»Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.« — Václav Havel
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Kooperationspartner von Anfang an

Bereits seit den 1950er Jahren arbeiten die Bundesrepublik Deutschland und das südasiatische Pakistan eng miteinander zusammen. Heute sucht Berlin über das Land seine Stellung am Indischen Ozean zu stärken.

Bei ihrem Streben nach stärkerem Einfluss am Indischen Ozean im Machtkampf gegen China kann die Bundesrepublik an lange Jahrzehnte zeitweise intensiver Beziehungen zu Pakistan anknüpfen. Die Beziehungen reichen bis in die frühen 1950er Jahre zurück, als die Bundesrepublik einer von Pakistans bedeutendsten Außenhandelspartnern war. Bonn schloss einen seiner ersten Investitionsschutzverträge mit Islamabad – nicht zuletzt, um die dortige Regierung von der etwaigen Verstaatlichung von Industriebetrieben abzuhalten. Pakistan verdankt die Tatsache, dass es Atomwaffen besitzt, der Bundesrepublik: Der Chef der pakistanischen Atomenergiebehörde, Munir Ahmad Khan, konnte einst unverzichtbares nukleares Know-how aus Westdeutschland herausschmuggeln. Besonders eng kooperierten beide Länder in den 1980er Jahren bei der Unterstützung der Mudschahedin in Afghanistan im Krieg gegen die sowjetische Armee. Noch in den 1990er Jahren war Deutschland Pakistans zweitgrößter Entwicklungshilfegeber. Zuletzt lief im Jahr 2021 die Fregatte Bayern zum Flottenbesuch in der Hafenstadt Karachi ein, um die Militärbeziehungen aufrechtzuerhalten.

Grundlagen

Als Teil einer „begrenzten Revolution von oben“, die gedacht war, eine „Revolution von unten“ zu verhindern [1], erlangten Pakistan (damals noch inklusive Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch) und Indien im Jahr 1947 die Unabhängigkeit von Großbritannien. Während in Indien sich die politische Elite vom Westen abwandte, orientierte sich die pakistanische weiterhin an den Kolonialmächten des Westens und blieb in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis von ihnen.[2] Im Jahr 1951 nahmen das damalige Dominion Pakistan und die kurz zuvor etablierte Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen miteinander auf. Von Beginn an hatte die BRD einen großen Einfluss auf den neuentstandenen Staat: In den ersten Jahren der Unabhängigkeit war Westdeutschland einer seiner größten Außenhandelspartner.[3]

Doppelt eingebunden

Im Rahmen der globalen Systemkonfrontation drang die US-Regierung bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf die Gründung verschiedener Militärbündnisse, durch die die US-Hegemonie in einer ganzen Reihe von Ländern etabliert, ausgebaut und abgesichert werden sollte. Neben der NATO in Europa entstanden im Mittleren Osten die CENTO (Central Treaty Organization) und, mit Schwerpunkt in der Asien-Pazifik-Region, die SEATO (Southeast Asia Treaty Organization). Pakistan trat gleich zweien der Vertragssysteme bei – der 1955 etablierten CENTO und der 1954 gegründeten SEATO. 1973 trat es wieder aus der SEATO aus; diese löste sich 1977 auf, die CENTO zwei Jahre später.

Überzeugungsarbeit

Im Jahr 1958 putschte sich in Islamabad General Ayub Khan an die Spitze der Regierung und rief ein „Jahrzehnt der Entwicklung“ aus. Plan der Militärregierung war es, das Land per Importsubstitution zu industrialisieren und die Abhängigkeit von der Landwirtschaft zu minimieren.[4] Wenige Monate nach dem Putsch besuchte der bundesdeutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig Erhard das südasiatische Land und traf sich mit dem Putschgeneral Khan.[5] Erhard versuchte, ihn davon zu überzeugen, die Industrialisierungsziele aufzugeben, und behauptete, es sei von beiderseitigem Nutzen, wenn die globale Arbeitsteilung aufrechterhalten bliebe. Pakistan solle sich also weiter auf die Landwirtschaft konzentrieren.[6] Doch Khan beharrte auf dem Industrialisierungskurs.

Ratschläge

Im Jahr darauf, 1959, erschien unter der Schlagzeile „Bonner Wirtschaft gibt Pakistan Auftrieb“ ein Artikel in der New York Times, in dem es hieß, die pakistanische Regierung halte sich nun endlich an wirtschaftspolitische Ratschläge aus der Bundesrepublik. Nach Erhard besuchten Bundesbankpräsident Wilhelm Vocke und Theodor Oberländer, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, das südasiatische Land. Basierend auf ihren Vorschlägen seien „radikale Änderungen in der Finanz-, Handels- und Industriepolitik“ Pakistans umgesetzt worden, berichtete die New York Times.[7] Noch im selben Jahr lobte der Ökonom Egon Sohmen, wie Erhard Mitglied der wirtschaftsliberalen Mont Pèlerin Society, in einem Artikel für die führende US-Fachzeitschrift für Wirtschaftswissenschaft die „an neoliberalen Grundsätzen ausgerichtete kompromisslose Neuausrichtung“ der „Wirtschaftsplanung“ Pakistans.[8]

