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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Krise und Rücktritt

Nach Protesten und Stürmung des Präsidentensitzes in Abchasien: Chadschimba dankt ab, Neuwahlen Ende März

Ein unerwartet schlechtes Ergebnis hatte der seit 2014 regierende Amtsinhaber Raul Chadschimba im ersten Wahlgang der abchasischen Präsidentschaftswahlen Ende August des vergangenen Jahres bekommen. Lediglich 26,3 Prozent der Wähler stimmten für ihn. Oppositionskandidat Alchas Kwizinija kam knapp hinter dem Amtsinhaber in die Stichwahl. Diese gewann Chadschimba denkbar knapp mit 48,7 Prozent der Stimmen, Kwizinija kam auf 47,5 Prozent. Fast vier Prozent der Wahlberechtigten wählten die Option »gegen alle Kandidaten« – eine Möglichkeit, die im postsowjetischen Raum weit verbreitet ist. Kwizinija von der Veteranenvereinigung Amtsachara kündigte sofort an, gegen das Ergebnis Widerspruch einzulegen.

Am vergangenen Donnerstag kehrte überraschenderweise Aslan Bschania, der im vergangenen Sommer noch als Favorit der Präsidentenwahl gegolten hatte, in sein Heimatland zurück. Er war im April vergangenen Jahres einer mysteriösen Vergiftung zum Opfer geworden, wurde in Russland und der BRD medizinisch behandelt und zog seine Kandidatur zurück. Die Opposition trat daraufhin zersplittert zu den Wahlen an – und verlor. Bschania erklärte bei seiner Rückkehr, die Wiederwahl Chadschimbas sei illegal gewesen. Kurz danach stürmten am vergangenen Donnerstag aufgebrachte Demonstranten das Regierungsgebäude im Zentrum der Hauptstadt Aqwa (georgisch: Sochumi). Mehrere hundert Menschen schlossen sich den Protestierenden an.

Einen Tag darauf stimmte das Parlament mehrheitlich für den Rücktritt des Amtsinhabers. Das Richtergremium, das über die Gültigkeit der Wahl entscheiden sollte, wechselte zudem einen Richter aus, nachdem die Opposition Befangenheit beklagt hatte. Chadschimba floh derweil auf seine Datscha und drohte, den Ausnahmezustand zu erklären, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.

Die russische Regierung wiederum gab an, der Streit sei eine innere Angelegenheit Abchasiens und entsandte am Sonntag eine Delegation unter der Leitung Wladislaw Surkows zur Vermittlung in die Schwarzmeerrepublik. Surkow ist der unter anderem für Abchasien zuständige Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bereits zwei Stunden nach Surkows Ankunft trat Chadschimba zurück – er hatte sich geweigert, mit der Delegation aus Moskau zu sprechen. Für Ende März sind nun Neuwahlen angesetzt.

Der Unmut gegen Chadschimba hatte viele Ursachen. Unter seiner Präsidentschaft grassierte die Korruption, der staatliche Wiederaufbau stockte und die internationale Anerkennung Abchasiens kam kaum voran. Hinzu kam der Skandal um ein Mitglied der Präsidentenleibwache, das im vergangenen Herbst in eine Schießerei involviert war. Mit dem ausgebildeten Juristen und ehemaligen KGB-Agenten Chadschimba verliert Moskau einen wichtigen Verbündeten im Kaukasus. Er hatte sich einseitig an Russland angelehnt, den Dialog mit Georgien – von dem sich Abchasien nach dem Zerfall der Sowjetunion abgespalten hatte – schleifen lassen, die georgischsprachigen Mingrelier im Süden des Landes schlecht behandelt und kaum internationale Aktivitäten entfaltet.

»Chadschimba hat das Land an den Rand des Abgrundes gebracht«, erklärt Achra Awidzba, Mitglied des Vorstands der oppositionellen Partei Vereinigtes Abchasien, gegenüber jW. »Seit 30 Jahren regiert die gleiche Elite und es braucht einen Bruch. Vor allem die Jugend fordert das«, so Awidzba, der bei der Schießerei im vergangenen Herbst einen Verwandten verlor. Auf die Nachfrage, ob Oppositionschef Bschania solch einen Wandel einleiten könnte, ergänzte er: »Ja, Aslan Bschania könnte so einen Wandel beginnen. Doch solch ein Prozess geht über eine Amtszeit hinaus.«

Erschienen in: junge Welt, 15.01.2020.

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