Staat auf Zeit
Vor 100 Jahren trat die Fernöstliche Republik der Russischen SFSR bei. Damit endete ein sibirisches und pazifisches Unikum
Im Fernen Osten des früheren Russischen Zarenreichs nahmen die Oktoberrevolution 1917 und die Errichtung der Sowjetmacht einen gänzlich anderen Verlauf als in den anderen Gebieten der späteren Sowjetunion. Dies hing vor allem mit der aggressiven Politik des Japanischen Kaiserreichs und der stetigen Einmischung der USA zusammen.
Im Frühjahr des Revolutionsjahres gründeten sich in den urbanen Zentren entlang der Transsibirischen Eisenbahn wie Wladiwostok, Charbin (heute Harbin, VR China), Chabarowsk, Tschita und Werchneudinsk (heute Ulan-Ude) Arbeiter- und Soldatenräte. Am 14. Dezember 1917 erklärte ein Kongress von Sowjets in Chabarowsk, dass er eine Herrschaft der Räte mit dem Ziel der Abschaffung des Privateigentums und der Etablierung einer sozialistischen Demokratie anstrebe.¹ Neben den von Bolschewiki und Sozialrevolutionären dominierten politischen Vertretungen in den Gebieten östlich des Baikalsees konnten auch die Menschewiki viel Einfluss in dieser Region gewinnen.² Keiner politischen Kraft gelang es derweil, eine stabile Regierung für die Gesamtregion zu etablieren.
Das Fernöstliche Komitee der Sowjets von Arbeitern, Soldaten und Bauerndeputierten (Dalkom) versuchte unter der Leitung des in Tschernobyl geborenen Alexander Krasnoschjokow in den ersten Monaten des Jahres 1918 mit Hilfe einer revolutionären Politik den russischen Fernen Osten grundlegend zu verändern. Soldaten der militär-revolutionären Komitees verhafteten Bankdirektoren, Offiziere und bürgerliche Zeitungsredakteure in Chabarowsk und Wladiwostok. Eine Neuverteilung von Land kam Kleinbauern und auch aus Korea emigrierten Bauern zugute. Die Verteilung von Weizen sorgte darüber hinaus für Popularität in den Städten. Als Rückgrat der versuchten Dalkom-Herrschaft in den großen Städten des Fernen Ostens dienten Seemänner der Amurflottille, einfache Garnisonssoldaten, Koreaner und sogenannte Internationalisten, das heißt freigelassene frühere deutsche und österreichisch-ungarische Kriegsgefangene.
Intervention der Entente
Als Drohkulisse brachten sich Truppen der Ententemächte gegen die Errichtung der Sowjetmacht in Stellung. Bereits im Januar 1918 erreichten die beiden japanischen Kriegsschiffe »Iwami« und »Asahi« sowie der britische Panzerkreuzer »HMS Suffolk« den Hafen von Wladiwostok. Der US-amerikanische Panzerkreuzer »USS Brooklyn« hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits in dem Hafen auf. Im April übernahmen die Interventionstruppen kurzzeitig die politische Macht in dieser größten Stadt des früheren russischen Fernen Ostens.
Ende April 1918 zogen die japanischen Streitmächte jedoch kurzerhand aus Wladiwostok ab. Die Sowjets konnten die Macht über die Stadt wiedererringen, das Dalkom nannte sich um und hieß fortan Fernöstlicher Sowjet der Volkskommissare (Dalsownarkom). Diese Herrschaft währte jedoch nur kurz, denn im Mai begann die Revolte der Tschechoslowakischen Legion in Russland. Diese mehr als 50.000 Soldaten aus dem damals noch existierenden Österreich-Ungarn hatten sich zum Tschechoslowakischen Nationalrat in Paris bekannt und standen damit an der Seite der Entente. Nachdem die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) mit dem Frieden von Brest-Litowsk aus dem Weltkrieg ausgeschieden war, machten sich die Tschechoslowaken auf den Weg in Richtung Pazifikküste. Nach einem Scharmützel in Tscheljabinsk führten die Legionäre einen Kampf gegen die Bolschewiki entlang der Transsibirischen Eisenbahn.
