»Dora meldet...« — Sándor Radó
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Die Rückkehr des „Populisten“

Bei den slowakischen Parlamentswahlen an diesem Wochenende steht die Berlin gegenüber loyale liberalkonservative Regierungskoalition vor einer dramatischen Niederlage. Selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die starke Sympathien für die bisherige Ministerpräsidentin und Favoritin Berlins, Iveta Radicová, hegt, rechnet mit einem „klare(n) Sieg“ von Radicovás Amtsvorgänger Robert Fico. Fico wiederum war bereits während seiner ersten Amtszeit von 2006 bis 2010 nicht nur von Vorfeldorganisationen der Berliner Außenpolitik, sondern auch von deutschen Medien, Wirtschaftsverbänden und offiziellen Stellen scharf attackiert worden, weil er den Ausverkauf slowakischer Staatsbetriebe gestoppt und Versuche einer eigenständigen Außenpolitik unternommen hatte. Die Bundesregierung hatte ihm 2006 sogar den üblichen Antrittsbesuch verweigert. Beobachter rechnen damit, dass Fico sich erneut bemühen wird, Bratislavas Abhängigkeit von Berlin zu verringern. Neue Konflikte zwischen der Slowakei und der Bundesrepublik seien deswegen, heißt es, keineswegs unwahrscheinlich.

Gegen den eigenen Willen

Die Parlamentswahlen in der Slowakei müssen an diesem Wochenende vorzeitig abgehalten werden, weil die Berlin gegenüber loyale Regierungskoalition von Ministerpräsidentin Iveta Radicová (SDKU) im vergangenen Herbst gestürzt ist – nach einer Amtszeit von nur wenig mehr als einem Jahr. Berlin hatte Bratislava damals massiv gedrängt, dem Euro-Fonds EFSF zuzustimmen. Der ehemalige Bundespräsident Wulff etwa hatte gegenüber slowakischen Politikern ganz offen Druck ausgeübt und auf das deutsch-slowakische Handelsvolumen verwiesen [1] – Deutschland ist seit Jahren der größte und damit auch einflussreichste Handelspartner der Slowakei. In dem Land hatte es erhebliche Widerstände gegen den EFSF gegeben; in der entscheidenden Abstimmung blieb die neoliberale Koalitionspartei Sloboda a Solidarita (SaS, „Freiheit und Solidarität“) der Abstimmung schließlich fern und führte damit, da die Ministerpräsidentin das Votum auf deutsches Drängen mit der Vertrauensfrage kombiniert hatte, den Sturz der Regierung herbei. Radicová hat mittlerweile gegenüber der Presse zugegeben, ihre Zustimmung zum Euro-Fonds EFSF selbst zu bedauern.[2]

Wo deutsche Konzepte funktionieren

Mit dem voraussichtlichen Regierungswechsel steht der in Berlin beliebten Ministerpräsidentin Radicová der Machtverlust bevor. Schon nach der gescheiterten Vertrauensfrage waren die SaS und ihr Vorsitzender Richard Sulík aus der Koalition geschieden. Sulík wird ein bedeutender Einfluss auf die Einführung der „Flat Tax“ während der zweiten Regierung von Mikuláš Dzurinda (SDKU, 2002-2006) zugeschrieben. Bei der „Flat Tax“ handelt es sich um einen einheitlichen Steuersatz für alle Bevölkerungsschichten und Firmen, der unter anderem ausländischen Unternehmen erhebliche Vorteile verschafft. Sulík („Mr. Flat Tax“) war ein Schüler von Paul Kirchhof, der im Jahr 2005 als Wirtschaftsminister im Schattenkabinett von Angela Merkel vorgesehen war. „Ich habe mir (von Kirchhof, d. Red.) die Ideen für unser Steuerkonzept geholt“, bestätigte Sulík 2005 gegenüber der deutschen Presse.[3] Ein deutsches Nachrichtenmagazin veröffentlichte diese Aussage unter der Überschrift „Wo Kirchhof funktioniert“ – rund ein Jahr, nachdem es aufgrund massiver sozialer Verwerfungen in der Slowakei zu den ersten Hungerunruhen seit dem Ersten Weltkrieg gekommen war.[4]

