»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« — Franklin D. Roosevelt
English · Francais · | · RSS

David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Pelze aus Buchara

Vor 100 Jahren trafen sich Vertreter Deutschlands und der zentralasiatischen Staaten Buchara, Chiwa und Mongolei in Moskau und besprachen die zukünftige Rolle der Weimarer Republik in Innerasien

Im Verlauf des von Berlin vom Zaun gebrochenen Ersten Weltkrieges unternahmen die Deutschen und ihre Verbündeten zwei Versuche, nach Zentralasien vorzustoßen. Den ersten Versuch über die südliche Flanke unternahm eine Expeditionsgruppe unter der Leitung des preußischen Konsuls Werner Otto von Hentig und des bayerischen Artillerieoffiziers Oskar Niedermayer in den Jahren 1915 und 1916 nach Afghanistan. Über das neutrale Persien gelang es den Expeditionsteilnehmern, in das Land am Hindukusch vorzudringen. Dort wollten sie im Namen des deutschen Kaisers Wilhelm II. Verhandlungen mit Habibullah Khan, dem Emir des Landes, beginnen – doch dieser hielt sie wochenlang hin. Ohne konkreten Auftrag vor Ort vertrieben sich die Deutschen dann die Zeit nach eigenem Gutdünken. So sandten sie Briefe an den König von Nepal sowie an die Staats- und Regierungschefs von 26 halbautonomen britisch-indischen Fürstenstaaten und baten um den Kriegseintritt dieser Staaten auf der Seite der Mittelmächte.¹ Im November 1915 nahmen die Teilnehmer der Expedition sogar an einer Militärparade in Kabul teil, und Niedermayer fertigte darüber hinaus Pläne zur Reorganisation der afghanischen Armee an. Der bayerische militärische Leiter der Delegation gründete vor Ort eine Offiziersschule, die von etwa 450 Afghanen besucht wurde.² Auch wenn es ursprünglich nicht so geplant war, hinterließen die Deutschen einen prägenden Eindruck in Afghanistan.

Gescheiterte Mission
Erst nach langem Hinhalten erhielten die Deutschen eine Audienz beim Emir. Die Abgesandten des Kaisers versuchten den afghanischen Fürsten davon zu überzeugen, gegen Britisch-Indien in den Krieg zu ziehen – was ihnen nicht gelang.³ Nach enormem britischen Druck stellte Habibullah Khan Forderungen, auf welche die deutschen Abgesandten realistischerweise nicht eingehen konnten. Beide Seiten unterzeichneten einen Vertrag über die Bedingungen eines afghanischen Kriegseintrittes – von Hentig und Niedermayer war aber klar, dass dieser nicht realistisch sei. Daraufhin entschlossen sie sich, die Mission abzubrechen. Eine Gruppe mitgereister Exilinder4 verblieb dauerhaft in Kabul, ein anderer Teil der Delegation unter Niedermayer reiste über Persien und von Hentig selbst über China sowie die damals noch im Weltkrieg neutrale USA in die Gebiete der Mittelmächte zurück. Die Vertretung ihrer Interessen überantworteten die Deutschen einem österreichischen Hauptmann, der zuvor aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Afghanistan entflohen war.

Bei ihrem zweiten Versuch, in den Jahren 1914 bis 1918 politisch und militärisch nach Zentralasien zu gelangen, wählten die Deutschen eine nördliche Route: Nach dem Diktatfrieden von Brest-Litowsk schied Sowjetrussland aus dem Krieg aus. Die Deutschen besetzten infolgedessen Georgien und nahmen erste Beziehungen mit Armenien, Aserbaidschan und der nordkaukasischen Bergrepublik auf. Doch damit nicht genug: In der Berliner Wilhelmstraße begannen die Pläne für die sogenannte Konsul-Operation. Im früheren Russisch-Zentralasien, wo die Bolschewiki jenseits der Eisenbahnarbeiterschaft und einiger slawischer Siedler geringen Rückhalt in der Bevölkerung hatten, sollten deutsche Diplomaten mit genügend Geld und einheimischen Verbündeten dafür sorgen, dass die Mittelmächte an Einfluss gewannen. Die Pläne wurden immer ambitionierter, bis das Ende des Krieges im Oktober 1918 sie abrupt beendete.5 Der zweite deutsche Vorstoß nach Zentralasien im Rahmen des Weltkriegs endete, bevor er richtig begonnen hatte.

