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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Früher Schwerpunkt der Afrikapolitik

Bereits Jahrzehnte vor dem jetzt zu Ende gehenden Bundeswehreinsatz in Mali konzentrierten sich die bundesdeutschen Streitkräfte auf Einflussarbeit in dem Land – auch, um die Stellung der DDR zu schwächen.

Mit dem am 1. Juni beginnenden Abzug der Bundeswehr aus Mali geht die jüngste Phase der deutschen Bemühungen um Einfluss in dem westafrikanischen Land dem Ende entgegen. Seit mehr als zehn Jahren sind deutsche Soldaten dort stationiert; die Bundesregierung hat dafür nach offiziellen Angaben rund 3,5 Milliarden Euro ausgegeben. Berlin steht in Bamako heute schwächer da als vor dem Einsatzbeginn. Mali war in den 1960er Jahren ein frühes Schwerpunktland bundesdeutscher Einflussaktivitäten auf dem afrikanischen Kontinent. Dabei ging es darum, das Land, welches eine wichtige Rolle in der Blockfreienbewegung spielte, an den Westen zu binden und zugleich den Einfluss der DDR zurückzudrängen. In diesem Zusammenhang leistete die Bundeswehr in den 1960er Jahren zunächst humanitäre Hilfe in Mali; ab 1972 war sie mit einer Beratergruppe in Bamako vertreten. Ab 1976 trainierte sie darüber hinaus malische Soldaten und Offiziere in der Bundesrepublik; bis in die 1990er Jahre hielten sich mehr als hundert malische Militärs zur Aus- und Fortbildung in der BRD auf. Dann verlagerte sich der Schwerpunkt der deutschen Afrikapolitik vorläufig in andere Gebiete des Kontinents.

Unabhängigkeit
Im September 1960 etablierte die Bundesrepublik Deutschland als erster Staat überhaupt diplomatische Beziehungen mit dem kurz zuvor unabhängig gewordenen Mali.[1] Dessen im April 1959 etablierte Föderation mit dem ebenfalls vormals französischen Senegal, die den Namen Mali-Föderation (Fédération du Mali) trug, scheiterte nach gerade einmal anderthalb Jahren. Eben jene Mali-Föderation war zunächst Mitglied der kurzlebigen Communauté française (Französische Gemeinschaft), der Nachfolgeorganisation des französischen Kolonialsystems in Afrika – einer Art „Commonwealth à la française“.[2] Die Regierung in Paris verhandelte ab Ende 1959 mit der Regierung der Mali-Föderation über die Unabhängigkeit, die diese im Sommer 1960 erlangte. Nur einige Monate später zerfiel sie in zwei Staaten.

Ein afrikanischer Sozialismus
Der erste malische Staatschef, Modibo Keïta, propagierte einen afrikanischen Sozialismus und forcierte einige ambitionierte Reformen im Land. So brach er im Inneren den Widerstand der traditionalistischen Tuareg-Aristokratie im Norden Malis gegen zentralstaatliche Strukturen.[3] In der Außenpolitik orientierte sich Keïta an der Bewegung der Blockfreienbewegung (Non-Aligned Movement, NAM). Im Jahr 1961 reiste er beispielsweise nach Washington, um im Namen der NAM die Ergebnisse des ersten Blockfreien-Gipfels im jugoslawischen Belgrad an die US-Regierung zu überbringen.[4] Neben den Blockfreien forcierte Keïta aber auch die Beziehungen zu den realsozialistischen Staaten. DDR-Diplomaten identifizierten bereits Mitte der 1960er Jahre einen „gewissen Einfluss Chinas“.[5] Trotz der Anlehnung an die Blockfreien und die sozialistische Welt suchte die malische Regierung aber auch Unterstützung im Westen.

Erste Beziehungen zur Bundesrepublik
Anfang der 1960er Jahre versuchte die malische Staatsführung zunächst, die Beziehungen des Landes zu Frankreich zu revitalisieren und parallel dazu Kontakte zu den Vereinigten Staaten aufzubauen. Sowohl von Paris als auch von Washington wollten die Machthaber in Bamako Zusagen für Hilfen erreichen. Die damalige US-Regierung zeigte jedoch keinerlei Interesse daran.[6] Aufgrund des US-Desinteresses forcierte Keïta in geringerem Maße die Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland, die er 1962 erstmals besuchte.[7] In Keïtas Amtszeit fiel auch der erste humanitäre Einsatz der Bundeswehr in Mali und damit die erste starke bundesdeutsche Präsenz.[8]

