„Mit Deutschland und deutschen Tugenden“
Ein ehemaliger Hoffnungsträger Deutschlands im Einflusskampf gegen Frankreich in Afrika steht an diesem Mittwoch in der Stichwahl um das Präsidentenamt in Madagaskar. Ex-Präsident Marc Ravalomanana, der im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hat, galt einst als Parteigänger Berlins; die Bundesrepublik hatte ihn unterstützt, als er Ende 2001 zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, und sich anschließend bemüht, ihren Einfluss in der madagassischen Politik und der Wirtschaft des Landes auszuweiten. Über Ravalomanana hieß es damals in der deutschen Presse, er wolle den Inselstaat „mit der Hilfe Deutschlands und deutscher Tugenden“ modernisieren. Sein Gegenkandidat Andry Rajoelina, der im ersten Wahlgang etwas weniger Stimmen erhielt, hatte Ravalomanana im Jahr 2009 in einem von Paris unterstützten Putsch aus dem Amt und ins Exil gejagt. Anschließend führte er Madagaskar in die französische Hegemonialsphäre zurück. Beobachter stufen die Rolle Deutschlands in der Hauptstadt Antananarivo heute als diejenige „einer Macht unter vielen“ ein.
Stichwahl im Armenhaus der Afrikanischen Union
Am 19. Dezember sind die knapp zehn Millionen registrierten Wähler in Madagaskar aufgerufen, über ein neues Staatsoberhaupt zu entscheiden. In der Stichwahl sind noch Marc Ravalomanana von der Partei TIM („Tiako I Madagasikara“, „Ich liebe Madagaskar“) und Andry Rajoelina von der Partei TGV („Tanora malaGasy Vonona“, „Junge und entschlossene Madagassen“) im Rennen. Ravalomanana hatte 39 Prozent der Stimmen bekommen, Rajoelina etwas mehr als 35 Prozent. Der bis vor kurzem amtierende Hery Rajaonarimampianina, unter dem damaligen Präsidenten Rajoelina von 2009 bis 2013 Finanzminister, landete mit weniger als neun Prozent weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Seine Präsidentschaft wird vom Leiter der Außenstelle der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Madagaskar „in vielerlei Hinsicht“ als „eine Enttäuschung“ eingestuft.[1] Vor allem wirtschaftlich konnte Rajaonarimampianina für die breite Masse der Bevölkerung nichts erreichen. Laut einer aktuellen Studie der Weltbank zählt Madagaskar weiterhin zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Über 90 Prozent der Madagassen leben unterhalb der Armutsgrenze – dies, obwohl die Insel eine außergewöhnliche Artenvielfalt aufweist und reich an Rohstoffen ist.[2]
Konstanter wirtschaftlicher Niedergang
Seit der Unabhängigkeit Madagaskars im Jahr 1960 prägt ein in Wellen erfolgter wirtschaftlicher Niedergang die Insel. Nach einer Annäherung an die realsozialistischen Staaten in den 1970er Jahren folgte ein Schwenk zurück zur französischen Einflusszone Afrikas, der Frankophonie. Die Regierung in Antananarivo stimmte einem neoliberalen Strukturanpassungsprogramm des Internationalen Währungsfonds zu [3] und öffnete sich vor allem für französische Konzerne. 1989 entstanden die ersten Sonderwirtschaftszonen.[4] Dieser Kurs hat den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf, das seit 1960 schrumpft, weiter forciert; heute liegt es um rund 30 bis 50 Prozent niedriger als im Jahr der madagassischen Unabhängigkeit. Auf dem afrikanischen Kontinent insgesamt hat sich das BIP pro Kopf im gleichen Zeitraum verdreifacht.
