»Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.« — Václav Havel
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Schwenk nach rechts in Litauen

Erste Runde der Parlamentswahlen: Regierungskoalition verliert Mehrheit. Konservative fordern verstärkte Aufrüstung

Laut vorläufigem Ergebnis gewann der von Beobachtern als EU-kritisch eingestufte Bund der Bauern und Grünen Litauens (LVZS) am Sonntag die erste Runde der Parlamentswahlen. Die Wahlsieger hatten im vergangenen Seimas, dem litauischen Parlament, lediglich einen Abgeordneten gestellt. Dieser, der Oligarch Ramunas Karbauskis, gilt als die alles dominierende Figur innerhalb des Bundes. Den zweiten Platz errang der konservative Heimatbund von Expremier Andrius Kubilius. Abgestraft hingegen wurden die Sozialdemokraten (LSDP) unter Noch-Premier Algirdas Butkevi­cius. Sie erlitten massive Stimmeneinbußen. Den Wiedereinzug in das Parlament schafften außerdem die »Liberale Bewegung«, die nationalkonservative Partei »Ordnung und Gerechtigkeit« sowie die Partei der polnischen Minderheit LLRA. Eine Fortsetzung der bisherigen Mitte-links-Koalition ist ausgeschlossen.

Die Partei »Weg des Mutes«, die von einem katholischen Geistlichen geführt wird, schied aus dem Parlament aus. Auch die Arbeiterpartei von Viktor Uspaskich, die vor allem von Angehörigen der polnischen sowie der russischen Minderheit gewählt wird, schaffte den Wiedereinzug nicht.

Nach einem »Linksruck« – wie bürgerliche Medien konstatierten – bei der Parlamentswahl 2012 hatten die Sozial­demokraten gemeinsam mit der als »linkspopulistisch« verschrienen Arbeiterpartei, den Nationalkonservativen und der LLRA eine Regierung gebildet. Die Koalition erhöhte den Mindestlohn von umgerechnet monatlich 231 auf 380 Euro. Außerdem hatte die LSDP-geführte Regierung die Schließung von Schulen auf dem Land beendet. In der Außenpolitik hatte sie auf Entspannung der Beziehungen zu den slawischen Nachbarn Belarus, Polen und Russland gesetzt. Im Zuge des Ukraine-Konflikts nahm Litauen dann an der Konfrontationspolitik gegen Russland teil, unterhielt aber weiterhin gute Beziehungen zu Belarus. Und auch der Sozialdemokrat Butkevicius ging den Weg des deutschen Exkanzlers Gerhard Schröder und brachte ein »liberales« Arbeitsgesetz durch, welches 2017 in Kraft treten soll. Unter anderem wird dadurch der Kündigungsschutz gelockert.

Außer dem Rechtsschwenk beim Arbeitsgesetz trugen Korruptionsaffären bei den Sozialdemokraten und der Arbeiterpartei zur Unzufriedenheit mit der Regierung bei. Bei der Vergabe von Aufträgen für das Militär und die Armenspeisung war es zu Schmiergeldzahlungen gekommen. Auch die bisherige Opposition scheint in Korruptionsfälle verwickelt gewesen zu sein. Der frühere Parteichef der »Liberalen Bewegung«, Eligijus Masiulis, hatte angeblich eine Schmiergeldzahlung von über 100.000 Euro angenommen. Seine Partei sank daraufhin in Umfragen von 15 auf drei Prozent. Ihr Ergebnis von neun Prozent am Sonntag kam daher überraschend.

Das größte Thema im ausgehenden Wahlkampf war der Exodus vieler, vor allem junger, Menschen aus Litauen. Durch den Tod alter Menschen und die Auswanderung der jüngeren sank die Einwohnerzahl des Landes im vergangenen Jahr um 11,3 Prozent. Seit der Unabhängigkeit von Moskau vor 25 Jahren hat Litauen ein Fünftel seiner Bevölkerung, circa 800.000 Einwohner, verloren.

Bereits vor dem Wahlgang hatten die konservativen Parteien mit Koalitionsverhandlungen begonnen. In der Außenpolitik bedeutet die Rückkehr des Heimatbundes in die Regierung eine aggressivere Haltung gegenüber Russland. Der Nationalist Kubilius forderte im Wahlkampf noch höhere Ausgaben für das Militär. Bereits im laufenden Haushaltsjahr lag das Militärbudget ein Drittel über dem von 2015.

In zwei Wochen kommt es zur Stichwahl in den Wahlkreisen, in denen am Sonntag keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit errang. Experten rechnen dabei mit Siegen der drei großen Parteien. Am gestrigen Montag zweifelte der Chef der LLRA, Waldemar Tomaszewski, das Wahlergebnis an und beklagte eine Medienkampagne gegen seine Partei. Ob daraus Konsequenzen folgen, ist noch unklar.

Erschienen in der jungen Welt, 11.10.2016.

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