Das Ende der Kampfhandlungen in Westeuropa und die in Deutschland ausgebrochene Novemberrevolution veränderten die politische Situation grundsätzlich. Im Auswärtigen Amt in der Berliner Wilhelmstraße aber arbeitete man größtenteils weiter, als sei nichts geschehen. Zu den vielen Adligen, die bereits im Amt arbeiteten, gesellten sich lediglich einige Bürgerliche und ganz wenige Sozialdemokraten hinzu. Großmachtpläne schmiedete man weiterhin – wenn auch zunächst ohne Militär. Um die Beziehungen zu den Siegermächten des Ersten Weltkriegs zu verbessern, brachen die Deutschen die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetregierung nach einem inszenierten diplomatischen Zwischenfall in Moskau ab.6 Für ein paar Jahre setzte die Regierung in Berlin auf einen Block am Schwarzen Meer, der Georgien, Rumänien und die Ukraine umfasste.7 Diese Strategie endete jedoch in einer Sackgasse.

Im Russischen Bürgerkrieg gewannen die Bolschewiki derweil die Oberhand. Mit dem Durchbruch der Roten Armee bei Orenburg am nordwestlichen Rand der kasachischen Steppe im Herbst 1919 gelang es den Bolschewiki, Truppen nach Zentralasien zu senden und rasch die Oberhand in den vormals russischen Kolonialgebieten zu erlangen. Britische Truppen unter General Wilfrid Malleson zogen aus dem Gebiet des heutigen Turkmenistans ab, und die Rote Armee unter ihrem Kommandeur Michail Frunse marschierte bis an die persische Grenze. Der Vorsitzende der Turkkommission, Walerian Kuibyschew, organisierte den politischen Wandel in den einst russisch-zarischen Gebieten. Die beiden Monarchien Chiwa und Buchara, zu dieser Zeit bereits seit Jahrzehnten russische Vasallenstaaten, blieben zunächst unabhängig.

Vier sowjetische Republiken
Das änderte sich jedoch nach wenigen Monaten: Ende des Jahres 1919 marschierte die Rote Armee nach einem Aufstand der sogenannten Jungchiwaer, einer sehr kleinen Gruppe lokaler Reformer, in Chiwa ein.8 Im Spätsommer 1920 folgte der Einmarsch in Buchara-Stadt. Der dortige Emir floh daraufhin ins Exil nach Afghanistan, und lokale Reformer, Jungbucharer genannt, kamen an die Regierung. Als eine der ersten Amtshandlungen nahm die neue Regierung in Buchara-Stadt diplomatische Beziehungen mit Afghanistan auf. Zwar gelangten die Jungbucharer auf den Bajonetten der Roten Armee ins Amt – jedoch strebten sie schnell an, ihren außenpolitischen Spielraum zu erweitern. Um den sowjetischen Einfluss zu verkleinern, forcierte die jungbucharische Regierung die Beziehungen mit Afghanistan.

Auf den Sieg der Bolschewiki im vormaligen Russisch-Zentralasien folgten militärische Expeditionen gegen die »Weißen« in Xinjiang (Chinesisch-Turkestan) und 1921 die Intervention in der Mongolei, welche die dortige Nationalbewegung an die Regierung brachte.9 Parallel dazu gewannen Bolschewiki und die tuwinische Nationalbewegung den Bürgerkrieg in der vormaligen russischen Kolonie Urjanchai und riefen im Oktober 1921 die Volksrepublik Tannu-Tuwa aus. Mit Buchara, Chiwa, Tannu-Tuwa und der Mongolei gab es fortan vier zentralasiatische Republiken im sowjetischen Orbit.

In Westeuropa hatten sich derweil die politischen Verhältnisse zwischen den Großmächten grundlegend verschoben. Nach dem Versailler Vertrag befanden sich die Beziehungen der jungen Weimarer Republik mit den Ententemächten Frankreich, Großbritannien und Italien auf dem Tiefpunkt. Als sich Vertreter der europäischen Mächte dann zur Weltwirtschaftskonferenz im April 1922 in Genua trafen, schockierten Nachrichten über eine mögliche britisch-sowjetrussische Annäherung den deutschen Außenminister Walther Rathenau. Um eine Annäherung von London, Moskau, Paris und Rom auf Kosten Berlins zu verhindern, fuhr der vormalige AEG-Funktionär Rathenau in den Nachbarort Rapallo und unterzeichnete dort gemeinsam mit dem sowjetrussischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Georgi Tschitscherin, einen politischen Vertrag. Das in Rapallo unterzeichnete Abkommen legte fest, dass beide Seiten auf Reparationen verzichteten, und ebnete der Wiederaufnahme wirtschaftlicher Beziehungen den Weg. Beide Seiten ernannten auch wieder Botschafter und pflegten fortan erneut diplomatische Beziehungen. Die deutsche Politik in Osteuropa schwenkte zurück vom Block der Schwarzmeerstaaten hin zu Sowjetrussland.