Loyaler Verbündeter

Die Regierung Radicová hatte nicht nur in Sachen EFSF, sondern auch außenpolitisch als loyaler Verbündeter Deutschlands agiert. So stockte sie die slowakischen Truppenkontingente für die Besatzungsstreitkräfte in Bosnien-Herzegowina und Afghanistan auf.[5] 2011 übernahmen slowakische Einheiten in Bosnien-Herzegowina das Kommando über den Bereich „Süden“ von Deutschland.[6] Zusätzlich entsprach die liberalkonservative Administration auch auf ökonomischem Gebiet deutschen Interessen und forcierte den Ausverkauf staatlichen Eigentums. Für die meisten noch verbliebenen slowakischen Staatsbetriebe fanden sich deutsche Interessenten, beispielsweise der Flughafen Köln/Bonn und die Deutsche Bahn.[7] Radicovás Amtsvorgänger Robert Fico hingegen hatte während seiner Amtszeit von 2006 bis 2010 keinen Ausverkauf von Staatseigentum genehmigt und sogar dem deutschen Energieversorger E.ON mit Verstaatlichung gedroht.

Embargos und Boykotte

Fico wurde nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen westlichen Staaten darüber hinaus wegen seiner außenpolitischen Orientierung scharf attackiert. Die US-Botschaft in Bratislava etwa hatte den Sozialdemokraten in internen Depeschen als „russophil“ bezeichnet.[8] Fico war als einziger hochrangiger ausländischer Gast bei der Kür von Wladimir Putin zum Präsidentschaftskandidaten der Partei „Einiges Russland“ im September 2011 anwesend gewesen. Schon während seiner ersten Amtszeit hatte die slowakische Regierung nicht nur enge Kontakte nach Russland, sondern auch zu Belarus, Kuba, Syrien und Libyen gesucht. Die Regierung Libyens wurde mit westlicher Hilfe gestürzt, der Regierung Syriens steht dies allem Anschein nach bevor; gegen Kuba bestehen EU-Sanktionen fort, gegen Belarus wurden sie jüngst verschärft. Beobachter rechnen damit, dass eine neue Regierung Fico die Boykotte gegen Kuba und Belarus nicht beachten wird – gegen deutsche Interessen. Mit der jüngst erfolgten Ankündigung Lettlands, sich nicht an den Strafmaßnahmen gegen Minsk zu beteiligen, beginnt die Boykottfront gegen die dortige Regierung allerdings ohnehin zu bröckeln.[9] Die deutsche Presse warnte entsprechend schon im Januar davor, in der Slowakei zu investieren: Fico sei „ein Populist“, der schon in der Vergangenheit seine Außenpolitik auch auf enge Beziehungen zu „Kuba, Weißrussland und Russland“ gesucht habe, hieß es.[10]

Kein Vertrauen mehr

>Fico, dessen Partei die Wahlen am Wochenende voraussichtlich klar gewinnen wird, wird nicht nur in Berlin, sondern auch von einem erheblichen Teil der slowakischen Medien skeptisch bis negativ beurteilt. Beobachter führen dies auch darauf zurück, dass bedeutende (tschecho-)slowakische Medienunternehmen schon zu Beginn der 1990er Jahre von deutschen Konzernen übernommen worden waren [11] – eine Tatsache, die bereits damals damit verbunden war, dass in Deutschland akzeptierte Meinungen in der Tschechoslowakei hohe Verbreitung fanden. So beschworen tschechoslowakische Medien Anfang der 1990er Jahre die Gefahr einer „Jugoslawisierung“ tschechisch-slowakischer Differenzen herauf und forcierten damit die Spaltung des Landes.[12] Wie eine neue Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung feststellt, „trauen“ heute „die typischen Fico-Wähler“, wohl auch aufgrund ihrer Erfahrungen seit 1990, „den durchwegs bürgerlichen Medien wenig“.[13]

