Beziehungen zwischen Polen und Slowaken zur Zeit der Zweiten Polnischen Republik (1919–1939)
Hochs und Tiefs prägten die polnisch-slowakischen Beziehungen in den 20 Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Die vormals ungarische Slowakei entstand nach dem Großen Krieg 1918–1920 als eine Provinz der neugegründeten Tschechoslowakei und nicht als eigenständiger Staat. Während die Zentralregierungen Prags und Warschaus ständig über Kreuz lagen, kultivierten viele polnische und autonomistisch-slowakische Politiker die Beziehungen zwischen den beiden slawischen sowie katholischen Völkern.
Die polnisch-tschechoslowakischen Beziehungen begannen bereits mit dem Ende des Ersten Weltkriegs äußerst schwierig. Im Zentrum der ersten zwischenstaatlichen Krise stand Andrej Hlinka, ein katholischer Priester und Gründer der Slowakischen Volkspartei (S?S). Da die Regierung der unabhängigen Tschechoslowakei in Prag Vater Hlinka die Reise zu den Friedensverhandlungen nach Paris verwehrte, sprang ihm das wiedererrichtete Polen zur Hilfe bei. Eine klare Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Tschechoslowakei. Im Mai 1919 hatte Hlinka Vertretern des nördlichen Nachbarn signalisiert, dass er sich eine polnisch-slowakische Zusammenarbeit wünsche. Nachdem der katholische Priester mit einer Hand voll Weggefährten bei Cieszyn (Teschen) die polnische Grenze überquert hatte, fuhr diese inoffizielle slowakische Delegation in die polnische Hauptstadt. Nach einem Treffen der Slowaken mit dem polnischen Staatsoberhaupt Józef Pi?sudski in Warschau – ein Zeichen der Bedeutung der polnisch-slowakischen Beziehungen – reisten die S?S-Politiker mit gefälschten polnischen Pässen weiter nach Paris. Pi?sudski unterstützte das Anliegen Hlinkas, da Warschau sich mit Prag unter anderem über die Gebiete um Cieszyn stritt und im Polnisch-Sowjetischen Krieg keine Unterstützung aus Prag bekam.
Bei den Friedensverhandlungen in der französischen Hauptstadt traf die slowakische Delegation auf wenig Gegenliebe und scheiterte letztendlich am zu späten Anreisedatum. Unter den polnischen Delegierten befand sich unter anderem Roman Dmowski, der Vater des polnischen Nationalismus, der das Kommen der Slowaken ablehnte. Während die polnische Sozialdemokratie um Pi?sudski ein Großpolen umgeben von vielen kleinen slawischen Staaten bevorzugte, sahen die Nationaldemokraten um Dmowski in Deutschland den größten Feind des polnischen Volkes und favorisierten ein kleines, ethnisch und religiös homogenes Polen – auch auf Kosten polnisch besiedelter Gebiete in der Nordslowakei. Entlang dieser polnisch-innenpolitischen Konfliktlinie entwickelten sich die folgenden Jahrzehnte die polnisch-slowakischen Beziehungen.
Zunächst hatte das Belvedere-Lager um Pi?sudski die Oberhand und setzte auf eine slowakische Separation. So reiste nach der Rückkehr der slowakischen Delegation aus Paris einer ihrer Teilnehmer, František Jehli?ka, nach Warschau und gründete dort eine „Slowakische Nationalregierung“, die später ihren Sitz nach Kraków (Krakau) verlegte. Diese Exilregierung gab eine eigene Zeitung heraus und richtete Appelle an den polnischen Sejm sowie die Interalliierte Kommission in Cieszyn. Die von der polnischen Regierung stark unterstützte Nationalregierung eröffnete sogar ein eigenes Büro im polnischen Teil Cieszyns.
