»Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.« — Benjamin Franklin
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Angriff auf die Ein-China-Politik (II)

Deutsche Forderungen nach einer engeren Kooperation der westlichen Mächte mit Taiwan und nach einer Anerkennung der Insel als eigenständiger Staat knüpfen an die Bonner Politik der 1950er und 1960er Jahre an. Damals knüpfte die Bundesrepublik schrittweise engere Beziehungen zu Taipeh; diese umfassten unter anderem die Entsendung einer Gruppe von Militärberatern, darunter einstige Wehrmachtsoffiziere, die an der Ostfront Krieg geführt hatten, nach Taiwan. Rücksichten auf deutsche Wirtschaftsbeziehungen zur Volksrepublik, die sich bereits in den 1950er Jahren wieder profitabel gestalteten, hielten die Bundesregierung von einer allzu offenen Zusammenarbeit mit Taipeh ab. Dennoch unterstützte Bonn Taipeh auch noch, nachdem es die Volksrepublik am 11. Oktober 1972 offiziell anerkannt hatte: So lieferte etwa der Bundesnachrichtendienst (BND) in den 1980er Jahren „Starfighter“-Kampfflugzeuge an Taiwan, während er zugleich mit dessen Geheimdienst NSB kooperierte und BND-Personal in der NSB-Abhörzentrale im Süden von Taipeh stationiert hatte.

Die frühe Nachkriegszeit

Am Ende des Zweiten Weltkriegs galt die diktatorisch regierte Republik China als eine der Siegermächte. Trotz des von 1945 bis 1949 andauernden Bürgerkrieges unterhielt sie deshalb unter anderem Konsulate in Hamburg und Stuttgart sowie eine Militärmission in Westberlin. Im Dezember 1949 zog sich ihre nationalistische Regierung unter Führung der Kuomintang auf die zuvor japanisch kontrollierte Insel Taiwan zurück. Bereits damals befanden sich deutsche Offiziere – nicht im Regierungsauftrag – unter den nationalchinesischen Truppen.[1] Ende April 1950 endeten die letzten größeren Kampfhandlungen des Chinesischen Bürgerkriegs mit der Einnahme der Insel Hainan durch die kommunistisch dominierte Volksbefreiungsarmee.[2] Während die nach Taiwan geflohene Regierung der Republik China ihre Vertretungen in Westdeutschland und Westberlin schloss, erkannte die neugegründete Volksrepublik die kurz zuvor etablierte Deutsche Demokratische Republik an.[3]

Erste offizielle Annäherungen

Bereits Mitte 1951 versuchten Vertreter der nun in Taipeh residierenden Regierung der Republik China, mit Abgesandten der Bundesrepublik Deutschland über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu verhandeln. Die Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer (1949 bis 1963) zeigte sich jedoch reserviert, da der westdeutsche Handel mit der Volksrepublik China bereits früh an Fahrt aufgenommen hatte.[4] Aufgrund der Wartehaltung der Regierung Adenauer etablierten 1958 Abgesandte Taiwans in Bad Godesberg bei Bonn das Büro des „Freichina-Informationsdienstes“ als inoffizielle Vertretung. Im Mai 1963 wurde im Auswärtigen Amt über die Etablierung eines bundesdeutschen Handelsbüros in Taipeh diskutiert.[5] Zwar kam es zu keiner Einigung, doch eröffnete die BRD noch im selben Jahr ein Kulturbüro in Taiwans Hauptstadt.[6] Die offiziellen Beziehungen hatten ihr erstes Format gefunden.

Enger Partner des BND

Weit über die offiziellen Beziehungen ging die Geheimdienstkooperation hinaus. Bereits im Jahr 1953 etablierte die damalige Organisation Gehlen, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND), erste Kontakte mit Vertretern Taiwans. Fünf Jahre später reiste eine erste Gruppe von Mitarbeitern des taiwanesischen Geheimdienstes NSB (National Security Bureau) nach Pullach, um dort in Kryptologie geschult zu werden. 1961 reiste die erste BND-Delegation, darunter der Leiter der Asien-Abteilung des Geheimdienstes sowie der Direktor für strategische Aufklärung, nach Taipeh. Die Delegation traf unter anderem Chiang Kai-shek, Taiwans damaligen Machthaber. Der BND leistete in den folgenden Jahrzehnten technische Hilfe für den NSB und ging dabei teilweise über die Unterstützungsleistungen der US-Geheimdienste hinaus; die USA fungierten bereits damals als Schutzmacht Taiwans.[7] Die bundesdeutsche Hilfe gab es nicht ohne Gegenleistung: In den 1960er Jahren betrieb der BND auf Taiwan „die damals modernste Funkanlage der Welt“.[8]

