Partner mit Annexionswünschen
Mit massivem Druck sucht Berlin die politische Krise in Albanien, einem traditionellen Verbündeten deutscher Südosteuropapolitik, beizulegen. In Tirana ist auf der Basis von Vorschlägen eines CDU-Europaabgeordneten eine Übergangsregierung gebildet worden; Neuwahlen sollen folgen. Die Übergangsregierung wird von Premierminister Edi Rama geführt, einem engen Weggefährten Berlins mit guten Kontakten zur Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD). Albanien, das prowestlichste Land Südosteuropas, arbeitet seit langem systematisch mit der Bundesrepublik zusammen, die vor allem den großalbanischen Irredentismus nutzt, um Druck auf missliebige Regierungen der Region auszuüben. Tirana half etwa bei der Unterstützung kosovoalbanischer Separatisten im Kosovo-Krieg des Jahres 1999 und droht aktuell, bei Bedarf die südserbische Provinz Kosovo zu annektieren. Während deutsche Unternehmen in gewissem Maße gute Geschäfte in Albanien machen, verarmt die Bevölkerung; gelegentlich kommt es zu Unruhen.
Deutsche Handschrift
Nach einer mehrere Monate währenden politischen Krise haben sich die politischen Parteien Albaniens im vergangenen Monat auf eine Übergangsregierung geeinigt. Diese kam, wie berichtet wird, auf „Druck der EU und der USA“ zustande; die beiden Mächte hätten auch bei den Verhandlungen „bis zuletzt Regie geführt“. Die Lösung trage, heißt es, ganz klar „die Handschrift aus Brüssel“.[1] Tatsächlich basiert sie auf Vorschlägen des CDU-Politikers David McAllister.[2] Der frühere niedersächsische Ministerpräsident ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten sowie stellvertretendes Mitglied im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung.
Alte Verbindungen
Der bundesdeutsche Einfluss auf das heutige Albanien gründet in Entwicklungen der 1980er Jahre. Ab 1984 unternahm der damalige bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß mehrere Reisen in das Land. Sie führten zu einer ersten wirtschaftlichen Öffnung und ermöglichten es Mercedes-Benz und dem Versandhaus Quelle, mehrere staatliche Aufträge zu akquirieren.[3] 1986 nahmen die BRD und Albanien diplomatische Beziehungen auf. Ab 1990 unterhielten die Geheimdienste beider Länder engste Beziehungen zueinander. Die Bundesrepublik lieferte Albanien im Rahmen der Geheimdienstkooperation militärische Güter im Wert von zwei Millionen DM. Ein Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) erklärte Ende der 1990er Jahre im deutschen Fernsehen, die Operation sei „von ganz oben“ erwünscht gewesen – ein Hinweis auf das deutsch-albanische Bündnis im Kosovo-Krieg.[4]
Verbündeter gegen Russland
Heute ist Albanien laut einer Studie der einflussreichen Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ das prowestlichste und am stärksten auf die EU orientierte Land Südosteuropas. Seit zwei Jahrzehnten agiert es als militärischer Verbündeter Deutschlands: Albanische Truppen nahmen und nehmen unter anderem an den EU- und NATO-Missionen in Afghanistan (ISAF), Bosnien-Herzegowina (EUFOR Althea), der serbischen Provinz Kosovo (KFOR) und dem Mittelmeer (Operation Active Endeavour) teil. Am 1. April 2009 trat Albanien gemeinsam mit Kroatien der NATO bei. Hinzu kommt inzwischen auch eine Zusammenarbeit im Polizeisektor: Im Rahmen der Geflüchtetenabwehr entsandte die Bundespolizei vor geraumer Zeit Polizeibeamte nach Albanien.