»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« — Franklin D. Roosevelt
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Das Ende der Neutralität III

Kriegsgegner aus der Schweiz protestieren gegen ein milliardenschweres Rüstungsprojekt zur Einbindung des Landes in die westlichen Militärbündnisse. Dabei handelt es sich um den Kauf einer zweistelligen Zahl von Kampfflugzeugen, die im Unterschied zum Vorgängermodell für den Erdkampf geeignet sein sollen – und damit für Angriffskriege der NATO und der EU. Bereits jetzt sind Schweizer Soldaten an Auslandseinsätzen der westlichen Bündnisse beteiligt und treten dabei oft an der Seite der deutschen Armee auf, so im Kosovo und bis vor kurzem auch in Afghanistan. Die Einbindung der Schweizer Streitkräfte, mit der die Jahrhunderte alte Neutralität des Landes ein Ende findet, ist in den 1990er Jahren mit Kooperationen mit der Bundeswehr sowie dem Beitritt zum NATO-Programm „Partnership for Peace“ eingeleitet worden. Die nötigen Waffenkäufe tätigt die Schweiz unter anderem in Deutschland, das für den bevorstehenden Kampfflieger-Kauf das Modell Eurofighter anbietet. Zusätzlich dient die Schweiz den westlichen Staaten als Trainingsplatz für ihre Armeen. Erst letzte Woche stürzte zum wiederholten Male ein Fluggerät der Bundeswehr beim Manöver über Schweizer Territorium ab.

schweiz

Den Anschluss erleichtern

Kriegsgegner aus der Schweiz protestieren gegen den Kauf neuer Kampfflugzeuge für die Luftwaffe des Landes. Die Flugzeuge sollen das bisherige Modell F/A-18 ersetzen, das Angaben von Militärs zufolge vor allem auf den Luftkampf und auf Luftpolizeiaufgaben ausgerichtet ist. Im Mittelpunkt stehen Überwachung und Verteidigung des Luftraumes über der Schweiz. Demgegenüber sollen die neuen Kampfflieger nicht nur der Aufklärung und dem Luftkampf dienen, sondern in gleichem Maße die Fähigkeit zu offensivem „Erdkampf“ besitzen; das sehen die offiziellen Kriterien für die Kaufentscheidung vor. Damit entspricht die Schweiz den Anforderungen des Westens für die Anbindung an die NATO und die Militärstrukturen der EU, die beide jeweils Kampfeinsätze weit jenseits der eigenen Grenzen führen oder sich darauf vorbereiten. „Die neuen Kampfjets würden militärisch den Anschluss an die Nato erleichtern“, urteilt Nationalrat Josef Lang, Vorstandsmitglied der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA).[1] Die GSoA hat inzwischen 75.000 Unterschriften gegen das Rüstungsprojekt gesammelt – und sammelt weiter.[2]

Luftkampftraining

Die Annäherung der Schweiz an die westlichen Kriegsbündnisse, die in den aktuellen Plänen zum Kauf neuer Kampfflugzeuge erkennbar wird, hat ihren Ursprung in den frühen 1990er Jahren. Bereits damals begann die deutsche Bundeswehr, mit der Schweizer Armee zu kooperieren. Seit 2002 finden gemeinsame Militärübungen statt. Im letzten Jahr trainierten Schweizer Luftwaffenpiloten gemeinsam mit deutschen Soldaten (Jagdgeschwader 71 „Richthofen“) zwei Wochen lang in Deutschland den Luftkampf, für das kommende Jahr ist ebenfalls in der Bundesrepublik ein gemeinsames Manöver angekündigt.[3] Zusätzlich übte die Schweizer Luftwaffe im September 2007 im Verbund mit deutschen Kampffliegern das Fliegerabwehrschießen auf der griechischen Insel Kreta.[4]