Die „Gorilla-Affäre“

Einen letzten schweren Schlag hat der von Berlin favorisierten Koalition in Bratislava ein in der Slowakei bisher einzigartiger Korruptionsskandal versetzt. Fast alle Koalitionsparteien sind in die „Gorilla-Affäre“ verstrickt, deren Name einer Akte des Militärgeheimdienstes SIS entlehnt ist; es geht um illegale Machenschaften in großem Maßstab unter anderem bei der Privatisierung von Staatseigentum, deren Bekanntwerden die Partei der bisherigen Ministerpräsidentin Radicová sogar unter die Fünf-Prozent-Hürde drücken könnte. Die deutsche Presse setzt nun Hoffnungen darauf, dass der voraussichtliche Wahlsieger Fico „eine Allianz etwa mit den Christdemokraten eingehen könnte“.[14] Die eng mit der deutschen CSU verbandelte christdemokratische Partei KDH war nach den Parlamentswahlen vor zwei Jahren noch auf Druck des Vatikans vom slowakischen Klerus gedrängt worden, nicht mit Fico, sondern mit den anderen bürgerlichen Parteien zu koalieren. Jetzt gilt sie in Berlin als letzte Chance, unmittelbaren Einfluss auf die künftige Regierung zu erhalten. Dass Fico ansonsten mit starkem Druck aus Deutschland zu rechnen hat, lässt schon die Tatsache erkennen, dass er mittlerweile wieder „Populist“ genannt wird – eine im Kern völlig inhaltslose Bezeichnung, die jedoch klare Ablehnung zum Ausdruck bringt und zum Standardrepertoire außenpolitischer Kampfberichterstattung gehört.

Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Slowakei-Politik finden Sie hier: Widerständigkeiten, Nicht zum ersten Mal, Pjöngjang an der Donau, Ein wankender Partner und Das deutsche Jahr der Slowakei.

[1] Karin Rogalska: Machtspiele im Mehrebenensystem; Osteuropa 11/2011
[2] Radicova: EU-Griechenlandhilfe ein Fehler; www.finanzen.net 02.03.2012
[3] Gudrun Dometeit, Alexandra Klausmann, Alexandra Kusitzky: Wo Kirchhof funktioniert; Focus 36/2005
[4] Hannes Hofbauer: EU-Osterweiterung – Historische Basis, ökonomische Triebkräfte, soziale Folgen, Wien 2007. S. 183-187. dazu unsere Rezension
[5] Slovakia to increase troops numbers in Afghanistan and Bosnia, spectator.sme.sk 08.12.2010
[6] Slovakia commands ALTHEA in BiH; spectator.sme.sk 07.03.2011
[7] s. dazu Ein wankender Partner
[8] Wikileaks-Depesche 09BRATISLAVA70 vom 09.02.2009, veröffentlicht am 30.08.2011
[9] Lettland unterstützt EU-Wirtschaftssanktionen gegen Weißrussland nicht; de.rian.ru 01.03.2012
[10] Martin Hock: Slowakische Anleihen – Besser auf die Wahlen warten; faz.net 31.01.2012
[11] s. dazu Ein wankender Partner
[12] s. dazu Miroslav Polreich: German influence in Eastern Europe
[13] Martin Hock: Slowakische Anleihen – Besser auf die Wahlen warten, faz.net 31.01.2012
[14] Jindra Kolar: Ficos Frist in Bratislava läuft ab – Tauziehen um die Macht nach dem knappen Wahlausgang in der Slowakei; Neues Deutschland 23.06.2010

german-foreign-policy.com, 09.03.2012

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