[5] Der russische Einfluss in Tirana ist hingegen – im Unterschied zu anderen Ländern der Region – beschränkt.[6] Als NATO-Staat trägt Albanien die Sanktionen des westlichen Militärbündnisses gegen Russland mit, ebenso die EU-Sanktionen.[7] Das hindert Tirana allerdings nicht daran, mit Blick auf seine Nachbarstaaten stärkere EU-Aktivitäten in Südosteuropa zu fordern: Im Februar 2017 erklärte der albanische Ministerpräsident, der gesamte Balkan drohe derzeit unter russischen Einfluss zu fallen; er appellierte an den Westen, Südosteuropa nicht im Stich zu lassen.[8]
Irredentismus
Tatsächlich besitzt Albanien, obwohl es hierzulande kaum öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, für die deutsche Südosteuropapolitik einige Bedeutung. Seit über 20 Jahren setzen die verschiedenen Bundesregierungen auf eine enge Allianz mit dem Land, insbesondere mit dem großalbanischen Irredentismus – um letzteren gegen Regierungen einzusetzen, die den Berliner Expansionsplänen im Wege standen und stehen. Den bisherigen Höhepunkt fand diese Allianz zwischen deutschem Großmachtstreben und großalbanischem Nationalismus im völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg des Jahres 1999, als kosovoalbanische Terroristen der UÇK der Bundesluftwaffe, die im NATO-Rahmen ohne UN-Mandat die Bundesrepublik Jugoslawien bombardierte, als Bodentruppe dienten. Die deutsche Unterstützung für die UÇK wurde nicht selten über Albanien abgewickelt. Zuletzt sorgte in diesem Frühjahr die Ankündigung von Premierminister Edi Rama für internationale Spannungen, dass – sollten die Länder des Westbalkans nicht in die Europäische Union aufgenommen werden – eine Vereinigung der serbischen Separatistenrepublik Kosovo mit Albanien nicht mehr ausgeschlossen sei. Die Regierungen Serbiens und Russlands verurteilten die Äußerungen. Der serbische Arbeitsminister warnte öffentlich, ein solcher Schritt könne zu einem neuen Krieg auf dem Balkan führen.[9]
Drohkulisse
Die derzeitige albanische Regierung mischt sich mit ihren Forderungen, die erhebliche Angst vor großalbanischem Irredentismus wecken, auch in die politische Krise im benachbarten Mazedonien ein (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Im Januar 2017 unterzeichneten die Parteienführer der albanischsprachigen Minderheitenparteien Mazedoniens gemeinsam mit dem albanischen Premierminister Edi Rama eine Erklärung über eine gemeinsame Plattform. Darin stellten sie einen Katalog von Bedingungen auf, die die großen mazedonischen Parteien erfüllen müssten, bevor die Minderheitenparteien in eine Regierung einträten; sie verlangten weit reichende völkische Sonderrechte für albanischsprachige Bürger des Landes, darunter das Recht, Gerichtsverfahren gegen albanischsprachige Mazedonier unter Hinzuziehung ausländischer Beobachter durchzuführen. Die Plattformteilnehmer hatten die Forderungen auch mit Hashim Thaçi, dem Präsidenten der Separatistenrepublik Kosovo, abgesprochen [11] – eine drastische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Mazedoniens.
