Doppelrezension: Geschichte der deutschen Zentralasienpolitik
Rudolf A. Mark: Im Schatten des „Great Game“ Deutsche „Weltpolitik“ und russischer Imperialismus in Zentralasien 1871-1914 Paderborn 2012 (Ferdinand Schöningh) 504 Seiten 61,00 Euro ISBN 978-3-506-77579-5 Rudolf A. Mark: Krieg an fernen Fronten Die Deutschen in Zentralasien und am Hindukusch 1914–1924 Paderborn 2013 (Ferdinand Schöningh) 285 Seiten 36,90 Euro ISBN 978-3-506-77788-1
Mit „Im Schatten des ‚Great Game'“ und „Krieg an fernen Fronten“ hat Rudolf A. Mark eine beachtliche Übersicht über die deutsche Zentralasienpolitik von der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 bis zum Jahr 1924 vorgelegt. Im ersten Band, seiner Habilitationsschrift, zeichnet der Historiker, der an der Universität der Bundeswehr in Hamburg Geschichte lehrt, die kaiserlich-deutsche Großmachtpolitik im mittelasiatischen Gebiet von der Reichsgründung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs nach. Das Anschlusswerk wiederum befasst sich mit den zehn Jahren vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis 1924.
Ein früher Höhepunkt der deutschen Zentralasienpolitik war – so beschreibt Mark es in „Im Schatten des ‚Great Game'“ – die Penjdeh-Krise. Sie eskalierte diplomatisch, nachdem russische Truppen einen afghanischen Grenzposten in der gleichnamigen Oase im heutigen Turkmenistan eingenommen hatten und Großbritannien sich auf einen Krieg gegen Russland vorbereitete. Die deutsche Regierung unter Reichskanzler Bismarck spielte eine bedeutende Rolle bei der Konfliktbearbeitung. Bismarcks Ziel war eindeutig: Er sah Persien und Zentralasien als ein Gebiet an, in dem die Großmächte Russland und England gebunden und somit von europäischen Aktivitäten abgelenkt werden konnten. Turkestan und die Bevölkerung der Region waren also für den Reichskanzler in Berlin nur ein Spielball.
Eine Änderung der deutschen Turkestanpolitik kam mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals hegten deutsche Publizisten die Hoffnung, mit der russischen Eroberung Mittelasiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei der Weg bereit für eine deutsche „pe?ne?tration pacifique“, also eine wirtschaftliche Durchdringung, wie sie bereits im Osmanischen Reich und in Persien praktiziert wurde. Deutschsprachige Minderheiten zwischen Orenburg und Duschanbe sollten dabei den Weg für deutsche Konzerne ebnen.
In „Krieg an fernen Fronten“ behandelt Mark den Ersten Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit. Im Detail beschreibt er die Kriegspläne des Kaiserreichs und die Propagandatätigkeiten sowie die politischen Aktivitäten der eigens für diesen Zweck zu Beginn des Weltkriegs gegründeten Nachrichtenstelle für den Orient. Diese hatte unter anderem die Aufgabe, den vom osmanischen Staatsoberhaupt proklamierten Dschihad der Muslime gegen die Ungläubigen – mit Deutschland und Österreich-Ungarn als Bundesgenossen – nach Zentralasien zu tragen.
Zur wirtschaftlichen Durchdringung in Friedenszeiten und zur gezielten Propaganda in Kriegszeiten kam im Verlauf des Ersten Weltkriegs noch ein drittes, direktes Mittel der deutschen Einflussnahme in Zentralasien hinzu: „Als Speerspitze deutscher Afghanistan-Pla?ne“ stießen im Verlauf des Krieges der deutsche Offizier Oskar Niedermayer und der preußische Legationsrat Werner Otto von Hentig an den Hindukusch vor. Im Rahmen der Niedermayer-Hentig-Expedition sollte versucht werden, Afghanistan in den Weltkrieg zu ziehen und damit britische Truppen in Indien zu konzentrieren. Aufgrund des starken britischen Einflusses in der afghanischen Hauptstadt Kabul gelang dies jedoch nicht, und Niedermayer und von Hentig mussten sich unverrichteter Dinge zurückziehen. Nach Kriegsende setzte die junge Weimarer Republik wieder auf den Handel. Bereits 1922 errichtete die Bucharische Sowjetische Volksrepublik eine Handelsvertretung in Berlin. Deutsche Unternehmen planten, in das Baumwollgeschäft und den Eisenbahnbau einzusteigen, während aus dem zentralasiatischen Buchara wiederum Tierdärme importiert wurden. 1924 endet Marks zweiter Band.
Mit seinen beiden Büchern hat Rudolf A. Mark eine beeindruckende Grundlagenarbeit über die deutsche Zentralasienpolitik in den ersten 50 Jahren deutscher Außenpolitik vorgelegt. Hatten die Politiker in Berlin zunächst nur ein Interesse daran, russische und britische Truppen fernab von Europa zu binden, veränderte sich das deutsche Interesse an der geostrategisch wichtigen Region mit der Zeit. Den Höhepunkt der damaligen Ambitionen stellte die Niedermayer-Hentig-Expedition im Ersten Weltkrieg dar.
Die einzigen beiden Makel der beiden Bücher sind die Quellenlage und die Formatierungsregeln des Verlages. Mark hat zwar eine beeindruckende Menge an deutschen und russischen Akten gehoben und analysiert, die Bestände in britischen Archiven jedoch unbeachtet gelassen. Warum die Akten der zweiten in der Region aktiven Weltmacht, deren Kolonialgebiet mit Britisch-Indien sogar direkt angrenzte, nicht gesichtet wurden, bleibt leider unklar. Darüber hinaus stören die nicht einfach nachvollziehbare Transliteration und einige Merkwürdigkeiten in der Interpunktion den Lesefluss.
Erschienen auf german-foreign-policy.com, 27.09.2017.
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