»Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.« — Benjamin Franklin
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Gar nicht so isolationistisch

Vor 100 Jahren annektierten die USA das Kingman Reef im Pazifik und begannen damit eine Reihe von Kolonialexpansionen in den 1920er und 1930er Jahren

Vor 100 Jahren annektierten die Vereinigten Staaten von Amerika das Kingman Reef im Zentralpazifik. Die Annexion bildete den Startschuss für zwei weitere Jahrzehnte der kolonialen Aufteilung von Pazifikinseln unter den Großmächten, allen voran den USA und Großbritannien. Während sich die wechselnden US-Regierungen der 1920er und 1930er Jahre größtenteils aus europäischen Angelegenheiten heraushielten (»Isolationismus«), bauten sie das Kolonialimperium der Vereinigten Staaten im Stillen Ozean immer weiter aus.

Erste koloniale Schritte

Die ersten überseeischen US-amerikanischen Kolonisierungsansätze reichen weit bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Die Amerikanische Kolonialisierungsgesellschaft (»American Colonization Society«, ACS) entstand bereits 1816 und hatte das Ziel, für befreite nordamerikanische Sklaven im Westen Afrikas eine Kolonie zu etablieren. 1819 erhielt die ACS für diesen Plan einen Finanzzuschuss vom US-Kongress. An der sogenannten Pfefferküste errichtete die ACS eine Kolonie, aus der später die Republik Liberia hervorging. Trotz schwieriger Beziehungen zu Beginn dieser Republik – Abgeordnete der US-Südstaaten wollten beispielsweise keinen schwarzen Botschafter in Washington zulassen – entwickelte sich Liberia zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einer De-facto-US-Kolonie in Afrika.¹ Neben der gemeinsamen Verwaltung der nordmarokkanischen Hafenstadt Tanger mit einer Reihe anderer Kolonialmächte (»Internationale Zone Tanger«)² blieb das jedoch das einzige Kolonialunternehmen der USA auf dem afrikanischen Kontinent.
Der formelle US-Kolonialismus konzentrierte sich hauptsächlich auf die Karibik und den Pazifik. Unter den dortigen US-Kolonien lassen sich drei Kategorien unterscheiden: Siedlerkolonien, Territorien mit mehrheitlich einheimischer Bevölkerung und kaum oder gar nicht besiedelte Inseln; teilweise änderte sich der Charakter einzelner Kolonien im Laufe der Zeit. Den Beginn für die Expansion legte 1856 der US-Kongress, als er den sogenannten Guano Islands Act annahm. Dieses Gesetz erlaubte es jedem US-Bürger, Inseln mit Guanovorkommen im Namen der Vereinigten Staaten zu beanspruchen. Guano wurde damals als Dünger genutzt, und es gab Mitte des 19. Jahrhunderts einen regelrechten Boom. In der Folge des Gesetzes beanspruchten US-Amerikaner 94 Inseln, von denen später 66 den Status von Kolonien der Vereinigten Staaten erhielten. Dazu gehörten bereits früh kleinere Inseln im Pazifik wie Baker, Jarvis, Howland und das später im Zweiten Weltkrieg bekannt gewordene Atoll Midway. Schon in den 1850er Jahren gab die renommierte deutsche Geographiezeitschrift Petermanns geographische Mitteilungen eine Karte zum Pazifik heraus, in der die Deutschen südlich von Hawaii ein riesiges Gebiet namens »Amerikanisch-Polynesien« einzeichneten.
Infolge der Sklavenhalterrebellion zwischen 1861 und 1865 (»American Civil War«) geriet die koloniale Expansion der USA für ein paar Jahre ins Stocken. Danach ging es jedoch rasch weiter: Zwei Jahre nach dem Ende der Rebellion der Südstaaten erwarben die USA die vormals russische Kolonie Alaska, damals vor allem ein Küstenstreifen am Nordrand des Pazifiks und einige vorgelagerte Inseln. Der Kauf schloss ebenso den Anspruch auf ein Areal von etwa 1,6 Millionen Quadratkilometern ein.³ Für Alaska waren zunächst die Armee, dann das Finanzministerium und später die Marine zuständig. Die US-Streitkräfte und verschiedene Großkonzerne finanzierten Expeditionen in das Gebiet, und mit dem Goldrausch der 1890er Jahre kamen immer mehr weiße Siedler nach Alaska.
