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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Deutschlands Traditionspartner (II)

Bereits seit seiner Unabhängigkeit war die Geschichte Bulgariens eng mit der von Deutschland verknüpft. Das Land war sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg mit Berlin verbündet.

Vor der Parlamentswahl in Bulgarien am kommenden Sonntag liegt in Umfragen eine in enger Kooperation mit CDU/CSU gegründete und aufgebaute Partei vorn. Die Partei GERB des ehemaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow kann demnach auf bis zu einem Viertel der Stimmen hoffen. Allerdings gilt GERB zur Zeit wegen Korruptionsvorwürfen als weitgehend isoliert. Bulgarien blickt auf eine lange Geschichte einer engen Zusammenarbeit mit Deutschland zurück, die bis in die Ära des Kaiserreichs reicht; schon damals waren nicht nur die politischen, sondern auch die ökonomischen Beziehungen überaus eng. Am Ersten Weltkrieg nahm Bulgarien auf Seiten der Mittelmächte teil; nach Kriegsende gingen führende bulgarische Militärs und Staatsrepräsentanten nach Deutschland ins Exil. Teile der deutschen Rechten lobten damals bulgarische Politiker für ihren offenen Kampf gegen die Friedensverträge („Diktat von Paris“). Die bilateralen Beziehungen gewannen bald wieder an Schwung, vermittelt zunächst vor allem über einen schnellen Wiederaufbau der deutsch-bulgarischen Wirtschaftsbeziehungen, die die Grundlage auch für die bulgarische Zusammenarbeit mit dem NS-Reich bildeten.

Ein deutscher Zar
Am 5. Oktober 1908 erklärte der bis dahin amtierende deutsche Fürst von Bulgarien, Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha, sein Land für unabhängig vom Osmanischen Reich und sich selbst zum bulgarischen Zaren. Von Anfang an lehnte sich der bulgarische Staat eng an Deutschland an. Im Jahr 1912 gingen 15,6 Prozent der Exporte Bulgariens in das Deutsche Kaiserreich; 20,4 Prozent der Importe des Balkanstaates kamen aus Deutschland.[1] 1914 intensivierten sich die Beziehungen weiter, als die Regierung Bulgariens sich bei westeuropäischen Finanziers um ein Darlehen bemühte. Britische und französische Banken hatten Parlament und Regierung des Landes Kredite angeboten, dafür aber ein Recht auf die Erlöse aus dem lukrativen bulgarischen Tabakhandel gefordert. Auf Druck des Auswärtigen Amts in Berlin gewährte die Disconto-Gesellschaft – sie ging ab 1929 in der Deutschen Bank auf – Bulgarien einen Kredit, der nicht an Einnahmen aus dem Tabakexport gekoppelt war; dafür gestand Sofia jedoch Deutschland eine führende Rolle bei der Industrialisierung des Landes zu.[2] Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 kam die bulgarische Tabakausfuhr unter der Ägide des anglo-amerikanischen Konzerns British American Tobacco zum Erliegen; stattdessen exportierte das Land in den folgenden Jahren Tabak vor allem in die beiden Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn.[3] Das stärkte die Bindungen noch mehr.

Alliierter im Ersten Weltkrieg
Nachdem Bulgarien von den Regierungen in Berlin und Wien Gebietszusagen im an Tabak sehr reichen Makedonien erhalten hatte, trat es am 14. Oktober 1915 auf der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg ein und beteiligte sich am Serbienfeldzug seiner neuen Verbündeten. Der Interventionsstreitmacht gelang es recht schnell, das Land zu erobern.[4] Neben dem erfolgreichen Rumänienfeldzug 1916/17 bestand die Hauptaufgabe der bulgarischen Armee darin, Entente-Soldaten an der Makedonienfront zu binden, die von Albanien über das heutige Nordmazedonien bis kurz vor die Grenzen des Osmanischen Reiches reichte. Die Entente hatte damals rund 300.000 Soldaten nach Griechenland entsandt, um die Mittelmächte auf dem Balkan anzugreifen.[5] Nach Jahren verlustreicher Kämpfe reiste der damalige bulgarische Finanzminister im September 1918 nach Saloniki und verhandelte einen Waffenstillstand mit Vertretern der Entente. Insgesamt verlor Bulgarien im Ersten Weltkrieg fast 20 Prozent seiner männlichen, also rund 10 Prozent seiner Gesamtbevölkerung.

