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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Wahl der »Gorillas« – Slowakei: Korruptionsskandal überschattet Entscheidung über neues Parlament

Die Akte, in der der slowakische Inlandsgeheimdienst SIS die Ergebnisse der Überwachung einer Tarnwohnung zusammenfaßte, trug den Namen »Gorilla«. Aus dieser geht hervor, daß nahezu alle Privatisierungsentscheidungen unter dem von 1998 bis 2006 amtierenden Ministerpräsidenten Mikuláš Dzurindas nicht nur einer Investorengruppe namens Penta, sondern auch direkt den Geldbörsen der beteiligten Spitzenpolitiker gedient hatten. Das Kabinett nahm die Akten, die Informationen aus den Jahren 2005 und 2006 enthalten, schleunigst unter Verschluß, doch im vergangenen Dezember tauchten sie frei zugänglich im Internet auf. Seitdem demonstrieren wöchentlich Tausende Slowaken in der Hauptstadt Bratislava und anderen Regionen gegen die Korruption der politischen Elite des kleinen Donauanrainerlandes.

Bereits im vergangenen Oktober war die slowakische Mitte-rechts-Regierungskoalition an der Frage einer Ausweitung des Euro-Rettungsschirms zerbrochen und Ministerpräsidentin Iveta Radicová zurückgetreten. Daraufhin wurden vorgezogene Parlamentswahlen anberaumt, die nun am Samstag stattfinden. Mitten in den Vorwahlkampf platzte dann der »Gorilla-Skandal« und erschütterte das gesamte Parteiensystem. Radicovás konservative SDKÚ-DS muß laut letzten Umfragen sogar fürchten, nicht wieder ins Parlament einzuziehen. Sie selbst hat bereits ihren Rückzug aus der Politik und den Austritt aus der Partei angekündigt.

Klarer Sieger der Wahlen wird wohl die linkssozialdemokratische SMER des beliebtesten Politikers des Landes, Robert Fico, werden. Dieser hatte bei seinem ersten Amtsantritt 2006 alle Privatisierungen gestoppt und fokussierte auch seinen diesjährigen Wahlkampf auf die hohe Arbeitslosigkeit und den weit verbreiteten Wohnungsmangel. Die Umfragen sehen die Partei stabil bei knapp über 40 Prozent.

Ob die von der US-Botschaft in Bratislava kritisch beäugten Sozialdemokraten eine absolute Mehrheit erringen können, wird davon abhängen, wie viele der den Prognosen zufolge nahe an der Fünf-Prozent-Hürde liegenden Kräfte es in den Slowakischen Nationalrat schaffen. Sowohl die Nationalpartei, als auch zwei große Parteien der ungarischen Minderheit, die SDKÚ-DS und die christlich-fundamentalistischen »Ordentlichen Leute« (OL), auf deren Liste auch Mitglieder der Piratenpartei kandidieren, liegen in den Umfragen jeweils knapp über oder unter der Hürde. Die angebliche Partei der Occupy-Bewegung »99 Prozent – Bürgerstimme« hat ebenfalls Chancen auf den Einzug ins Parlament. Sie fällt bislang durch eine besondere Inhaltsleere sowie ein Budget auf, das für eine Graswurzelbewegung untypisch erscheint. »Die Rüstungskonzerne unterstützen ›99 Prozent‹, um die Antikorruptionsproteste zu kanalisieren und die Linke zu schwächen«, erklärte dies der Politikwissenschaftler Luboš Blaha gegenüber jW in dieser Woche.

Ohnehin steht die Legitimität der Abstimmung auf der Kippe. Mehrere hundert Unterstützungsunterschriften für die Kandidatur von »99 Prozent« haben sich als gefälscht herausgestellt. Derzeit prüfe das Innenministerium »energisch« alle eingereichten Unterstützungserklärungen, erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber jW. Zudem soll József Berényi, der Chef der Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nahestehenden Minderheitenpartei SMK, die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen, wodurch seine Kandidatur illegal wäre. Was aber passiert, wenn sich nachträglich herausstellt, daß zwei Parteien nicht zur Wahl hätten antreten dürfen, ist bislang völlig unklar.

junge Welt, 09.03.2012

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