Modell-Schutzvertrag

Weil die pakistanische Staatsführung aber trotz allem nicht davon abgebracht werden konnte, die Industrialisierung des Landes abzubrechen, forcierte die Bonner Regierung die Ausformulierung des ersten Investitionsschutzvertrages überhaupt. Islamabad wurde damit genötigt, von Verstaatlichungen abzusehen. In dem Vertrag schrieben beide Regierungen fest, dass – sollte es zu Verstaatlichungen kommen – eventuell betroffene deutsche Konzerne in D-Mark entschädigt werden müssten.[9] Der Vertrag hatte Modellcharakter. Bis in die 1990er Jahre stieg die Zahl ähnlicher Abkommen auf fast 2.000.[10]

Wasser

1960 einigten sich die Regierungen Indiens und Pakistans im Indus-Wasservertrag auf eine Aufteilung der grenzüberschreitenden Wasserstraßen. Das Abkommen kam unter Vermittlung der Weltbank zustande. Ein Konsortium aus verschiedenen Commonwealth-Staaten, den USA und der Bundesrepublik Deutschland wurde gebildet, um Pakistan beim Bau von Staudämmen zu unterstützen. Die US-Strategie für die Region favorisierte damals Pakistan.[11] Im Windschatten der US-Dominanz baute auch Westdeutschland seinen Einfluss in dem südasiatischen Land aus.

Atombomben

Im Jahr 1972 beschloss der damalige pakistanische Präsident Zulfikar Ali Bhutto, sein Land solle den Bau von Atomwaffen in Angriff nehmen. Bhutto delegierte die Aufgabe an den Chef der pakistanischen Atomenergiebehörde Munir Ahmad Khan. Dieser entschied, aus Großbritannien und Westdeutschland die notwendigen Teile herauszuschmuggeln. Von 1977 bis 1980 ließ der „Vater der pakistanischen Atombombe“ eine gesamte Fabrik Stück für Stück illegal aus der Bundesrepublik nach Pakistan transportieren.[12] Auch wenn die Bonner Regierung davon nichts wusste, spielte die BRD damit eine wichtige Rolle bei der Produktion der pakistanischen Atombombe. Dem Atomwaffensperrvertrag trat Pakistan gar nicht erst bei.

Sowjetischer Afghanistankrieg

Ende Dezember 1979 marschierten sowjetische Truppen in das an Pakistan grenzende Afghanistan ein. Mit „finanzieller, politischer und logistischer Unterstützung aus dem Budget des Auswärtigen Amtes, die entweder als humanitäre Hilfe getarnt oder durch pakistanische Kanäle geleitet wurde“ [13], half die Bundesregierung den Mudschahedin in Afghanistan. In Pakistan, das die BRD zur Durchleitung ihrer Unterstützung nutzte, regierte seit 1977 Mohammed Zia-ul-Haq, der mit allen Mitteln eine islamistische Prägung des Landes forcierte.[14] Um die eigenständige pakistanische Unterstützung für die afghanischen Mudschahedin zu fördern, sandte der Bundesnachrichtendienst im Jahr 1986 eine Anlage zur signalerfassenden Aufklärung an den pakistanischen Geheimdienst.[15]

Ende der Systemkonfrontation

Mit dem Beginn von „Strukturanpassungsmaßnahmen“ des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Jahr 1988 begann die pakistanische Wirtschaft langsamer zu wachsen; Einkommensungleichheit, Arbeitslosigkeit und Armut stiegen an, eine langsame Deindustrialisierung setzte ein.[16] Seit 1988 haben pakistanische Regierungen mehr als ein Dutzend Kreditabkommen mit dem IWF unterzeichnet.[17] Dadurch wurden immer wieder neoliberale Maßnahmen forciert; der Bedarf an Hilfe von außen nahm in dem südasiatischen Land zu. In den 1990er Jahren war Deutschland Pakistans zweitgrößter Entwicklungshilfegeber – nach Japan.[118] Seit 1961 hat die Bundesrepublik Projekte im Wert von rund 3,8 Milliarden Euro an das südasiatische Land zugesagt.[19] Laut dem Human Development Index des United Nations Development Programme (UNDP) gehört Pakistan zu den 30 Ländern mit dem niedrigsten Lebensstandard überhaupt (Platz 161 von 191).

