»Fico ist der am weitesten links stehende Premier Europas« (Erweiterte Fassung)
Am 12.06.2010 erschien in der jungen Welt ein Interview von mir mit dem slowakischen Politikwissenschaftler Dr. Luboš Blaha – hier erscheint nun eine erweiterte Fassung des Interviews.
Gespräch mit Luboš Blaha. Über die vergangene Wahlperiode in der Slowakei, Naserümpfen in Berlin über die anti-neoliberale Regierung in Bratislava und linke Prioritäten in der Politik
Sehr geehrter Herr Blaha, vor vier Jahren waren sie Mitglied der Kommunistischen Partei der Slowakei (KSS) und nun treten sie für die sozialdemokratische SMER an. Wieso haben sie die KSS verlassen?
Also ich war eigentlich nie Mitglied einer Partei, weder der KSS noch der SMER. Ich bin eher ein unabhängiger junger linker Intellektueller der mit slowakischen Linken Parteien kooperiert. Für die KSS arbeitete ich als Außenpolitikexperte. Nach den Parlamentswahlen 2006 flog die KSS aus dem Parlament und ich musste meinen Job aufgeben. Pavol Paška, der neue Präsident des slowakischen Parlaments bot mir daraufhin eine Stelle an und seitdem bin ich Berater und Redenschreiber in seinem Büro. Mittlerweile ist die KSS auf eine Ein-Prozent-Partei zusammengeschrumpft und die SMER wurde zur einzigen linken Alternative in der Slowakei – mit Wahlergebnissen von bis zu 35 %. Ich bin weiter in Kontakt mit meinen Kameraden von der KSS – inklusive Jozef Hrdlicka, dem Parteivorsitzenden. Aber die KSS hat derzeit keine Chance in das Parlament einzuziehen. Sie müssen noch auf bessere Zeiten warten – und ich bin sicher, diese werden kommen. Trotz alledem versuche ich als Kandidat der SMER einige linksradikale Ideen zu präsentieren, vor allem was die Demokratisierung der Wirtschaft angeht oder eine bedarfssichernde Grundsicherung. Ich weiß, dass es schwer sein wird, die slowakische Politik weiter nach links zu verschieben. Aber es gibt keine Alternative als in diesen Zeiten für linke Alternativen in der Politik meines Landes zu streiten.
In einem Interview mit der jungen Welt 2006 sagten sie, dass die derzeit regierende Koalition ein Schwenk nach links für die Slowakei sein wird – hat sich diese Behauptung bewahrheitet?
Ich glaube schon. Als erstes muss gesagt werden, dass die vergangene rechte Koalition von Mikuláš Dzurinda eine radikalneoliberale war. Vor allem in der Zeit von 2002-2006 haben sie so gut wie alle neoliberalen Reformen forciert, die man sich vorstellen kann. Zum Beispiel wurde nahezu alles privatisiert, eine „flat tax“ eingeführt, das Rentensystem halb privatisiert, Praxisgebühren etabliert und der Ausgleich zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen (Tripartit-System) an den Rand gedrängt. Darüber hinaus wurden Studiengebühren vorbereitet. Im Jahr 2006 kam dann die SMER an die Macht. Sie stoppte alle Privatisierungen und verstaatlichte sogar strategisch wichtige Zweige der Öl-Industrie. Es wurden Änderungen am Rentensystem vorgenommen, die Praxisgebühren abgeschafft, die Stellung von Gewerkschaften verbessert und Anstrengungen unternommen, einen typischen europäischen Sozialstaat zu etablieren. Premierminister Robert Fico hat das neoliberale Experiment in der Slowakei gestoppt und die Slowakei nach links verschoben.
Im Jahr 2006 hatte der ehemalige Berater des Premier Meciar (1992-1998) Augustín Húska gesagt, dass die Möglichkeiten einer neuen Regierung sehr eingeschränkt sind, da das strategische Potenzial des Landes sich in der Hand von ausländischem Kapital befindet. Wollte Fico etwas an der Situation ändern? Er hat immerhin E.ON mit Verstaatlichung gedroht – oder war das nur ein Ausrutscher?
