»Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.« — Benjamin Franklin
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Deutschlands Traditionspartner (III)

Eine von CDU/CSU aufgebaute Partei hat die Parlamentswahl in Bulgarien gewonnen. Das Land kooperierte in den 1930er und 1940er Jahren mit NS-Deutschland – allerdings mit Einschränkungen.

Eine in enger Kooperation mit CDU/CSU gegründete und aufgebaute Partei hat am Sonntag die Parlamentswahl in Bulgarien gewonnen. Die Partei GERB von Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow wurde mit fast 25,4 der Stimmen stärkste Kraft – mit klarem Vorsprung vor der Partei des im Juni gestürzten Ex-Ministerpräsidenten Kiril Petkow, der enge Beziehungen in die Vereinigten Staaten unterhalten und einen überaus harten Kurs gegen Russland eingeschlagen hatte. Petkows Partei stürzte um ein Fünftel auf rund 20,2 Prozent ab. Bulgarien weist eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit Deutschland auf, die bis ins Kaiserreich zurückgeht und auch in den 1930er Jahren sowie im Zweiten Weltkrieg nicht endete. Sofia, das damals bereits über enge Kontakte in die Sowjetunion verfügte, betätigte sich 1939 als Mittler zwischen Berlin und Moskau. 1941 okkupierte es an der Seite der deutschen Wehrmacht Teile Griechenlands sowie Jugoslawiens, darunter das heutige Nordmazedonien, was bis heute Spannungen zwischen diesem und Bulgarien schürt. Allerdings beteiligte es sich nicht am Landkrieg gegen die Sowjetunion und verweigerte sich einer umfassenden Auslieferung der jüdischen Bevölkerung.
Exilreserve
Bulgariens eigentlich in Coburg verweilender Ex-Zar Ferdinand I. bereiste Anfang der 1930er Jahre mehrere britische Kolonien und Einflussgebiete, darunter Ägypten und den Sudan. Später, in der NS-Zeit, wurden die Reisen des früheren bulgarischen Monarchen popularisiert, indem ein Reisebericht unter dem Titel „Mit König Ferdinand von Bulgarien nach Afrika“ veröffentlicht wurde.[1] Der gemeinsam mit Ferdinand I. 1918 ins deutsche Exil gegangene Petar Gantschew verfolgte derweil das Ziel, den Adligen aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha mit Hilfe der NS-Regierung in Berlin wieder als Zaren in Sofia einzusetzen. Dafür arbeitete Gantschew mit dem 1933 etablierten Außenpolitischen Amt der NSDAP zusammen.[2]

Staatsbesuch
In Sofia auf dem Thron saß jedoch zunächst weiterhin Ferdinands I. Sohn Boris III. Im März 1934 besuchte Boris III. Nazideutschland und traf Adolf Hitler in der Reichskanzlei in Berlin; es war der erste Staatsbesuch bei Hitler seit der Übergabe der Macht an die NSDAP.[3] Für die damals relativ isolierte NS-Regierung dürfte der Besuch des deutschstämmigen bulgarischen Monarchen ein wichtiges Signal der Akzeptanz auf internationaler Ebene gewesen sein.

Annäherung
In den Folgejahren begann eine engere politische Anbindung Bulgariens an Nazideutschland. Die Regierung in Berlin forcierte diese Annäherung, auch wenn in der NS-Propaganda Slawen als „Untermenschen“ angesehen wurden. Im Falle der Bulgaren aber pflegten die Deutschen von 1933 bis 1945 den sogenannten Heiducken-Mythos; laut diesem wurden die Bulgaren als zwar „primitiv, aber heroisch“ dargestellt.[4] Als „Heiducken“ bezeichnete man zur Zeit der osmanischen Herrschaft über Südosteuropa bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts meist bandenmäßig organisierte Gesetzlose – besonders Wegelagerer, Plünderer und Freischärler.

Mittelsmänner
Trotz der Annäherung an Nazideutschland hatte Bulgarien weiterhin besondere Beziehungen zur Sowjetunion, mit der das südosteuropäische Land 1934 diplomatische Beziehungen etabliert hatte. Nachdem die Westmächte 1938 den „Anschluss“ Österreichs geduldet und im Münchner Diktat die Zerschlagung der Tschechoslowakei unterstützt hatten – das Land war in den 1920er Jahren der siebtgrößte Waffenexporteur der Welt [5] –, suchte das NS-Regime in Berlin einen Abgleich mit der Sowjetunion. Im Mai 1939 nutzte das Oberkommando der Wehrmacht den bulgarischen Gesandten in Berlin, Priwan Dragonow, als Mittelsmann, um eine Nachricht an den sowjetischen Botschafter in Berlin zu übersenden.[6] Die Verhandlungen mündeten in den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom August 1939. Am 5. Januar 1940 schlossen bulgarische und sowjetische Vertreter darüber hinaus ein Wirtschaftsabkommen, das regelte, dass Nazideutschland fortan sowjetisches Öl über den bulgarischen Hafen Warna beziehen konnte.[7] Bulgarien profitierte somit von seiner Sonderstellung zwischen den Großmächten.

