»Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.« — Václav Havel
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

„Alarmbereitschaft“ wegen der Slowakei

Die Bundesrepublik erhöht den Druck auf die Slowakei. Die Ursache: Die künftige Regierung des wirtschaftlich von Deutschland abhängigen Landes strebt eine nicht wirtschaftsliberale, zugleich russlandfreundliche Politik an.
Die Bundesrepublik erhöht nach der Parlamentswahl in der Slowakei den Druck auf deren künftige Regierung. Diese setzt sich für eine nicht mehr wirtschaftsliberale und zudem eher russlandfreundliche Politik ein; ihr künftiger Premierminister Robert Fico erklärt, sein Außenminister werde „nicht mehr für ausländische Interessen sprechen“ – insbesondere mit Blick auf die Russlandpolitik. Die Waffenlieferungen an die Ukraine, bei denen Bratislava gemessen am Bruttoinlandsprodukt eine vordere Position innehatte, wurden bereits gestoppt. Fico fordert, auch EU- und NATO-Verbündete müssten die „volle Souveränität“ der Slowakei respektieren. Ein einflussreicher Autor des Berliner Tagesspiegels beschimpft den künftigen slowakischen Regierungschef, er sei „im Grunde … ‘nationalsozialistisch‘“; die sozialdemokratische EU-Partei SPE, in der die deutsche SPD eine starke Rolle spielt, hat Ficos Partei Smer-SSD und seinen Koalitionspartner Hlas-SD bereits suspendiert. Im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde Fico kurz nach seinem Wahlsieg als „eine Art trojanisches Pferd Putins“ bezeichnet.

„Putins trojanisches Pferd“
Bereits vor der Einigung auf eine neue Regierungskoalition in der Slowakei hieß es im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Wahlsieg der Smer-SSD versetze „die EU in Alarmstimmung“. Dem einstigen und wahrscheinlich nächsten Ministerpräsidenten der Slowakei Robert Fico werde nachgesagt, „eine Art trojanisches Pferd Putins“ zu sein. Dietmar Köster, der außenpolitische Sprecher der SPD im EU-Parlament, erklärte außerdem gegenüber der Tagesschau: „Der Wahlerfolg Ficos ist nicht gut für die EU“. Der CDU-Politiker Michael Gahler, außenpolitischer Sprecher der CDU-dominierten Europäischen Volkspartei (EVP), ergänzte: „Wenn Robert Fico das wahr macht, was er im Wahlkampf gesagt hat, […] ist das schon Anlass für uns besorgt zu sein“.[1]

„Die volle Souveränität“
Im Wahlkampf zur slowakischen Parlamentswahl vom 30. September hatte sich Ex-Premier Fico (im Amt von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2018) gegen weitere Waffenlieferungen seines Landes an die Ukraine ausgesprochen, für Verhandlungen mit Russland plädiert und sowohl gegen die Banken als auch gegen die Lebensmittelkonzerne in der Slowakei polemisiert. Zuvor war in den drei Jahren liberaler Regierungen seit 2020 der Lebensstandard in dem Land konstant gesunken.[2] In der Koalitionsvereinbarung einigten sich die bald regierenden Parteien Smer-SSD, HLAS-SD und SNS (Slowakische Nationalpartei) auf ein Ende der Sozialkürzungen. Darüber hinaus erklärte Fico, der zukünftige Außenminister des Landes werde „nicht mehr für ausländische Interessen sprechen“; andere Länder – auch Mitglieder von EU und NATO – hätten die „volle Souveränität“ der Slowakei zu respektieren.[3] Rudolf Huliak, der als möglicher Umweltminister gehandelt wird, kündigte außerdem an, er würde, wenn er die Regierung anführen würde, als erste Amtshandlung nach Russland reisen und sich für die slowakischen Waffenlieferungen an die Ukraine im Ukrainekrieg entschuldigen.[4]

Militärhilfen für die Ukraine
Seit dem Beginn des Ukrainekriegs im Februar vergangenen Jahres spielte die Slowakei bei den Militärhilfen für das benachbarte osteuropäische Land eine überproportional wichtige Rolle. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt war sie der sechstgrößte Lieferant von Militärgütern an die Ukraine und übertraf damit sogar EU-Großmächte wie Frankreich, Italien und Spanien.[5] Die slowakischen Lieferungen von Rüstungsgütern in das Nachbarland wurden jedoch bereits gestoppt. Die aktuell noch amtierende Technokratenregierung unter ?udovít Ódor, einem früheren Vizegouverneur der Nationalbank des kleinen Landes, hatte ein weiteres Paket von Waffenlieferungen in die Ukraine vorbereitet. Die liberalkonservative Präsidentin Zuzana ?aputová, die die Regierung Ódor ernannt hatte, stoppte die Waffenlieferungen jedoch am 4. Oktober. Sie rechtfertigte das damit, das Wahlergebnis sei zu respektieren.[6] Die Bundesregierung hat damit einen wichtigen Verbündeten bei der militärischen Unterstützung der Ukraine bereits verloren.