Mit der schwarz-rot-goldenen Fahne
Ende 2001 wurde Madagaskar Schauplatz des deutsch-französischen Einflusskampfs in Afrika: Unterstützt von der Berliner Außenpolitik gewann Marc Ravalomanana die Präsidentschaftswahlen. Die französische Regierung hatte auf seinen Konkurrenten gesetzt.[5] Ravalomanana hatte in der Bundesrepublik studiert und besaß als einer von wenigen Angehörigen der madagassischen Politikelite keinen französischen Pass.[6] Mit Hilfe eines Kredits der Weltbank war es ihm gelungen, den bäuerlichen Familienbetrieb zum größten Unternehmen des Landes auszubauen.[7] Dadurch war er zum reichsten Mann Madagaskars aufgestiegen.[8] Als Ravalomanana im Fußballstadion der Hauptstadt vereidigt wurde, zog der Kulturattaché der deutschen Botschaft, die schwarz-rot-goldene Fahne schwingend, in die Arena ein – ein Ausdruck der Hoffnung Berlins, in Zukunft Frankreichs Einfluss auf die madagassische Regierung zu verdrängen.[9] Nach Ravalomananas Amtsübernahme erhielt unter anderem die Lufthansa Consulting den Auftrag, die staatliche Luftfahrtgesellschaft Air Madagascar neu zu strukturieren. Ein weiteres deutsches Unternehmen, Lahmeyer International (Bad Vilbel), setzte sich gegen einen französischen Mitbieter durch und übernahm das bis dahin staatliche Wasserversorgungsunternehmen JIRAMA. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, heute: Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit/GIZ) machte sich daran, „politische Entscheidungsträger“ im Land zu beraten.[10] Ravalomananas erste Auslandsreise führte ihn in die Bundesrepublik. In der deutschen Presse hieß es, er wolle das Land „mit der Hilfe Deutschlands und deutscher Tugenden“ modernisieren.[11]
„Alle bis auf Frankreich“
Entgegen den deutschen Hoffnungen lehnte sich die neue Regierung in Antananarivo allerdings nicht ausschließlich an Berlin an, sondern forcierte unter neoliberalen Vorzeichen eine wirtschaftliche Öffnung des Landes gegenüber mehreren Staaten – „alle bis auf Frankreich“, hieß es in einer internen Analyse der US-Botschaft in Antananarivo.[12] Ein wirtschaftsliberaler Ausverkauf sondergleichen begann. Der US-Konzern ExxonMobil sicherte sich Ölfelder vor der madagassischen Küste; das kanadische Minenunternehmen Alcan übernahm die Rechte an einer der größten Bauxitminen des Landes; ein zweites kanadisches Unternehmen, Sherritt, erhielt einen Großteil der Ambatovy-Mine, einer der größten Nickelminen der Welt. Madagaskar wird auch „rote Insel“ genannt, da die laterithaltigen Böden eine prägnante rote Färbung aufweisen. Laterit weist hohe Anteile von Eisen und Aluminium auf. Ende 2008 übertrug die Regierung Ravalomanana dem südkoreanischen Autokonzern Daewoo 1,3 Millionen Hektar Land – rund die Hälfte der fruchtbaren Fläche der Insel.[13] Experten beurteilten Ravalomananas Politik in der Retrospektive als „neoliberalen Fehlschlag“.[14]
Ein profranzösischer Putsch
Nach Madagaskars Abkehr von Paris ernannte die französische Regierung im Jahr 2008 Gildas Le Lidec zum neuen Botschafter in Antananarivo. Le Lidec war als Vertreter Frankreichs genau zu der Zeit in der Demokratischen Republik Kongo (2000) und in Côte d’Ivoire (2002 bis 2005) tätig gewesen, als dort jeweils Präsidenten, deren Amtsführung in Paris missbilligt wurde, von profranzösischen Kräften in Bedrängnis gebracht wurden. Madagassische Journalisten schrieben nach seinem Amtsantritt in Antananarivo: „Er ist hier, um den Präsidenten zu erschießen“. Botschafter Le Lidec musste das Land nach nur fünf Monaten als „persona non grata“ verlassen.[15] In der folgenden politischen Krise stellte sich der neue französische Botschafter offen auf die Seite des Oppositionspolitikers Andry Rajoelina.[16] Das madagassische Militär, beraten von französischen Offizieren, putschte und setzte Rajoelina als Übergangspräsidenten ein. Berlin reagierte sofort und zog deutsche Berater aus mehreren madagassischen Ministerien ab. Finanzhilfen aus der Bundesrepublik wurden bis auf kommunale Umweltprojekte eingestellt.[17] In seinem ersten Amtsjahr ernannte Rajoelina vier Offiziere zu Ministern, zwei davon noch im aktiven Dienst.[18]
Unter DruckPutschpräsident Rajoelina regierte zwar von Frankreichs Gnaden, sah sich jedoch mit großem internationalen Druck konfrontiert. Das neue Staatsoberhaupt „hört auch auf Deutschland“, hieß es in einer internen Einschätzung der US-Botschaft in der madagassischen Hauptstadt.[19] Berlin forcierte seinen Druck jedoch weiter, woraufhin sich Rajoelina immer offener an Paris orientierte; im Jahr 2011 empfing der französische Staatschef Nicolas Sarkozy ihn offen als „seinen Freund“. Beide Staatsoberhäupter unterzeichneten millionenschwere Unterstützungsabkommen.[20] Ein Jahr später schloss Air Madagascar einen langfristigen Vertrag mit Air France.[21] Madagaskar war wieder in der Frankophonie angekommen.