Verbündeter
Nach dem Scheitern des Überfalls auf Großbritannien forcierte die faschistische Regierung in Berlin ihre Aktivitäten in Südosteuropa. Im Oktober 1940 sandte NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop eine Depesche nach Sofia und forderte die Regierung des Landes auf, dem Dreimächtepakt der Achse Deutschland–Italien–Japan beizutreten. Dieser Aufforderung kam Zar Boris III. schließlich nach und unterzeichnete den Dreimächtepakt am 1. März 1941. Nicht nur im Ersten, auch im Zweiten Weltkrieg war Bulgarien damit ein Alliierter Deutschlands. Im April 1941 marschierte dann die deutsche Wehrmacht von bulgarischem Boden aus nach Griechenland („Unternehmen Marita“) und nach Jugoslawien („R-41“) ein. Große Teile des bis dahin jugoslawischen Mazedoniens sowie ein Großteil der griechischen Regionen Ostmakedonien und Thrakien wurden daraufhin von Bulgarien okkupiert.

„Barbarossa“
Eine Sonderrolle spielte Bulgarien auch beim Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941. Am Krieg der Achsenmächte gegen die Sowjetunion nahm das südosteuropäische Land nicht teil. Als Zugeständnis an Berlin entsandte das bulgarische Rote Kreuz zwar einen Hospitalzug in die von den Achsenmächten besetzten sowjetischen Gebiete [8] – bulgarische Truppen hielten sich aber von den Kampfhandlungen gegen die Rote Armee zu Land fern. Es gab lediglich kleinere Seegefechte zwischen der bulgarischen und der sowjetischen Marine im Schwarzen Meer. Die Regierung in Sofia pflegte sogar den gesamten Krieg über diplomatische Beziehungen mit Moskau. Nach dem Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ fiel der bulgarischen Botschaft in Moskau die Aufgabe zu, die Vertretung deutscher Interessen innerhalb der Sowjetunion zu übernehmen.[9]

Antisemitismus
Im Januar 1941 trat in Bulgarien das „Gesetz zur Verteidigung der Nation“ in Kraft. In diesem wurden Juden als „interne Feinde“ bezeichnet; sie wurden aus den Berufsgenossenschaften und der Armee des Landes ausgeschlossen. Darüber hinaus mussten jüdische Männer im Alter von 20 bis Mitte 40 Zwangsarbeit leisten. Sie wurden hauptsächlich zum Straßenbau in Malariagebieten eingesetzt. Die meisten Juden aus der Hauptstadt wurden deportiert und mussten zwangsweise in Ghettos in kleineren Städten wohnen; ihr Eigentum und ihren Besitz konfiszierte der bulgarische Staat.[10] Ab 1942 mussten Juden ab dem Alter von zehn Jahren in der Öffentlichkeit den gelben Stern tragen.

Holocaust
Im Frühjahr 1943 begannen die Vorbereitungen für die Deportation der Juden aus dem Zarenreich Bulgarien in die Vernichtungslager im Deutschen Reich – sowohl aus Kernbulgarien als auch aus den im Verlauf des Weltkriegs annektierten Gebieten. Im März 1943 deportierte die bulgarische Armee über 11.000 Juden aus den 1941 okkupierten Gebieten nach Deutschland; fast alle starben im Vernichtungslager Treblinka.[11] In Kernbulgarien allerdings entstand eine breite Bewegung, die sich gegen die Deportation der bulgarischen Juden richtete. Die Verschleppung der dort lebenden Juden konnte somit verhindert werden. Es ist bis heute kein schriftliches Dokument überliefert, wer genau den Stopp der Deportationen angeordnet hat.[12] Fast alle Juden aus Kernbulgarien überlebten den Zweiten Weltkrieg.

