»Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.« — Václav Havel
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Das deutsche Jahr der Slowakei

Nach dem Bruch der Regierung der Slowakei unter der Last deutscher Forderungen erhöht Berlin den Druck auf den aussichtsreichsten Kandidaten bei den kommenden dortigen Parlamentswahlen. Die bisherige Wunschpartnerin der Bundesregierung, die liberalkonservative Ministerpräsidentin Iveta Radicová, ist letzte Woche gestürzt worden; innerhalb ihrer Regierung war das von Berlin geforderte „Ja“ zu den Änderungen am „Euro-Rettungsschirm“ (EFSF) nicht durchsetzbar. Radicovás Amtsvorgänger Robert Fico, der nun auch ihr Nachfolger werden könnte, stößt in Berlin auf Widerstand, da er den außenpolitischen Spielraum seines Landes zu erweitern sucht und den Interessen deutscher Konzerne, die die Slowakei bereits seit Jahren als Niedriglohnstandort nutzen, nicht in vollem Umfang entspricht. Die slowakische Partei SaS, die die Zustimmung zum EFSF verweigerte und damit den Sturz der prodeutschen Regierung herbeiführte, wird von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung unterstützt. Dabei stärkte die Stiftung zuletzt Euro-kritische Positionen, wie sie jüngst auch in Teilen der FDP zu erkennen waren. Die SaS sucht dennoch mittlerweile, enttäuscht von der FDP, Kontakt zur extrem rechten FPÖ.

Vertrauensfrage

Die Regierung von Ministerpräsidentin Iveta Radicová hatte einen parlamentarischen Rückhalt von fünf Parteien und einer Gruppe christlicher Fundamentalisten. Zu den Koalitionspartnern gehörten die mit der CDU kooperierenden Parteien KDH und SDKÚ-DS sowie die neoliberale „Sloboda a Solidarita“ (Freiheit und Solidarität, SaS). Die Regierungskoalition zerbrach letzte Woche am Streit um den sogenannten Euro-Rettungsschirm (EFSF). Berlin hatte massiv Druck gemacht, um so bald wie möglich eine Zustimmung zu den geplanten Änderungen am EFSF zu erhalten; damit sie gültig werden konnten, mussten ihnen alle 17 Euro-Länder zustimmen. Die Änderungen belasten den Etat der verarmten Slowakei, der ohnehin nur geringe Spielräume aufweist, recht deutlich. Die SaS wies sie zurück; Radicová, die, um die von Berlin gewünschte Ratifizierung des EFSF zu ermöglichen, ihr Äußerstes gegeben und die Parlamentsabstimmung mit einer Vertrauensfrage kombiniert hatte, kündigte nach der Abstimmungsniederlage ihren Rücktritt an. Mittlerweile hat – nach Radicovás Ankündigung, Neuwahlen anzuberaumen – die sozialdemokratische Opposition den EFSF-Änderungen in einem zweiten Anlauf zu einem „Ja“ verholfen.

Ein Fehlschlag

Die SaS, an deren „Nein“ Radicová scheiterte, wurde schon vor der letzten Parlamentswahl im Jahr 2010 von der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) unterstützt. Nach ihrem starken Abschneiden bei der Wahl – sie wurde mit 12,1 Prozent drittstärkste Kraft – feierte die Naumann-Stiftung die erst im Jahr 2009 gegründete Partei als „Senkrechtstarter“. Noch im Oktober 2010 nahm die „Europäische Liberale, Demokratische und Reformpartei“, in der die FDP eine starke Stellung hält, sie als neues Mitglied auf. Zuletzt finanzierte sie die Übersetzung eines Euro-kritischen Buches ins Slowakische – ein für eine deutsche Parteienstiftung ungewöhnlicher Schritt; üblicherweise ließen die Stiftungen in der Öffentlichkeit niemals Zweifel an ihrer Unterstützung für die europäische Integration und für die Einheitswährung aufkommen. Über die Präsentation des Buches in Bratislava und einer zweiten slowakischen Stadt berichtete die Naumann-Stiftung ausführlich – unter explizitem Hinweis darauf, dass der Autor den Euro für einen „Fehlschlag“ hält.[1] Wie der Streit zeigt, der auch in Berlin vor der Verabschiedung der EFSF-Änderungen tobte, ist der „Rettungsschirm“ sowie in Ansätzen der Euro mittlerweile auch im liberalen Teil des deutschen Establishments umstritten.[2] Die SaS geht inzwischen einen Schritt weiter; sie hat Beziehungen zur extrem rechten FPÖ aufgenommen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sei „bei weitem nicht so rechtspopulistisch (…), wie man ihn hinzustellen versucht“, behauptet der SaS-Vorsitzende Richard Sulík.[3]