Politische Exilanten
Mit dem Ende der Kampfhandlungen in weiten Teilen Europas im Herbst 1918 gingen führende bulgarische Politiker nach Deutschland ins Exil. Am 3. Oktober 1918 floh Ferdinand I. mit dem Zug ins Deutsche Reich. Der frühere Zar ließ sich in Coburg nieder, besuchte regelmäßig die Bayreuther Festspiele und wurde Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Den Thron übernahm sein Sohn Boris III.; Bulgarien wurde also weiterhin von dem Haus Sachsen-Coburg-Gotha geführt. Wassil Radoslawow, der erstmals von 1886 bis 1887 und dann ein zweites Mal von 1913 bis 1918 bulgarischer Ministerpräsident gewesen war, floh ebenso nach Deutschland und lebte dort bis zu seinem Lebensende; er erhielt eine deutsche Rente.[6] Darüber hinaus ging auch Nikola Schekow, der Oberbefehlshaber der bulgarischen Armee von 1915 bis 1918, nach dem Waffenstillstand für ein paar Jahre nach Deutschland ins Exil.

Schuldzuweisungen
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg hielten Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg ihre Interpretationen des Kriegsverlaufs in eigens verfassten Büchern fest. Beide hatten an der Spitze der Obersten Heeresleitung de facto das Deutsche Reich von 1916 bis 1918 als Militärdiktatoren regiert.[7] Ludendorff erklärte in seiner bereits 1919 erschienenen Schrift „Meine Kriegserinnerungen“, die Oberste Heeresleitung habe „nicht jedem Hilferuf folgen“ können und im Kriegsverlauf verlangt, „daß auch Bulgarien etwas tat, sonst war uns nicht mehr zu helfen.“[8] Hindenburg wiederum schrieb 1920 abfällig, „der Bulgare“ habe angeblich „den Kampf“ den Deutschen „überlassen“.[9] Führende Vertreter der deutschen Rechten ignorierten die bulgarischen Opfer des Ersten Weltkriegs und schoben dem Land darüber hinaus eine Teilverantwortung für die Niederlage der Mittelmächte zu.

Kurzzeitige Entfremdung
Unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schätzten Experten im Auswärtigen Amt die Lage in Südosteuropa so ein, dass Deutschland kurzfristig keine Chance habe, seinen traditionellen Einfluss in Bulgarien zu halten. Stattdessen solle Berlin auf langfristige Optionen sowie auf kulturelle Kontakte setzen, um seine Positionen wieder zu stärken.[10] Vorläufig übernahmen die Niederlande die diplomatische Vertretung deutscher Interessen in Bulgarien.[11] 1919 kam in Sofia der nationalrevolutionäre Agrarier Aleksandar Stambolijski an die Regierung. Er setzte auf eine scharfe Abgrenzung zu Deutschland, obwohl er wie so viele damalige bulgarische Spitzenpolitiker in Deutschland studiert hatte – er selbst in Halle und München.

Vorbild deutscher Rechter
Nach dem Ersten Weltkrieg kontrollierte die großbulgarisch orientierte Rebellen- und Terrororganisation Innere Makedonische Revolutionäre Organisation (IMRO) den bulgarischen Teil Makedoniens direkt. In diesem auch Pirin-Makedonien genannten Gebiet unterhielt die IMRO quasi einen „Staat im Staate“.[12] Als Hauptstadt fungierte Petritsch nahe der Grenze zu Griechenland. Die IMRO umfasste damals rund 9.000 Paramilitärs. Hauptexportgut Pirin-Makedoniens und damit auch Haupteinnahmequelle dieses abtrünnigen Gebietes war der Export von Tabak.[13] Teile der deutschen Rechten rezipierten Bulgarien aufgrund der gewaltsamen Aktionen der IMRO in den 1920ern positiv, da sich bulgarische Politiker – im Gegensatz zu den angeblich „furchtsamen“ Politikern in Berlin – gegen das „Diktat von Paris“ stellten und mit Waffengewalt gegen die Grenzen der Friedensverträge vorgingen.[14] Im Vertrag von Neuilly-sur-Seine hatte Bulgarien 1919 seinen Zugang zur Ägäis und die eroberten Gebiete in Makedonien und in der Dobrudscha abtreten müssen.

