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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Kein Kurswechsel in Prag

Große Parteien verloren bei Parlamentswahl in Tschechien – Rechtsregierung erwartet

In der Tschechischen Republik wurde am Freitag und Samstag der vergangenen Woche gewählt – die Ergebnisse waren überraschend. Die Sozialdemokraten der Tschechischen Republik (CSSD) „gewannen“ die Parlamentswahlen zwar mit 22 Prozent, haben aber keine Chance in die Regierung zu kommen. Dichtauf folgt konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) mit 20 Prozent. Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) schaffte ernüchternde 11 Prozent und die neuen Rechtsformationen TOP 09 und Öffentliche Angelegenheiten (VV) 16,7 und 10,9 Prozent. Die Christdemokraten der Christlich und Demokratischem Union – Tschechoslowakische Volkspartei (KDU-CSL) und die Grünen flogen aus dem Parlament.

In Tschechien war die KSCM immer eine konstante Kraft – sie erhielt bei allen Wahlen zwischen 1993 und heute zwischen 12 und 14 Prozent der Stimmen. Doch die Sozialdemokraten des Landes blockierten eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Jedoch wurde diese Position in den letzten Jahren immer weiter aufgeweicht – gerne war die CSSD auf die Stimmen von links angewiesen und setzten immer öfter auf diese Karte.

Zu diesen Parlamentswahlen setzte zum ersten Mal ein sozialdemokratischer Spitzenkandidat offiziell auf die rot-rote Option. Nachdem 2006 eine Regierungsbildung der CSSD unter Duldung der Kommunisten am potenziellen Koalitionspartner der Sozialdemokraten (der  KDU-CSL) scheiterte, schloss CSSD-Chef Paroubek fortan eine Koalition offiziell nicht mehr aus. 2007 bis 2009 amtierte in Prag eine schwarz-grüne Koalition, die letztendlich an einem Misstrauensvotum gegen den Premier Topolanek scheiterte. Zuletzt war eine parteilose Übergangsregierung im Amt.

Eine dritte Partei im Mitte-Links-Spektrum machte in diesem Wahlkampf von sich reden. Ex-CSSD-Vorsitzender Miloš Zeman war nach einem Streit mit Paroubek 2007 aus der Sozialdemokratischen Partei ausgetreten und gründete die Partei der Bürgerrechte (SPO). Als Rechtsabspaltung der CSSD – der zuletzt gerne von allen Seiten unrealistische soziale Forderungen vorgeworfen wurden – ging die SPO auf Stimmenjagd „in der Mitte“ und setzte dabei auf Zeman. Vor der Wahl wurde sie bei fünf Prozent gehandelt – ein Sprung ins Parlament schien nah. Eine „rot-rot-rote“ Regierungsbildung wäre aber schwierig geworden, da die SPO als Anti-Paroubek-Formation wahrgenommen wurde.

Jirí Paroubek wurde vor allem vorgeworfen, den slowakischen Weg gehen zu wollen. Im kleineren Nachbarland Tschechiens orientierte sich eine neue slowakische Regierung ab dem Jahr 2006 auf das Soziale. Alle Privatisierungen wurden gestoppt, die Mehrwertsteuer auf Medikamente und Bücher gesenkt, Gebühren für Arztbesuche wurden wieder abgeschafft. Ein neues Arbeitsgesetz stärkte Gewerkschaften und die Rechte der Arbeiter. Eine staatliche Kontrolle von Energiepreisen wurde eingeführt und Anti-Dumping-Gesetze für den Einzelhandel erlassen. Im Bereich der Gasversorgung kam es sogar zu Verstaatlichungen.

Paroubek war der engste Verbündete der neuen sozialdemokratischen slowakischen Regierung. So absolvierte der slowakische Premier Fico seinen Antrittsbesuch in Prag – da keine andere europäische Regierung ihn einlud. Die tschechischen Sozialdemokraten waren die einzigen, welche 2006 gegen einen Ausschluss der slowakischen Genossen aus dem SPD-dominierten europäischen Dachverband SPE (Sozialdemokratische Partei Europas) stimmten – vergeblich.

Umfragen hatten die CSSD zwischenzeitlich bei 35 Prozent gesehen. So schien ein vergleichbarer Kurswechsel wie in der Slowakei anzustehen. Doch Paroubek scheiterte. Vor allem Jung- und Erstwähler stimmten für die verschiedenen rechten Parteien. Als Konsequenz kündigte der CSSD-Chef seinen Rücktritt an. Die KSCM fiel mit ihrem Ergebnis hinter die neue konservative Partei TOP 09 zurück. Zemans SPO scheiterte deutlich an der 5-Prozent-Hürde – sie erreichte gerade einmal 4,3 Prozent. Die seit Jahren regierende konservative Demokratische Bürgerpartei hat bereits angekündigt, mit allen liberalen und konservativen Kräften ein Kabinett der „finanziellen Verantwortung“ bilden zu wollen.

Unsere Zeit, Nr. 22 vom 4. Juni 2010.

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