Das deutsche Blutsmodell
Unter Berufung auf deutsche Blutsrechts-Praktiken kündigt der Staatspräsident Rumäniens Übergriffe auf Moldawien an. Demnach wird Bukarest beinahe einem Drittel der Einwohner des Grenznachbarn die rumänische Staatsbürgerschaft verleihen, da sie „ethnische Rumänen“ seien. Das Vorgehen entspreche „voll und ganz dem deutschen Modell“, begründet der rumänische Staatspräsident Traian Basescu den Plan. Tatsächlich hat auch die Bundesrepublik Hunderttausende Polen und Zehntausende Tschechen unter Verweis auf ein angebliches „Deutschtum“ eingebürgert. Die Bukarester Revisionspolitik hatte schon im April europaweit für Aufsehen gesorgt, als Demonstranten in Moldawien bei Unruhen den Anschluss ihres Staates an Rumänien verlangt hatten. Dieselbe Forderung vertritt auch eine moldawische Partnerorganisation der CDU. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat kürzlich ihre „Besorgnis“ über die rumänische Ethno-Politik geäußert. Eine kritische Stellungnahme aus Berlin, dessen völkische Praktiken Bukarest explizit zum Vorbild erklärt und damit die Spannungen in Südosteuropa noch verschärft, ist hingegen nicht bekannt.
Revisionistische Ziele
Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzungen sind Spannungen zwischen Rumänien und Moldawien, die schon seit der Loslösung Moldawiens aus der zerfallenden Sowjetunion im Jahr 1991 bestehen. Die Mehrheit der moldawischen Bevölkerung spricht einen rumänischen Dialekt und erfüllt nach Auffassung völkischer Kräfte in Bukarest die Kriterien „ethnischen Rumänentums“. Schon in den frühen 1990er Jahren eskalierten in Moldawien die Spannungen zwischen völkischen Befürwortern sowie Gegnern eines Anschlusses an Rumänien zum Bürgerkrieg, der 1994 beigelegt werden konnte. Die Spannungen werden durch Bukarest jedoch weiterhin geschürt. Bei einer Umfrage im Jahr 2006 gaben 51 Prozent der befragten Rumänen an, sich eine Fusion mit Moldawien zu wünschen. [1] Im selben Jahr behauptete der rumänische Staatspräsident Basescu, Rumänien sei „das einzige Volk, das noch geteilt ist, da die deutsche Nation ja wiedervereinigt ist“.[2] Erklärungen Basescus können dem rumänischen Osteuropaexperten Vladimir Socor zufolge oft „in dem Sinne interpretiert werden, dass sie territorial-revisionistische Ziele verfolgen“.[3]
Anschlussforderungen
Revisionistische Forderungen nach einem Anschluss Moldawiens an Rumänien haben zuletzt im April EU-weit für Aufsehen gesorgt. Damals kam es wegen angeblicher Fälschungen bei den moldawischen Parlamentswahlen zu massiven Protesten in der moldawischen Hauptstadt. Es wurden Parolen skandiert, Moldawien müsse sich an Rumänien anschließen. Demonstranten stürmten das Parlament und hissten auf dem Parlamentsgebäude die rumänische Flagge. Die Regierung vermutete „rumänische Kräfte“ hinter dem gewalttätigen Umsturzversuch und verwies den Botschafter Bukarests sowie mehrere rumänische Journalisten des Landes. Außerdem führte sie die Visapflicht für Rumänen wieder ein.[4] Tatsächlich werden auch in Moldawien selbst nach wie vor Anschlussforderungen vertreten, an die Bukarest mit seinem Revisionsbegehren anknüpfen kann. Dies findet die Billigung einflussreicher deutsch-europäischer Kräfte. So zählt beispielsweise der „Partidul Popular Crestin Democrat“ (PPCD) die „Idee der nationalen Einheit zwischen Rumänien und der Republik Moldawien“ explizit zu seinen wichtigsten Zielen.[5] Der PPCD hat Beobachterstatus in der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Bündnis christlich-konservativer Parteien ganz Europas, in dem die deutsche CDU eine starke Stellung innehat.
Einbürgerung
Unmittelbar nach den Unruhen in der moldawischen Hauptstadt eskalierten die Spannungen zwischen Rumänien und Moldawien erneut. Staatspräsident Basescu teilte mit, seine Regierung werde einer Million Moldawiern die rumänische Staatsbürgerschaft verleihen – wegen ethnischer Zugehörigkeit zum „Rumänentum“. Moldawien hat 3,3 Millionen Einwohner. „Das Gesetz über die Staatsbürgerschaft entspricht dabei voll und ganz dem deutschen Modell“, erklärt Basescu.[6] Tatsächlich erhebt das Staatsbürgerschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland bis heute die blutliche Abstammung zum Kernmerkmal. In den letzten 20 Jahren haben Hunderttausende Polen und Zehntausende Tschechen wegen angeblich deutscher Abstammung die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten – mit allen Rechten und Pflichten, die dies mit sich bringt.[7] Die aktuelle Nachahmung des deutschen Blutsmodells in Südosteuropa geschieht mit Billigung Berlins.
