„Konsequenzen“ für Georgien
Die Regierung Georgiens sucht mit einem „Transparenzgesetz“ die Finanzierung der Opposition durch NATO-Staaten offenzulegen. Georgiens Opposition wird bei ihren Versuchen, die Regierung zu stürzen, aktiv auch aus Deutschland unterstützt.
Berlin und die EU erhöhen ihren Druck auf die Regierung Georgiens und unterstützen Proteste der Opposition gegen das neue Transparenzgesetz. Das Gesetz ist kürzlich von der Mehrheit des georgischen Parlaments verabschiedet worden. Es soll Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die vor allem aus NATO-Staaten finanziert werden und die Regierung der Partei Georgischer Traum stürzen wollen, zur Offenlegung der Herkunft ihrer Gelder zwingen. Damit soll es die Voraussetzungen dafür schaffen, sie von ihren ausländischen Geldgebern im transatlantischen Westen abzuschneiden. Die Verabschiedung des Gesetzes, das teilweise wörtlich einem US-Gesetz entspricht, gegen das Georgiens Staatspräsidentin aber jetzt ihr Veto eingelegt hat, hat zu öffentlichen Zerwürfnissen nicht zuletzt mit hochrangigen deutschen Politikern geführt; der SPD-Politiker Michael Roth, einst Staatsminister im Auswärtigen Amt, hat sich in Tiflis persönlich in eine Protestdemonstration eingereiht. Georgien wendet sich ökonomisch von Europa ab und weicht im Ukraine-Krieg von westlichen Vorgaben ab: Es sucht neutral zu bleiben und die Handelsbeziehungen mit Russland nicht zu schädigen.
Transparenzgesetz
Das georgische Parlament hat in der vergangenen Woche ein Transparenzgesetz verabschiedet, das Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Geld aus dem Ausland erhalten, verpflichtet, sich zu registrieren. Die Registrierung führt zu einer strengeren Kontrolle durch die georgischen Behörden, die auch Sanktionen verhängen können.[1] Das Gesetz hat das Registrierungsgesetz für Auslandsvertreter (Foreign Agents Registration Act, FARA) der Vereinigten Staaten zum Vorbild und ist teilweise eine wortgleiche Kopie seines US-Modells.[2] Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili hat inzwischen ihr Veto gegen es eingelegt.
„Marsch auf Tiflis“
Hintergrund der Verabschiedung des Gesetzes, das die Regierungspartei Georgischer Traum für notwendig hält, sind verstärkte Bemühungen der Opposition, mit allen Mitteln wieder an die Macht zu gelangen. Im Oktober 2021 kehrte der frühere georgische Präsident Micheil Saakaschwili (im Amt von 2004 bis 2013) aus dem Exil in seine Heimat zurück und rief zu einem „Marsch auf Tiflis“ auf. Die Polizei nahm ihn jedoch kurz nach seiner Ankunft fest; seitdem sitzt er in Haft. Saakaschwilis Mutter zahlte daraufhin der US-amerikanischen Anwaltskanzlei Akerman LLP 900.000 US-Dollar, um ihren Sohn durch Lobbying, Medienkampagnen und die gezielte Veröffentlichung medizinischer Befunde aus dem Gefängnis herauszubekommen. Dazu soll Akerman LLP unter anderem ausländische Würdenträger, Intellektuelle, NGOs und vor allem US-Diplomaten auf Saakaschwilis Haft aufmerksam machen. Die Arbeit der Anwaltskanzlei wurde nur bekannt, da das US-Gesetz FARA vorschreibt, über derlei aus dem Ausland finanzierte Aktivitäten zu berichten.[3]
Eine NGO-Übergangsregierung
Saakaschwilis Aussichten auf eine Freilassung sind trotz des US-Lobbyings gering. Hauptsächlicher Anlass für die Verabschiedung des neuen Transparenzgesetzes sind die Aktivitäten einer Gruppe von 20 NGOs, in denen eine Reihe von Ex-Regierungsmitgliedern aus Saakaschwilis Amtszeit tätig sind. Diese Gruppe spricht der aktuellen georgischen Regierung die Legitimität ab, ruft regelmäßig zu Protesten gegen sie auf und arbeitet offen auf einen Regierungswechsel hin. Im Jahr 2022 rief eine Reihe dieser Organisationen – sie werden nahezu ausschließlich aus NATO-Staaten finanziert – zur Bildung einer Übergangsregierung auf; diese solle sich aus ihren Reihen zusammensetzen, hieß es.[4] Der US-Propagandasender Radio Liberty berichtete damals wohlwollend über die von den NGOs angeführten Proteste.[5]