Húska hat natürlich recht, diese Behauptung gilt aber für viele Länder – sowas nennt man Globalisierung. Trotzdem hat Fico versucht, die Energiemonopole zu bekämpfen und das ziemlich erfolgreich. Vor allem wenn man sich die Energiepreise für die einfachen Leute anschaut. Darüber hinaus befürworte ich sehr, dass die Fico-Regierung Profite im Gesundheitssystem verboten hat. Das hat die Unternehmen im Gesundheitssystem natürlich sehr aufgeregt. Sowas ist natürlich in einem kleinen Land im globalisierten Kapitalismus sehr schwierig.
Die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung sagt derzeit, dass die globale Finanzkrise nicht den selben Einfluss auf die Slowakei hat, wie auf andere osteuropäische Staaten – liegt das an der Beschränkung des transnationalen Finanzkapitals in der Slowakei?
Der Slowakei wurde von der EU das größte Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren vorausgesagt. Die Fico-Regierung hat auf die Krise sehr besonnen reagiert. Das die Slowakei gut durch die Krise kommt ist nicht dem transnationalen Kapital geschuldet, sondern den vielen öffentlichen Investitionen, wie zum Beispiel für Autobahnen. Das ist der große Unterschied zwischen rechten und linken Lösungen der Krise. Die rechten Parteien beharren noch auf Lösungen durch den freien Markt und private Firmen. Die Sozialdemokratie konzentriert sich auf den öffentlichen Sektor und Staatsinvestitionen. So wie z.B. in Schweden in den 1930er Jahren – dieser Weg war erfolgreicher. Schweden war damals ein agrarisch geprägtes Land, aber nach der Krise 1929 investierte die sozialdemokratische Regierung in den öffentlichen Sektor, den Sozialstaat und die Bildung. Daraufhin wurde Schweden einer der erfolgreichsten Wohlfahrtsgesellschaften in der Welt. Auf diesem Weg ist die Slowakei gerade.
Sie haben vor kurzem ein Buch mit dem Titel „Zurück zu Marx?“ veröffentlicht. Worum geht es in dem Werk?
„Zurück zu Marx?“ ist mein zweites radikal-philosophisches Buch. Ich sollte noch erwähnen, dass ich als Politikwissenschaftler an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften als Doktor der Philosophie arbeite und lehre. In meinem Buch führe ich auf 530 Seiten in die sozial-liberalen und neo-marxistischen Theorien der Gerechtigkeit ein. Außerdem erläutere ich meine eigene Gerechtigkeitstheorie basierend auf einer Radikalisierung der Theorie des amerikanischen Philosophen John Rawls und dem Ersetzen von Marx‘ Kriterium der Arbeit (Fähigkeiten und Talente) durch das Kriterium der „Arbeitheit“ (die wirklich eigene Leistung und der Wille zu Arbeiten). In dem Buch gibt es Kapitel über Wirtschaftsdemokratie (zum Beispiel an der baskischen Genossenschaft Mondragón Corporación Cooperativa), Modelle von Wohlfahrtsstaaten (inklusive dem deutschen, britischen und schwedischen) und über klassische linke Themen wie soziale Gerechtigkeit, positive Freiheit, öffentliches Eigentum und soziale Rechte. Ich habe das Buch im Herbst 2009 veröffentlicht und die erste Auflage mit 1000 Büchern war nach ein paar Monaten verkauft. Im vergangenen Dezember war es einer der Bestseller für mein Verlagshaus, da normalerweise in der Slowakei wissenschaftliche Bücher sich ungefähr ein hundertmal verkaufen. Ich bin mir sicher, dass der Erfolg des Buches zeigt, dass viele Menschen in der Slowakei des Neoliberalismus und Antikommunismus überdrüssig sind. Karl Marx ist wieder im Spiel. Es gibt sogar Pläne, das Buch ins Russische zu übersetzen – ich hoffe, das geschieht bald!
Sie sind also ein radikaler Linker in einer Regierungspartei – ist das kein Widerspruch?
Um den Neoliberalismus in der Slowakei – und dieser ist noch sehr stark – zu stoppen, gibt es für einen radikalen Linken keine andere praktische Alternative. Als ein Radikaler außerhalb der Politik könnte ich jede Regierung kritisieren. Aber so habe ich die Chance, die Richtung mitzubestimmen. Karl Marx hat schon gesagt, dass unser Ziel es nicht ist, die Welt zu erklären, sondern sie zu verändern. Genauer gesagt: In der Politik habe ich den Raum, meine linksradikalen Ideen der Gesellschaft näher zu bringen und alle Bewegungen zu einem stärkeren Sozialstaat zu unterstützen. Die Sozialdemokratie ist der Weg und nicht das Ziel. Hätten sie die neoliberale Periode von 2002-2006 erlebt, dann würden sie jeden Schwenk nach links unterstützen. In diesem Kontext bin ich froh, Teil einer regierenden Sozialdemokratie zu sein, auch wenn ich mir mehr radikal linke Reformen wünschen würde.
