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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Mehr Staat gefragt

Robert Fico regiert seit April wieder die Slowakei. Er stoppt Privatisierungen und macht die Steuerpolitik gerechter. Reform der Krankenversicherung im Mittelpunkt

Für die erste Regierung des slowakischen Sozialdemokraten Robert Fico (2006 bis 2010) hatten Medien und Politik noch wenig schmeichelhafte Vergleiche wie »Kabinett des Grauen« oder »Pjöngjang an der Donau« übrig. Zwei Jahre nach seiner Abwahl ist Fico wieder im Amt. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Parteien Europas (SPE) gewährte ihrer slowakischen Tochter SMER sogar aktive Wahlkampfhilfe und schickte den Vorsitzenden Hannes Swoboda nach Bratislava. 2006 hatte die SPE die SMER wegen der Wahl ihrer Koalitionspartner aus ihren Reihen ausgeschlossen. Swoboda zeigte sich damals »geschockt« über die gemeinsame Regierung der Sozialdemokraten mit der rechten Nationalpartei und drohte als einer der ersten »Konsequenzen« an.

Die neue SMER-Regierung hat sich für die Wahlkampfhilfe revanchiert. Sie versprach, die Brüsseler Sparvorgaben einzuhalten und gleichzeitig nicht der Bevölkerung »in die Taschen zu greifen«. Das Kabinett »Fico 2« sicherte sozusagen »allen alles« zu (siehe jW, 23.3.2012). Um das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts und die Schonung der Bevölkerung unter einen Hut zu bringen, sollten vor allem Unternehmen und Besserverdienende zur Kasse gebeten werden.

Diese Pläne werden nun konkret. Im Zentrum der neuen Politik steht die grundlegende Reform der Krankenversicherung. In der ersten Amtszeit Ficos hatte er bereits private Krankenversicherer gesetzlich verpflichtet, einen Teil ihrer Profite ins Gesundheitssystem zu reinvestieren. Diese Regelung war im Januar 2011 vom slowakischen Verfassungsgericht kassiert worden. Der neue Anlauf der Regierung geht über den ersten hinaus. Fico erklärte, daß eine Krankenversicherung ausreichen müßte. Derzeit teilen sich die staatliche Versicherung sowie die zwei privaten Versorger »Dôvera« (»Vertrauen«) und »Union« den Markt. Ersterer gehört dem tschechisch-slowakischen Hedge-Fonds »Penta Group«. Dessen mutmaßliche Verwicklungen in eine Korruptionsaffäre bescheren den liberalkonservativen Parteien derzeit ein Umfragetief. Die kleinere »Union« gehört dem niederländischen Finanzkonzern »Achmea«.

Einen Aufkauf der privaten Krankenversicherer hatte das erste Fico-Kabinett bereits diskutiert, aufgrund mangelnder Rücklagen jedoch verworfen. Am Geldmangel hat sich bis heute nichts geändert. Nun soll zunächst versucht werden, den Wechsel in die staatliche »Allgemeine Krankenversicherungsanstalt« (VSZP) zu erleichtern. Die VSZP zeichnet sich dadurch aus, daß sie ihre Profite in einem Gesundheitsfonds für ihre Kunden anlegt. Die privaten Unternehmen wiederum führen ihre Profite von momentan gut 41 Millionen Euro an ihre Anleger ab. »Union« erklärte, trotz der Wünsche des Ministerpräsidenten auf dem Markt präsent bleiben zu wollen. Liberale Medien spekulieren derzeit über Versuche der Regierung, Mehrheitsanteile der privaten Versicherer zu kaufen. Doch auch eine Verstaatlichung scheint nicht ausgeschlossen.

Es sind nicht die einzigen Unterschiede zur liberalkonservativen Vorgängerregierung von Iveta Radicová (2010–2012): Bereits zu Beginn des Jahres hatten die Sozialdemokraten die von Radicová begonnenen Privatisierungen gestoppt. Auf die slowakische Bahngesellschaft, diverse Heizkraftwerke sowie die Flughäfen von Bratislava und Košice hatten vor allem deutsche und österreichische Konzerne geschielt. Als nächstes verschärfte das Kabinett Regeln für Leiharbeit sowie das Anheuern von »Scheinselbständigen«. Auch die Rechte von Gewerkschaften sollen wieder ausgebaut werden.

Für europaweite Aufregung sorgte die Ankündigung, die vom liberalkonservativen Mikuláš Dzurinda eingeführte »Flat tax« wieder aufzuheben. Während seiner ersten Amtszeit war Fico mit einem entsprechenden Versuch gescheitert. Ihm war es lediglich gelungen, die einheitliche Besteuerung auf Einkommen, Körperschaften und Konsum von 19 Prozent etwas aufzuweichen. Nun soll ernst gemacht werden. Die neue Steuerprogression soll dem slowakischen Fiskus Einnahmen in Höhe von 366 Millionen Euro bescheren und die starken sozialen Verwerfungen der Einheitsbesteuerung wettmachen.

Darüber hinaus ist ab September eine Sonderabgabe für Energieversorger, Pharmaunternehmen und Telekommunikationsdienstleister fällig. Die von den Liberalen eingeführte Bankensteuer soll verdoppelt werden. Öffentlichkeitswirksam hat Fico zudem angekündigt, zwei Feiertage – einen religiösen und einen staatlichen – zu streichen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Privat rentenversicherte Slowaken dürfen wieder in die früher obligatorische Rentenversicherung wechseln. Die Privatisierung des Rentenwesens war ein Herzstück der liberalen Regierung Mikuláš Dzurindas (SDKÚ-DS). Damals war der beim in Washington beheimateten »Cato Institute« beschäftigte Ökonom José Piñera, Bruder des derzeitigen konservativen Präsidenten Chiles, mehrmals in der Slowakei, um die Liberalen des Donauanrainerlandes zu beraten.

Doch der Gegenwind wird immer stärker. Über Änderungen im Arbeitsrecht und neue Sondersteuern für Unternehmen haben sich bereits die österreichische, deutsche, schwedische und natürlich die slowakische Handelskammer beschwert. Die liberalkonservative Opposition, deren unterschiedliche Parteien in Umfragen zwischen fünf und sieben Prozent herumdümpeln, sammelt derzeit Unterschriften gegen die Änderungen im Rentenrecht. Auch in Brüssel ist man besorgt: Die Euro­päische Kommission prüft derzeit, ob die Sonderabgabe für Energie-, Pharma- und Telekom-Unternehmen mit EU-Recht vereinbar ist.

Gleichwohl hat Robert Fico bereits während seiner ersten Amtszeit seine Beharrlichkeit bewiesen. Sollte Brüssel Teile der Maßnahmen kassieren, dürfte er über genügend politisches Geschick verfügen, seine Reformen auf anderem Wege durchzusetzen. Sicher ist lediglich, daß die westeuropäische Presse die nächsten vier Jahre weitere Erzählungen von Robert Fico über seinen »autoritären Führungsstil« (Märkische Oderzeitung) auf seinen »populistischen Pfaden« (Stuttgarter Zeitung) präsentieren wird.

junge Welt, 28.08.2012

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