Kurz darauf begann die großangelegte Intervention der Entente. Britische, französische, japanische und US-amerikanische Truppen marschierten in die Gebiete des einst russischen Fernen Ostens ein. Die Briten legten dabei einen besonderen Fokus auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Rohstoffe Sibiriens.³ Aufgrund japanischen Drucks sandte auch die chinesische Regierung Truppen nach Wladiwostok, die vor allem als Hilfstruppen der Japaner dienten.
Mit dem Einmarsch der verschiedenen Großmächte kollabierten alle Sowjetregierungen in Sibirien und den angrenzenden Gebieten. Verschiedene Warlords übernahmen einzelne Gebiete, und Versammlungen von ukrainischen Bürgern – sogenannte Radas – proklamierten die Unabhängigkeit eines ukrainischen Gebietes an der Pazifikküste. Eine Rada-Versammlung im Mai 1918 forderte sogar den Anschluss des sogenannten Grünen Keils an den ukrainischen Staat.? Im Bürgerkrieg zwischen den revolutionären Rotgardisten und den konterrevolutionären Weißgardisten wiederum erklärten die Vertretungen der Ukrainer ihre Neutralität.
Zunächst hatten die Weißen mit ihren internationalen Verbündeten die Oberhand. Im baschkirischen Ufa – am östlichen Rand des europäischen Kontinents – proklamierte im September 1918 eine Versammlung der Weißen einen neuen russischen Staat. Bereits einen Monat später verlegte der als Republik geplante Staat seine Hauptstadt ins westsibirische Omsk, da die Rote Armee sich Ufa immer weiter näherte. Nach einem Militärputsch regierte ab November Admiral Alexander Koltschak als »Oberster Herrscher« dieses neuen Staates. Koltschaks Militärregierung kontrollierte zu diesem Zeitpunkt große Teile zwischen Ural und der Pazifikküste. Entlang des östlichsten Stücks der Transsibirischen Eisenbahn wiederum etablierte der Kosakenführer Ataman Grigori Semjonow eine von Koltschak eigenständige Herrschaft. Als Hauptstadt für die östliche Okraina legte Semjonow das südostsibirische Tschita fest.
US-amerikanische Truppen der »American Expeditionary Force Siberia« landeten im Sommer 1918 in Wladiwostok.? Sie hielten sich vor allem in der wichtigen Hafenstadt und entlang der Eisenbahnlinie nach Nikolsk (heute Ussurisk) auf. Der US-Oberkommandeur William S. Graves erhielt den Befehl, den tschechoslowakischen Truppen bei der Evakuierung zu helfen und US-amerikanisches Kriegsgerät, das dem Zarenreich für den Weltkrieg geliefert worden war, abzutransportieren. Graves versuchte dabei, seine Truppen nicht in Kämpfe gegen Bolschewiki zu verwickeln, was zu Spannungen mit den Kommandeuren der anderen Interventionsnationen führte.
Im Verlauf des Jahres 1919 wandte sich das Kriegsglück im Russischen Bürgerkrieg zugunsten der Bolschewiki. Der Roten Armee gelang der Durchbruch nach Turkestan, und auch in Sibirien konnten Rotarmisten immer größere Gebiete einnehmen. In die Ecke gedrängt, erkannte Koltschak Ende des Jahres 1919 Semjonow als Oberkommandeur der Weißen in der Transbaikalregion an. Im Januar 1920 geriet Koltschak in Irkutsk in die Hände eines Revolutionskomitees der Sozialrevolutionäre. Trotz Einspruchs aus Moskau verurteilte ein Tribunal den selbsterklärten »Obersten Herrscher« zum Tode. Ein Erschießungskommando vollstreckte das Urteil am 7. Februar.
Weiter südlich hatten im Windschatten des Russischen Bürgerkrieges chinesische Truppen im Verlauf des Jahres 1919 die Mongolei eingenommen und sogar eine chinesisch-mongolische Mission nach Urjanchai geschickt.? Die Mongolei als bis dahin von der Zentralregierung in Beijing abtrünnige Region stand unter russischem Schutz. Urjanchai war seit 1914 unter dem Namen »Protektorat Urjanchajski Kraj« die einzige formelle russische Kolonie in Nordasien. Fortan kontrollierte die Zentralregierung Chinas wieder diese Gebiete.