Als sich zur Berliner »Kongokonferenz« 1884/85 Vertreter der europäischen Großmächte trafen, um den afrikanischen Kontinent aufzuteilen, nahmen auch zwei US-Vertreter daran teil. Der republikanische Parlamentarier John A. Kasson und der Exdiplomat sowie Unternehmer Henry Shelton Sanford verteidigten das US-Interesse an Liberia gegen die Ansprüche der anderen Kolonialmächte. Sanford hatte zuvor im Namen des belgischen Königs für eine US-Anerkennung der belgischen Kongokolonie lobbyiert und gehofft, dass der Kongo in Zukunft die schwarze US-Bevölkerung aufnehmen könnte.
In den 1890er Jahren erlebte der US-Kolonialismus seinen endgültigen Durchbruch. Auf der Grundlage von 1889 geführten Verhandlungen wandelten die Regierungen Deutschlands, Großbritanniens und der USA 1890 das bis dahin unabhängige Samoa im Südpazifik in ein gemeinsames Kondominium um. Im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Krieges 1898/99 eroberten die US-Amerikaner in der Karibik Kuba und Puerto Rico sowie im Pazifik Guam und die Philippinen von den Spaniern.? Parallel dazu annektierten die USA noch das bis dahin unabhängige Königreich Hawaii, wo 1894 angloamerikanische Händler geputscht und es zu einer Republik erklärt hatten. Ebenso annektierten die Vereinigten Staaten das Atoll Wake; die spanische und die deutsche Regierung waren bis dahin davon ausgegangen, dass die Insel Teil des deutschen Kolonialgebietes sei.? Nach dem Ende der US-Besatzung Kubas erhielt der Großteil der Insel einen halbkolonialen Status zugestanden. Im »Platt Amendment« schrieb das US-Unterhaus fest, dass Kuba de jure unabhängig werden dürfe, sich die Regierung in Washington aber jederzeit in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen könne. Die Guantánamobucht wiederum unterlag als Karibikhafen direkt der Kontrolle des US-Militärs. 1899 dann teilten die Regierungen in Berlin, London und Washington die Samoainseln auf – es entstanden Ost- und Westsamoa. Und 1903 schnitt die US-Regierung die Panamakanalzone aus Panama heraus. Das US-Kolonialreich umfasste zu dieser Zeit circa 9,67 Millionen Quadratkilometer und war damals nach Bevölkerung das drittgrößte Weltreich.
Vor allem die Philippinen entwickelten sich zu einer der wichtigsten Kolonialbesitzungen der USA überhaupt. Zunächst sahen sich die nordamerikanischen Truppen dort jedoch mit militärischem Widerstand konfrontiert. Die langjährige asymmetrische Auseinandersetzung konnten sie aber letztendlich in der Schlacht von Bud Bagsak gegen Rebellen der Volksgruppe der Moro im Jahr 1913 für sich entscheiden. Infolge von Hunger und Krankheiten starben nach aktuellen Schätzungen damals bis zu eine Million Menschen auf den Philippinen.? Im Zuge der Etablierung der Kolonialmacht begannen US-Konzerne mit der Ausbeutung von Kokosnüssen, Manilahanf, Nutzholz und Zucker. Darüber hinaus dienten die Philippinen als Sprungbrett nach China.
In der Kolonie Hawaii entstand infolge der Annexion ein Oligopol aus fünf großen Zuckerplantagenfirmen – den sogenannten Big five. Die Besitzer dieser Plantagen besaßen großen politischen Einfluss und neigten politisch zur Republikanischen Partei. Neben der weißen Oberschicht, den Ureinwohnern der Inseln und japanischen Migranten organisierten die Plantagenbesitzer die Übersiedlung philippinischer Arbeitskräfte auf die Insel. Tausende Filipinos migrierten damals jährlich aus ihrer Heimat nach Hawaii.? Wegen der US-Militärbasen im Land und der Plantagenwirtschaft siedelten jedoch auch immer mehr Weiße vom Festland auf die Inselgruppe über.
Nördlich des Pazifiks versuchte 1921 eine kanadoamerikanische Privatexpedition, die Wrangelinsel in Besitz zu nehmen. Als der Leiter der Mission den US-Industriellen Carl J. Lomen – den größten Rentierunternehmer des Landes (»The Reindeer King«) überzeugt hatte, die Insel nördlich von Sibirien in sein Geschäftsimperium einzubinden, kam die sowjetische Regierung einer Übernahme der Insel durch die USA zuvor und entsandte 1924 das Schiff »Krasnyj Oktjabr«, um die US-Siedler aufzunehmen und nach Wladiwostok zu bringen.? Einer weiteren US-Expansion im Nordpolargebiet hatte Moskau somit einen Riegel vorgeschoben.