Unmissverständlich
Die rumänischen Pläne zur Einbürgerung eines Drittels der moldawischen Bevölkerung rufen in Moldawien schweren Protest hervor. „Seit der Unabhängigkeit Moldawiens hat die rumänische Staatsführung wiederholt unmissverständliche Erklärungen abgegeben, dass Moldawiens Anschluss an Rumänien unvermeidlich sei“, ist in einem Hilfsappell des moldawischen Kabinetts zu lesen.[8] „Als Folge sind die bilateralen Beziehungen zwischen Rumänien und Moldawien in den vergangenen zwei Jahren in ein regionales Problem ausgeartet, das von den EU-Staaten nicht weiter ignoriert werden darf.“ Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft erklärte bereits im April eine „gewisse Besorgnis“ über die „Risiken“ [9], die mit der Verleihung der rumänischen Staatsbürgerschaft an eine Million Moldawier verbunden seien. Trotz mehrmaliger Aufforderungen aus der moldawischen Hauptstadt bleibt eine geschlossene Erklärung der EU-Staaten zu den rumänischen Übergriffen jedoch ebenso aus wie eine Stellungnahme Berlins.
Rumänentum
Stattdessen unterstützen Vorfeldorganisationen der Berliner Außenpolitik bis heute ethnisch legitimierte Ansprüche Bukarests auf Teile der Bevölkerung seiner Nachbarstaaten. So hat die in Flensburg beheimatete und mit deutschen Staatsgeldern finanzierte „Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen“ (FUEV) die „Union für aromunische Sprache und Kultur“ zum assoziierten Mitglied ernannt.[10] „Aromunisch“ ist eine dem Rumänischen verwandte Sprache, die unter anderem in Teilen Griechenlands, Bulgariens und Serbiens gesprochen wird. Völkische Kräfte in Bukarest erklären aromunisch sprechende Griechen, Bulgaren und Serben ebenso zu „ethnischen Rumänen“ wie die Mehrheit der moldawischen Bevölkerung. Die Regierung Rumäniens hat bereits vor Jahren Griechenland und Bulgarien aufgefordert, dem „Rumänentum“ in ihren Ländern neue Minderheitenrechte zu verleihen.[11]
Kurswechsel
Der Konflikt um das rumänische Expansionsbegehren weist im Falle Moldawiens über eine rein völkische Komponente hinaus. Hatte Moldawien lange eine offene Außenpolitik und eine Annäherung sowohl an Moskau als auch an EU und NATO betrieben, vollzog vor einigen Jahren der nun scheidende Präsident Voronin eine Wende. Er bekundete, sein Land werde nie der NATO beitreten. Ein auf zwei Jahre angelegter NATO-Plan, Moldawien an das westliche Kriegsbündnis heranzuführen (Individual Partnership Action Plan, IPAP), läuft daher dieses Jahr aus. Der Westen droht die enge Anbindung des südosteuropäischen Staates zu verlieren – und forciert seine dortigen Aktivitäten. Prowestliche Kräfte wie der Partidul Popular Crestin Democrat (PPCD), der sich explizit für eine NATO-Mitgliedschaft ausspricht, gehören zu den Anschlussbefürwortern, die ihre Anstrengungen in den letzten Monaten verstärkt haben.
Schlüsselstellung
Die Gesamtbedeutung der Thematik hat schon vor Jahren der CSU-Politiker Otto Habsburg hervorgehoben. „Die russische Politik“ sei „immer bestrebt“ gewesen, zum Mittelmeer vorzudringen, erklärt Habsburg; die Achsenmächte Deutschland und Österreich hätten ihrerseits stets versucht, genau dies zu verhindern. Eine geostrategische „Schlüsselstellung“ beim Kampf um den „Durchbruch für die Russen oder Deutschland“ [12] hätten dabei die beiden Länder eingenommen, deren komplette Übernahme durch den Westen bei den aktuellen Anschlussstreitigkeiten auf dem Spiel steht: Rumänien und Moldawien.
[1] Romanians want Basarabia to unify with Romania; www.ziua.ro 03.04.2006
[2] President proposed unification with Basarabia; www.ziua.ro 03.07.2006
[3] Rumänien muss auf willkürliche Gebietsansprüche verzichten, de.rian.ru 21.04.2009
[4] „Gespenst der Revolution“ erreicht Moldawien; de.rian.ru 07.04.2009
[5] About us; www.ppcd.md
[6] Das rumänische Staatsbürgerschaftsrecht sieht eine Verleihung der Staatsbürgerschaft vor, sofern ein Nachweis erbracht werden kann, in dritter Generation von einem Rumänen abzustammen. Rumanian citizenship: a review of the past and a future forecast regarding the authorities‘ policy, romanianpassport.co.il
[7] s. dazu Berlin ruft „Auslandsdeutsche“ an die Urnen und Modernes Deutschlandbild
[8] Moldawien ersucht EU um Schutz vor aggressiver Politik Rumäniens; RIA Novosti 19.05.2009
[9] EU über Rumäniens Pläne für Einbürgerung von einer Million Moldawiern besorgt; RIA Novosti 17.04.2009
[10], [11] s. dazu Rumänien im Schlepptau deutscher Blutspolitik
[12] Europas östliches Einfalltor; Die Tagespost 03.03.2005. S. dazu Durchbruch nach Osten
german-foreign-policy.com, 24. Juni 2009