»Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.« — Václav Havel
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Militär für Afrika (I)

Ein Jahr nach der Invasion äthiopischer Truppen in Somalia führt die Bundesregierung ihre militärische Unterstützung für Addis Abeba fort. Wie aus einer Aufstellung des Verteidigungsministeriums hervorgeht, nahmen im vergangenen Jahr äthiopische Soldaten zum wiederholten Male an Trainingsprogrammen der Bundeswehr teil, obwohl ihr Staat Krieg führt und seiner Armee schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Die deutsche Unterstützung für Äthiopien ist Teil von Bemühungen, mit dem Aufbau afrikanischer Militärstrukturen unter deutsch-europäischem Einfluss stärkere Kontrolle über den Kontinent zu erlangen. Dabei werden ausgewählte Regionalmächte wie Äthiopien und verschiedene Regionalorganisationen finanziert, trainiert und aufgerüstet. Auf kontinentaler Ebene stärkt Berlin die Militärstrukturen der Afrikanischen Union (AU). Die EU ist „bei weitem die bedeutendste Geldgeberin“ für die Militarisierung der AU, bestätigen afrikanische Politiker. Dies erspart nicht nur Kampfeinsätze von EU-Soldaten zur Sicherung der Ressourcengebiete; der Militäreinfluss Berlins und Brüssels stärkt zugleich die deutsche Stellung in Afrika gegenüber der Wirtschaftsmacht China.

militaer-afrika

Kriegsverbrechen

Die Trainingsprogramme für äthiopische Soldaten, die von der Bundeswehr bereits 2002 eingeleitet wurden und dem Aufbau einer militärischen Regionalmacht in Ostafrika gelten, dauerten auch im vergangenen Jahr an.[1] Äthiopien befindet sich nicht nur seit Jahren am Rande eines Krieges mit Eritrea, der mit Hilfe einer UNO-Mission verhindert werden soll [2]; äthiopische Truppen sind darüber hinaus im Dezember 2006 in Somalia einmarschiert und halten das Land seitdem besetzt. Menschenrechtsorganisationen werfen ihnen schwere Kriegsverbrechen vor. So wurden willkürlicher Beschuss von Wohngebieten und die Hinrichtung von Zivilpersonen dokumentiert.[3] Der Zuarbeit Berlins für das äthiopische Militär steht dies offenkundig nicht im Wege. Dabei gelingt es Addis Abeba trotz der Unterstützung aus dem Westen nicht, die Kontrolle über Somalia zu gewinnen. Seit einigen Wochen befindet sich die bewaffnete somalische Opposition erneut in der Offensive. Die von Addis Abeba eingesetzte Regierung hat kürzlich eingestanden, nicht einmal ein Sechstel des Landes unter Kontrolle zu halten. Die „African Union Mission to Somalia“ (AMISOM), mit der die Besatzungstätigkeit auf Militärs aus mehreren afrikanischen Staaten übertragen werden soll, ist bis heute mit nur 1.700 von 8.000 geplanten Soldaten präsent und kommt mit dem Aufbau nicht recht voran.

Einmischung erwünscht

Der Versuch, mit AMISOM eine multinationale afrikanische Besatzung in Somalia zu etablieren, ist Teil eines noch im Aufbau befindlichen Projekts – der Militärpolitik der Afrikanischen Union (AU). Diese ist überhaupt erst möglich, seit sich die seit 1963 bestehende Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) 2002 aufgelöst hat und im selben Jahr die AU gegründet worden ist. Die OAU hatte als eine ihrer Maximen festgeschrieben, sich gemäß dem Völkerrecht nicht in die inneren Angelegenheiten ihrer Mitgliedstaaten einzumischen. In diametralem Gegensatz dazu legte die AU in ihrer Gründungsakte fest, Gewaltoperationen auf dem Gebiet der AU-Länder zu ermöglichen, um „Frieden und Stabilität“ zu gewährleisten. Dies war das erste Mal, dass sogenannte Friedensmissionen in Afrika vertraglich festgelegt wurden. Vor allem in zwei AU-Staaten waren bzw. sind AU-Interventionstruppen bislang im Einsatz: im Sudan (früher „African Union Mission in Sudan“, AMIS, nun „African Union/United Nations Hybrid operation in Darfur“, UNAMID) und in Somalia (AMISOM).[4]

Einsatzunterstützung

Die AU-Militäreinsätze werden von Berlin und der EU systematisch unterstützt. So hat die Bundesregierung für die Intervention im Sudan (AMIS) zuletzt im Juli 2007 rund 25 Millionen Euro bereitgestellt. Bereits zuvor hatte sie den Truppeneinsatz mit drei Millionen Euro und mit Militärmaterial (Kommunikationsgeräte etc.) gefördert. Hinzu kommen bislang 282 Millionen Euro aus dem Haushalt der EU (deutscher Anteil: rund 65 Millionen Euro). Die Bundeswehr leistete „EU-koordinierte Lufttransportunterstützung für AMIS“, teilt das Auswärtige Amt mit.[5] Daneben wurden mehrere deutsche Polizisten entsandt – „zur Unterstützung der AMIS Zivilpolizeikomponente“. „Entsprechend dem Pflichtanteil am VN-Haushalt von 8,6%“ wird Berlin „auch für die Finanzierung der Friedensmission von VN und AU in Darfur (UNAMID) einen substantiellen Beitrag leisten“, heißt es weiter. Für UNAMID stehen zudem bis zu 250 deutsche Soldaten bereit. Die im Aufbau befindliche AU-Intervention in Somalia wird ebenfalls von der EU gefördert. „15 Millionen Euro sind für AMISOM in Somalia vorgesehen“, teilte der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen im März 2007 mit.[6]