Neue Welle der Expansion

Den Beginn einer neuen Welle kolonialer Expansionen im Pazifik markierte die Marinekonferenz von Washington im Jahr 1921. Am Ende dieser Zusammenkunft unterzeichneten Vertreter Frankreichs, Großbritanniens, Japans und der USA einen Viermächtepakt. Darin einigten sich die Vertreter der Großmächte darauf, die Kolonialbesitzungen der jeweils anderen Mächte im Pazifik zu respektieren.? Ausgenommen blieben davon Inseln, die keine der vier Mächte für sich beanspruchten – und so begannen die USA ein Rennen um Inseln im Pazifik.
Den Hintergrund für die dann folgende Expansion bildete die damalige Entwicklung der Luftfahrt. Im Ersten Weltkrieg hatten verschiedene Mächte das erste Mal Flugzeuge militärisch eingesetzt, und im ersten Nachkriegsjahr begannen darüber hinaus die ersten kommerziellen Flüge. 1919 gelang einem britischen Team der erste Flug von Großbritannien bis nach Australien – mit mehreren Zwischenstopps selbstverständlich. Zwar bauten immer mehr Unternehmen Flugzeuge, die hatten jedoch immer nur eine eingeschränkte Reichweite. Dies bedeutete, dass unbewohnte oder spärlich besiedelte Inseln, die von Seefahrern aufgrund schlechter Bedingungen für den Hafenbau ignoriert worden waren, auf einmal in den Fokus verschiedener Großmächte rückten.
Im Jahr 1922 wurde in einem Bericht der US-Marine eingeschätzt, dass die Insel Wake sich besonders für einen Flugplatz eignen würde, da sie auf halbem Wege zwischen Midway und Guam lag.¹? Im selben Jahr erreichte das erste Wasserflugzeug der US-Marine das Palmyra-Atoll, das die Vereinigten Staaten bereits im Jahr 1900 annektiert hatten. Die Anbindung per Wasserflugzeug verkürzte die Transportwege der US-Kolonie Hawaii nach Amerikanisch-Samoa.¹¹ Um Washingtons Anspruch auf mehrere Inseln zu untermauern, führte die US-Marine 1923 und 1924 gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium die Tanager-Expeditionen zu weiteren Inseln in Ozeanien durch. Im ersten Jahr dieser Expeditionen erkundete das Minensuchboot USS Tanager die Insel Wake.¹²
Die US-Regierung schwankte zwischen prekären Ansprüchen auf bereits in Besitz genommene Inseln und immer weitergehender Expansion. 1925 annektierten die USA auch Swains Island nahe der britischen Union-Inseln, die heute als Tokelau eine Kolonie Neuseelands sind. Die US-Regierung gliederte die Insel in Amerikanisch-Samoa ein. Zum Ende der 1930er Jahre lebten dort knapp 150 Menschen. Nachdem die Guanovorkommen auf der Insel Johnston erschöpft waren, etablierte Präsident Calvin Coolidge per Exekutivbeschluss 1926 das Johnston-Island-Reservat zum angeblichen Schutz lokaler Vogelarten. Indem das Landwirtschaftsministerium das Atoll zugesprochen bekam, wollte die Washingtoner Regierung einerseits den Anspruch auf die Insel aufrechterhalten und andererseits nach außen signalisieren, dass die USA keine Militärpräsenz dort errichten wollten.

