Wahlen in der Slowakei: Wird das Land neutral im Ukraine-Krieg?
Parlamentswahlen an diesem Wochenende. EU- und Nato-Mitglied könnte aus Reihe der Ukraine-Unterstützer ausscheren. Das sind die Ursachen für den Politikschwenk.
An diesem Samstag werden die Wähler in der Slowakei zu den Urnen gerufen. Nach mehreren Jahren wirtschaftlicher und politischer Dauerkrise bürgerlicher Koalitionen und drei Premierministern in drei Jahren soll das Wahlvolk nun vorzeitig noch einmal entscheiden. Laut Umfragen hat Robert Fico die besten Aussichten, neu-alter Premier zu werden. Er regierte bereits von 2006 bis 2010 sowie von 2012 bis 2018 das mittelosteuropäische 5,5-Millionen-Einwohner-Land.
Vor allem in der Frühphase seiner Regierungszeit gab es zahlreiche Schmähungen in Deutschlands und Österreichs Presse und Politik für den populären Politiker. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung schrieb von seiner Regierungskoalition als einer „Tyrannei der Mehrheit„, der Regierungsfernsehsender Deutsche Welle vom „Hugo Chávez Europas“ und die konservative Wiener Tageszeitung Die Presse vom „Pjöngjang an der Donau„. Auch heute überschlagen sich wieder die Plattitüden im deutschsprachigen Blätterwald: So schrieb die Süddeutsche Zeitung von „Liebesgrüßen nach Moskau“ und die Schweizer NZZ von „Putins slowakischem Freund„.
Seit Monaten führt die Smer (Slowakisch für „Richtung“) die demoskopischen Befragungen an. Politisch ist die 1999 gegründete Partei schwer einzuschätzen. Lange Zeit galt sie als „linkspopulistisch“ oder „linksnational“ und ist auch bis heute Mitglied der sozialdemokratischen Parteienfamilie in der EU, aber alle diese oberflächlichen Betrachtungen werden der Partei nicht gerecht.
Vor allem ist es das politische Vehikel von Robert Fico. Der 1964 im westslowakischen Topo??any geborene Politiker gründete die Smer 1999 als Abspaltung von der neoliberal gewendeten Partei der Demokratischen Linken (Strana demokratickej ?avice, SD?), die nach der Auflösung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei aus den Resten dieser entstanden war. Die SD? trug ab 1998 eine neoliberale Regierung mit und zerbrach daran innerhalb weniger Jahre.
Der damalige Oppositionspolitiker Fico gab der Smer zwar den Zusatztitel „Dritter Weg“, orientierte sich aber nicht an den westeuropäischen Sozialdemokraten Tony Blair und Gerhard Schröder, sondern punktete mit einem antineoliberalen Programm und warb für eine außenpolitische Neuorientierung. Zur Parlamentswahl 2002 errang die Smer somit aus dem Stand 13,5 Prozent der abgegebenen Stimmen und durfte fortan neben den erst- und bis heute letztmals ins Parlament eingezogenen Kommunisten in der Opposition Platz nehmen.
Aus der Opposition gegen die radikal neoliberale Koalition heraus profilierte sich Fico weiter als antineoliberaler Sozialdemokrat und die Smer übernahm eine Reihe sozialdemokratischer Kleinparteien, u.a. die 1990 von Alexander Dub?ek mitbegründete SDSS. Außenpolitisch positionierte sich Fico gegen den Irakkrieg und reiste nach Belarus, um den dortigen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu besuchen.
US-Botschaft sah schon einmal „Worst-Case-Szenario“
Ab 2006 regierte die Smer dann in einer Koalition mit zwei kleinen Rechtsparteien. In der US-Botschaft in Bratislava notierte ein Mitarbeiter, das „Worst-Case-Szenario“ sei eingetreten. Die erste Regierung Fico stoppte alle Privatisierungen, erhöhte den Mindestlohn und ließ den Pipelinebetreiber Transpetrol verstaatlichen.
In der Außenpolitik positionierte sich die Regierung deutlich links, zog die Truppen aus dem Irak und dem Kosovo ab, erkannte die Unabhängigkeit des Kosovos demonstrativ nicht an und stellte sich gegen den damals in Polen und Tschechien geplanten Nato-Raketenschild.
Als 2008 georgische Truppen die abtrünnige De-facto-Republik Südossetien überfielen, sprach Fico das auch so deutlich aus und stufte den Waffengang als „georgische Aggression“ ein. Fico kündigte an, nach Venezuela, Libyen und China reisen zu wollen – aus vielen der Trips wurde nichts – und besuchte mehrmals Empfängen in der kubanischen Botschaft zu den Jahrestagen der Revolution auf der Antilleninsel.