Entwicklungshilfe

Die AU-Interventionen im Sudan und in Somalia sind Teil der übergeordneten „Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur“ („African Peace and Security Architecture“, APSA), deren wichtigste Geldgeberin die EU ist. Offiziell auf Bitte der AU hat Brüssel Ende 2003 den Fonds „Peace Facility for Africa“ eingerichtet und dafür 250 Millionen Euro bereitgestellt – aus Entwicklungsmitteln. 2006 wurden weitere 300 Millionen Euro für die Jahre 2008 bis 2010 eingeplant.[7] Mit ihnen sollen die Lebenshaltungskosten von Soldaten, der Truppentransport sowie der Aufbau von AU-Militärstrukturen bezahlt werden. Im Zentrum dieser Strukturen steht ein „Friedens- und Sicherheitsrat“ („Peace and Security Council“), der über die Entsendung von AU-Truppen entscheidet. Er soll in Zukunft von einem fünfköpfigen „Ausschuss der Weisen“ („Panel of the Wise“) beraten werden und über zentrale Beobachtungsinstrumente verfügen („Kontinentales Frühwarnsystem“, „Continental Early Warning System“). Vor allem wird ihm eine „Schnelle Eingreiftruppe“ („African Standby Force“) unterstellt.

African Standby Force

Der Aufbau der „African Standby Force“ wurde bereits im Jahr 2002 von der AU konzipiert und soll nach gegenwärtigem Planungsstand bis 2010 abgeschlossen sein. Die Truppe soll über 15.000 Soldaten verfügen und im Falle von Unruhen rasch in die betroffenen Gebiete entsandt werden können. Wie der Botschafter Deutschlands bei den Vereinten Nationen berichtet, ist ein neues 20-Millionen-Euro-Programm der EU „in der Pipeline“, das unter anderem für die „African Standby Force“ zur Verfügung steht.[8] Dennoch sind Beobachter sowohl bezüglich des Zeitplans als auch bezüglich der Schlagkraft der Truppe skeptisch. Mit beträchtlichen Verzögerungen beim Aufbau wird ebenso gerechnet wie mit anfänglichen Schwierigkeiten in der Praxis. „Ein Ersatz (…) für den möglichen Einsatz der EU-Battlegroups“, die vor allem für Kämpfe auf dem afrikanischen Kontinent konzipiert sind, „durch hochmobile afrikanische Kräfte ist kurzfristig (…) nicht zu erwarten“, erklärt ein Afrika-Experte der Bundeswehr.[9]

Zweite Ebene

Zusammensetzen wird sich die „African Standby Force“ aus fünf Brigaden, die von den fünf maßgeblichen militärischen Regionalorganisationen Afrikas gestellt werden sollen.[10] Auch die Regionalorganisationen aus dem Westen, dem Osten, dem Norden, dem Süden und dem Zentrum des Kontinents werden jeweils von der Bundesrepublik bzw. der EU finanziert, trainiert und ausgerüstet. Mit den Regionalmaßnahmen ergänzt Berlin die deutsch-europäische Einflussnahme auf die kontinentale Ebene der AU-Militärstrukturen und komplettiert den Zugriff auf die entstehende afrikanische Truppenarchitektur. Damit sichert sich die Bundesrepublik einen Vorteil gegenüber der Volksrepublik China, die in Afrika vor allem wirtschaftlichen Einfluss gewinnt, und stärkt ihre Position gegenüber den Vereinigten Staaten.

german-foreign-policy.com setzt seine Serie über den deutsch-europäischen Einfluss auf die neuen afrikanischen Militärstrukturen in Kürze fort. Lesen Sie dazu auch Neokoloniale Interventionen.

[1] Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 8. Oktober 2007 eingegangenen Antworten der Bundesregierung; Deutscher Bundestag Drucksache 16/6701
[2] Auch Deutschland entsendet Militärbeobachter im Rahmen der „United Nations Mission in Ethiopia and Eritrea“ (UNMEE).
[3] „Shell-Shocked: Civilians Under Siege in Mogadishu“; Human Rights Watch, August 2007
[4] AU-Missionen gab es außerdem auch in Burundi sowie auf den Komoren.
[5] Der Darfur-Konflikt im Sudan; www.auswaertiges-amt.de
[6] EU statement by Ambassador Thomas Matussek on the Relationship between the United Nations and Regional Organizations, in particular the African Union, in the maintenance of International Peace and Security. Held in the Security Council on 28 March 2007
[7] Creation of a Peace Facility for Africa; europa.eu/scadplus/leg/en/lvb/r12529.htm
[8] EU statement by Ambassador Thomas Matussek on the Relationship between the United Nations and Regional Organizations, in particular the African Union, in the maintenance of International Peace and Security. Held in the Security Council on 28 March 2007
[9] Afrikanische Sicherheitsarchitektur – ein aktueller Überblick; GIGA Focus Afrika 1/2007
[10] Dabei handelt es sich um die „Economic Community of West African States“ (ECOWAS), die „Southern Africa Development Community“ (SADC), die „Economic Community of Central African States“ (ECCAS), die „Arab Maghreb Union“ (AMU) und eine ostafrikanische Organisation.

Bild: Zwei äthiopische Soldaten bei einer Übung der Combined Joint Task Force – Horn of Africa’s in Hurso, Ethiopia (27.01.2007).
Picture: Two Ethiopian soldiers at an exercise od the Combined Joint Task Force – Horn of Africa’s in Hurso, Ethiopia (01.27.2007).

This picture is in the public domain in the United States because it is a work of the United States Federal Government under the terms of Title 17, Chapter 1, Section 105 of the US Code.

german-foreign-policy.com, 14.01.2008.

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