Deutsche Militärberater

Trotz der ausbleibenden offiziellen Anerkennung Taiwans exportierte die Bundesrepublik Rüstungsgüter auf die Insel. Bereits im Jahr 1953 hatte ein ehemaliger Wehrmachtsgeneral Ausbildungsunterlagen für Taiwans Streitkräfte zusammengestellt. Auf Vermittlung des BND ging 1963 dann eine Militärberatergruppe unter dem früheren Wehrmachtsoffizier Oskar Munzel nach Taiwan. Munzel hatte im Zweiten Weltkrieg in Panzerschlachten auf sowjetischem Territorium gedient. Er führte nun das sogenannte Ming-teh-Verbindungsbüro. Die deutsche Beratergruppe unterstand Chiang Kai-shek persönlich. Von 1964 bis 1972 schulte die Bundeswehr außerdem insgesamt 25 hochrangige taiwanesische Offiziere an der Führungsakademie in Hamburg. Die Kosten dafür trug das Bundesverteidigungsministerium. Nach Munzel übernahmen zwei weitere Offiziere, die im Verlauf des Zweiten Weltkriegs an der Ostfront gedient hatten, die Beratergruppe. Erst 1975 endete der Ausbildungseinsatz.[9] Die westdeutsche Beratergruppe spielte laut Einschätzung von Experten eine zentrale Rolle bei der Reform der taiwanesischen Streitkräfte.[10]

Neue Umstände

Mit der Aufnahme der Volksrepublik China in die Vereinten Nationen und dem Auszug Taiwans im Jahr 1972 veränderte sich die Rolle der Insel in der Welt grundlegend. Das betraf auch die bundesdeutsch-taiwanesischen Beziehungen. Die Regierung in Bonn erkannte die Volksrepublik China diplomatisch an, was eine offizielle Anerkennung Taiwans endgültig ausschloss. Aus dem „Freichina-Informationsdienst“ wurde nun das „Büro der Fernost-Informationen“. Trotz der neuen Umstände wurden einige vorher bereits gepflegte Kooperationen mit Taiwan weitergeführt.

Starfighter-Verkauf

Wie im Jahr 1990 bekannt wurde, hat der BND in den 1980er Jahren 62 Kampfflugzeuge des Typs Lockheed F-104 „Starfighter“ unter Bruch des Außenwirtschaftsgesetzes an Taiwans Streitkräfte verkauft.[11] Der Starfighter erlangte in der Bundesrepublik traurige Berühmtheit: Ein Drittel der Maschinen in bundesdeutschen Diensten stürzte ab; dabei kamen 108 Menschen ums Leben. Während die Bundeswehr die Kampfflugzeuge in den 1980er Jahren aussortierte, benutzten die taiwanesischen Streitkräfte sie noch weit bis in die 1990er Jahre.

Fortsetzung der Abhörkooperation

Ebenfalls Anfang der 1990er Jahre wurde bekannt, dass der BND weiterhin mit Taiwans Geheimdienst NSB kooperierte, obwohl die Bundesrepublik im Jahr 1972 die Volksrepublik China anerkannt hatte. Laut Berichten des ZDF aus dem Jahr 1993 arbeiteten damals BND-Mitarbeiter bereits seit über einem Jahrzehnt in der NSB-Abhörzentrale im Süden von Taipeh.[12] Im Jahr 1980 hatte der damalige BND-Chef und spätere Bundesaußenminister Klaus Kinkel Taiwan besucht und auch den damaligen Staatschef Chiang Ching-kuo getroffen.[13] Auch ohne offizielle Anerkennung Taiwans durch die BRD arbeiteten der BND und der taiwanesische Geheimdienst den gesamten Kalten Krieg über sehr eng zusammen.

Mehr zum Thema: Angriff auf die Ein-China-Politik (I).

[1] In den 1920er und 1930er Jahren diente eine große Zahl deutscher Militärberater in China. Nach dem Schwenk hin zum faschistischen Japan ordnete Hitler 1938 an, die deutschen Berater sollten aus China zurückkehren. Einige Offiziere folgten diesem Befehl nicht. Siehe: Chern Chen: Deutsche Militärberater in Taiwan – Die deutsch-nationalchinesischen Beziehungen im Kalten Krieg, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 51 (2003), Nr. 3, S. 385–402 (hier: S. 387).
[2] Odd Arne Westad: Decisive Encounters: The Chinese Civil War, 1946–1950, Stanford 2003, S. 305.
[3] Alexander Troche: „Berlin wird am Mekong verteidigt“ – Die Ostasienpolitik der Bundesrepublik in China, Taiwan und Süd-Vietnam 1954–1966, Düsseldorf 2001, S. 43.
[4] Ebenda, S. 44/45.
[5] Ebenda, S. 197.
[6] Chen: Deutsche Militärberater in Taiwan, S. 391.
[7] Chern Chen: The Intelligence Connection: West Germany and Taiwan in the Cold War, in: Journal of Intelligence History, Jg. 8 (2008), Nr. 2, S. 75–92 (hier: S. 78–87).
[8] Frank P. Heigl/Jürgen Saupe: Operation EVA – Die Affäre Langemann, Hamburg 1983, S. 197.
[9] Chen: Deutsche Militärberater in Taiwan, S. 395–399.
[10] Chiang Kai-shek’s Secret Military Advisers Unveiled, hoover.org 13.05.2013.
[11] Erich Schmidt-Eenboom: Schnüffler ohne Nase – Der BND, die unheimliche Macht im Staate, Düsseldorf 1993, S. 399/400.
[12] BND hilft angeblich Taiwan bei Spionage gegen China, in: Süddeutsche Zeitung, 02.11.1993.
[13] Chen: The Intelligence Connection, S. 90.

Erschienen auf: german-foreign-policy.com, 29.08.2019.

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