Ungnade
Im August 1943 lud Adolf Hitler erneut Zar Boris III. zu einem Treffen in Ostpreußen ein. Bei diesem Besuch des bulgarischen Monarchen drängte Hitler den Zaren, sowohl der Sowjetunion den Krieg zu erklären als auch die Juden aus Kernbulgarien zu deportieren. Zar Boris III. lehnte beide Ansinnen jedoch ab. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr nach Bulgarien starb er überraschend im Alter von 49 Jahren [13]; der Tod des Monarchen gilt bis heute als nicht aufgeklärt. Thronnachfolger von Boris III. wurde sein minderjähriger Sohn Simeon mit dem Titel Simeon II. Die Amtsgeschäfte übernahm ein Regentschaftsrat, dem der Premierminister, der Verteidigungsminister und ein Onkel von Simeon II., Prinz Kyrill aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha, angehörten.

Seitenwechsel
Nach der Jassy-Kischinew-Offensive im August 1944 wechselte Rumänien im Krieg die Seiten – von den Achsenmächten zu den Alliierten. In Sofia übernahm daraufhin die antifaschistische Vaterlandsfront die Regierung und erklärte Deutschland den Krieg. Für kurze Zeit befand sich das Land damit gleichzeitig im Krieg mit Großbritannien, den USA, der Sowjetunion und Nazideutschland.[14] Die Alliierten beendeten den Kriegszustand jedoch rasch und marschierten durch Bulgarien nach Jugoslawien weiter. Daraufhin bildete das NS-Regime im September 1944 eine bulgarische Exilregierung in Wien; als Premier amtierte bis zum Kriegsende Aleksandar Zankow, der bereits 1923 bis 1926 Bulgarien regiert hatte. Die Exilregierung in Wien gründete in Kooperation mit deutschen Stellen das „Waffen-Grenadier Regiment der SS (Bulgarisches Nr. 1)“ der Waffen-SS, bestehend aus bulgarischen Freiwilligen. Nach dem Kriegsende in Europa floh Zankow – ähnlich wie viele deutsche Nationalsozialisten – nach Argentinien. 1947 gründeten bulgarische Exilfaschisten in München die Bulgarische Nationale Front, die die folgenden Jahrzehnte im Exil aktiv war.

In Bulgarien wiederum gründete sich 1946 die Bulgarische Volksrepublik, in der die Bundesrepublik viele Jahrzehnte lang kaum Einfluss hatte. Erst in den 1990er Jahren gewann sie dort ihre frühere Stärke wieder zurück (german-foreign-policy.com berichtete [15]).

Mehr zum Thema: Deutschlands Traditionspartner und Deutschlands Traditionspartner (II).

[1] Wladislaw Neresoff: Mit König Ferdinand von Bulgarien nach Afrika: Reiseeindrücke und Erlebnisse, Berlin 1940.
[2] Hans-Joachim Hoppe: Bulgarien – Hitlers eigenwilliger Verbündeter: Eine Fallstudie zur nationalsozialistischen Südosteuropapolitik, Stuttgart 1979, S. 44.
[3] Stefan Troebst: Von den „Preußen des Balkans“ zum „vergessenen Volk“: Das deutsche Bulgarien-Bild, in: Europa Regional, Jg. 11 (2003), Nr. 3, S. 120–125 (hier: S. 122).
[4] Sarah Lemmen: Locating the Nation in a Globalizing World: Debates on the Global Position of Interwar Czechoslovakia, in: Bohemia, Jg. 56 (2016), Nr. 2, S. 456–473 (hier: S. 468).
[5] Hoppe: Bulgarien – Hitlers eigenwilliger Verbündeter, S. 67.
[6] Ebenda, S. 75.
[7] Vesselin Dimitrov: Bulgarian neutrality: domestic and international perspectives, in: Neville Wylie (Hg.): European Neutrals and Non-Belligerents During the Second World War, Cambridge 2002, S. 192–216 (hier: S. 207).
[8] Oleg Beyda: ‘Wehrmacht Eastern Tours’: Bulgarian Officers on the German-Soviet Front, 1941–1942, in: The Journal of Slavic Military Studies, Jg. 33 (2020), Nr. 1, S. 136–161 (hier: S. 137).
[9] Marshall Lee Miller: Bulgaria during the Second World War, Standford (CA) 1975, S. 60.
[10] Steven F. Sage: The Holocaust in Bulgaria: Rescuing History from ‘Rescue’, in: Dapim: Studies on the Holocaust, Jg. 31 (2017), Nr. 2, S. 139–145 (hier: S. 139–142).
[11] Bulgaria, encyclopedia.ushmm.org (ohne Datum).
[12] Sage: The Holocaust in Bulgaria: Rescuing History from ‘Rescue’, S. 140Fn4.
[13] R. J. Crampton: Bulgaria, Oxford/New York (NY) 2007, S. 270.
[14] Miller: Bulgaria during the Second World War, S. 1.
[15] S. dazu Deutschlands Traditionspartner.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 04.10.2022.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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