Infolge der Wende im Russischen Bürgerkrieg und aufgrund sozialer Unruhen in ihren eigenen Ländern entschieden sich die Regierungen der Interventionsmächte, die militärische Einmischung in den Bürgerkrieg zu beenden. Der Oberste Rat der Alliierten beschloss am 6. Januar 1920, den Abzug der Ententetruppen aus Sibirien und das Ende der Wirtschaftsblockade. Die Militärkontingente der meisten alliierten Nationen zogen sich daraufhin im Verlauf des Jahres wieder zurück.
Befreiung von den Japanern
Nicht jedoch die Japaner: Im März 1920 kam es zum »Nikolajewsk-Zwischenfall«, im Zuge dessen anarchistische Partisanen in Nikolajewsk am Amur mehrere hundert Japaner – Militärs und Zivilisten – massakrierten.? Diese Aktion von chinesischen, koreanischen und russischen Untergrundkämpfern diente der Regierung in Tokio als Vorwand für eine fortgesetzte Truppenpräsenz in vormals russischen Gebieten. Den Süden Sachalins hatte die kaiserlich-japanische Armee bereits im Russisch-Japanischen Krieg erobert, und die Gebiete südlich des 50. Breitengrads gehörten als Präfektur Karafuto zu Japan. Auf der spärlich besiedelten Insel beuteten die Kolonialherren aus Tokio vor allem die Öl- und Kohlevorkommen aus und forsteten den Wald ab.? Die japanische Regierung annektierte kurzerhand Nordsachalin und gliederte das Gebiet in die Präfektur Karafuto ein.
Die fortgesetzte Präsenz der Japaner im einst russischen Fernen Osten machte eine besondere politische Lösung für die Region nötig. Am 6. April 1920 kam im östlich des Baikalsees gelegenen Werchneudinsk, dem heutigen burjatischen Ulan-Ude, der erste Kongress der Arbeiter des westlichen Transbaikaliens zusammen und rief die Fernöstliche Republik (FÖR) aus. Diese beanspruchte alle Gebiete östlich des Baikalsees inklusive der Pazifikküste von Wladiwostok im Süden bis zur Wrangelinsel ganz im Norden und die Zone der Ostchinesischen Eisenbahn. Tatsächlich befand sich zunächst nur ein kleines Gebiet nahe dem Baikalsee unter FÖR-Kontrolle – in den Gebieten östlich des Amurs gab es jedoch viele Partisanen und auf Kamtschatka ein revolutionäres Komitee. Der frühere Dalkom-Vorsitzende Krasnoschjokow amtierte fortan als erster Vorsitzender der fernöstlich-republikanischen Regierung.
Der neuen Republik kam zugute, dass im Sommer 1920 in China das japanfreundliche Anfu-Regime fiel. Die Chinesische Republik selbst zerfiel in die Territorien verschiedener Warlords, während es in Beijing offiziell weiterhin eine Zentralregierung gab, die das gesamte Land zu regieren beanspruchte. Diese Regierung distanzierte sich von Japan, beendete die Sibirienintervention der Armee und näherte sich diplomatisch der FÖR-Regierung an. Auf der internationalen Bühne wurde die Fernöstliche Republik somit gestärkt, und über die diplomatische Vertretung in China kontaktierten FÖR-Diplomaten Vertreter anderer Staaten.
Die Gebiete zwischen dem Baikalsee und dem nördlichsten Zipfel Chinas befreiten FÖR- und RSFSR-Truppen unter dem Kommando von Wassili Blücher im Verlauf des Jahres 1920. Im Oktober eben jenes Jahres bestieg Ataman Semjonow ein Flugzeug und flog in die Mandschurei aus. Baron von Ungern-Sternberg, der unter Semjonow gedient hatte, wich wiederum nach Süden aus und marschierte in die Mongolei ein.? Die Hauptstadt der Fernöstlichen Republik wurde mit dem Fall der östlichen Okraina nach Tschita verlegt.