Kurz nach der Wahl reiste Fico nach Tripolis und ließ sich vom damaligen libyschen Machthaber Muammar Al-Gaddafi hofieren. Dieser Trip brachte milliardenschwere Investitionen für die slowakische Bauindustrie und den Gesundheitssektor des kleinen Landes. Ab 2009 tagte dann das zwischenstaatliche kubanisch-slowakische Komitee für wirtschaftliche Kooperation. Für ein Nato-Land eher eine unübliche Außenpolitik.
Nach dem Urnengang 2010 landete die Smer in der Opposition, da eine ihrer vormaligen Koalitionsparteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und die andere ihr gefährlich nahekam. Für zwei Jahre regierte dann eine bunte Truppe aus sechs liberalkonservativen Formationen.
Fico, wieder in Opposition, reiste nach Moskau und nahm 2011 als einziger westlicher Politiker an dem Parteitag von „Einiges Russland“ teil, auf welchem Wladimir Putin ankündigte, wieder Präsident werden zu wollen.
In der Slowakei zerbrach die bürgerliche Koalition nach nur 14 Monaten und nachdem herausgekommen ist, dass große Teile der Privatisierungen von 1998 bis 2006 mit Korruption in Verbindung standen, gewann die Smer die absolute Mehrheit zu den Neuwahlen 2012.
Die Smer hatte sich zu dem Zeitpunkt inhaltlich das erste Mal neu erfunden. In der Opposition stimmte die Partei der Schuldenbremse zu und votierte auch für den Griechenland-Rettungsschirm, welcher ein Austeritätsprogramm in jenem südosteuropäischen Land begleitete.
Bei der Rückkehr der Smer in Regierungsverantwortung gab es für die Annäherung an den neoliberalen Mainstream Lob aus Westeuropa, da die Partei „viel reifer“ geworden sei, so etwa der österreichische SPÖ-Politiker Hans Swoboda.
Allein regierend kamen von 2012 bis 2016 immer mehr Korruptionsskandale im Umfeld der Partei ans Licht. Mit neoliberaler Haushaltsdisziplin und Schuldenbremse blieb dem Fiskus darüber hinaus wenig Spielraum.
Das zentrale sozialpolitische Vorhaben – die Verstaatlichung der Gesundheitsversorger – scheiterte an slowakischen Gerichten, und das wichtigste Infrastrukturvorhabe der Schnellstraße nach Košice, der Hauptstadt des Ostens, kam nicht voran.
Machtwechsel in Kiew 2014 hatte auch Auswirken auf Bratislava
Mit dem Coup in Kiew 2014 wurde die Slowakei zudem von Handelspartnern im Osten abgeschnitten. Das Militär des kleinen Landes orientierte sich danach um und die Regierung kaufte fortan neues Militärgerät in den USA, anstatt wie bis dahin alte Technik in Russland modernisieren zu lassen.
Den Urnengang 2016 setzte Fico nicht mehr auf soziale Themen, sondern auf die Hetze gegen Geflüchtete. Im Gegensatz zu den sozialen Themen zuvor zog das jedoch gar nicht und die Smer verlor fast ein Drittel der Stimmen und zog mit lediglich 28 Prozent in den Nationalrat ein.
Die neoliberal gewendete Partei koalierte fortan mit einer Reihe bürgerlicher und rechter Parteien und kam bei den wichtigsten sozialen Themen nicht mehr voran. 2018 ermordete ein Auftragskiller den Investigativjournalisten Ján Kuciak und dessen Lebensgefährtin.
Kuciak hatte über Kontakte der italienischen Mafia bis in die Regierung Fico hinein recherchiert. So hatte die Organisierte Kriminalität, die sich in dem Fall auf Steuerbetrug und den Missbrauch von EU-Fördergeldern spezialisiert hatte, mit Ficos persönlicher Assistentin Mária Trošková eine Verbindungsfrau direkt im Büro des Ministerpräsidenten. Fico, Innenminister Robert Kali?ák und der Polizeichef traten zurück und die Smer schien am Ende.
Der neue Premier Peter Pellegrini kam aus der Reihe der Smer, spaltete jedoch nach der verlorenen Parlamentswahl Anfang 2020 eine eigene Partei von der Smer ab und nannte sie Hlas (Slowakisch für „Stimme“). Ein Drittel der Abgeordneten lief zu dieser neuen Formation über.
Mit der kurz nach dem Urnengang 2020 auch in der Slowakei angekommenen Covid-19-Pandemie entdeckte Fico auf einmal ein neues Thema für sich. Er stellte sich gegen Lockdown-Maßnahmen und warb dafür, dass die Impfung gegen die Pandemie eine persönliche Entscheidung eines jeden Einzelnen sein soll.
2021 nahm ihn die Polizei sogar bei einer Demonstration gegen einen Lockdown fest. Doch auch dieser Kurs half nichts und die Demoskopen sahen die Smer für die Jahre 2020 und 2021 meist zwischen acht und zwölf Prozent der Stimmen. Die versuchte weitere Neuerfindung scheiterte.