Rückkehr zur neoliberalen „Staatengemeinschaft“
Die Präsidentschaftswahl des Jahres 2013 konnte Ex-Finanzminister Hery Rajaonarimampianina gewinnen. Vertreter von IWF und Weltbank begrüßten den Machtwechsel in Antananarivo als „Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit“.[22] Im März 2014 entsandte der IWF wieder Vertreter nach Madagaskar, um „Empfehlungen“ für die Regierung zu formulieren.[23] Im Jahr darauf vergab er zum ersten Mal seit dem Putsch wieder Gelder an das Land.[24] Marc Ravalomanana und seine Ehefrau Lalao Ravalomanana kehrten aus dem Exil wieder zurück; Lalao wurde 2015 Bürgermeisterin der madagassischen Hauptstadt Antananarivo.
Eine Macht unter vielen
Auch wenn Marc Ravalomanana am Mittwoch die Wahlen gewinnen sollte, wäre mit einer herausragenden Rolle Berlins in Antananarivo wohl nicht mehr zu rechnen: Deutschland ist heute in Madagaskar eine Macht unter vielen. Größeren Einfluss misst die Außenstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung den Botschaftern vor allem Frankreichs, aber auch Großbritanniens, der USA und Südafrikas bei.[25] Der vor Jahren gestartete Versuch Berlins, Paris auf der „roten Insel“ auszustechen, ist gescheitert.
[1] Marcus Schneider: Madagaskar im Wahljahr 2018 – Konsolidierung oder Ausbruch einer erneuten Krise? Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Mai 2018.
[2] Rapport de la Banque mondiale – Madagascar, le pays le plus pauvre du monde. newsmada.com 22.03.2017.
[3] Catherine Corson: Territorialization, Enclosure and Neoliberalism – Non-State Influence in Struggles over Madagascar’s Forests, in: Journal of Peasant Studies, Jg. 38 (2011), Nr. 4, S. 703-726 (hier: S. 710).
[4] Thomas Deltombe: Die Mafia von Madagaskar, in: Le Monde Diplomatique, 9. März 2012.
[5] Jerome Bachelard: Governance Reform in Africa: International and Domestic Pressures and Counter-Pressures, London 2013, S. 110.
[6] Adrien M. Ratsimbaharison: The Political Crisis of March 2009 in Madagascar: A Case Study of Conflict and Conflict Mediation, Lanham (MD) 2017, S. 40.
[7] S. dazu In direkter Konkurrenz.
[8] Tobias Schwab: Daewoo kauft Madagaskar auf. In: Frankfurter Rundschau 04.02.2009.
[9] S. dazu In direkter Konkurrenz.
[10] S. dazu In direkter Konkurrenz und Die Schatzinsel.
[11] Jens Wiegmann: Deutsche Experten für Madagaskar. Die Welt 10.04.2008.
[12] Wikileaks-Depesche 09ANTANANARIVO261_a, Antananarivo 8. April 2009.
[13] Tobias Schwab: Daewoo kauft Madagaskar auf. Frankfurter Rundschau 04.02.2009.
[14] Stephen Muecke: Action in Madagascar: The World Bank, Ravalomanana and Leadership, in: Inter-Asia Cultural Studies, Jg. 11 (2010), Nr. 2, S. 248-254 (hier: S. 253).
[15] David Noack: Neokolonialer Zank beendet, in: Neue Rheinische Zeitung, 01.04.2009.
[16] Ratsimbaharison: The Political Crisis of March 2009 in Madagascar, S. 64.
[17] Wikileaks-Depesche 09ANTANANARIVO258_a, Antananarivo 7. April 2009.
[18] Wikileaks-Depesche 10ANTANANARIVO112_a Antananarivo 25. Februar 2010.
[19] Wikileaks-Depesche 10MAPUTO75_a, Maputo 22. Januar 2010.
[20] Tor Sellström: Africa in the Indian Ocean: Islands in Ebb and Flow, Boston 2015, S. 116.
[21] Air Madagascar: New Airbus Expected, business.mega.mu 9. April 2012.
[22] Sellström: Africa in the Indian Ocean, S. 116.
[23] Madagascar needs wider tax base to spur economic growth: IMF. uk.reuters.com 11.11.2014.
[24] IMF trims Madagascar’s 2015 GDP growth forecast to 3.2 percent. uk.reuters.com 23.09.2015.
[25] Marcus Schneider: Madagaskar im Wahljahr 2018 – Konsolidierung oder Ausbruch einer erneuten Krise? Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Mai 2018.
Erschienen am 17.12. auf german-foreign-policy.com.