Am 12. Februar 1921 begann eine Versammlung in jener neuen Hauptstadt mit der Ausarbeitung einer Verfassung der FÖR.¹? Einen Monat später wurde eine Erklärung veröffentlicht, wonach der Bürgerkrieg im Fernen Osten vorüber sei, die FÖR eine zivile Regierung habe, die Republik den Wunsch nach Wiedervereinigung mit Russland aufgebe und für Investitionen aus dem Ausland offen sei. Die Verfassung garantierte ein Mehrparteiensystem, weitgehende politische Rechte und etablierte ein staatskapitalistisches System. Die so aufgestellte Republik sollte das Interesse von Geschäftsleuten aus diversen Ländern wecken.
Mit der neuen Verfassung gab die FÖR den Anspruch auf die Gebiete der Pazifikküste nördlich des Flusses Uda sowie auf Kamtschatka auf. In diesen Gebieten lebte beispielsweise das Volk der Tschuktschen. Dieses zählte seit 1766 zu den Einheimischen des Zarenreiches, die nicht unter der Kontrolle der damaligen Regierung standen und sich selbst verwalteten.¹¹ Ohne Staat gab es dort auch keine Revolution. Im Herbst 1921 begann darüber hinaus der Kolonisierungsversuch der Wrangelinsel durch den kanadischen Polarforscher Vilhjálmur Stefánsson. Dieser verkaufte die Rechte an der Insel an Carl Lomen, der als »Reindeer King« Alaskas galt. Lomen lobbyierte im US-Außenministerium dafür, dass die Regierung in Washington die Insel beanspruchen sollte.¹² Anfang der 1920er Jahre dehnten die USA ihr Kolonialreich im Pazifik weiter aus.¹³
Lukrativer Sibirienhandel
Trotz dieser privat vorangetriebenen Kolonialambitionen der USA im Nordpolarmeer suchte die FÖR-Regierung die Annäherung an Washington. Die US-Regierung hatte gegen die japanische Einnahme von Nordsachalin protestiert und stand einer weiteren Ausweitung des Einflussbereichs der Regierung in Tokio kritisch gegenüber. Direkt mit einer Depesche und indirekt über die diplomatische Vertretung in Beijing ersuchte die FÖR-Regierung Washington um Anerkennung. Verschiedene US-Geschäftsmänner kontaktierten derweil die Regierung in Tschita und buhlten um Konzessionen. Die Sinclair Exploration Company erhielt Rechte auf Nordsachalin¹? – offensichtlich ein Versuch, die USA direkt zu motivieren, für Japans Aufgabe von dessen Annexionsplänen auf diesem Gebiet zu sorgen. Ein britisch-US-amerikanisches Konsortium erhielt darüber hinaus Rechte auf Goldvorkommen im von der Regierung in Tschita kontrollierten Gebiet. Im April 1921 sandte die US-Regierung eine Beobachtungsmission nach Tschita, die den Auftrag hatte, die politischen und ökonomischen Perspektiven der Region einzuschätzen. Das internationale Rennen um Anlagemöglichkeiten hatte begonnen.
Im November 1921 etablierten deutsche und russische Geschäftsmänner die »Fernöstlich-russisch-deutsche Wirtschaftsvereinigung«, um den für deutsche Geschäftsleute vor dem Ersten Weltkrieg lukrativen Sibirienhandel zu reaktivieren.¹? Einflussreiche Hamburger Vertreter von Firmen wie HAPAG und der Warburg-Bank kamen im Januar 1922 zusammen, um mit dem Außenamtsmitarbeiter Rudolf Asmis¹? über die Möglichkeiten des deutschen Sibirienhandels und die mögliche Etablierung eines »Sibiriensyndikats« zu sprechen. Schon vor dem Rapallo-Vertrag, der erst im April 1922 unterzeichnet wurde, entdeckten deutsche Kapitalisten die Möglichkeiten des Handels mit der vormaligen Peripherie des Russischen Zarenreiches wieder.
In Wladiwostok hatte sich parallel zur Gründung der FÖR ein von der fernöstlich-republikanischen Regierung unabhängiger Sowjet gegründet. Diesem setzten die Japaner ein Ende, indem sie am 27. Mai 1921 einen Putsch weißgardistischer Militärs unterstützen. Mit Hilfe aus Tokio entstand die weiße Provisorische Amurregierung, die die Gebiete von Wladiwostok im Süden bis kurz vor Nikolajewsk im Norden kontrollierte. Zwischen dem weiterhin japanischen Sachalin und den Gebieten der Fernöstlichen Republik gab es somit noch einen weißen Marionettenstaat. Diese Küstenrepublik stellte den letzten Versuch der einstigen Interventionsmächte dar, den Weißen eine territoriale Grundlage zu sichern.