In welcher Weise ist der deutsche Imperialismus mit dem ungarischen Irredentismus verbunden? Die von deutscher Seite mit Steuergeldern finanzierte Südtiroler Volkspartei unterstützte immerhin die Vorläufer der Partei der Ungarischen Koalition (SMK) in den 1990er Jahren.
Das ist eine interessante Verbindung, die ich so noch gar nicht gesehen habe. Nichtsdestotrotz ist der ungarische Nationalismus ein großes Problem für die Slowakei. Dies gilt vor allem jetzt, da der Nationalist Viktor Orban mit Rückendeckung der faschistischen JOBBIK an der Macht ist. Die Ungarn haben nie den Vertrag von Trianon von 1920 [Dieser Vertrag beendete den Ersten Weltkrieg für Ungarn – das Land verlor dadurch zwei Drittel seines ehemaligen Territoriums, D.N.] verkraftet. Der chauvinistische Traum von einem Groß-Ungarn ist sehr gefährlich für ganz Europa – vor allem in der Zeit einer ökonomischen Krise. Wir können uns alle an Hitler erinnern, der sich die wirtschaftlichen Probleme zu Nutze machen konnte. Diese Geschichte wiederholt sich nun im ökonomisch ruinierten Ungarn und die Slowakei muss sich verteidigen. Trotzdem haben die normalen Bürger der ungarischen Minderheit in der Slowakei normalerweise keine Probleme mit Slowaken – nur die Politiker der SMK sind manchmal zu militant. Die politische Vertretung der slowakischen Ungarn hat sich jüngst auch gespalten. Neben der SMK gibt es nun die etwas liberalere Most-Híd-Partei. Das kann aber nicht davon ablenken, dass beide SMK und Most-Híd konservativ sind. Vielleicht werden beide Parteien in den Wahlen nun verlieren – mal sehen! Ich würde es begrüßen, da ich militanten Nationalismus immer ablehne, egal ob in Deutschland, der Slowakei, Ungarn oder irgendwo anders.
Im Jahr 2002 hat der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt Christoph Zöpel gesagt, dass Ungarn eine besondere „geopolitische“ Rolle bei der „Neuordnung“ Südosteuropas zu komme…
…und nun wendet sich das Interesse Ungarns nach Norden. Das ist sehr schrecklich und ich habe Angst vor dem neugeborenen Faschismus in Europa und speziell in Ungarn.
Im Jahr 1999 – während der Eskalation im Kosovo-Konflikt – lud der damals gerade in die Opposition gegangene Vladimír Meciar den jugoslawischen Staatschef Slobodan Miloševic in sein Haus ein. Wie waren die Beziehungen der Meciar-Slowakei (1990-1998) zum Miloševic -Jugoslawien (1989-2000)?
Die Slowakei und Jugoslawien – vor allem Serbien und Kroatien – haben historisch enge Verbindungen und die Slowakei hat Jugoslawien immer unterstützt. Die traurige Ausnahme war 1999, als die erste rechte Regierung von Dzurinda der NATO erlaubte, den slowakischen Luftraum für Bomberflüge nach Belgrad zu nutzen. Es waren schreckliche Tage für die Mehrheit der Slowaken – viele protestierten in den Straßen. Ich selber habe sogar ein Lied zur Unterstützung der Serben geschrieben. Die Beziehungen des Fico-Kabinetts ins ehemalige Jugoslawien sind auch sehr positiv. Die Slowakei hat auch das Kosovo nicht anerkannt. Außerdem befürworten wir den Eintritt Serbiens in die EU. Die serbisch-slowakischen Beziehungen waren immer sehr gut – außer in der blind amerikatreuen Ära von Dzurinda.
Beide Länder suchten die Partnerschaft mit Moskau – aber haben sie auch eine spezielle jugoslawisch-slowakische Partnerschaft gesucht?
Sowohl Serbien als auch die Slowakei sind kulturell eng mit Russland verbunden. In der Dzurinda-Ära wurde versucht, Russland in der slowakischen Außenpolitik komplett zu ignorieren. Zum Glück ist Fico wieder zu den traditionell engen Beziehungen zurückgekehrt.
