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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Sprungbrett nach Westafrika

Schrittweise baut die EU ihre Zusammenarbeit mit dem kleinen, aber geostrategisch höchst nützlichen Inselstaat Kap Verde aus. Die Republik Kap Verde liegt rund 450 Kilometer vor der Küste Senegals – und damit von Europa aus gesehen auf halbem Wege zu den Erdöl- und Erdgasgebieten Westafrikas, nahe einer Route, auf der Flüchtlinge auf die Kanarischen Inseln und damit in die EU zu gelangen suchen. Kap Verde und Brüssel kooperieren bei der Flüchtlingsabwehr; Deutschland unterhält auf niedrigem Level eine militärpolitische Zusammenarbeit, die jüngsten Planungen zufolge in eine enge Anbindung von Kap Verde an die NATO, möglicherweise sogar in eine NATO-Mitgliedschaft münden könnte. Die Annäherung an die EU vollzieht sich fernab jeder Öffentlichkeit, aber kontinuierlich. Erst an diesem Dienstag traf eine Delegation der Kanarischen Inseln auf Kap Verde ein, um über einen Ausbau der Kooperation zu verhandeln; die Kanaren sind das nächstgelegene Territorium der EU. Im Mai 2008 war Bundeskanzlerin Merkel zu Gesprächen nach Kap Verde gereist; im Oktober 2009 hatte der Staatspräsident des Landes mit einer hochrangigen Delegation in Berlin Verhandlungen über einen Ausbau der Kooperation geführt.

Einflusskonkurrenz

Seit Beginn ihrer staatlichen Eigenständigkeit im Jahr 1981 [1] erhielt die Republik Kap Verde besondere Unterstützung aus der Bundesrepublik. Gemessen am Pro-Kopf-Volumen der deutschen Entwicklungshilfe lag das Land mit rund 100 Millionen Euro lange Zeit an der Spitze aller Empfängerstaaten; allerdings sind die Leistungen mittlerweile eingestellt worden. Das Auswärtige Amt beurteilt die bilateralen Beziehungen schon lange als „freundlich und konstruktiv“ und lobte Kap Verde wegen „Good Governance“.[2] Der Inselstaat seinerseits bemüht sich um wirtschaftliche Beziehungen in die Bundesrepublik: „Wir hätten ein großes Interesse daran, nach Deutschland (…) zu exportieren“, erklärte vor einigen Jahren der damalige Botschafter in Berlin und heutige diplomatische Berater des kap-verdischen Premierministers, Antonio Nascimento.[3] Mittlerweile konkurrieren jedoch eine ganze Reihe von Staaten um die kleine, kaum bekannte Republik. Brasilien will das portugiesischsprachige Land als ein Tor nach Afrika nutzen. China hat im Dezember zugesagt, Kap Verde Rüstungsgüter im Wert von 570 Millionen Euro zu liefern und außerdem kap-verdische Soldaten auszubilden. Im August 2009 hielt sich US-Außenministerin Hillary Clinton persönlich zu Gesprächen in der Hauptstadt Praia auf.

Inselstützpunkt

Hintergrund des zunehmenden internationalen Interesses an der kleinen Inselrepublik ist ihre besondere geostrategische Lage. Kap Verde liegt – von Europa aus gesehen – auf dem Seeweg auf halbem Wege in die Rohstoffgebiete Westafrikas, in denen europäische Konzerne, darunter deutsche, ihre Aktivitäten inzwischen ausbauen.[4] Als Insel mit einer fast ausschließlich christlichen Bevölkerung gilt das Land zudem als recht sicherer Stützpunkt. Auch grenzen die Seegebiete Kap Verdes an Gewässer, die Flüchtlinge aus Afrika auf dem Weg in die EU (Kanarische Inseln) durchqueren; der Staat ist deshalb auch für die EU-Flüchtlingsabwehr von Interesse. Der Bundesrepublik kommt dabei zugute, dass sie schon bald nach der Eigenstaatlichkeit Kap Verdes nicht nur entwicklungs-, sondern auch militärpolitische und polizeiliche Unterstützung für das Land geleistet hat und heute daran anknüpfen kann.