Während die FÖR im Osten von großen Teilen der beanspruchten Pazifikküste abgeschnitten war, verbesserte sich das internationale Umfeld südlich der Republik radikal. Nach einer Intervention der Roten Armee mit FÖR-Truppen in der Mongolei übernahmen Anhänger der mongolischen Nationalbewegung die Regierung in der mongolischen Hauptstadt Urga, dem späteren Ulan-Bator.¹? Im März 1921 gründeten sie die Mongolische Volksrepublik. Im Herbst desselben Jahres endeten außerdem die Kämpfe in Urjanchai mit einem Sieg der Roten Armee und der tuwinischen Nationalbewegung.¹? Im August 1921 wurde dort die Volksrepublik Tannu-Tuwa proklamiert.
Nachdem die USA eine eigene Beobachtungsmission in die FÖR geschickt hatte, zog auch die Weimarer Republik nach. Am 10. Juni 1922 erreichte Rudolf Asmis Tschita, um seinen Posten als deutscher Legationsrat anzutreten. Die Regierung in Berlin schaffte die vertraglichen Grundlagen für den Wirtschaftsaustausch mit der FÖR, als am 5. November 1922 Vertreter der Regierungen Deutschlands, Sowjetrusslands und der Sowjetukraine ein Zusatzabkommen zum Rapallovertrag unterzeichneten. Der Gesandte der RSFSR vertrat dabei neben seinem eigenen Land auch noch mehrere Sowjetrepubliken sowie die Fernöstliche Republik. Der Ergänzungsvertrag sah die Ausdehnung der Bestimmungen des Rapallo-Vertrages auf eben jene Republiken vor.¹?
Aber die Versuche, die deutschen Beziehungen zur FÖR zu verrechtlichen, kamen zu spät. Krasnoschjokow hatte beabsichtigt, sich der japanischen Regierung anzunähern, um die Eigenständigkeit von der RSFSR zu garantieren. Dem japanischen Mitsui-Konzern gab die FÖR-Regierung eine Konzession zur Waldrodung im Grenzgebiet zur weißen Küstenrepublik. Die Regierung in Moskau setzte jedoch durch, dass Krasnoschjokow abtrat und der russlandfreundliche Nikolai Matwejew seinen Posten übernahm. Die Regierung hob die Pressefreiheit auf und ließ Menschewiki wie Sozialrevolutionäre inhaftieren. Der Versuch einer von Moskau relativ eigenständigen russischen Republik an der Pazifikküste neigte sich dem Ende zu.
Sieg der Sowjetmacht
Nachdem von Juni bis Oktober die Japaner aus der Küstenrepublik abgezogen waren, kollabierte diese letzte weiße Regierung. Rotarmisten und FÖR-Truppen nahmen die Region im Handstreich ein. Der Vormarsch Richtung Wladiwostok wurde in dem Revolutionslied »Partisanen vom Amur« vertont, das Ernst Busch ins Deutsche übersetzte. Am 25. Oktober 1922 marschierten die FÖR-Truppen in Wladiwostok ein. Am 14. November 1922 proklamierte die zweite Volksversammlung der Fernöstlichen Republik die Sowjetmacht im Fernen Osten. Einen Tag später ging die FÖR in der RSFSR auf.
Im Fernen Osten hatte die Gründung der Fernöstlichen Republik 1920 Stabilität an den Außengrenzen Sowjetrusslands gebracht. 1922 wurden mit der Auflösung der FÖR auf dem Festland Nordostasiens eben jene Grenzen gezogen, wie sie die folgenden zwei Jahrzehnte existieren sollten. Lediglich Nordsachalin blieb vorerst unter japanischer Kontrolle. Erst im Januar 1925 nahmen Moskau und Tokio diplomatische Beziehungen auf. Japan zog sich daraufhin endgültig aus Nordsachalin zurück und erhielt dafür im Gegenzug Konzessionen.²?