Ende der Verhandlungen
Um den offen umstürzlerischen Aktivitäten etwas entgegenzusetzen, verhandelten laut Berichten georgischer Oppositioneller Regierungsvertreter in Tiflis mit Abgesandten der verschiedenen im Land vertretenen Botschaften von NATO-Staaten. Dabei war es Ziel der Regierung des Georgischen Traums zu erreichen, dass die betreffenden NGOs nicht mehr aus NATO-Staaten finanziert werden. Hinter vorgehaltener Hand sollen westliche Diplomaten damals sogar zugegeben haben, dass das Verhalten der von ihnen finanzierten NGOs Grenzen überschreite. Während einige von ihnen zustimmten, die NGOs müssten sich an Verhaltenskodizes halten, und wenn sie dies nicht täten, solle ihre Finanzierung enden, lehnten andere Vertreter von NATO-Staaten dies ab.[6]
Ein zweites Ungarn
Vorbild der Regierungspolitik in Tiflis bei der Einschränkung der vom Ausland finanzierten subversiven NGOs bzw. der „Zivilgesellschaft“ ist Budapest. Die Regierungspartei Georgischer Traum arbeitet laut Berichten an einem mehrstufigen Plan, der sich an der Politik des NATO- und EU-Mitglieds Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbán orientiert.[7] In den vergangenen Jahren haben die Regierungen in Tiflis und in Budapest die bilateralen Beziehungen ihrer Länder ausgebaut. Nach dem Beginn der Covid-19-Pandemie war der ungarische Außenminister Péter Szijjártó der erste hochrangige auswärtige Politiker, der Georgien besuchte. Als die NATO-Staaten im Jahr 2021 ihre Truppen aus Afghanistan abzogen, wo auch georgische Soldaten stationiert waren, flogen ungarische Militärs eine Gruppe von Georgiern aus.[8]
Weniger Europa, mehr Asien
Im Gegensatz zu Ungarn ist Georgien freilich nicht in die EU oder gar in die NATO eingebunden. Seit dem Beginn der Eurokrise im Jahr 2010 sinkt der Anteil des georgischen Außenhandels, der mit den westlichen Staaten und allen voran mit den Ländern der EU abgewickelt wird. Laut Angaben der Asiatischen Entwicklungsbank gingen Georgiens Exporte im Jahr 2022 hauptsächlich nach Aserbaidschan, Armenien, Russland, in die Türkei und in die Volksrepublik China. Bei den Importen dominierten die Türkei, Russland, die USA und China. Als einziger EU-Staat in den Top 5 der Außenhandelspartner Georgiens tauchte Deutschland an fünfter Stelle bei den Einfuhren auf.[9] Die wirtschaftliche Neuorientierung des Landes hat mittlerweile auch politische Konsequenzen: Als im Februar der neue georgische Ministerpräsident Irakli Kobachidse sein Amt antrat, aktualisierte er das Regierungsprogramm seines Kabinetts. In dem neuen Programm wird nun eine „Strategische Partnerschaft“ mit der Volksrepublik China gleichrangig mit der sogenannten euro-atlantischen Integration genannt.[10]
Neutralität im Ukraine-Krieg
Im Ukraine-Krieg positioniert sich die Regierung des Georgischen Traums weitgehend neutral. Zwar stimmte der Vertreter des Kaukasuslandes bei den Vereinten Nationen allen Resolutionen der UN-Generalversammlung zur Verurteilung des russischen Angriffskrieges zu; doch schloss sich Georgien nicht den wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen der EU- und NATO-Staaten gegen Russland an. Der neue Ministerpräsident Kobachidse weigert sich außerdem explizit, Russland öffentlich als „Feind“ zu bezeichnen.[11] Während Georgien keine Sanktionen gegen Russland eingeführt hat, sieht sich der eigentliche starke Mann der Regierungspartei, Bidzina Iwanischwili, damit konfrontiert, dass zwei Milliarden US-Dollar seines Vermögens in der Schweiz eingefroren wurden.[12] Die exzessive Sanktionspolitik des Westens scheint dazu beizutragen, dass der einflussreichste Politiker Georgiens der Integration in EU und NATO keine Priorität mehr einräumt.