Mit dem im Februar 2022 von Russland begonnenen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte Fico jedoch wieder ein neu-altes Thema: Die guten Beziehungen zu Belarus und Russland. Die Smer positionierte sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen EU-Sanktionen, die Russland ins Visier nehmen.
Letzte wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen schadeten nur der russischen Bevölkerung und nicht der Regierung, sagte Fico dazu in einem Interview. Zu den Feierlichkeiten zum antifaschistischen Slowakischen Nationalaufstand im August vergangenen Jahres lud der Ex-Premier den russischen Botschafter in Bratislava als Gastredner ein, was viele Bürgerliche im Land empörte.
Überdies zeigte Fico klare Kante, als er sagte, dass ein EU-Beitritt der Ukraine bis zum Jahr 2025 eine unrealistische Perspektive sei. Der Ukrainekrieg ist laut Ansicht des Ex-Premiers ein Stellvertreterkonflikt zwischen den USA und Russland und müsse durch Verhandlungen beendet werden, wobei die Ukraine in Zukunft als Puffer zwischen Ost und West dienen solle. Gegen einen möglichen Nato-Beitritt des slowakischen Nachbarlandes wolle Fico ein Veto einlegen, sobald er wieder Ministerpräsident ist.
Anti-Nato-Stimmung in der Slowakei
In der Slowakei treffen solche Äußerungen auf offene Ohren. In der realsozialistischen Zeit bis 1989 wurde aus dem einstigen Agrarland eine Industrienation, woran heute noch viele Ältere gerne zurückdenken. Laut einer Umfrage vom Mai dieses Jahres ist die Slowakei neben Bulgarien das osteuropäische Land mit dem geringsten Nato-Rückhalt.
Bei einer möglichen Abstimmung über eine Mitgliedschaft in dem Militärbündnis würden lediglich 58 Prozent der Wähler dafür votieren. Noch vor Bulgarien läge die Slowakei bei den Wählern, die sogar für einen Austritt stimmen würden: Das wären 33 Prozent. Von einer Begeisterung für die Nato kann man im slowakischen Fall wohl kaum sprechen.
Trotz dieser Zahlen und der ukrainekritischen Aussagen des wahrscheinlichen nächsten Premiers Fico steht ein Zerbrechen der Nato nicht auf der Tagesordnung. Einen Nato-Austritt diskutiere man in der Smer nicht sagte Fico der Presse.
Bei der Vorstellung des Außenpolitikprogramms hieß es lediglich, dass die Smer an der Regierung neben den Beziehungen zu anderen EU- und Nato-Ländern die Beziehungen mit China, Kuba und Vietnam ausbauen und die Beziehungen zu Russland wiederherstellen wolle.
Nicht die Außenpolitik, sondern die im westlichen Ausland wenig beachtete Innenpolitik wird den Urnengang vom Samstag entscheiden. In der Slowakei erreichte die Inflation im vergangenen Jahr zwölf Prozent und wird dieses Jahr wohl auf rund elf Prozent kommen. Agrareinfuhren aus der Ukraine – eigentlich zum Weitertransport gedacht – belasten darüber hinaus die slowakische Landwirtschaft.
Vor allem die Lebensmittelpreise stiegen stark. Ficos Smer will mit einer Stärkung des Kartellamts und einer Kappung von Profiten für Lebensmittelhändler letzteres Problem in den Griff bekommen.
Während wahrscheinlich die sozialen Themen den Ausgang der Wahl in der Slowakei entscheidend bestimmen, ist man sich im politischen Bratislava nicht so sicher, ob die angedachten Rezepte der Spitzenpolitiker helfen. „Die dringendsten sozialen und ökonomischen Fragen werden von allen Parteien nicht adressiert“, erklärte Peter Weisenbacher vom Institut für Menschenrechte in Bratislava gegenüber Telepolis.
Die slowakische Außenpolitik wird sich nach der Wahl wahrscheinlich deutlich ändern, aber ein Abwenden von EU und Nato steht nicht auf der Tagesordnung. Als mögliche Außenminister werden der derzeitige Nationalratsvizepräsident Juraj Blanár von der Smer und Peter Kmec von der Hlas gehandelt.
Ersterer gilt – im Gegensatz zu seinem Parteichef – als blass und unauffällig und zweiterer diente als slowakischer Botschafter in den USA und gilt als Technokrat.
Zwar ist ein Stopp slowakischer Waffenlieferungen in die Ukraine realistisch, aber das Land wird höchstwahrscheinlich nicht die Sanktionspolitik der EU stoppen, sondern versuchen in einem begrenzten Maße eigene Akzente zu setzen.
Erschienen auf heise.de, 30.09.2023.