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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Einflusskämpfe im Westpazifik (II)

Die Bundesregierung bemüht sich um den Ausbau der Beziehungen zu der strategisch rasch an Bedeutung gewinnenden Inselregion des Südwestpazifik. Hintergrund ist die zunehmende Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China, in der Washington die Region als „Tor in den Indo-Pazifik“ begreift. Aktuell beteiligt sich die Bundeswehr an einem US-geführten Manöver im Pazifik. Allgemein ist der deutsche Einfluss im Südwestpazifik begrenzt – wenngleich etwa rund fünf Prozent der Bevölkerung Kiribatis als Seeleute für deutsche Reedereien arbeiten und Truppen aus Tonga mehrere Jahre lang an der Seite deutscher Militärs in Afghanistan Dienst taten. In der Rivalität mit China profitieren die westlichen Mächte davon, dass einige von ihnen bis heute Kolonien im Südwestpazifik unterhalten. Deutschland hatte dort bis zum Ersten Weltkrieg ebenfalls Kolonien. Ganz wie auf dem afrikanischen Kontinent provozierten die deutschen Kolonialherren mit ihrer Brutalität Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden. Entschädigungen hat Berlin nie gezahlt.

Exportüberschüsse und Schiffspersonal
Ökonomisch spielen die Staaten der Pazifikregion für die Bundesrepublik lediglich eine untergeordnete Rolle. Dennoch erzielt der langjährige „Exportweltmeister“ Deutschland im Handel mit der Region einen deutlichen Exportüberschuss. Die deutschen Ausfuhren übertreffen bei fast allen Pazifikstaaten die Importe bei Weitem; nach Tonga etwa exportierte die BRD im Jahr 2014 Produkte im Wert von 459.000 Euro, importierte aber tongaische Waren im Wert von lediglich 10.000 Euro.[1] Ein wichtiges Rekrutierungsgebiet sind die Pazifiknationen allerdings für deutsche Reedereien. In Kiribati gründeten deutsche Reeder bereits im Jahr 1967 eine Berufsschule für Seemänner. Sechs deutsche Reedereien bezahlen bis heute den Schulleiter sowie weitere Ausbilder und bieten den Seeleuten nach ihrer Ausbildung Jobs im Niedriglohnsektor an.[2] Mehr als 5.000 Kiribatier, rund fünf Prozent der Bevölkerung, arbeiten derzeit als Seeleute für deutsche Reedereien.[3] Auch in der tuvaluischen Hauptstadt Funafuti unterhalten Schifffahrtsgesellschaften aus der Bundesrepublik ein Rekrutierungsbüro.[4] Darüber hinaus versucht das offizielle Berlin, mit Entwicklungshilfe Einfluss auf die Pazifikregion zu nehmen: Seit 1977 betätigt sich die bundeseigene Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ, damals noch GTZ) dort; seit dem vergangenen Jahr unterhält sie sogar ein eigenes Büro auf den Marshallinseln, einer früheren deutschen Kolonie.[5] Die Bundesrepublik weitet ihre Aktivitäten systematisch aus.

Verlässlicher Verbündeter
Hintergrund sind dabei die zunehmenden geostrategischen Machtkämpfe um die Kontrolle über den südwestlichen Pazifik, der für die Vereinigten Staaten als „Tor in den Indo-Pazifik“ gilt und wegen der Rivalität mit China an Bedeutung gewinnt; aktuell beteiligt sich die Bundeswehr an einem US-geführten Manöver im Pazifik (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Dabei spielt das – hierzulande kaum bekannte – Königreich Tonga seit Jahren eine wichtige Rolle. Offizielle Beziehungen zu Deutschland bestehen bereits seit dem Jahr 1876. Der Inselstaat ist dabei ein langjähriger enger Partner des Westens. Das Land wird christlich-fundamentalistisch von einer Königsfamilie an der Spitze eines aristokratischen Systems regiert.[7] Lange Zeit unterhielt Tonga enge Beziehungen mit dem antikommunistisch regierten und deswegen eng mit dem Westen verbandelten Taiwan.[8] Als einer der ersten Staaten der Region trat Tonga im Jahr 2007 der Welthandelsorganisation (WTO) bei; Verhandlungen darüber hatte es bereits seit 1994 gegeben. Das ist bemerkenswert, da das Pazifikgebiet die Region mit der weltweit niedrigsten Rate an WTO-Mitgliedern ist. Nicht nur politisch und wirtschaftlich steht Tonga eng an der Seite der westlichen Mächte: Als einer der wenigen Staaten der Region unterhält es eigene Streitkräfte. Von 2011 bis 2014 nahmen tongaische Truppen an der Seite deutscher Soldaten an der ISAF-Mission der NATO in Afghanistan teil.