Anmerkungen
1 Tanja Penter/Ivan Sablin: Soviet federalism from below: The Soviet Republics of Odessa and the Russian Far East, 1917–1918, in: Journal of Eurasian Studies 11 (2020), Nr. 1, S. 40–52 (hier: S. 44)
2 Ivan Sablin: The Rise and Fall of Russia’s Far Eastern Republic, 1905–1922: Nationalisms, Imperialisms, and Regionalisms in and after the Russian Empire. Abingdon/New York 2019, S. 83
3 Arno W. F. Kolz: British Economic Interests in Siberia during the Russian Civil War, 1918–1920, in: The Journal of Modern History 48 (1976), Nr. 3, S. 483–491
4 Siehe: David X. Noack: Spielball der Großmächte, jW, 9.2.2018
5 Leo J. Daugherty III: »… In Snows of Far Off Northern Lands«: The U. S. Marines and Revolutionary Russia, 1917–1922, in: The Journal of Slavic Military Studies 18 (2005), Nr. 2, S. 227–303
6 Hilel Salomon: Sino-Mongolian »Cooperation« in Urianghai, 1919, in: The Mongolia Society Bulletin 10 (1971), Nr. 2 (19), S. 42–51 (hier: S. 47)
7 Ivan Sablin/Daniel Sukhan: Regionalisms and Imperialisms in the Making of the Russian Far East, 1903–1926, in: Slavic Review 77 (2018), Nr. 2, S. 333–357 (hier: S. 349)
8 Steven Ivings: Recruitment and coercion in Japan’s far north: evidence from colonial Karafuto’s forestry and construction industries, 1910–37, in: Labor History 57 (2016), Nr. 2, S. 215–234
9 Siehe David X. Noack: Sieg in der Peripherie, jW, 12.7.2021
10 Errol MacGregor Clauss: »Pink in Appearance, but Red at Heart«: The United States and the Far Eastern Republic, 1920–1922, in: The Journal of American–East Asian Relations (1992), Nr. 3, S. 327–357 (hier: S. 331)
11 Bathsheba Demuth: Floating Coast: An Environmental History of the Bering Strait. New York/London 2019, S. 64
12 Melody Webb: Arctic Saga: Vilhjalmur Stefansson’s Attempt to Colonize Wrangel Island, in: Pacific Historical Review 61 (1992), Nr. 2, S. 215–239 (hier: S. 235 f.)
13 David X. Noack: Gar nicht so isolationistisch, jW, 6.5.2022
14 Floyd J. Fithian: Dollars without the Flag: The Case of Sinclair and Sakhalin Oil, in: Pacific Historical Review 39 (1970), Nr. 2, S. 205–222
15 Robert G. Fahs: German Economic Diplomacy in Northeast Asia, 1917–1936. Unveröffentlichte Dissertation, Honolulu 1996, S. 132 f.
16 Zu seiner Karriere: Bettina Brockmeyer: Vom »Kolonialschwein« zum Konsul – Karrierewege eines deutschen Kolonialbeamten, in: Tim Buchen/Malte Rolf (Hgg.): Eliten im Vielvölkerreich – Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850–1918). Berlin/Boston 2015, S. 107–131
17 Paul du Quenoy: Warlordism à la russe: Baron von Ungern-Sternberg’s anti-Bolshevik crusade, 1917–21, in: Revolutionary Russia 16 (2003), Nr. 2, S. 18
18 Richard B. Spence: White Against Red in Uriankhai: Revolution and Civil War on Russia’s Asiatic Frontier, 1918–1921, in: Revolutionary Russia 6 (1993), Nr. 1, S. 97–120 (hier: S. 116)
19 J. W. Garner: The Russo-German Treaty, in: The American Journal of International Law 20 (1926), Nr. 3 Supplement: Official Documents, S. 117–120
20 Tatiana Ornatskaya/Yuri Tsipkin: The Struggle of Soviet Russia and the Far Eastern Republic for Ending Intervention in Northern Sakhalin in 1920–1925, in: Far Eastern Affairs 36 (2008), Nr. 2, S. 119–135 (hier: S. 130)
Erschienen in: junge Welt, 17.11.2022.