Wettrennen im Pazifik

Nicht nur fernab von größeren Inseln, sondern auch rund um die für Washington sehr wichtige Kolonie der Philippinen gelang eine weitere Expansion. 1930 übernahmen die USA nach einer Einigung der Regierungen von London und Washington die zwischen Borneo – damals Teil der britischen Kolonie Malaya – und den Philippinen gelegenen Turtle Islands von Großbritannien. Daran änderte auch der Statuswechsel der Inselgruppe nichts: Nachdem mehrere Jahrzehnte lang Vertreter der philippinischen Eliten in den USA studiert und die Vereinigten Staaten wirtschaftlich die Kolonie in ein US-dominiertes panpazifisches System eingegliedert hatten, entstand 1935 der sogenannte Commonwealth der Philippinen. Die politische Elite Manilas sollte dabei die Inselgruppe selbst verwalten, wobei die Kolonialmacht ihr jedoch keinen de jure unabhängigen Staat zugestand. Die Regierung in Washington war weiterhin für die Außenpolitik zuständig, und die US-Armee kontrollierte die südostasiatische Inselgruppe militärisch.
Anfang der 1930er Jahre spitzte sich die britisch-nordamerikanische Konkurrenz um verschiedene Pazifikinseln zu. Zunächst begann das US-Außenministerium 1931 mit einer Analyse der eigenen Ansprüche auf verschiedene Guanoinseln in der Karibik und dem Pazifik.¹³ Ein Jahr später schloss der oberste Rechtsberater des US-Außenministeriums die Untersuchung mit dem Titel »Sovereignty of Islands Claimed Under the Guano Act and of the Northwestern Hawaiian Islands, Midway and Wake« ab.¹? Nach dieser internen Klärung gingen die Vereinigten Staaten noch aggressiver im Pazifik vor.
Im Jahr 1934 übernahm die US-Marine die Kontrolle über das Kingman Reef. Ein Jahr darauf besuchte ein Vertreter der Luftfahrtbehörde das Atoll, und schon zwei Jahre später landete die erste »Clipper« von Pan American Airways (Pan Am) auf Kingman Reef auf seinem Jungfernflug von Hawaii und Amerikanisch-Samoa.¹? Als Flugplatzersatz wurde vor der Insel ein Logistikschiff stationiert. Wiederum ein Jahr später begann der »China Clipper« mit seinen regelmäßigen Flügen von Kalifornien nach China. Als Zwischenstopp diente dabei die Insel Midway, wo Pan Am ein Hotel im Kolonialstil, die Gooneyville Lodge, errichtete. Im August 1939 flog der »California Clipper« erstmals von Kalifornien über Hawaii, Canton Island und die französische Südpazifikkolonie Neukaledonien nach Neuseeland, eine sich damals selbst verwaltende britische Siedlerkolonie.¹?
Bereits im Jahr 1934 hatte Präsident Franklin D. Roosevelt Kingman Reef, Johnston Island und Sand Island der Kontrolle der Marine unterstellt. Kurz darauf sandten die US-Streitkräfte Soldaten auf diese Inseln, um dort provisorische Flugplätze zu errichten.¹? Ebenso im Jahr 1935 begann das »American Equatorial Islands Colonization Project« auf den bis dahin unbewohnten Inseln Howland, Baker und Jarvis nahe dem Äquator. 130 hauptsächlich junge Hawaiianer siedelten im Zuge dessen auf den circa 3.000 Kilometer von Hawaii entfernten Eilanden. Auf Howland entstand eine kleine Siedlung mit dem Namen Itascatown – benannt nach dem Schiff der Küstenwache, welches die Siedler dorthin gebracht hatte. Die Besiedlung sollte als Vorläufer für die Errichtung von für den Flugverkehr wichtigen Wetterstationen und auch Landebahnen für Flugzeuge dienen. Das US-Handelsministerium dehnte das Projekt 1938 auf die Canton- und Enderbury-Inseln aus.
In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre forcierte die britische Regierung das Vorhaben, ihre Flugverbindungen um den Planeten zu komplettieren. Geschäftsleute sollten die Möglichkeit haben, in britischen – sowie australischen und kanadischen – Flugzeugen um die Welt zu fliegen. Die einzige Lücke in der Weltumrundung war der zentrale Pazifik, in welchem die US-Regierung sich weigerte, ausländischen Fluggesellschaften Landungsrechte auf Hawaii zu gewähren. Ohne diesen Zwischenstopp blieb die Strecke von der britischen Kolonie Fidschi nach Kanada jedoch zu weit. Die britische Regierung begann deswegen ebenso, Siedler und Soldaten auf unbesiedelte Inseln im östlichen Pazifik zu schicken.