Kolonien bis in die Gegenwart
In den geostrategischen Machtkämpfen profitieren die westlichen Mächte davon, dass Ozeanien der Kontinent ist, auf dem bis heute die meisten Menschen in Kolonien leben. Abgesehen davon, dass sechs Gebiete der Region mit rund 740.000 Einwohnern von den Vereinten Nationen auf ihrer Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung (Non-Self-Governing Territories, NSGT) geführt werden, unterhalten nicht nur die USA (mit Guam und Amerikanisch-Samoa) und Neuseeland (mit Tokelau) weiterhin Kolonien im südwestlichen Pazifik. Mit Frankreich und Großbritannien sind dort noch zwei weitere westliche Staaten als Kolonialmächte präsent. Wirtschaftlich, politisch und der Bevölkerung nach am bedeutendsten sind dabei die französischen Kolonien Neukaledonien, Französisch-Polynesien sowie Wallis und Futuna. Mit dem CFP-Franc haben sie eine Währung, die an den Euro gebunden ist. Ökonomisch relevant ist ebenso die britische Kleinkolonie Pitcairn. Die Insel hat zwar lediglich 50 Einwohner, doch ist die ausschließliche Wirtschaftszone (Exclusive Economic Zone, EEZ) um das Archipel in etwa so groß wie die international allgemein anerkannte EEZ der Volksrepublik China.[9] Bei der Ausbeutung von Rohstoffen vom Meeresboden kann dieser Umstand eine große Bedeutung haben.

Deutsches Kolonialerbe
Deutschland hat im südwestlichen Pazifik eine weithin vergessene Kolonialvergangenheit. Von 1884 bis zum Beginn des von Berlin vom Zaun gebrochenen Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 waren der Nordteil des heutigen Papua-Neuguinea sowie die Gebiete der heutigen Marshallinseln, Mikronesiens, Naurus, Palaus und Samoas deutsche Kolonien. Trotz ihres schwachen politischen, ökonomischen und militärischen Einflusses in diesen Staaten bemüht sich die Bundesrepublik um enge Kulturbeziehungen – unter anderem wegen der deutschen Kolonialvergangenheit, die bis in die Gegenwart nur bruchstückhaft aufgearbeitet ist. In diesem Zusammenhang wird sogar christliche Mission noch gefördert: Auf der Insel Chuuk, im mittleren Westen der Föderierten Staaten von Mikronesien, betätigt sich bis heute die evangelikale „Bad Liebenzeller Mission“. Sowohl deren Einrichtungen als auch der dortige deutsche Friedhof werden mit Bundesmitteln unterstützt.[10]

Der Pazifikhandel des Kaiserreichs
Die deutsche Kolonialpolitik konnte sich darauf stützen, dass deutsche, vor allem Bremer und Hamburger, Handelsfirmen den Handel im Pazifik ab den 1860er Jahren dominierten. Konzerne wie Hernsheim & Co. und Joh. Ces. Godeffroy & Sohn kontrollierten damals schätzungsweise 70 Prozent des gesamten Pazifikhandels.[11] Ein Jahrzehnt später machten deutsche Händler bereits rund 80 Prozent des Handels von Samoa, Tonga und einigen anderen Inselgruppen der so genannten „Südsee“ unter sich aus.[12] 1882 gründeten deutsche Banken und Handelsfirmen die „Neuguinea-Kompagnie“, die zum Ziel hatte, nach dem Vorbild der British East India Company Gebiete im südwestlichen Pazifik zu erkunden und zu kolonisieren. Im Verlauf des Jahrzehnts nahmen deutsche Truppen Teile des heutigen nördlichen Papua-Neuguineas (unter anderem das so bezeichnete Kaiser-Wilhelmsland und das Bismarck-Archipel) sowie Teile der nördlichen Salomoneninseln, die Insel Nauru und die Inselgruppe der Marshall-Inseln in Besitz. Im sogenannten „Karolinenstreit“ im Jahr 1885 konnte die Regierung in Berlin Zollfreiheit und das Recht auf eine Kohlestation für die spanischen Karolineninseln (heute: Mikronesien) erstreiten. Ab 1889 herrschten deutsche Kolonialadministratoren gemeinsam mit Briten und US-Amerikanern über das Tridominium Samoa, bis Berlin 1899 den westlichen Teil Samoas annektierte.[13] Darüber hinaus kaufte Deutschland im selben Jahr Spanien das Inselreich der Marianen, Palau und Mikronesiens ab.