Wie würden sie die Meciar-Regierung einordnen? War sie eine anti-imperialistische, isolationistische oder nur souveränistische Regierung?
Also ganz klar war sie keine anti-imperialistische Regierung in einem positiven Sinne. Ich würde eher den Begriff isolationistisch benutzen. Ich kenne die Theorien, dass Meciars Slowakei nur isoliert wurde, weil sie sich nicht dem internationalen Kapital beugte. Es gibt viele Leute die Meciar als eine Art Held sehen. Aber er hat nichts anderes gemacht als das Volkseigentum für ein paar Kronen an ein paar slowakische Diebe anstatt das transnationale Kapital zu verkaufen. Der Privatisierungsprozess unter Meciar war eine Tragödie. Außerdem war er autoritär und streng konservativ. Ich bin glücklich, dass Meciar 1998 die Macht verlor. Die ganze slowakische Linke lehnte seine Politik ab. Aber wir hatten nicht geahnt, was danach kommen würde: Die neoliberale Ära Dzurinda. Es war ein Sturz vom Regen in die Traufe.
Wie konnte Meciar streng konservativ sein? Immerhin hatte er einen radikal-linken Koalitionspartner – die Arbeiterassoziation der Slowakei (ZRS). Auf der Homepage der ZRS rühmt sich diese Partei damit, wichtige Privatisierungen im Bereich von Gas, Energie, Telekommunikation, Banken und Versicherungen verhindert zu haben.
Das muss für einen ausländischen Beobachter sehr überraschend sein, aber die ZRS war nur eine Art Kasper in der damaligen Koalition. Es ist wahr, dass Meciar kein Neoliberaler war, aber er war in der Kulturpolitik sehr konservativ. In der Wirtschaft war er eher zentristisch mit einiger sozialer Rhetorik. Nichtsdestotrotz war er kein Linker und die Privatisierungen eine Katastrophe. Das heißt nicht, dass die Privatisierungen unter Dzurinda besser waren – Nein, im Gegenteil! – sie waren sogar noch schlimmer. Aber ich muss eingestehen, dass unter Meciar – vielleicht auch dank der ZRS – strategische Industriebereiche nicht privatisiert wurden. Aber das war auch das Maximum, was diese heute tote Partei rausholen konnte.
Was ist Meciars Volkspartei – Bewegung für eine demokratische Slowakei (LS-HZDS) heute – eine gaullistische Partei?
Meciar hat sich politisch verändert [„Der NATO-Krieg 1999 gegen Jugoslawien war auch ein Signal an uns, keine Vision einer politischen Selbständigkeit mehr zu haben, wir haben ja gesehen, was mit Kräften passiert, die unabhängig sein wollen.“ Meciar-Berater Augustin Húska, D. N.] und sein Charisma verloren. Seine LS-HZDS ist heute eine zentristisch-konservative Partei mit einer paradoxen pro-europäischen Ausrichtung. Die Analogie einer gaullistischen Partei ist ziemlich korrekt. Aber die Partei hat so gut wie keine Stärke in der Koalition mit der SMER. Sie musste in der Regel die sozialdemokratische Richtung der Politik mittragen. Bei den anstehenden Wahlen hat die LS-HZDS eine 50/50-Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. In der aktuellen Politik spielt Meciar keine Rolle mehr – zum Glück. In Berlin war bestimmt niemand glücklich, als die Bildung der ersten Fico-Regierung 2006 bekannt gegeben wurde.
Wie reagierte Deutschland auf die aktuelle Regierung?
Es kam zu Problemen mit der SMER in der Sozialdemokratische Partei Europas (SPE; Englisch: Party of European Socialists, PES), weil die europäischen „Sozialisten“ – inklusive der Deutschen – die SNS nicht in der Regierung sehen wollten. Die SMER versuchte die europäischen Partner zu überzeugen, dass die SNS keine extremistische Partei ist, sondern nur eine konservative und patriotische. Ich persönlich mag die LS-HZDS und die SNS nicht – sie sind beide erzkonservativ. Aber es gab keine Alternative vor vier Jahren. Ich denke, dass die SMER-SNS-HZDS-Koalition ein geringeres Übel als die Hardcore-Neoliberalen und ungarischen Nationalisten, die von 2002-2006 regierten, ist. Diese Regierung war die einzige Chance den neoliberalen Weg, den die Slowakei von 1998-2006 ging, zu beenden. Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützte dann auch diesen Weg. Ich bin sicher, dass niemand in Berlin darüber fröhlich war.