Tausende Inseln

Im Rennen um unbesiedelte Inseln legte US-Präsident Roosevelt fest, dass es nicht reiche, dort »zwei Männer und einen Hund« zu stationieren.¹? Das Staatsoberhaupt in Washington ging darüber hinaus davon aus, dass die Regierungen in London und in Washington zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf dieselben »Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden Inseln« erheben würden.¹?
Als im Sommer 1937 eine britische und eine US-amerikanische Expedition gleichzeitig auf Canton Island landeten, damit zwei konkurrierende Forschergruppen eine Sonnenfinsternis beobachten konnten, spitzte sich die Lage zu. Angeblich gab das britische Kriegsschiff HMS Wellington einen Warnschuss ab, ebenso das US-Schiff USS Avocet.²? Aus London und Washington kam jedoch die Order, dass die Situation nicht eskaliert werden sollte. Die US-Regierung dehnte trotzdem ihre Ansprüche immer weiter aus, und ab 1939 beanspruchte Washington auch noch eine Reihe von Inseln in der Nähe der neuseeländischen Kolonie Tokelau (Fakaofo, Funafuti, Hull Island, Niulakita, Nukufetau und Nukulaelae). Um die Lage im östlichen Pazifik zu klären, etablierten die USA und Großbritannien 1939 das Kondominium der Canton and Enderbury Islands und verwalteten die Kolonie fortan gemeinsam.
Die meisten der in den 1920er und 1930er Jahren annektierten und teilweise kolonialisierten Inseln waren zuvor unbewohnt, arm an Rohstoffen und manche auch gar nicht für Ankerplätze oder Häfen geeignet. Ihre Bedeutung gewannen die Atolle jedoch als Bausteine eines größeren Kolonialreiches der USA, das im pazifischen Raum vor allem Alaska, Guam, Hawaii, Samoa und die Philippinen einschloss. Durch Flugverbindungen zwischen den einzelnen Kolonien und nach China gelang es den USA, ihren Wirtschaftsraum im Pazifik abzustecken. Das 1935 gestartete Kolonialisierungsprojekt der US-Regierung endete mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg. In jenem Krieg dienten viele der Pazifikinseln als Militärflugplätze für die Alliierten. Nach dem Ende der Kampfhandlungen verblieben die meisten der Inseln im Kolonialbesitz, und mit der Übernahme vormals japanischer Inselgruppen kamen sogar noch weitere hinzu.
Bis heute haben die USA – nach Großbritannien – die zweitmeisten Einträge auf der UN-Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung, darunter Guam und Amerikanisch-Samoa. Aufrufe, daran etwas zu ändern, ignorierten die verschiedenen US-Regierungen der vergangenen sieben Jahrzehnte geflissentlich. Als die Vollversammlung der Vereinten Nationen vor anderthalb Jahren über die »Fourth International Decade for the Eradication of Colonialism« von 2021 bis 2030 abstimmte, votierten Großbritannien und die USA als zwei von drei Staaten dagegen – ihre NATO-Partner Frankreich und Deutschland enthielten sich. 150 von 193 Staaten stimmten jedoch dafür. Das Kingman Reef gehört bis heute zu den »United States Minor Outlying Islands« (»Kleinere abgelegene Inseln der Vereinigten Staaten«).