Gebirgsflug

Wie es bei der deutschen Luftwaffe in Köln-Wahn heißt, beruht der Manöveraustausch auf Gegenseitigkeit. Tatsächlich trainieren vor allem Kriegsflieger der Bundeswehr immer wieder in der Schweiz. Flüge in den Hochgebirgstälern gelten wegen der zerklüfteten Landschaft und der schwer zu berechnenden Thermik als Herausforderung für versierte Piloten. Die Nutzung der Schweiz als Kriegstrainingsplatz für die deutsche Luftwaffe ruft gelegentlich Aufmerksamkeit hervor, wenn ein Absturz zu verzeichnen ist. Im vergangenen Jahr etwa prallte ein deutscher Tornado gegen einen Berg – ein Vorfall, der damals erhebliches Aufsehen erregte, zumal gemutmaßt wurde, es könne sich um ein Pilotentraining für den Afghanistan-Einsatz gehandelt haben.[5] Dort findet Aufstandsbekämpfung auch in zerklüfteten Gebirgslandschaften statt. In der vergangenen Woche stürzte erneut ein deutsches Fluggerät beim Kriegstraining in den Schweizer Alpen ab – ein Hubschrauber CH-53.[6] Das Modell ist, wie auch die Tornados, unter anderem in Afghanistan im Einsatz.

Kriegspartner

Neben der Kooperation mit Deutschland begann die Schweiz in den 1990er Jahren auch eine Zusammenarbeit mit der NATO. 1994 legte das westliche Kriegsbündnis allen OSZE-Mitgliedsnationen nahe, einem Programm mit der Bezeichnung „Partnership for Peace“ („Partnerschaft für den Frieden“, PfP) beizutreten. Ziel war es, die Truppen der OSZE-Länder an NATO-Standards heranzuführen und damit zu möglichen NATO-Hilfstruppen zu transformieren. Zehn ehemalige PfP-Nationen sind mittlerweile NATO-Vollmitglieder geworden; andere kämpfen an der Seite des Bündnisses in Afghanistan. Dass dies nicht unvermeidlich war, zeigte mehrere Jahre lang Malta: Das Land sah zu Recht seine Neutralität durch PfP in Gefahr und beendete 1996 seine Mitgliedschaft. Inzwischen hat es allerdings erneut seine Aufnahme beantragt. Die Schweiz, deren Neutralität 1815 sogar in einem internationalen Vertrag anerkannt worden war, trat der PfP 1996 bei – sieben Jahre vor ihrer Aufnahme in die UNO. Mit dem Beitritt verpflichtete sich Bern unter anderem, zu evaluieren, „welche Streitkräfte und Mittel“ die Schweiz „für multinationale Ausbildungen, Übungen und Operationen zur Verfügung stellen“ könne.[7] De facto ist die Neutralität der Schweiz damit Geschichte.

Auslandseinsätze

Tatsächlich dehnte der einst neutrale Staat im Laufe der 1990er Jahre seine Auslandseinsätze immer weiter aus – stets an der Seite des Westens. So waren von 1996 bis 2001 bis zu 55 Soldaten (zunächst unbewaffnet) in Bosnien-Herzegowina im Einsatz. Ab 2003 kam die Teilnahme (zum Selbstschutz bewaffnet) an den EU-Interventionen im ehemaligen Jugoslawien hinzu – in Bosnien-Herzegowina militärisch (EUFOR), daneben auch (wie auch in Mazedonien) polizeilich (EU Police Mission Bosnia, EU Proxima). Ein Novum war es, als die Schweiz sich 1999 im Rahmen von KFOR an der Besetzung des Kosovo beteiligte, mit bis zu 220 Soldaten, die mit Hubschraubern und Radpanzern ausgestattet waren. Schweizer Truppen befinden sich bis heute im Kosovo – „unter der Verantwortung der deutschen Bundeswehr im Großraum Prizren“, heißt es offiziell.[8] Auch in Afghanistan waren Schweizer Verbindungsoffiziere stationiert, allerdings wurden sie im März 2008 von dort abgezogen, weil ISAF sich immer deutlicher in reine Aufstandsbekämpfung verwandelte.[9] Die Schweizer Soldaten waren zuvor dem deutschen PRT in Kunduz zugeteilt gewesen.