Der Vertrag von Rapallo galt jedoch zunächst nur für die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) und nicht für die in den deutschen Akten meist so bezeichneten »Föderativstaaten«, zu denen es von der Ukraine bis zur Fernöstlichen Republik einige gab. Letztere beispielsweise war ein von Bolschewiki und Menschewiki gemeinsam regierter und von 1920 bis 1922 existierender Pufferstaat an der Nordgrenze der Mandschurei.10 Zur RSFSR gehörte zwar damals die autonome Turkestanische Republik (in etwa die heutigen Staaten Turkmenistan, Kirgistan und ein Großteil von Tadschikistan), aber nicht die anderen zentralasiatischen Volksrepubliken Buchara und Chiwa. In Berlin verhandelten deutsche und sowjetrussische Vertreter über eine Ausdehnung des Vertragswerkes, doch die sowjetrussischen Vertreter blockierten zunächst die Unterzeichnung eines Ergänzungsvertrages.

Parallel zum Vertragsabschluss in Rapallo reiste der vormalige deutsche Kolonialverwalter Rudolf Asmis nach Sibirien. Dort sollte er Möglichkeiten ausloten, an die Wirtschaftsbeziehungen von vor 1914 anzuschließen. Asmis war nicht der einzige Deutsche in der Gegend, denn zu dieser Zeit reisten bereits einige inoffizielle und offizielle Repräsentanten in den vormaligen Gebieten des Zarenreichs umher.¹¹ Bereits 1921 hatten eine Reihe von Leipziger Konzernen einen direkten Kontakt mit Moskauer Behörden etabliert und Diskussionen über ein Konsortium begonnen. Dieses sollte ein Monopol für den sowjetrussischen Export der wertvollen Pelze der zentralasiatischen Karakulschafe erhalten. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges hatte sich Leipzig zum Weltzentrum des Pelzhandels entwickelt – ab 1914 lief London dann Leipzig den Rang ab. Eine Reihe von Konzernbossen der Firmen der mitteldeutschen Stadt planten, das durch exklusive Verträgen mit den Sowjets rückgängig zu machen – die Verhandlungen scheiterten jedoch.¹² Ein weiteres missglücktes Vordringen der Deutschen nach Zentralasien – nur dieses Mal auf wirtschaftlicher Ebene.

Beste Voraussetzungen
Der deutschen Vertretung in Russland statteten im Sommer 1922 drei Vertreter Bucharas, Chiwas und der Mongolei einen Antrittsbesuch ab – aus Chiwa und der Mongolei kamen jeweils der Botschafter, aus Buchara sogar der Wirtschaftsminister. Alle drei Staaten hätten neuerdings mehr Selbständigkeit erlangt, und ihre Regierungen streben an, mit Deutschland »regere Beziehungen« zu pflegen, notierte Wiedenfeld, der vorläufige Vertreter der Weimarer Republik in Moskau. Da deutsche Emissäre bereits durch die Ukrainische SSR reisten, fragten die Vertreter Chiwas und Bucharas, ob ein amtlicher deutscher Vertreter in ihre Länder entsandt werden könnte. Wiedenfeld mahnte, abzuwarten, und verwies auf die Verhandlungen über eine Ausdehnung des Rapallo-Vertrages. Auch bestätigte er seinen Besuchern, dass Deutschland Absatzmärkte für seine Produkte suche. Der Wirtschaftsminister aus Buchara prognostizierte, dass das sowjetische Außenhandelsmonopol für Zentralasien spätestens ein Jahr später nur noch Makulatur sein würde. Es schien, als hätten deutsche Konzerne fortan beste Voraussetzungen, um sich in Zentralasien festzusetzen.