Nach den 1919/1920 misslich begonnenen polnisch-tschechoslowakischen Beziehungen unterstützten hochrangige Politiker beider Seiten im Jahr 1921 eine Annäherung zwischen Prag und Warschau. Als Zeichen dieser sollte ein internationaler Vertrag abgeschlossen werden. Doch dieser scheiterte nach langen Diskussionen im Sejm. Das angedachte Abkommen beider Staaten hatte unter anderem ein polnisches Nichteinmischungsverbot in slowakische Angelegenheiten vorgesehen. Trotz des Scheiterns dieses Abkommens lösten die polnischen Behörden die Jehli?ka-Exilregierung auf. Die Phase der ernsthaften Konfrontation zwischen beiden Zentralregierungen schien damit erst einmal vorüber.
Mit dem Aufstieg der polnischen Nationaldemokraten in den folgenden Jahren folgte ein neuer polnisch-slowakischer Ansatz. Die polnischen Regierungen forcierten im Verlauf der 1920er Jahre die kulturelle Arbeit unter den national bewussten Polen in der Slowakei, beispielsweise in der „Polnischen Zips“ (Polnisch: Polski Spisz). Die Beziehungen der slowakischen Spitzenpolitiker um Vater Hlinka nach Warschau kühlten derweil ab. Polen hatte in einer zwischen Prag und Warschau verhandelten Grenzkorrektur 1920 mehrere slowakische Dörfer erhalten. Darüber hinaus sprach der Völkerbund 1924 dem nördlichen Nachbarn der Slowakei weitere vormals slowakische Gebiete zu. Die polnische territoriale Arrondierung ging zulasten der gerade erst entstandenen Slowakei. Es folgte eine Phase der Abkühlung der polnisch-slowakischen Beziehungen.
In den 1920er Jahren orientierte sich dann die Slowakische Volkspartei, deren Politiker Ludaken genannt wurden, innenpolitisch um. Die zu den tschechoslowakischen Parlamentswahlen 1923 zur stärksten Kraft in der Slowakei aufgestiegene klerikal-konservative Partei näherte sich dem Tschechoslowakismus an und trat 1927 sogar einer Prager Bundesregierung bei. Als Teil dieser bekannten sich die Ludaken zur tschechoslowakischen außenpolitischen Linie, favorisierten jedoch einen Beitritt Polens zur Kleinen Entente. Letzterem antirevisionistischen Bündnis gehörten Jugoslawien, Rumänien und die Tschechoslowakei an. Die S?S-Regierungsbeteiligung endete 1929 spektakulär im Desaster, die Volkspartei trat aus der Koalition aus und verlor bei den Wahlen im selben Jahr mehrere Prozent an Wählerstimmen. Als Konsequenz folgte ein weiterer innen- und außenpolitischer Schwenk der slowakischen Autonomisten.
Hinzu kam die 1929 ausgebrochene Wirtschaftskrise, die die Tschechoslowakei stark traf und die politische Stimmung im Land verschärfte. Die slowakisch-autonomistischen Parteiführer verstärkten ihre Beziehungen nach Warschau und in der Parteipresse erschienen immer mehr Artikel über den nördlichen Nachbarn. Von Vater Hlinka ist aus dieser Zeit überliefert, dass er sagte, Polen sei „ein großer slawisch-katholischer Staat“, welcher die „lateinische Zivilisation vom Kommunismus und dem deutschen Protestantismus verteidigt“ und somit die Existenz und Entwicklung der Slowakei garantiere. In der Parteizeitung der Ludaken beschrieb ein bekannter Autor Kraków als das „slowakische Tor in den Norden“.
Der Aufstieg der NSDAP in Deutschland zeigte vielen polnischen, tschechischen und slowakischen Politikern, dass der deutsche Revanchismus erstarkt war und führte zu Neueinschätzungen diverser politischer Akteure in Mitteleuropa. Bei Pi?sudski, der seit einem Putsch 1927 wieder als Staatsoberhaupt amtierte, setzte sich zu dieser Zeit die Überlegung durch, dass das bis dahin in Mitteleuropa bestehende System kollektiver Sicherheit nicht genügen würde. Auf seinem Geheiß nahmen polnische Politiker verstärkt Kontakt mit den slowakischen Politikern der S?S auf. Die polnisch-slowakischen Beziehungen verbesserten sich.