Gut gerüstet

Für ihre Auslandseinsätze an der Seite der Bundeswehr wird die Schweiz immer wieder mit deutschen Waffen beliefert. Hauptkampfpanzer ihrer Armee ist der „Leopard 2“, der von dem deutschen Konzern Kraus-Maffei Wegmann produziert wird. Die Schweiz ist einer von 16 Staaten weltweit, die den deutschen Panzer nutzen dürfen. Entsprechend beliefert die Bundesrepublik ihren südlichen Nachbarn regelmäßig mit Ersatzteilen, aber auch mit Geländewagen, LKWs und gepanzerten Fahrzeugen. Auch um den Auftrag für das aktuelle, sehr umstrittene Rüstungsprojekt – die Kampfflieger-Beschaffung – hat sich eine Firma mit Sitz in Deutschland beworben: Das Eurofighter-Konsortium, das der Schweiz das gewünschte Kriegsgerät liefern will.

Ausverkauf

Der Kampfflieger-Kauf ist allerdings mittlerweile nicht nur unter Kriegsgegnern umstritten, sondern auch in einflussreichen Kreisen in Bern – wegen seiner hohen Kosten. Man könne sich womöglich auch mit einer abgespeckten Variante des Projekts zufrieden geben, die 2,2 Milliarden Franken (rund 1,4 Milliarden Euro) nicht überschreite, heißt es bei Armasuisse, der Berner Beschaffungsorganisation für Kriegsgerät. Vor kurzem wurden in Bern sogar Überlegungen laut, die Kosten für die Kampfflugzeuge gänzlich einzusparen. Da man ohnehin eng mit Deutschland und den übrigen westlichen Staaten kooperiere, könne man ihnen auch die Kontrolle über den eigenen Luftraum übertragen, hieß es. Dabei handelt es sich immerhin um ein wichtiges Element staatlicher Souveränität, das kaum ein Land preisgibt. „Ich könnte mir auch ein Bündnis zur Luftraumüberwachung mit anderen Staaten vorstellen“, erklärt ein Berner Politiker: „Befreundete Länder wie Deutschland könnten die Luftraumüberwachung über der Schweiz übernehmen.“[10]

[1] Verteidigen deutsche Kampfjets bald die Schweiz?; Basler Zeitung 07.11.2008
[2] Und es geht doch ums Bombardieren; Medienmitteilung der GSoA vom 25.11.2008
[3] Stationierungskonzept der Luftwaffe: Runder Tisch Militärjetflugplätze; Pressemitteilung des VBS 13.10.2008
[4] Schluss mit dem Training von Kriegsparteien; Zeit-Fragen 24.09.2007
[5] s. dazu Im Tiefflug
[6] Bundeswehrhubschrauber stürzt in der Schweiz ab; Der Westen 28.11.2008
[7] Partenariat pour la Paix. Document cadre, Bruxelles, le 10 janvier 1994
[8] Willkommen bei der SWISSCOY; www.vtg.admin.ch
[9] Schweiz zieht Militärpersonal aus Afghanistan zurück; swissinfo.ch 21.11.2007
[10] Verteidigen deutsche Kampfjets bald die Schweiz?; Basler Zeitung 07.11.2008

Bild: Schweizerische Soldaten bei der Übung „COMBINED ENDEAVOR“ in Baumholder, Deutschland (06.05.2003).
Picture: Swiss soldiers at exercise „COMBINED ENDEAVOR“ in Baumholder, Germany (05.06.2003).
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Korrektur: Die neu anzuschaffenden Kampfflugzeuge sollen nicht die F/A-18 ersetzen, sondern die älteren Northrop F-5E Tiger. Dank an die ‚Gruppe Schweiz ohne Armee‘ für den Tipp.

german-foreign-policy.com, 03.12.2008.

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