Der bucharische Teilnehmer der Unterhaltung im Sommer 1922 in der deutschen Vertretung in Moskau bedauerte, dass die Verhandlungen über die Ausdehnung des Rapallo-Vertrags nur in Berlin geführt würden, da dort angeblich die Vertreter der zentralasiatischen Republiken nicht teilnehmen konnten. Er wollte sich in Moskau dafür einsetzen, dass der Vertrag auch für seine Volksrepublik gelten solle und zeigte sich in dieser Frage zuversichtlich. An den sowjetrussischen Vertretern vorbei schienen sich auf einem bescheidenen Niveau Möglichkeiten einer deutschen Zentralasienpolitik zu eröffnen. Doch Wiedenfeld dämpfte in seinem Bericht an die Wilhelmstraße gleich hochtrabende Erwartungen. Er betonte zwar die positive Gesprächsatmosphäre, analysierte jedoch, dass trotz der Beteuerungen, dass die Volksrepubliken Chiwa und Buchara mehr Selbständigkeit erlangt hätten, der Grad der Unabhängigkeit eingeschränkter sei als der Status der weitaus selbstständigeren Mongolei.¹³ Wenn die Weimarer Republik Handelsbeziehungen mit Buchara und Chiwa etablieren wollte, benötigte sie die Zustimmung der sowjetischen Regierung in Moskau.

Die besondere Eigenständigkeit der Mongolei leitete sich aus dem Verhältnis von Moskau zu den chinesischen Nationalisten ab. In dem verworrenen chinesischen Bürgerkrieg setzte die sowjetische Regierung auf die Guomindang (KMT) von Sun Yat-sen mit den Kommunisten als deren Juniorpartner. Die Nationalisten beanspruchten die gesamte Mongolei für sich, und in Geheimverhandlungen erkannte die Moskauer Regierung diesen Anspruch damals sogar an.14 Moskau organisierte daraufhin Diskussionen zwischen der Mongolischen Revolutionären Volkspartei und den Guomindang-Nationalisten über den zukünftigen Status der Mongolei. Aufgrund der Zugeständnisse Moskaus an die chinesischen Nationalisten pflegte Sowjetrussland und später die Sowjetunion in den 1920er Jahren hauptsächlich im Geheimen enge Beziehungen mit Tannu-Tuwa und der Mongolei.

In Berlin begannen Pläne für ambitionierte Wirtschaftsprojekte in Zentralasien, die zunächst ihren Schwerpunkt in Buchara hatten. Die konkrete Umsetzung gestaltete sich zunächst schwierig, und Berlin setzte gegenüber Zentralasien erst einmal auf »Soft Power«. Im Sommer 1922 erreichte eine bucharische Bildungsdelegation über die Ostsee die Weimarer Republik. Knapp 50 Schüler und Studenten besuchten fortan deutsche Bildungseinrichtungen.15 In Berlin eröffnete eine offizielle bucharische Handelsdelegation, womit Deutschland die Unabhängigkeit Bucharas de facto anerkannte.16 Die Weimarer Republik weitete ihr Engagement in Zentralasien in kleinen Schritten immer weiter aus.

In Moskau stieß dieses verstärkte deutsche Engagement in Bildungs- und Wirtschaftsfragen auf immer mehr Argwohn. Als am 5. November 1922 Vertreter der Regierungen Deutschlands, Sowjetrusslands und der Sowjetukraine das Supplement des Rapallo-Vertrags unterzeichneten, blieb Zentralasien außen vor. Der Gesandte der RSFSR vertrat zwar die Sowjetrepubliken Belarus, Georgien, Armenien und Aserbaidschan sowie die Fernöstliche Republik – aber nicht Buchara, Chiwa, Tannu-Tuwa und die Mongolei. Der Ergänzungsvertrag sah die Ausdehnung der Bestimmungen des Rapallo-Vertrags auf alle anderen sowjetischen Republiken vor17 – schloss allerdings nicht Zentralasien mit ein.

Nach mehreren Jahren ambitionierter Wirtschaftspläne für ein deutsches ökonomisches Engagement in Zentralasien konnte das Auswärtige Amt im Frühjahr 1923 erstmals ein konkretes Abkommen vorweisen. Die bucharische Handelsdelegation schloss mit einer Leipziger Pelzfirma einen Vertrag über die Lieferung von Fellen ab. Der zuständige Mitarbeiter konnte seine Überraschung nicht verbergen, indem er das Wort »tatsächlich« im Zusammenhang mit den deutsch-bucharischen Wirtschaftsbeziehungen unterstrich. Weitere Verhandlungen über Geschäftsbeziehungen sowie die mögliche Gründung einer deutsch-bucharischen Handelsgesellschaft fanden parallel statt.18 Exkolonialverwalter Asmis reiste erneut los und erkundete im Verlauf des Jahres Sowjetisch-Turkestan. Nach Berlin und zu deutschen Konzernen entsandte er Papiere über mögliche deutsche Wirtschaftsprojekte. Diese reichten von Bewässerungssystemen bis hin zu Eisenbahnlinien.

