»Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.« — Benjamin Franklin
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Neokolonialer Zank beendet

Frankreich erobert seine ehemalige Kolonie Madagaskar zurück

Der madagassische Oppositionelle Andry Rajoelina wurde vom Militär zum Chef einer Übergangsregierung der Insel im Indischen Ozean gekürt. Dem Machtwechsel waren heftige Kämpfe in der Hauptstadt vorausgegangen, denen fast 200 Menschen zum Opfer fielen.

Madagaskar war seit seiner erklärten Unabhängigkeit Einflussgebiet der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Auf eine lange Herrschaftszeit des Präsidenten Ratsiraka folgte 2002 ein politisches Novum: Madagaskar wurde aus der französischen Einflusszone herausgetrennt. Nachdem die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ihren Kandidaten Ravalomanana aufgebaut hatte obsiegte dieser in der Präsidentschaftswahl 2001 und konnte seine Macht nach einigen Tumulten behaupten. Ex-Präsident Ratsiraka floh nach Frankreich ins Exil. Dass der neue Präsident Ravalomanana der Mann der Deutschen war, wurde gleich bei der Amtseinführung klar: Der deutsche Kulturvertreter auf der Insel schwenkte während des Zeremoniells die deutsche Fahne.

Ab 2002 öffnete sich Madagaskar auch für deutsche Konzerne. Der Bundespräsident besuchte die Insel zwei Mal – eine lange Freundschaft mit Ravalomanana ist überliefert. Marc Ravalomanana erste Auslandsreise ging nach Deutschland. Insgesamt besuchte er die Berliner Republik drei Mal – Ravalomananas Sohn und die Schwiegertochter studieren in Heidelberg. Mehrere Berater der Bundesrepublik wurden in die madagassischen Ministerien für Finanzen, Inneres und Energie entsandt. Ein Deutscher wurde sogar zum engsten Berater des madagassischen Präsidenten berufen.

Der Botschafter Antananarivos in Deutschland sagte in einem Interview im Jahr 2005: „“Made in Germany“ ist für uns nicht nur ein Begriff von Verarbeitungsqualität, sondern ein Markenzeichen für Benehmen, Verhalten und Geist, das für uns Vorbild ist. Hier meine ich Werte, Grundeinstellungen, Disziplin und Organisationsfähigkeit.“ Schließlich versuchte die Hoffnung der deutschen neokolonialen Ambitionen Ravalomanana den endgültigen Ausbruch aus der französischen Einflusssphäre: Die französische Sprache als Amtssprache sollte durch Englisch ersetzt werden.

Militärisch konnte sich Deutschland nicht dauerhaft festsetzen. Mit dem nahegelegenen Südafrika konnte die Bundesrepublik seine Kooperation erweitern, dorthin Militärberater und eigene Soldaten zur Ausbildung schicken und mehrere Manöver durchführen. Während einer Expedition des Einsatz- und Ausbildungsverband 2008 legten drei deutsche Kriegsschiffe in Mauritius vor Anker, besuchten aber nicht Madagaskar.

Doch nun weht der Wind wieder aus Paris. Vergangenen Sommer wurde Gildas Le Lidec zum französischen Botschafter auf der „roten Insel“ ernannt. Präsident Ravalomanana wurde misstrauisch, schließlich war Le Lidec Botschafter im Kongo (2000) und in Côte d’Ivoire (2002-2005) während dort pro-französische Aktivitäten Paris missliebige Präsidenten in Bedrängnis brachte. Madagassische Journalisten schrieben: „Er ist hier, um den Präsidenten zu erschießen!“ Der Botschafter wurde nach nur fünf Monaten zur „persona non grata“ erklärt und musste das Land verlassen.
Die „alte Garde“ um Ex-Präsident Ratsiraka traf sich Weihnachten vergangenen Jahres und plante den Umsturz. Die Hoffnung setzten die Franzosen in einen jungen Unternehmer namens Andry Rajoelina. Während der vergangenen Monate sind Telefon- und E-Mailverkehr von den Kontrollzentren Rajoelinas mit der französischen Kolonialbesitzung Réunion vor der madagassischen Küste bestätigt. Zwei französische Oberste kamen im Januar ins Land, um das Militär zu „beraten“.

Im Verlauf des Januars kam es zu vielen Großdemonstrationen in der Hauptstadt Antananarivo. Höhepunkt war die Auto-Proklamation von Rajoelina zum neuen Präsidenten Ende des Monats. Die Beschäftigten des Wasserversorgungsunternehmens JIRAMA streikten gegen den deutschen Chef der Firma – die Firma ist im Besitz des deutschen Konzerns „Lahmeyer International“. Am 07. Februar eröffnete die Polizei der madagassischen Hauptstadt Antananarivo das Feuer auf oppositionelle Demonstranten. Die Schießerei kostete 28 Menschen das Leben. Eine versuchte Festnahme des Oppositionsführers Rajoelina ging schief, da dieser in die französische Botschaft flüchtete. Die samtene Revolution kam ins Stocken. Doch dann begann die militärische Revolte – und das nachdem Frankreich „Militärberater“ entsandt hatte. Mehrere Einheiten stellten den Oberbefehl des noch amtierenden Präsidenten in Frage. Marc Ravalomanana trat die Flucht nach vorne an: Er schlug ein Referendum über die beiden Präsidenten vor. Ein kluger Schachzug, da Rajoelina auf dem Land nahezu unbekannt ist.

Doch oppositionelle Militäreinheiten rückten weiter vor und nahmen am 16.03. den Präsidentenpalast ein. Der Noch-Präsident flüchtete in seinen persönlichen Palast, trat jedoch bald zurück. Rajoelina wurde zum Übergangspräsident nominiert. Dieser kündigte an, in zwei Jahren Wahlen durchführen zu wollen – genug Zeit, um im Land bekannt zu werden. Mittlerweile kehren viele Funktionäre der „alten Garde“ aus der französisch-dominierten Zeit zurück. Deutschland stellte seine Entwicklungshilfearbeit in dem Land umgehend ein.

Das deutsche Interesse an der Insel hat Vorläufer im vorvergangenen Jahrhundert: 1883 schloss der deutsche Kaiser Wilhelm I. und die damalige madagassische Königin einen Freundschafts- und Wirtschaftsvertrag. Das geschah sieben Jahre bevor Frankreich seine Kolonialhoheit über die Insel behaupten konnte. Nun konnte Paris erneut seine Dominanz zur Schau stellen.

Neue Rheinische Zeitung, 01. April 2009

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