Wichtige Infrastruktur
Kann Berlin die Kooperation mit Tirana nutzen, um in Südosteuropa politischen Druck aufzubauen, so expandieren in gewissem Maße auch deutsche Unternehmen in Albanien. Firmen aus der Bundesrepublik konnten im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends die Mehrheit an verschiedenen zentralen Infrastrukturunternehmen in dem Land erwerben. So kaufte die Hochtief AirPort GmbH (HTA, heute Avialliance) im Jahr 2005 ein Drittel des internationalen Flughafens von Tirana.[12] Drei Jahre später erwarb die Deutsche Telekom die Mehrheit an dem einst staatlichen Telekommunikationskonzern Albanian Mobile Communications (AMC). Seit zwei Jahren firmiert die albanische Tochterfirma unter dem Namen Telekom Albania.[13] 2009 wiederum erwarb die WAZ-Gruppe die Mehrheit am privaten Fernsehsender Vizion Plus, verkaufte den Sender aber 2012 wieder.[14] Auch die Lindner-Gruppe, Rossmann und Praktiker stiegen in den vergangenen Jahren in den albanischen Markt ein.[15]
Ein „europäisches Kolumbien“
Die wirtschaftsliberale Politik, die den Einstieg deutscher Konzerne begünstigt, und die Deindustrialisierung des Landes, die die Abnahme deutscher Produkte fördert, führen dazu, dass große Teile der Bevölkerung keine ökonomische Perspektive mehr haben. Insgesamt leben heute über 900.000 Albaner im Ausland – bei einer Bevölkerung von lediglich 2,8 Millionen. Die wirtschaftliche Not treibt viele Menschen in den Anbau von Cannabis, was dazu führte, dass im Jahr 2014 in der Gegend um die südalbanische Ortschaft Lazarat 900 Tonnen Rauschgift mit einem geschätzten Marktwert von 4,5 Milliarden Euro geerntet worden sein sollen. Nur wenige Tage bevor Albanien den Status des offiziellen EU-Beitrittskandidaten erhielt, startete die albanische Polizei einen Großeinsatz gegen das Dorf. Als sie auf Widerstand traf – Dorfbewohner setzten unter anderem Maschinenpistolen und Raketenwerfer ein -, wurden die Einheiten verstärkt; erst nach zwei Tagen Scharmützeln konnten die Sicherheitskräfte den Ort mit Panzerwagen einnehmen.[16] Ein wirtschaftlicher Aufschwung hingegen, der der Rauschgiftökonomie den Boden entziehen könnte, bleibt bis heute aus.
[1] Ausweg gefunden: Politische Blockade in Albanien. DRadio: Europa heute, 19.05.2017.
[2] Andrea Beer: Albanien – Die fast 3-monatige politische Blockade ist zu Ende. ard-wien.de 20.05.2017.
[3] Marion Kraske: Stippvisite im Skipetarenreich. Der Spiegel 15/2004.
[4] Monitor, ARD-Sendung vom 23. September 1998.
[5] Frank Borchert/Torsten Tiedemann/Christian Köglmeier/Sascha Roth/Ronny von Bresinski/Achim Berkenkötter/Frank Riedel/Kurt Lachnit/Christian Altenhofen/Marcus Bindermann: An der Grenze, in: Bundespolizei kompakt – Zeitschrift der Bundespolizei 6/2015.
[6] Francisco de Borja Lasheras/Vessela Tcherneva/Fredrik Wesslau: Return to Instability: How Migration and Great Power Politics threaten the Western Balkans, Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), London, März 2016, S. 5.
[7] Declaration by the High Representative on behalf of the European Union on the alignment of certain third countries with the Council Decision 2014/145/CFSPconcerning restrictive measures in respect of actions undermining or threatening the territorial integrity, sovereignty and independence of Ukraine, consilium.europa.eu 11.04.2014.
[8] Thomas Harding: Don’t abandon us to the Russians, pleads Albanian leader, fearing US will walk away. telegraph.co.uk 24.02.2017.
[9] Serbia, Russia Condemn Suggestions Of Albania-Kosovo Merger. rferl.org 21.04.2017.
[10] S. dazu Einflussverlust in Südosteuropa.
[11] Fatjona Mejdini: Albania, Kosovo Deny Stirring Crisis in Macedonia. balkaninsight.com 07.03.2017.
[12] Mittlerweile wurden die deutschen Anteile wieder verkauft. Chinese consortium fully acquires Albania’s sole international airport. tiranatimes.com 07.10.2016.
[13] „T“ jetzt auch in Albanien. telekom.com 22.07.2015.
[14] Besar Likmeta: WAZ Sells Stake in Albania’s Vizion Plus. balkaninsight.com 23.08.2012.
[15] Franc Musolli: Marktstudie Albaniens und Bedingungen für ausländische Investitionen: Kleines Land mit großen Investitionschancen, Hamburg 2012, S. 45.
[16] Europas führender Cannabis-Produzent. mdr.de 11.04.2017.
german-foreign-policy.com, 01.06.2017.