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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Sehnsucht nach Normalität

Drei Jahre nach dem Anschluss an Russland bleibt die Lage auf der Krim schwierig

Drei Jahre nach dem Anschluss der Krim an Russland ist die Halbinsel von einer Normalisierung der Bedingungen noch weit entfernt. Die von Steppen geprägte Exklave leidet unter einem deutlich gesunkenen Grundwasserspiegel, nachdem die ukrainische Regierung 2015 den Süßwasserzufluss aus dem Dnjepr über den Nord-Krim-Kanal durch einen Damm abschneiden ließ. Die Lage der Landwirtschaft ist seither prekär, der Tourismus bekommt immer größere Bedeutung. Die meist russischen Besucher fliegen dafür über den Flughafen Simferopol ein oder überqueren die Wasserstraße von Kertsch mit der Fähre.

Eine dringend benötigte Land­brücke zwischen der Krim und dem russischen Festland existiert noch nicht, die Bauarbeiten sollen aber im kommenden Jahr abgeschlossen werden. Über die Brücke sollen dann nicht nur eine Straße und eine Eisenbahnstrecke verlaufen, sondern auch eine Pipeline, welche die vormals ukrainische Halbinsel mit Süßwasser aus dem Kuban-Gebiet versorgen soll.

Innenpolitisch bleibt die Lage kompliziert. Mit diversen Avancen, aber auch mit Repression versucht die russische Regierung, die Minderheit der Krimtataren in den eigenen Staat einzugliedern. So wurden seit dem »Krim-Frühling« 2014, wie der Anschluss russischerseits genannt wird, viele Moscheen eröffnet — obwohl die Tataren eigentlich mehrheitlich säkular geprägt sind. Mit Tatarstan, der wirtschaftsstärksten Republik der Russischen Föderation, hat die Krim eine besondere Kooperation gestartet. Außerdem wurde im Gegensatz zu der Zeit unter ukrainischer Herrschaft das Tatarische eine von drei Amtssprachen der Krim-Republik. Die sozialen Perspektiven für die Minderheit bleiben jedoch beschränkt. Die Behörden haben lediglich spezielle Kosakenverbände für Krimtataren eingerichtet, in denen diese als Hilfspolizisten dienen können. Ein weiterer Grund, der zur wirtschaftlichen Misere der Minderheit beiträgt: Die Krimtataren siedeln hauptsächlich im landwirtschaftlich dominierten Norden und sind somit besonders von der Austrocknungsstrategie Kiews betroffen.

Eine internationale Anerkennung der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation bleibt weiter aus. Moskau hat deshalb eine Normalisierungspolitik initiiert und versucht, viele Kultur- und Sportveranstaltungen auf der Krim zu organisieren. So sorgte vor wenigen Wochen ein Auftritt der deutschen Technoband »Scooter« auf der Krim für Aufsehen in Deutschland und der Ukraine. Aufregung gab es in der vergangenen Woche auch um den Besuch ausländischer Teilnehmer der in Sotschi stattfindenden 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten.

Die wirtschaftlichen Einschnitte durch die Sanktionen halten sich dagegen bislang in Grenzen. Zwar zogen sich US-Konzerne wie McDonald’s und Starbucks zurück, und auch Visa-Kreditkarten funktionieren nicht mehr. Wirtschaftlich viel wichtiger dürfte aber sein, dass sowohl ostasiatische als auch deutsche Großkonzerne weiterhin Geschäfte treiben. So hat der Handelsriese Metro seine Filialen nicht geschlossen, Volkswagen wirbt großflächig für neue Autos und jüngst lieferte Siemens sogar Gasturbinen nach Russland, die angeblich ohne Wissen der Bundesregierung und der Konzernleitung auf der Krim landeten.

Zufrieden zeigt sich die Studentin Anna, die im Frühjahr 2014 vor der russenfeindlichen Stimmung aus Kiew in ihre Heimat Sewastopol geflohen ist. »Die studentische Selbstverwaltung ist in Russland viel weiter ausgebaut«, berichtet sie im Gespräch mit junge Welt. So hätten die Studierenden viel mehr kulturelle Freiräume, und ein größeres Budget liege in der Verantwortung der Studierendenparlamente. Doch in Sewastopol bleibt das Lernen an der Hochschule ein Privileg weniger. Die Studiengebühren am lokalen Ableger der Moskauer Staatlichen Universität haben sich in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. Ausgenommen sind nur die nach Abiturnoten besten zehn Prozent der Kommilitonen.

Erschienen in: junge Welt, 24.10.2017.

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