In Demonstrationen eingereiht
In Berlin und der EU setzen einige Politiker alles daran, die Opposition gegen den Georgischen Traum zu stärken und ihr bei ihren Versuchen zu helfen, die Macht in Tiflis zu erlangen. Der SPD-Politiker Michael Roth, einst Staatsminister für Europa beim Bundesminister des Auswärtigen und derzeit Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, reiste Mitte des Monats nach Georgien, um dort mit der Opposition gegen das Transparenzgesetz zu demonstrieren. Roth kündigte dabei an, eine Verabschiedung des Gesetzes werde „Konsequenzen“ für das Kaukasusland haben.[13] Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs rechtsliberaler Präsident Emmanuel Macron erklärten Ende vergangener Woche, sie nähmen „mit tiefem Bedauern“ zur Kenntnis, dass Georgien von den „gemeinsamen europäischen Werten“ abrücke, indem es das Gesetz über die Pflicht zur Transparenz bezüglich ausländischen Einflusses verabschiede.[14] Der Druck aus Brüssel nimmt zu.
[1] Donnacha Ó Beacháin: Georgia unrest. thejournal.ie 17.05.2024.
[2] Joshua Kucera: Why Georgia’s Government Is Trying (Again) To Introduce An Unpopular ‚Foreign Agents’ Law. rferl.org 04.04.2024.
[3] David X. Noack: Fällt Georgien jetzt wirklich an Moskau? telepolis.de 22.04.2023.
[4] Loren Balhorn: Zivilgesellschaft ist noch keine Politik | Jacobin Weekly mit Almut Rochowanski. youtube.com 10.05.2024.
[5] Andy Heil: Georgia’s Shame Movement Is Getting Protesters Out On The Streets. But Is It Enough To Trouble The Government? rferl.org 01.07.2022.
[6] Almut Rochowanski, Sopo Japaridze: Die georgische Demokratie krankt nicht an einer Nähe zu Russland. jacobin.de 07.05.2024.
[7] Alec Gitelman: Georgia: Tracing the rise of illiberalism in Tbilisi. eurasianet.org 15.05.2024.
[8] Soso Chachanidze: What Lies Behind the Growing Cooperation of the Georgian and Hungarian Governments. gfsis.org.ge 29.11.2021.
[9] Key Indicators for Asia and the Pacific 2023: Georgia. adb.org 25.08.2022.
[10], [11] Beka Chedia: Georgia’s New Anti-Western Prime Minister Seeks Ties With China. jamestown.org 06.02.2024.
[12] Donnacha Ó Beacháin: Georgia unrest. thejournal.ie 17.05.2024.
[13] Thomas Franke: EU warnt Georgien vor negativen Auswirkungen. das-parlament.de 17.05.2024.
[14] «Loi Poutine» en Géorgie : la présidente oppose son véto et appelle Macron à la rescousse. liberation.fr 19.05.2024.
Erschienen auf german-foreign-policy.com, 24.05.2024.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.