Wurde damals die französische Option im Westen überlegt? 1982 hatte das transnationale Kapital Milliarden von Dollar aus Frankreich geschafft, um die neue sozialistische Regierung wieder auf Linie zu bringen.
Im Falle der Slowakei wurde diese Option bestimmt nicht überlegt. Fico war keine Bedrohung für das Kapital.
Wie würden sie die derzeitige Fico-Regierung beschreiben? Ist es eine anti-imperialistische Regierung oder eine ganz normale sozialdemokratische?
Es ist eher eine normale sozialdemokratische, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Robert Fico der am weitesten links stehende Premier in Mitteleuropa ist. Vielleicht sogar in ganz Europa. Vielleicht ist es nicht genug für Radikale, aber seine Rhetorik ist schon manchmal anti-imperialistisch. Seine Außenpolitik ist nicht so blind pro-amerikanisch. Unter seiner Regierung wurden unsere Beziehungen zu Russland, China und Vietnam verbessert und Fico unterstützt auch symbolisch Kuba. Es ist schwer für ein kleines Land revolutionäre Schritte zu machen aber ich bin sicher, dass seine Regierung derzeit die beste für die Slowakei ist.
Nachdem Fico ins Amt kam, kündigte er an alle Privatisierungen zu stoppen. Gab es keine Privatisierungen seit 2006?
Ja, es gab keine Privatisierungen mehr im Bereich des strategischen Staatseigentums. Fico stoppte sogar die Privatisierung des Flughafens von Bratislava – im letzten Moment! Es kam sogar zu Verstaatlichungen: So wurde das slowakische Öltransportunternehmen Transpetrol verstaatlicht. Fico kämpfte mit den zuvor privatisierten Energiemonopolen und den mächtigen Pensionsverwaltern. Ich denke in dieser Hinsicht ist Ficos Politik konsequent links, auch wenn ich mir mehr Schritte zur Demokratisierung der Wirtschaft, Belegschaftsbeteiligungen an privaten Konzernen und Raum für öffentliches und staatliches Eigentum wünschen würde.
Ist der Neoliberalismus in der Slowakei besiegt?
Die Juni-Wahlen werden es zeigen, aber ich denke, dass der Hardcore-Weg, der von 2002 bis 2006 beschritten wurde, tot ist. Das heißt nicht, dass alles richtig läuft in der Slowakei. So würde ich mir z.B. sehr ein progressives Steuersystem wünschen. Um ehrlich zu sein, sind wir das einzige OECD-Land mit einer flat tax. Doch was wir brauchen ist mehr Verteilungsgerechtigkeit in der Slowakischen Republik. Aber zuerst müssen wir ein Wiederkommen der Rechten verhindern!
Nachdem Fico Premier wurde, hat Belarus verlautbart, dass die belorussisch-slowakischen Beziehungen sich sehr gut entwickelt haben. Zu welchen Staaten verbesserten sich die Beziehungen ebenfalls?
Also ganz klar zu China, Vietnam, Russland und Serbien…
…und auch Libyen und Syrien – oder nicht?
Ja, vor allem zu Libyen. Ich selber habe an Treffen des Parlamentspräsidenten mit politischen Führern aus Russland, China und Vietnam teilgenommen – ich kann bestätigen, dass sich die Beziehungen sehr verbessert haben. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Slowakei ihre Truppen aus dem Irak abgezogen hat! Allgemein kann man sagen, dass unser Land eine pragmatische Außenpolitik betreibt – ohne ideologische Vorurteile gegenüber niemandem.
Im Jahr 2006 wurde angekündigt, dass Fico nach Venezuela reisen würde – bedauerlicherweise hat er es nicht getan. Wird er es eines Tages nachholen?