Rückkehr über den Handel
Trotz der anfänglichen politischen Entfremdung unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gelang es deutschen Konzernen, in Bulgarien schnell wieder Fuß zu fassen. Bereits im Jahr 1922 kamen die meisten Importe Bulgariens wieder aus Deutschland.[15] Auch im Export des Balkanstaates nahm die Weimarer Republik schrittweise eine immer wichtigere Position ein. Die deutschen Unternehmen übernahmen Anfang der 1920er Jahre auch viele wirtschaftliche Positionen, die vor dem Ersten Weltkrieg noch von österreichisch-ungarischen Konzernen gehalten worden waren. Aber auch auf ganz neuen Geschäftsfeldern erzielten sie attraktive Profite: Nach der Gründung der ersten bulgarischen Airline Bunavad im Jahr 1927 erhielt diese ihre ersten Flugzeuge von dem deutschen Unternehmen Junkers.

Die deutsch-bulgarischen Beziehungen intensivierten sich in den 1930er Jahren weiter – bis hin zur Kollaboration im Zweiten Weltkrieg. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

Mehr zum Thema sowie zur einst engen Kooperation von CDU/CSU mit Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow und dessen Partei GERB: Deutschlands Traditionspartner.

[1] Hans-Joachim Hoppe: Bulgarien – Hitlers eigenwilliger Verbündeter: Eine Fallstudie zur nationalsozialistischen Südosteuropapolitik, Stuttgart 1979, S. 24.
[2] Adam Tooze/Martin Ivanov: Disciplining the ‚black sheep of the Balkans‘: financial supervision and sovereignty in Bulgaria, 1902–38, in: The Economic History Review, Jg. 64 (2011), Nr. 1, S. 30–51 (hier: S. 34).
[3] Mary C. Neuburger: Balkan Smoke – Tobacco and the Making of Modern Bulgaria, Ithaca (NY)/London 2013, S. 74.
[4] Richard C. Hall: Bulgaria in the First World War, in: The Historian, Jg. 73 (2011), Nr. 2, S. 300–315 (hier: S. 304).
[5] Ebenda, S. 315.
[6] R. J. Crampton: Bulgaria, Oxford/New York (NY) 2007, S. 218.
[7] Sebastian Haffner: Die deutsche Revolution 1918/1919, Berlin 2002, S. 19/20.
[8] Erich Ludendorff: Meine Kriegserinnerungen, Berlin 1919, S. 577.
[9] Paul von Hindenburg: Aus meinem Leben, Leipzig 1920, S. 371.
[10] David X. Noack: Germany’s Influence along the Black Sea Rim in the Wake of the First World War: Official German Foreign Policy Views on the Black Sea Region in the “Shadow of Versailles,” November 1918 – March 1921, in: Sorin Arhire/Tudor Ro?u (Hgg.): The Paris Peace Conference (1919-1920) and Its Aftermath: Settlements, Problems and Perceptions, Newcastle upon Tyne 2020, S. 133–158 (hier: S. 140).
[11] Hoppe: Bulgarien – Hitlers eigenwilliger Verbündeter, S. 26.
[12] Andrew Rossos: The British Foreign Office and Macedonian National Identity, 1918–1941, in: Slavic Review, Jg. 53 (1994), Nr. 2, S. 369–394 (hier: S. 374).
[13] Neuburger: Balkan Smoke, S. 122.
[14] Stefan Troebst: Von den „Preußen des Balkans“ zum „vergessenen Volk“: Das deutsche Bulgarien-Bild, in: Europa Regional, Jg. 11 (2003), Nr. 3, S. 120– 125 (hier: S. 121).
[15] Klaus Thörner: »Der ganze Südosten ist unser Hinterland« – Deutsche Südosteuropapläne von 1840 bis 1945, Freiburg 2008, S. 322.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 29.09.2022.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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