Anmerkungen

1 Judson M. Lyon: Informal Imperialism: The United States in Liberia, 1897–1912, in: Diplomatic History, Jg. 5 (1981), Nr. 3, S. 221–243; Emily S. Rosenberg: The Invisible Protectorate: The United States, Liberia, and the Evolution of Neocolonialism, 1909–40, in: ­Diplomatic History, Jg. 9 (1985), Nr. 3, S. 191–214
2 Als Überblick dazu: Daniela Hettstedt: Die internationale Stadt Tanger, Berlin/Boston 2022 3 Siehe junge Welt, 25.10.2017
4 Michael Brenes: How the Philippines Were Crucial to the Making of American Empire, jacobinmag.com, 13.8.2021. jacobinmag.com/2021/08/philippines-filipinos-us-empire-military-bases-colonialism-christopher-capozzola-bound-by-war-review
5 Dirk H. R. Spennemann: The United States Annexation of Wake Atoll, Central Pacific Ocean, in: The Journal of Pacific History, Jg. 33 (1998), Nr. 2, S. 239–247 (hier: S. 239/240)
6 Ray L. Burdeos: Filipinos in the U. S. Navy & Coast Guard During the Vietnam War, Bloomington (IN) 2008, S. 14
7 Natasha Varner: Strikers, Scabs, and Sugar Mongers, jacobinmag.com, 22.8.2017. jacobinmag.com/2017/08/hawaii-labor-history-sugarcane-industry
8 Melody Webb: Arctic Saga: Vilhjalmur Stefansson’s Attempt to Colonize Wrangel Island, in: Pacific Historical Review, Jg. 61 (1992), Nr. 2, S. 215–239 (hier: S. 235–237)
9 Ronald E. Powaski: Toward an Entangling Alliance: American Isolationism, Internationalism, and Europe, 1901–1950, New York (NY) 1991, S. 36
10 Spennemann, a. a. O., S. 246
11 Mark J. Rauzon: Isles of Amnesia: The History, Geography, and Restoration of America’s Forgotten Pacific Islands, Honolulu 2016, S. 89
12 Ebd., S. 165
13 M. Ruth Megaw: The Scramble for the Pacific: Anglo-United States Rivalry in the 1930s, in: Historical Studies, Jg. 17 (1977), Nr. 69, S. 458–473 (hier: S. 460)
14 Rauzon, a. a. O., S. 165
15 Ebd., S. 107
16 Robert Bluffield: Over Empires and Oceans: Pioneers, Aviators and Adventurers – Forging the International Air Routes 1918–1939, Ticehurst 2014, S. 89
17 Christina Duffy Burnett: The Edges of Empire and the Limits of Sovereignty: American Guano Islands, in: American Quarterly, Jg. 57 (2005), Nr. 3, S. 779–803 (hier: S. 786)
18 Megaw, a. a. O., S. 460
19 Ebd., S. 458
20 Otto Degener/Edwin Gillaspy: Canton Island, South Pacific, in: Atoll Research Bulletin, Jg. 5 (1955), Nr. 41, S. 1–51 (hier: S. 10)

Erschienen in: junge Welt, 06.05.2022.

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