Ich hoffe und denke das. Damals wurde die Reise wegen einer Erkrankung Ficos abgesagt. Ich bin davon überzeugt, dass Fico bald Hugo Chavez treffen wird und vielleicht bin ich sogar selbst dabei. Kritiker haben gesagt, dass Diplomaten im Außenministerium Fico überzeugt hätten, sich nicht mit Chavez zu treffen, da es den Status der Slowakei in der EU unterminieren würde. Davon habe ich noch nichts gehört. Aber ich wollte noch sagen, dass es ein großes Poster von Che Guevara in Ficos Büro hängt und bisher hat noch kein Außenminister versucht, ihn zu überzeugen das Poster abzuhängen, um „den Status in der EU zu verbessern“. Ich denke, dass Diplomatie eine Rolle spielt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es eine starke linke Grundüberzeugung im politischen Agieren von Fico gibt.
Im Jahr 2006 hat Mikuláš Sedlák, der Wirtschaftsberater von Ján Slota (Parteichef der Nationalisten), gesagt, dass die Wurzel der Probleme der Roma im Osten des Landes die Arbeitslosigkeit ist und das jeder Roma einen Arbeitsplatz benötige. Hat die Regierung versucht, jedem Roma ein Arbeitsplatz zugeben?
Keine Regierung im Kapitalismus kann jedem einen Job geben. In der Planwirtschaft war das möglich aber heutzutage – leider – herrscht der Markt. Aber nichtsdestotrotz gibt es Anstrengungen, den Roma zu Arbeit zu verhelfen. So gibt es z.B. die Sozialen Unternehmen. Das sind öffentliche Firmen, die vor allem den Armen und Unausgebildeten Arbeit geben – vor allem den Roma. Aber es bleibt schwierig, private Firmen dazu zu bewegen, den Roma Arbeit zu geben – der Staat hat zu wenig Einfluss in der Wirtschaft.
Kritiker merken an, dass die Fico-Regierung die Probleme der Roma nur kurz vor Wahlen anpackt und nach den Wahlen wieder vergisst. Stimmt das?
Nicht wirklich. Es ist schwer, die Probleme zu lösen, vor allem da seit 1989 keine Regierung es geschafft hat. Aber wie ich schon sagte, gibt es erfolgreiche Projekte, wie die Sozialen Unternehmen.
Was sind die Strategien, um die Roma im Osten zu integrieren?
Also ein Weg geht über die Arbeit in den Sozialen Unternehmen. Diese befinden sich auch extra im Osten des Landes. Die nächste Stufe ist die Sicherstellung der Bildung der Roma. So gibt es Pläne für spezielle Internate für Roma – auch wenn man das ambivalent betrachten muss. Außerdem gibt es viele lokale Projekte. So fand neulich ein Treffen des Präsidenten des slowakischen Nationalrates – mein Chef Pavol Paška – statt, bei dem Nichtregierungsorganisationen – auch ganz linke – die sich mit der Integration beschäftigen, zusammen kamen. Aber es bleibt ein schwieriges Unterfangen!
Wie ist der Status der Ruthenen in der Slowakei heute?
Die Ruthenen sind eine offizielle nationale Minderheit in der Slowakei. Es gibt mit ihnen keine Probleme in der Gesellschaft. Sie genießen ihre Minderheitenrechte und scheinen ganz zufrieden damit zu sein. Die Ruthenen haben sogar die Fico-Regierung unterstützt, als Ungarn seinen Druck wegen des neuen Sprachengesetzes 2009 erhöhte. Das war ein großer Spaltpilz in den ungarisch-slowakischen Beziehungen und die Slowakei konnte diesen Streit gewinnen. Vielleicht ist das der nächste Grund für Orban der Slowakei zu schaden, so wie er es in den vergangenen Wochen getan hat. Ich hoffe, dass die nationalistischen Drohungen vergehen und wir uns ganz auf die sozio-ökonomischen Belange konzentrieren können. Wenn es nach mir geht, dann sollte die Priorität nicht die nationale Frage, sondern der demokratische Sozialismus, die Rechte der Arbeiter und die Klasseninteressen sein. Das habe ich auch schon geäußert, als ich für die KSS arbeitete, das sage ich nun, wenn ich für die SMER arbeite und ich werde es auch in Zukunft vertreten. Ich glaube an die klassenlose Gesellschaft und ich muss nur noch herausfinden, wie man am besten dafür kämpft. Ich wünsche der deutschen Partei Die Linke alles Gute – ich habe viele interessante Genossen in ihr kennen gelernt. Vielleicht haben wir eines Tages in der Slowakei eine ähnliche Partei, die für linke Vorstellungen eintritt. Ich denke, alles ist noch am Anfang.
Ich bedanke mich für das Interview.
Die veröffentlichte Fassung ist hier zu finden.