugler sagte »nd«, das sei die Arbeitslosigkeit. Probleme wie das Auseinanderdriften der Stadtteile hingen damit eng zusammen. Grünen-Spitzenkandidatin Schaefer nannte als wichtigste Ziele »mehr Bildungsgerechtigkeit und eine bessere Kitaplatzversorgung«. Sofia Leonidakis, Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft für Soziales, nannte zuvörderst eine soziale Abfederung von Klimaschutzmaßnahmen. Olaf Zimmer, der in der Linken als Parteirebell gilt, spricht von einem Dreiklang aus »Armutsbekämpfung, Wohnungsversorgung und Bildungspolitik«.

Bremen gilt als armes Bundesland, ist aber vor allem eines der Gegensätze. Im Stadtstaat gibt es derzeit rund 200 Millionäre – rund drei Mal so viele wie vor 20 Jahren. Stadtteilaktivist Dieter Winge sagt im Gespräch mit »nd«, die Lebenserwartung von Frauen in seinem Stadtviertel Gröpelingen liege um fünf Jahre unter jener im Reichenviertel Schwachhausen. Bei Männern sei sie sogar um sieben Jahre geringer. Es gebe in seinem Viertel kaum noch Allgemeinärzte, von Spezialisten ganz zu schweigen.

Die Arbeit der Linken in der ersten rot-grün-roten Koalition im Westen wird allgemein als gut bewertet. Viele loben vor allem das Krisenmanagement der Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard in der Hochphase der Corona-Pandemie. Mit Impfbussen und mehrsprachigen Angeboten in den armen Stadtteilen gelang es, Bremen zeitweise zum Spitzenreiter bei der Impfquote zu machen. In Bremen haben rund 37 Prozent der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte – bundesweit der höchste Wert. Da war es besonders wichtig, Impfaufklärung in den Sprachen der Menschen vor Ort zu betreiben. Weitere linke Erfolge in der Koalition waren ein Pilotprojekt im Bereich »Housing First« für Obdachlose, die Weiterentwicklung der Hilfe für Drogenabhängige und die Durchsetzung der Ausbildungsabgabe.

An der linken Basis gibt es gleichwohl auch Unmut; einige Stadtteilinitiativen und Bündnisse sind enttäuscht. Beispielsweise setzt sich die Landespartei für Waffenlieferungen in die Ukraine ein, was der Beschlusslage des letzten Bundesparteitags widerspricht.

Ex-Landessprecherin Cornelia Barth wünscht sich aufgrund der Ernüchterung bei früheren Partnern eine »ehrlichere Kommunikation« über die Möglichkeiten des kleinsten Koalitionspartners und mehr Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Akteuren. Barth ist Mitglied im Bundessprecher*innenrat der Strömung Sozialistische Linke und aktiv im Personenwahlkampf für Olaf Zimmer, der für eine konsequente antimilitaristische Linie der Linken wirbt.

Erschienen im nd, 11.05.2023.

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