Bundeswehr und Rüstungsexporte

Die Bundeswehr hatte im Jahr 1970 zum ersten Mal humanitäre Hilfe nach Pakistan geflogen.[20] Während des Afghanistan-Einsatzes der NATO-Staaten von 2001 bis 2021 kooperierten die deutschen Streitkräfte auch enger mit dem pakistanischen Militär. Die Bundesrepublik exportiert darüber hinaus seit langer Zeit Rüstungsgüter in das südasiatische Land. So hieß es schon 2006 im Rüstungsexportbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, Pakistan erhalte „in erheblichem Umfang konventionelle deutsche Rüstungsgüter“.[21] Auch nach dem desaströsen Abzug der Bundeswehr und der anderen NATO-Staaten aus Afghanistan im Sommer 2021 suchte Berlin die Militärkooperation mit Pakistan fortzuführen. So besuchte eine Delegation der Fregatte Bayern im September 2021 während ihrer Asien-Pazifik-Fahrt das Mausoleum von Muhammad Ali Jinnah, der als Pakistans Staatsgründer gilt.[22]

Konkurrent China

Aufgrund seines militärischen Dauerkonflikts mit Indien pflegt Pakistan seit Jahrzehnten enge Beziehungen mit der Volksrepublik China, die im vergangenen Jahrzehnt ökonomisch relevant wurden. Anfang der 2010er Jahre stieg China zum größten Außenhandelspartner Pakistans auf. Deutschland fiel weit gegenüber der Volksrepublik zurück, rangierte allerdings weiterhin auf einer der fünf Spitzenpositionen.[23] Im April 2015 etablierten die Regierungen Chinas und Pakistans den China–Pakistan Economic Corridor (CPEC), der den Indischen Ozean mit dem westchinesischen Xinjiang verbindet. Als Teil des CPEC werden seitdem im ganzen Land Energie-, Transport- und andere Infrastrukturprojekte realisiert. Ziel des CPEC ist es, so formuliert es der pakistanische Planungsminister, das Land „von einer landwirtschaftlichen in eine industrielle Struktur“ zu überführen.[24] Alle vermeintlichen Hilfen aus dem Westen, bei denen die Bundesrepublik seit den späten 1950er Jahren eine wichtige Rolle spielte, hatten es nicht geschafft, das Land nachhaltig zu industrialisieren. Zumindest zeitweise hatten die westlichen Staaten sogar das Gegenteil angestrebt.

[1] Ajit Roy: Contemporary India—A Perspective, Bombay 1986, S. 31.
[2] Kees van der Pijl: Global Rivalries – From the Cold War to Iraq, London 2006, S. 45.
[3] S. Akbar Zaidi: Issues in Pakistan’s Economy – A Political Economy Perspective, Oxford/Karachi 2015, S. 199.
[4] Ingo Venzke/Philipp Günther: International Investment Protection Made in Germany? On the Domestic and Foreign Policy Dynamics behind the First BITs, in: The European Journal of International Law, Jg. 33 (2022), Nr. 4, S. 1183–1207 (hier: S. 1198/1199).
[5] Quinn Slobodian: Globalisten – Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus, Berlin 2019, S. 205.
[6] Venzke/Günther: International Investment Protection Made in Germany, S. 1198.
[7] Bonn Economics Buoys Pakistan, in: New York Times, 26.02.1959.
[8] Slobodian: Globalisten, S. 206.
[9] Venzke/Günther: International Investment Protection Made in Germany, S. 1201.
[10] Slobodian: Globalisten, S. 208.
[11] Han Dorussen/Syed Mansoob Murshed/Hugh Ward: Any Ties That Bind? Diplomacy on the South Asian Subcontinent, in: The Hague Journal of Diplomacy, Jg. 6 (2011), S. 149–169 (hier: S. 165).
[12] Jeffrey Richelson: Spying on the bomb – American nuclear intelligence, from Nazi Germany to Iran and North Korea, New York (NY) 2007, S. 331.
[13] Matin Baraki: Von Berlin nach Kabul – Kaiser Wilhelm, Kanzler Schröder: Die deutsche Einmischung in Afghanistan hat eine fast hundertjährige Tradition, in: Konkret, Jg. 44 (2001), Nr. 12, S. 20–21.
[14] Diethelm Weidemann: Die pakistanische Dauerkrise, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 41 (1997), Nr. 3, S. 323–330 (hier: S. 327).
[15] Erich Schmidt-Eenboom: The Bundesnachrichtendienst, the Bundeswehr and Sigint in the Cold War and After, in: Matthew M. Aid/Cees Wiebes (Hgg.): Secrets of Signals Intelligence During the Cold War – From Cold War to Globalization, London 2001, S. 129–176 (hier: S. 155).
[16] Zaidi: Issues in Pakistan’s Economy, S. xix.
[17] Aasim Sajjad Akhtar: The Neoliberal State in Pakistan Is a Machine for Plunder, jacobin.com 09.06.2022.
[18] Erich Riedler: Relations between Germany and Pakistan, in: Pakistan Horizon, Jg. 48 (1995), Nr. 4, S. 7–14 (hier: S. 9).
[19] Deutschland und Pakistan: Bilaterale Beziehungen. auswaertiges-amt.de 21.04.2023.
[20] Henrik Alexander Hartig: Humanitäre Einsätze der Bundeswehr, Staatsexamensarbeit an der Universität Mannheim, 2009, S. 107.
[21] Rüstungsexportbericht 2006 der GKKE, Bonn/Berlin 2007, S. 9.
[22] @FregatteBayern. twitter.com 10.09.2021.
[23] Zaidi: Issues in Pakistan’s Economy, S. 204.
[24] Pakistan has a lot to learn from China: Iqbal. tribune.com.pk 31.12.2022.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 26.07.2023.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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