Erfolgreich abgeschottet
In Moskau war jedoch schon der Beschluss gefallen, den ausländischen Einfluss in Buchara und Chiwa – das richtete sich vor allem gegen Afghanistan und die kemalistische Türkei – zu minimieren. Das Zentralkomitee (ZK) der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) hatte bereits im Mai 1922 einen Plan des Nationalitätenkommissars Josef Stalin verabschiedet. Dieser sah vor, viele Kader in den beiden zentralasiatischen Volksrepubliken auszutauschen und die beiden Staaten enger an den sowjetischen Staatenbund zu binden. Die Deutschen wussten nichts von diesem ZK-Beschluss, konnten in Berlin sowie in den diplomatischen Vertretungen in Persien und Afghanistan jedoch die Auswirkungen des Plans beobachten.

Im November 1922 fielen zwei bucharische Handelsdelegierte in Berlin einer mysteriösen Gasvergiftung zum Opfer. Bucharische Schüler wurden in Moskau an der Weiterreise nach Berlin gehindert, und in der sowjetischen Hauptstadt selbst eröffnete eine Schule für Zentralasiaten. Als im April 1923 die ersten deutschen Konsulate in Nowosibirsk und Wladiwostok19 eröffneten, fiel auf, dass es in Zentralasien keine deutsche diplomatische Vertretung gab. Durch die sowjetische Abschottungsstrategie bekamen die Deutschen in Buchara, Chiwa und Sowjetisch-Turkestan keinen Fuß in die Tür.

Infolgedessen verschob sich der Schwerpunkt der deutschen Zentralasienaktivitäten auf Afghanistan und Persien. Ab 1921 gab es einen afghanischen Vertreter in Berlin und ab 1923 einen deutschen Diplomaten in Kabul. Im selben Jahr eröffnete die Deutsch-Afghanische ­Compagnie AG (Dacom) ein Büro in Kabul. Im Land am Hindukusch gelangten die Deutschen an Wirtschaftsaufträge, und inoffiziell – der Versailler Vertrag verbot es eigentlich – dienten auch deutsche Militärberater vor Ort. Als Höhepunkt der deutsch-afghanischen Annäherung während der Weimarer Republik besuchte der afghanische König Amanullah 1928 Deutschland.

Die deutschen Beziehungen zur Mongolei verharrten zu dieser gesamten Zeit auf einem eher bescheidenen Niveau. Zwar kam im Falle der Mongolei die deutsche »Soft Power« auch zum Zuge, als im Mai 1926 eine mongolische Bildungsdelegation die Weimarer Republik erreichte.20 Nach den gescheiterten Zentralasienplänen in Buchara gab es zur Zeit der Weimarer Republik jedoch nie größere Ambitionen der Deutschen, in der Mongolei wirtschaftlich Fuß zu fassen.

Keine Anerkennung
Tannu-Tuwa erkannte die Regierung in Berlin nicht einmal an: Über den tuwinischen Botschafter in Moskau stellte die Regierung dieses sibirischen Staates 1929 Kontakt mit dem deutschen Gesandten in der sowjetischen Hauptstadt her. Hans-Adolf von Moltke, ein Vortragender Legationsrat im Auswärtigen Amt, schrieb intern, dass zwar Deutschland Tannu-Tuwa nicht anerkenne, jedoch eine Visaausstellung analog zur Mongolei möglich sei. Obwohl das sowjetische Außenkommissariat eine Visaausstellung für zwei tuwinische Vertreter, die nach Deutschland reisen wollten, befürwortete, erhielten die beiden keine Visa für die Weimarer Republik.²¹

Anmerkungen:

1 Madan Kumar Bhattarai: Diplomatic History of Nepal 1901–1929. A Critical Appraisal of Nepal-British India Relations, Neu-Delhi 1990, S. 15
2 Renate Vogel: Die Persien- und Afghanistanexpedition Oskar Ritter v. Niedermayers 1915/1916, Osnabrück 1976, S. 87–91
3 Thomas L. Hughes: The German Mission to Afghanistan, 1915–1916. In: German Studies Review 25 (2002), Nr. 3 , S. 447–476 u. Vogel, a. a. O., S. 94
4 Ein Teil der deutschen Destabilisierungsstrategie gegen die Ententemächte setzte auf diverse exilindische Revolutionäre; siehe: Thomas G. Fraser: Germany and Indian Revolution, 1914–18. In: Journal of Contemporary History 12 (1977), Nr. 2, S. 255–272. Eine Übersicht über relevante deutsche Akten zu dieser Politik liefert: Heike Liebau: »Unternehmungen und Aufwiegelungen«: Das Berliner Indische Unabhängigkeitskomitee in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts (1914–1920); projekt-mida.de (o. D.).
5 David X . Noack: Continuing the Great Game: Turkestan as a German Objective in World War I. In: Gearóid Barry/Enrico Dal Lago/Róisín Healy (Hg.): Small Nations and Colonial Peripheries in World War I, Leiden 2018, S. 230–244
6 Teddy J. Uldricks: Diplomacy and Ideology: The Origins of Soviet Foreign Relations 1917–1930, London/Beverly Hills 1979, S. 52
7 David X. Noack: Germany’s Influence in the Black Sea Rim in the Wake of the First World War: Official German foreign policy views on the Black Sea Region in the »Shadow of Versailles«, November 1918–March 1921. In: Sorin Arhire/Tudor Rosu (Hg): The Paris Peace Conference (1919–1920) and Its Aftermath: Settlements, Problems and Perceptions, Newcastle upon Tyne 2020, S. 133–158
8 Wladimir Genis: »Butaforskaja rewoluzija«, ili rossiskoje poplredstwo w Chiwe (Wladimir Genis: »Falsche Revolution« oder die russische Botschaft in Chiwa). In: Wostok – Afro-aziatskije obschestwa 1 (2000), Nr. 2, S. 5–26
9 Siehe: David X. Noack: Sieg in der Peripherie. In: junge Welt, 12.7.2021
10 Als Überblick: Ivan Sablin: The Rise and Fall of Russia’s Far Eastern Republic, 1905–1922. Nationalisms, Imperialisms, and Regionalisms in and after the Russian Empire, Abingdon/New York 2019
11 Robert G. Fahs: German Economic Diplomacy in Northeast Asia, 1917–1936. Unveröffentlichte Dissertation, Honolulu 1996, S. 138–151
12 Robrecht Declercq: World Market Transformation: Inside the German Fur Capital Leipzig 1870–1939, New York/London 2017, S. 158
13 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA-AA, Berlin): R84342: Kurt Wiedenfeld an das Auswärtige Amt, Moskau, 10.7.1922
14 Bruce A. Elleman: Secret Sino-Soviet Negotiations on Outer Mongolia, 1918–1925. In: Pacific Affairs 66 (1993/1994), Nr. 4, S. 539–563
15 Dov B. Yaroshevski: Bukharan Students in Germany, 1922–1925. In: lngeborg Baldauf/Michael Friederich (Hg.): Bamberger Zentralasienstudien – Konferenzakten ESCAS IV, Bamberg 8.–12. Oktober 1991, Berlin 1994, S. 271–278
16 Slavomir Horak: Bukharan People’s Soviet Republic. From protectorate to SSR. In: Tomas Hoch/Vincenc Kopecek (Hg.): De Facto States in Eurasia, Abingdon/New York 2020, S. 46–62, hier: S. 51
17 J. W. Garner: The Russo-German Treaty. In: The American Journal of International Law 20 (1926), Nr. 3 Supplement: Official Documents, S. 117–120
18 PA-AA: R84342: (O. A.): Aufzeichnung, Berlin, 23.2.1923.
19 Fahs, a. a. O., S. 156; Larissa Belkowez/Sergej Belkowez: Gescheiterte Hoffnungen. Das deutsche Konsulat in Sibirien 1923–1938, Essen 2004
20 Serge M. Wolff: Mongolian Educational Venture in Western Europe (1926–1929). In: The Mongolia Society Bulletin 9 (1970), Nr. 2, S. 40–100
21 PA-AA: R84360: Hans-Adolf von Moltke an Herbert von Dirksen, Moskau, 20.7.1929

Erschienen in: junge Welt, 11.07.2022.

Leave a Reply

Neueste Kommentare