Richtungswechsel

Nach dem Scheitern der prodeutschen Regierung Radicová rechnen Beobachter gegenwärtig mit der Rückkehr ihres Amtsvorgängers Robert Fico, der von 2006 bis 2010 als Ministerpräsident der Slowakei amtierte. Fico hatte eine Außenpolitik betrieben, die dem kleinen EU-Land neue eigene Spielräume verschaffen sollte, und daher engere Beziehungen nicht zuletzt zu Kuba, Belarus und Russland aufgenommen. Dies hatte schon damals in Berlin Verärgerung verursacht. Die deutsche Presse beginnt nach Radicovás Sturz, Fico deswegen erneut zu attackieren. Er sei ein „Putin-Verehrer“, der „nationalistische und linkspopulistische Elemente im Programm seiner Partei“ vereine, heißt es in einer einflussreichen Tageszeitung. Tatsächlich war Fico anwesend, als Putin kürzlich ankündigte, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in Russland zu kandidieren; dabei äußerte er sich positiv über eine engere Kooperation mit Russland. Radicová hingegen hatte als Ministerpräsidentin die Beziehungen zu Kuba und zu Belarus abkühlen lassen und auch sonst die Bindungen an Berlin wieder gefestigt. Ihr Außenminister Mikuláš Dzurinda hat das Jahr 2011 im März sogar zum „deutschen Jahr der slowakischen Außenpolitik“ erklärt.[4]

Besorgte Investoren

Deutschen Wünschen entsprochen hatte die Regierung Radicová auch in der Wirtschaftspolitik. Bei Beginn ihrer Amtszeit hatte sie begonnen, national bedeutsame Unternehmen zu verkaufen – eine Entscheidung, die in Deutschland auf positives Echo stieß. So frohlockte die bundeseigene deutsche Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing Germany Trade and Invest im Frühjahr, es stehe eine „große Privatisierungsrunde in der Slowakei“ bevor.[5] So sollten etwa die Slowakische Telekom, der Flughafen Bratislava und die Eisenbahntransportgesellschaft ZSSK Cargo veräußert werden. Deutsche Unternehmen wie die Deutsche Telekom, die Deutsche Bahn und der Flughafen Köln/Bonn galten jeweils als Favorit (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Robert Fico hat bereits mitgeteilt, die Privatisierungen stoppen zu wollen; entsprechend heißt es nun in der Presse, die für die Slowakei „sehr wichtigen Auslandsinvestoren“ seien „besorgt“.[7] Zudem kündigt Fico an, die vor allem für Wohlhabende günstige Einheitssteuer („Flat Tax“) aufheben sowie die Rechte der Gewerkschaften erneut stärken zu wollen. Hintergrund ist unter anderem, dass die Zahl der von Armut Bedrohten in dem 5,5-Millionen-Einwohner-Land im letzten Jahr um 100.000 gewachsen ist. Ob Fico diese Maßnahmen wirklich durchsetzen kann, bleibt abzuwarten; schließlich laufen sie den Interessen der ausländischen Konzerne zuwider, die in der Slowakei bei Niedrigöhnen produzieren lassen, darunter vor allem Automobilkonzerne. Allein VW beschäftigt derzeit rund 7.500 Slowaken – und hatte für die Zeit bis 2015 ursprünglich Neuinvestitionen in Höhe von einer Milliarde Euro in Aussicht gestellt.