Widerstand gegen die Kolonialmacht
Dabei brachten die deutschen Kolonisatoren – ganz wie in ihren afrikanischen Kolonien [14] – die kolonisierte Bevölkerung immer wieder gegen sich auf. So wurden etwa Bewohner der Kolonien, die ihre Steuern in Form von Zwangsarbeit bei den deutschen Kolonialbehörden ableisteten, von Deutschen misshandelt. Als sich im Jahr 1910 Arbeiter von der Ethnie der Sokeh auf der Insel Pohnpei mit Gewalt gegen derlei Misshandlungen wehrten, entsandte der Gouverneur von Deutsch-Neuguinea vier Kriegsschiffe mit mehreren hundert Soldaten und Gendarmen. Diese gingen bei der Bekämpfung des Widerstands auf der Insel zu einer Strategie der verbrannten Erde über.[15] Der Anführer des Aufstands der Sokeh wurde nach seiner Ergreifung erschossen; ein Großteil seiner Anhänger wurde in das 3.000 Kilometer weiter westlich gelegene Palau verbannt. Durch Enteignung und Deportation verarmt, starb rund ein Sechstel der Sokeh im Exil.[16] Entschädigungen hat die Bundesrepublik ihren Nachkommen ebensowenig gezahlt wie den Nachkommen afrikanischer Opfer des deutschen Kolonialterrors.[17]

[1] Tonga – Beziehungen zu Deutschland. auswaertiges-amt.de [Stand: Februar 2018].

[2] Christiane Oelrich: Matrosen aus der Südsee für Hamburger Reeder. welt.de 15.10.2012.

[3] Kiribati – Beziehungen zu Deutschland. auswaertiges-amt.de [Stand: März 2018].

[4] Tuvalu – Beziehungen zu Deutschland. auswaertiges-amt.de [Stand: März 2018].

[5] Ozeanien. giz.de [ohne Datum]. Marshallinseln – Beziehungen zu Deutschland. auswaertiges-amt.de [Stand: Mai 2018].

[6] S. dazu Einflusskämpfe im Westpazifik.

[7] Bertil Lintner: The South Pacific – China’s New Frontier, in: Anne-Marie Brady (Hg.): Looking North, looking South – China, Taiwan, and the South Pacific, Singapore [u.a.] 2010, S. 3-34 (hier: S. 22).

[8] Ebenda, S. 23.

[9] Peter Nolan: Imperial Archipelagos – China, Western Colonialism and the Law of the Sea, in: New Left Review, Jg. 53 (2013), Nr. 80, S. 77-95 (hier: S. 82/83).

[10] Mikronesien – Beziehungen zu Deutschland. auswaertiges-amt.de [Stand: Februar 2017].

[11] P. M. Kennedy: Bismarck’s Imperialism – The Case of Samoa, 1880-1890, in: The Historical Journal, Jg. 15 (1972), Nr. 2, S. 261-283 (hier: S. 264).

[12] Francis X. Hezel: The first Taint of Civilization – A History of the Caroline and Marshall Islands in pre-colonial Days, 1521-1885, Honolulu 1983, S. 299.

[13] Holger Droessler: Colonialism by Deferral – Samoa Under the Tridominium, 1889-1899, in: Søren Rud/Søren Ivarsson (Hgg.) Rethinking the Colonial State, Bingley 2017, S. 203-224.

[14] S. dazu Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (I) und Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (II).

15] Holger Droessler: Germany’s El Dorado in the Pacific – Metropolitan representations and colonial realities, 1884-1914, in: Andrekos Varnava (Hg.): Imperial Expectations and Realities – El Dorados, Utopias and Dystopias, Manchester 2015, S. 105-124 (hier: S. 118).

[16] Thomas Morlang: Rebellion in der Su?dsee – Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/11, Berlin 2010, S. 134-142.

[17] S. dazu Meilensteine deutscher Erinnerung und Der Genozid, der nichts kostet.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 05.07.2018.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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  1. Einflussarbeit in der Ex-Kolonie | David X. Noack:

    […] Amid Great Power Rivalry? The Case of Papua New Guinea. thediplomat.com 08.11.2018. [4] S. dazu Einflusskämpfe im Westpazifik (II). [5] Wirtschaftsdaten kompakt – Papua-Neuguinea. gtai.de 12.12.2019. [6] Stewart Firth: […]

    --27. April 2021 @ 15:11

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