Als Teil des neuen Warschauer Ansatzes eröffnete im Februar 1934 ein Büro der polnischen Nachrichtenagentur in Bratislava, um vermehrt aus der Slowakei berichten zu können. Die polnische Regierung regte darüber hinaus an, dass sich Polen verstärkt mit slowakischer Politik und Kultur beschäftigen. Der polnische Konsul in Bratislava leitete engere Beziehungen zwischen polnischen und slowakischen Kultur- und Jugendorganisationen sowie Lehrervereinigungen ein. Ein Stipendienprogramm sorgte dafür, dass vermehrt slowakische Studenten an polnischen Universitäten studieren konnten.
Bei den Ludaken erstarkte der polonophile Flügel. Anfang der 1930er Jahre stieg mit Karl Sidor einer der bekanntesten Exponenten dieser Ausrichtung zum Chefredakteur der Volkspartei-Zeitung ‚Slovak‘ auf. Auch Vater Hlinka setzte ab 1934 verstärkt auf die „polnische Karte“ in den Beziehungen zu Prag. Aus Warschau erhielten Politiker der Hlinka-Partei ab diesem Jahr sogar Geld für ihre anti-tschechische und autonomistische Arbeit.
Die folgenden Jahre nahm die „kulturelle Offensive“ Warschaus – so der bis 1935 amtierende tschechoslowakische Präsident Masaryk – in der Slowakei an Fahrt auf und 1936 gründeten polnische Literaten die „Polnische Freundschaftsgesellschaft der Slowaken L‘Štúra“. Diese erhielt verdeckt Gelder des polnischen Außenministeriums. Unter Pi?sudskis Nachfolger Józef Beck begann Polen 1937 eine Kampagne für die slowakische Unabhängigkeit. Mit großem Aufwand reiste Hlinka in diesem Jahr nach Polen. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 versuchten polnische Politiker der Parteispitze der S?S nahezulegen, dass sie die Slowakei für unabhängig erklären sollen. Doch damit lief Warschau ins Leere – die Ludaken strebten zu diesem Zeitpunkt lediglich eine autonome Slowakei an.
Enttäuscht wandte sich die Staatsführung in Warschau von den slowakischen Autonomisten ab und erhob „aus militärstrategischen Gründen“ Anspruch auf nordslowakische Gebiete. Bei den Ludaken wiederum erstarkte der prodeutsche Flügel. Die Stimmung kippte zuungunsten Polens. Im Schatten der Sudetenkrise im September 1938 marschierten polnische Soldaten in das slowakische Gebiet um Jab?onków ein. Nachdem diese eine tschechoslowakische Armeeeinheit bei Jab?onków überwältigt hatten und internieren wollten, baten die ethnischen Slowaken um Freilassung, da die Slowaken doch „Brüder der Polen“ seien. Der polnische Kommandeur stimmte dem zu und entließ sie. Ein letztes Zeichen der polnisch-slowakischen Verbrüderung.
Im Zuge der folgenden zwölf Monate gründeten die Ludaken einen klerikalfaschistischen slowakischen Staat unter deutscher Protektion. Eine polenfreundliche Linie hatte keine Chance mehr in der Slowakei und als im September 1939 die Wehrmacht mit ihrem Feldzug gegen Polen begann, halfen ihr slowakische Truppen. Nach der Niederschlagung der Zweiten Polnischen Republik annektierte die Slowakei die in den 20 Jahren zuvor an Polen „verloren gegangenen“ Gebiete. Die wechselhaften polnisch-slowakischen Beziehungen von 1919 bis 1939 endeten somit mit einem Tiefpunkt.
Erschienen in: Polen und wir/April 2016.