Belastete Beziehungen
Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) schrieb bereits in einem Nachwahlbericht nach dem Urnengang in der Slowakei, die deutsch-slowakischen Beziehungen seien angespannt. „Ficos Aussagen“ – er hatte die Bundeswehr mit Blick auf die in der Slowakei stationierten Truppen mit der Wehrmacht verglichen – würden das „deutsch-slowakische Verhältnis“ in Zukunft „belasten“. Für ein peripheres EU-Land wie die Slowakei gebe es aber wenig Alternativen; die HSS wies auf Mittel hin, Druck auf Bratislava auszuüben: „Die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit liegt im beiderseitigen Interesse.“[7]

„Kommunistisch“ und „nationalsozialistisch“
Im Berliner Tagesspiegel verstieg sich der sogenannte Diplomatische Korrespondent der Chefredaktion zu der Aussage, Fico sei ein „ex-kommunistischer Regierungschef“. Der junge Fico war 1986 der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KS?) beigetreten; damals arbeitete er als Militärermittler in der tschechoslowakischen Armee. Regierungschef wurde er erstmals im Jahr 2006, als die Slowakei bereits der EU und der NATO beigetreten war; er führte damals bereits die sozialdemokratische Smer-Partei an. Laut dem einflussreichen Tagesspiegel-Autor sei Fico jedoch nicht nur Ex-Kommunist, sondern auch Nationalsozialist: „Die Linken vereinnahmen das Nationale […]. Im Grunde müsste man [sie] ‘nationalsozialistisch‘ nennen […].“[8] Derlei substanzlose Schmähungen sind im liberalkonservativen deutschen Mainstream üblich, sobald sich Staats- und Regierungschefs in Mittelosteuropa, dem klassischen Hinterland deutscher Großmachtpolitik, außenpolitisch von der Bundesrepublik abwenden.

Suspendierung durch die SPE
Die sozialdemokratische EU-Partei SPE (Sozialdemokratische Partei Europas), in der die SPD eine starke Rolle spielt, hat nach der Verkündung der Koalitionsvereinbarung in Bratislava die Mitgliedschaft der beiden slowakischen Parteien Smer-SSD und Hlas-SD suspendiert.[9] Die Europaparlaments-Fraktion S&D („Sozialisten & Demokraten“) kündigte außerdem an, die Smer- und Hlas-Abgeordneten in ihrer Fraktion sollten ebenso suspendiert werden.[10] Als Grund hieß es in beiden Fällen, die zwei slowakischen Parteien koalierten mit der nationalkonservativen Slowakischen Nationalpartei (SNS). Ex-Familienministerin Katarina Barley, SPD-Abgeordnete und Vizepräsidentin des EU-Parlaments, hatte sich nach Medienberichten im Falle von Smer und Hlas „für einen harten Kurs ausgesprochen“.[11] Als die Smer – die Hlas hatte sich damals noch nicht von ihr abgespalten – von 2016 bis 2020 mit zwei neoliberalen Parteien in einer weitgehend neoliberalen Regierung mit der SNS regierte, wurde die Smer-Mitgliedschaft in SPE und S&D nicht suspendiert.

Automobilwirtschaft
Der Versuch, Druck auf die Slowakei auszuüben, wird allerdings dadurch etwas erschwert, dass das mittelosteuropäische Land für Deutschland eine besondere Bedeutung hat: Es stellt pro Kopf der Bevölkerung weltweit die meisten Autos her. Im vergangenen Jahr gingen bei den verschiedenen Autowerken in der Slowakei insgesamt eine Million Pkw vom Band – bei gerade einmal etwas mehr als fünf Millionen Einwohnern.[12] In den Werken von Volkswagen Slovakia beispielsweise werden Autos der Marken Volkswagen, Audi, Porsche und Škoda produziert. Laut Firmenangaben werden „mehr als 99 % der Produktion“ exportiert; einer der wichtigsten Exportmärkte ist Deutschland.[13]

[1] Matthias Reiche: Warum Fico die EU in Alarmstimmung versetzt. tagesschau.de 02.10.2023.
[2] Jakub Bokes: Die Wahlen in der Slowakei drehten sich um mehr als Russland. jacobin.de 16.10.2023.
[3] Populist Slovak ex-prime minister signs coalition deal with 2 other parties to form a new government. apnews.com 16.10.2023.
[4] Matúš Be?o: News digest: Fico’s government is in the making, here are the basics. spectator.sme.sk 16.10.2023.
[5] Pavel Bart?šek: Riskante Veränderung der politischen Orientierung bei vergangenen und kommenden Wahlen. voxeurop.eu 16.10.2023.
[6] Vladimír Šnídl: Na obrane zvažovali ?alší vojenský balík pre Ukrajinu, pod?a prezidentky treba rešpektova? výsledky volieb. dennikn.sk 04.10.2023.
[7] Markus Ehm: Schwierige Regierungsbildung in der Slowakei. hss.de 02.10.2023.
[8] Christoph von Marschall: Deutsche Einheit, Slowakei und USA: Gefährliche Drift in den Populismus. tagesspiegel.de 02.10.2023.
[9] Thomas Gutschker: Europäische Sozialdemokraten suspendieren Wahlsieger Fico. faz.net 13.10.2023.
[10] Die S&D-Fraktion plant die Suspendierung ihrer slowakischen Europaabgeordneten. socialistsanddemocrats.eu 12.10.2023.
[11] Eric Bonse: Rauswurf für Ficos Genossen, blogs.taz.de 14.10.2023.
[12] Jana Liptáková: Slovak car industry keeps momentum. spectator.sme.sk 18.01.2023.
[13] Profil der Volkswagen Slovakia. sk.volkswagen.sk (ohne Datum).

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 23.10.2023.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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