»Weiter so« in Abchasien
Präsidentschaftswahl verzögert den erhofften Neuanfang
Überraschend schlecht schnitt der seit 2014 regierende Amtsinhaber Raul Chadschimba im ersten Wahlgang der abchasischen Präsidentschaftswahlen Ende August ab. Gerade einmal 26 Prozent der Wähler gaben ihm die Stimme. Oppositionskandidat Alchas Kwitsinia kam mit 24 Prozent ebenso in die Stichwahl. Doch im Endspurt des Wahlkampfes zeigte sich letzterer Kandidat, der gerne gegen die Oligarchen des von Georgien abtrünnigen Landes polemisiert, unsicher und nicht sehr redegewandt. Chadschimba gewann daraufhin den zweiten Urnengang knapp.
Politisch bedeutet das ein »Weiter so«, obwohl eigentlich sich viele einen Wandel gewünscht hatten. Chadschimba, der schon bei den Wahlen 2004 als Moskaus Favorit galt, fährt eine Konfrontationspolitik gegenüber den georgischsprachigen Mingreliern im Süden des Landes und bindet sich außenpolitisch sehr eng an Moskau an. Beispielsweise ist ein russischer Offizier Oberbefehlshaber der abchasischen Streitkräfte, was dem Ansehen des Landes als unabhängiger Staat schadet. Doch nicht in allen Fragen ordnet sich Abchasien dem »großen Bruder« unter. So ist die genaue Grenze zwischen beiden Ländern bis heute nicht geklärt. »Es ist kein Grenzstreit, die Markierung der Grenze dauert nur seine Zeit«, sagte Außenminister Daur Kowe gegenüber dem »nd«. Außerdem verhindert das Parlament, das Ausländer Grund und Boden kaufen dürfen, um einen Ausverkauf an russische Oligarchen zu verhindern.
Im Straßenbild der Hauptstadt Suchum kann man den gemächlichen Fortschritt beim Wiederaufbau betrachten. Nach dem Krieg gegen Georgien litt das Land noch in den Neunzigern unter einer Wirtschaftsblockade der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Ab der Jahrtausendwende und noch einmal verstärkt nach der russischen Anerkennung Abchasiens 2008, beginnen die Rubel ins Land zu fließen. Der Bauboom nahm aber nicht an Fahrt auf. Seit 2014 leidet auch Abchasien unter den gegen Russland verhängten Sanktionen von EU und NATO. Die russische Wirtschaft schwächelt, der auch in Abchasien genutzte Rubel verliert immer weiter an Wert, die Exporte bringen weniger Erträge und die Zolleinnahmen sinken. Viele Bauarbeiten sind von privater Hand finanziert während die öffentliche Infrastruktur, allen voran die Straßen und auch einige öffentliche Gebäude, auf Reparaturen und Modernisierungen warten.
Da der russische Markt in der Krise verharrt, suchen die Abchasen immer neue Absatzmärkte jenseits des nördlichen Nachbars. Auf der Damaszener Handelsmesse zeigte die Kaukasusrepublik dieses Jahr bereits zum dritten Mal in Folge Präsenz. Syrien erkannte die abchasische Unabhängigkeit im Januar 2018 an. Handelskammern aus Jordanien, Tunesien und dem Libanon haben bereits Abkommen mit der Abchasischen Industrie- und Handelskammer (TPP RA) geschlossen. Insgesamt in 80 Ländern habe die TPP RA Vertreter, erklärte Tamila Merzchulawa, die Vorsitzende der Kammer gegenüber »nd«. Jüngst gingen erste Produkte zum Probieren nach Taiwan. »Asien mag ein wachsender Markt für uns sein«, so Merzchulawa.
Wie es innenpolitisch weitergeht, ist unklar. Oppositionskandidat Alchas Kwitsinia klagt gegen das knappe Wahlergebnis. Vor der Stichwahl munkelten Kenner der abchasischen Politikszene, dass Ex-Präsident Alexander Ankwab beste Chancen hätte, neuer Premierminister zu werden. Dieser floh 2014 vor aufgebrachten Demonstranten auf einen russischen Militärstützpunkt. Daraufhin gewann sein Konkurrent Chadschimba erstmals die Präsidentschaftswahlen. Ob die beiden sich zusammenraufen können, ist nicht sicher. Die grassierende Korruption, die wirtschaftliche Lage im Allgemeinen sowie die stockende Industrialisierung und der mangelnde Fortschritt bei der internationalen Anerkennung sind die drängendsten politischen Fragen.
Erschienen in: Neues Deutschland, 21.10.2019.