Bundeswehrberater in Guinea
Ein wichtiger Grund für die rasche bundesdeutsche Anerkennung von Malis Unabhängigkeit und für Bonns frühe Aktivitäten in dem Land war die Politik Guineas Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre. Als einzige französische Kolonie in Westafrika errang Guinea damals die vollständige Unabhängigkeit jenseits der Communauté française; die Regierung in Conakry suchte einen scharfen Bruch mit der Kolonialzeit. Nur aufgrund großen Drucks aus Bonn erkannte die guineische Regierung im Frühjahr 1960 nicht die DDR an.[9] Vor diesem Hintergrund versuchte die Bundesregierung, durch militärische Hilfe die Beziehungen zu Guineas Regierung zu verbessern. 1963 erreichten erste Bundeswehrberater das Land; es waren „die ersten Soldaten eines fremden Landes im souveränen Guinea“, wie die bundesdeutsche Presse damals schrieb.[10] Im Jahr 1965 berichtete „Der Spiegel“, mehrere Dutzend Millionen D-Mark seien für den Aufbau eines guineischen Pionierkorps bewilligt worden.[11] Politisch hatte es in Guinea aber keinen Schwenk zum Westen gegeben: „Der Spiegel“ beschrieb den guineischen Staatschef Sekou Touré als „afrikanischen Titoisten“, der einen „linksneutralen“ Außenpolitikkurs fahre.[12] Mit militärischer Hilfe sollte seine Regierung aber immerhin davon abgebracht werden, die DDR anzuerkennen. Die militärische Unterstützung endete erst im Jahr 1970.[13]

Vordringen der DDR verhindern
Ähnlich wie in Guinea zeigte die DDR damals auch in Mali Präsenz. 1961 eröffnete eine DDR-Handelsvertretung in der Hauptstadt Bamako.[14] Der bundesdeutschen Presse sagte der damalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Walter Scheel, „Guinea und auch Mali“ hätten zwar „zum Sowjetblock enge politische und wirtschaftliche Beziehungen“; die Bonner „Entwicklungshilfe“ aber stehe „in keinem Zusammenhang mit der politischen Rolle [der DDR] in der Welt“.[15] Das Gegenteil der offen proklamierten Politik war der Fall: Ursprünglich hatte das Auswärtige Amt Militärhilfen für Mali abgelehnt, da sich das Verteidigungsministerium auf die Länder konzentrieren solle, in denen die „Gefahr östlicher Infiltration“ am höchsten sei.[16] Bonn suchte explizit Partner in Afrika, die drohten, engere Beziehungen zur DDR und Sowjetunion zu schmieden.

Ein blockfreies Mali
Im November 1968 putschten malische Militärs unter Führung des Leutnants Moussa Traoré gegen die Regierung des ersten Staatspräsidenten, Modibo Keïta. Die neue Regierung in Bamako bekannte sich weiterhin zur Blockfreiheit des Landes, bemühte sich aber, den Einfluss der realsozialistischen Staaten auf Mali zu verringern. Damit fiel Mali in das Schema, das der Bonner Afrikapolitik vorschwebte. Ein Jahr nach dem Staatsstreich unterzeichneten malische und westdeutsche Staatsvertreter ein erstes Abkommen über BRD-Militärhilfe für das westafrikanische Land.[17] Ab 1972 befand sich eine Beratergruppe der Bundeswehr in Mali.[18] Durch diese erhielten verschiedene Bundesministerien Informationen von vor Ort über Malis Beziehungen zu den Staaten der Warschauer Vertragsorganisation wie beispielsweise die DDR oder die Sowjetunion.[19]

Schwerpunkt in Afrika
Ab 1976 trainierte die Bundeswehr malische Soldaten und Offiziere auch in der Bundesrepublik. Bis in die 1990er Jahre kamen so mehr als hundert Angehörige der Streitkräfte des westafrikanischen Landes zur militärischen Aus- und Fortbildung in die BRD; sie bildeten eine der größten afrikanischen Militärgruppen an bundesdeutschen Militärinstitutionen.[20] Von 1969 bis 1994 summierte sich die bundesdeutsche Militärhilfe für Mali auf 53 Millionen D-Mark (rund 27 Millionen Euro) – bis dahin ein Spitzenwert im subsaharischen Afrika.[21] Mit dem auf Eigenständigkeit bedachten Kurs der Regierung in Bamako blieb Mali ein Fokus der deutschen Westafrikapolitik.

Wiederannäherung an Frankreich
In den 1980er Jahren geriet die malische Politik in die Krise. Infolge des Drucks, den der Internationale Währungsfonds (IWF) ausübte, forcierte die Militärregierung in Bamako Austeritätsmaßnahmen und wirtschaftsliberale Reformen, die zur Verelendung wachsender Teile der Bevölkerung führten – während eine kleine politische Elite in Bamako, die enge Beziehungen zur Junta pflegte, „in Opulenz lebte“.[22] Parallel zum neoliberalen Umbau des Staates führte die Regierung im Jahr 1984 den CFA-Franc (Franc de la Coopération Financière en Afrique) wieder ein.[23] Das CFA-Franc-System gilt als Instrument zur Durchsetzung einer Art „Kolonialismus in neuem Gewand“. Als Teil dieses Systems sind die beteiligten Nationen Afrikas verpflichtet, einen großen Teil ihrer Währungsreserven in Frankreich zu lagern.[24] In den 1980ern Jahren stieg durch die größere Rolle des IWF und die Anbindung an den CFA-Franc der französische und der US-amerikanische Einfluss in Mali deutlich an.