Exklusive Stellung

Der Druck Berlins, der sich gegenüber den außenpolitischen Plänen und den wirtschaftspolitischen Vorhaben von Fico bereits jetzt deutlich abzeichnet, basiert auf einer herausragenden ökonomischen Stellung. Die Bundesrepublik kauft 20,1 Prozent der slowakischen Exporte und ist für 18,3 Prozent der slowakischen Einfuhren verantwortlich. 15 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in der Slowakei kommen aus Deutschland, das damit – nach den Niederlanden – der zweitgrößte Investor in dem Land ist. Stellt man in Rechnung, dass Investitionen aus Deutschland nicht selten über die Niederlande abgewickelt werden oder auch über Österreich, das in der Rangliste der Investoren in der Slowakei auf Deutschland folgt, dann erhöht sich der tatsächliche deutsche Anteil weiter. Auf dieser Basis ist es Berlin möglich, Regierungsentscheidungen in Bratislava durchzusetzen, selbst wenn die dortige Regierung darüber stürzt, und sofort anschließend die Opposition, die die nächste Regierung stellen könnte, massiv zu bedrängen.

[1] Philipp Bagus präsentierte in der Slowakei „Die Tragödie des Euro“; www.freiheit.org 19.07.2011
[2] s. dazu Erkenntnisse einer neuen Zeit
[3] „Es ist pervers, hier von Solidarität zu sprechen“; www.faz.net 06.09.2011
[4] Slovak Minister of Foreign Affairs Mikuláš Dzurinda met with the German Minister of Foreign Affairs Guido Westerwelle; www.mzv.sk 03.03.2011
[5] Miriam Neubert: Große Privatisierungsrunde in der Slowakei; www.gtai.de 11.04.2011
[6] s. dazu Ein wankender Partner
[7] Karin Rogalska: Langes Ringen um kurze Macht; www.wienerzeitung.at 17.10.2011

german-foreign-policy.com, 19.10.2011

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  1. Die Rückkehr des “Populisten” | David X. Noack:

    […] Einen letzten schweren Schlag hat der von Berlin favorisierten Koalition in Bratislava ein in der Slowakei bisher einzigartiger Korruptionsskandal versetzt. Fast alle Koalitionsparteien sind in die “Gorilla-Affäre” verstrickt, deren Name einer Akte des Militärgeheimdienstes SIS entlehnt ist; es geht um illegale Machenschaften in großem Maßstab unter anderem bei der Privatisierung von Staatseigentum, deren Bekanntwerden die Partei der bisherigen Ministerpräsidentin Radicová sogar unter die Fünf-Prozent-Hürde drücken könnte. Die deutsche Presse setzt nun Hoffnungen darauf, dass der voraussichtliche Wahlsieger Fico “eine Allianz etwa mit den Christdemokraten eingehen könnte”.[14] Die eng mit der deutschen CSU verbandelte christdemokratische Partei KDH war nach den Parlamentswahlen vor zwei Jahren noch auf Druck des Vatikans vom slowakischen Klerus gedrängt worden, nicht mit Fico, sondern mit den anderen bürgerlichen Parteien zu koalieren. Jetzt gilt sie in Berlin als letzte Chance, unmittelbaren Einfluss auf die künftige Regierung zu erhalten. Dass Fico ansonsten mit starkem Druck aus Deutschland zu rechnen hat, lässt schon die Tatsache erkennen, dass er mittlerweile wieder “Populist” genannt wird – eine im Kern völlig inhaltslose Bezeichnung, die jedoch klare Ablehnung zum Ausdruck bringt und zum Standardrepertoire außenpolitischer Kampfberichterstattung gehört. Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Slowakei-Politik finden Sie hier: Widerständigkeiten, Nicht zum ersten Mal, Pjöngjang an der Donau, Ein wankender Partner und Das deutsche Jahr der Slowakei. […]

    --21. Oktober 2012 @ 17:59

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