Neuer Fokus
Mitte der 1990er Jahre endeten die ersten längeren Aktivitäten der Bundeswehr in Mali. Die Bundesregierung zog 1995 die Bundeswehr-Beratergruppe aus dem Land ab – zu einer Zeit, zu der das Afrika-Budget des Auswärtigen Amts drastisch reduziert wurde. Der Grund: Nach dem Ende der realsozialistischen Systeme in Osteuropa und Zentralasien konzentrierte sich die deutsche Außenpolitik verstärkt auf diese Region und weniger auf Afrika.[25] Zusätzlich verschob sich der Fokus der deutschen Afrikapolitik auf andere Gebiete auf dem Kontinent wie das 1990 unabhängig gewordene Namibia, aber auch Äthiopien und Ruanda. Erst im Jahr 2013 erhielt Mali mit dem aktuellen Einsatz der Bundeswehr wieder einen wichtigen Stellenwert in der deutschen Afrikapolitik. Am 1. Juni soll der Abzug der deutschen Truppen beginnen.

[1] Torsten Konopka: Military Assistance for the Malian Armed Forces by the German Bundeswehr – A Historical Perspective, in: Comparativ – Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung, Jg. 32 (2022), Nr. 3/4, S. 462–476 (hier: S. 464).
[2] Guia Migani: De Gaulle and Sub-Saharan Africa: From Decolonization to French Development Policy, 1958–1963, in: Christian Nuenlist/Anna Locher/Garret Martin (Hgg.): Globalizing de Gaulle: International Perspectives on French Foreign Policies 1958–1969, Lanham (MD) 2010, S. 251–270 (hier: S. 257).
[3] Franz Ansprenger: Nationsbildung im Schwarzen Afrika französischer Prägung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 11 (1963), Nr. 2, S. 181–195 (hier: S. 192).
[4] Jürgen Dinkel: Die Bewegung Bündnisfreier Staaten – Genese, Organisation und Politik (1927–1992), Berlin/München/Boston (MA) 2015, S. 118.
[5] Klaus Storkmann: Geheime Solidarität – Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die »Dritte Welt«, Berlin 2012, S. 165.
[6] Alessandro Iandolo: Arrested Development – The Soviet Union in Ghana, Guinea, and Mali, 1955–1968, Ithaca (NY)/London 2022, S. 199.
[7] Modibo Keita, in: DER SPIEGEL 25/1962, 19.06.1962.
[8] Patrick Merziger: Out of Area – Humanitäre Hilfe der Bundeswehr im Ausland (1959–1991), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Jg. 15 (2018), Nr. 1, S. 40–67 (hier: S. 46).
[9] Cord Eberspächer/Gerhard Wiechmann: Systemkonflikt in Afrika – Deutsch-deutsche Auseinandersetzungen im Kalten Krieg am Beispiel Guineas 1969–1972, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, Jg. 23 (2008), Nr. 23/2008, S. 30–41.
[10] Feldgrau im Busch, in: DER SPIEGEL 24/1963, 11.06.1963.
[11] Heia Safari, in: DER SPIEGEL 10/1965, 02.03.1965.
[12] Feldgrau im Busch, in: DER SPIEGEL 24/1963, 11.06.1963.
[13] Konopka: Military Assistance for the Malian Armed Forces by the German Bundeswehr, S. 466.
[14] Ebenda, S. 468.
[15] Milliarden in den Busch?, in: DER SPIEGEL 20/1962, 15.05.1962.
[16] Konopka: Military Assistance for the Malian Armed Forces by the German Bundeswehr, S. 466/467.
[17] Ebenda, S. 470.
[18] Ebenda, S. 471.
[19], [20] Ebenda, S. 472.
[21] Ebenda, S. 470.
[22] Stephen Zunes/Katherine Nesbitt: Mali’s March Revolution (1991), Studie des International Center on Nonviolent Conflict, April 2009, S. 2.
[23] Pascal James Imperato/Gavin H. Imperato: Historical Dictionary of Mali, Lanham (MD) 2008, S. 123.
[24] Chris Dite: How France Continues to Dominate Its Former Colonies in Africa, jacobin.com 29.03.2021.
[25] Konopka: Military Assistance for the Malian Armed Forces by the German Bundeswehr, S. 474.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 25.05.2023.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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