Multiplikatoren

So geht die Kooperation zwischen der kap-verdischen Kriminalpolizei und dem deutschen Bundeskriminalamt (BKA) letztlich auf das Jahr 1982 zurück. Seit diesem Jahr erhielten mehrere kap-verdische Polizisten ein sogenanntes Ausbildungsstipendium des BKA. Die Kap-Verdier absolvierten in diesem Rahmen eine sechs- bis zehnmonatige Ausbildung, bei der sie mit Strukturen und Aufgaben der deutschen Polizei vertraut gemacht wurden. „Nach ihrer Ausbildung in Deutschland sollen sie in ihrem Heimatland als Multiplikatoren wirken und wichtige Ansprechpartner des BKA sein“, heißt es bei der deutschen Behörde, die sich eine deutlich verbesserte bilaterale Zusammenarbeit von den Stipendien verspricht.[5] Von 1985 bis 1995 erhielt Kap Verde zudem, wenn auch in geringem Umfang (rund 60.000 DM), sogenannte Ausstattungshilfe des BKA.

Flüchtlingsabwehr

Dies wirkt sich heute nicht nur deswegen günstig aus, weil Kap Verde sich zu einem der bedeutenderen Umschlagplätze für den Drogenhandel aus Südamerika nach Europa entwickelt hat. Auch für die europäische Flüchtlingsabwehr sind polizeiliche Kontakte von Nutzen. Kap Verde ist seit den europäisch-afrikanischen „Migrationsgipfeln“ von Marokko und Libyen (Juli und November 2006) unmittelbar in die Flüchtlingsabwehr der EU eingebunden. Das Land ist seither an See-Patrouillen beteiligt, die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert und unterstützt werden. 2006 schloss Kap Verde zudem ein „Rückführungsabkommen“ mit der EU ab und wird seit 2007 als angeblich „sicheres Herkunftsland“ klassifiziert, in das Schutzsuchende ohne jeglichen Aufwand abgeschoben werden können, wenn EU-Grenzschützer sie aufgreifen.

Militärische Freundschaft

Auch militärisch unterstützte die Bundesrepublik Kap Verde bereits in den 1980er Jahren, mit sogenannter Ausstattungshilfe in Höhe von zwei Millionen DM. Im Jahr 2003 hat die Bundeswehr ihre Leistungen für das kap-verdische Militär wieder aufgenommen. Seitdem bildeten deutsche Soldaten eine knapp zweistellige Zahl von Offizieren des Landes aus. Im Sommer 2006 führte die NATO ihr erstes Manöver („Operation Steadfast Jaguar“) auf afrikanischem Boden durch – auf den kap-verdischen Inseln São Vicente und Santo Antão.[6] Das größte nationale Kontingent unter den 7.800 NATO-Soldaten stellte mit 2.000 Militärs Deutschland. Nach der Kriegsübung übergab die deutsche Armee den kap-verdischen Streitkräften Bundeswehrlastwagen, der deutsche Brigadegeneral Walter Spindler betonte die „Freundschaft“ zwischen den Streitkräften der beiden Staaten. Im vergangenen Jahr besuchte schließlich die Bundesmarine zweimal die kap-verdischen Inseln: Im Frühjahr passierte der deutsche Einsatz- und Ausbildungsverband das Land, im Herbst lief das deutsche Segelschulschiff Gorch Fock in den Hafen von Praia ein.

Kooperation mit der NATO

Über den Hintergrund der militärpolitischen Zusammenarbeit notierte das Auswärtige Amt im Oktober 2009: „Auch eine Annäherung an die NATO wünscht sich Kap Verde.“[7] Atlantisch orientierte Kreise im EU- und NATO-Mitgliedsland Bulgarien haben im Dezember 2009 ausdrücklich vorgeschlagen, dass Kap Verde Mitglied im westlichen Kriegsbündnis werden soll. Der ehemalige bulgarische Außenminister Solomon Passy führt in einem Essay aus, die Inselrepublik sei eine „kleine Perle der europäischen Demokratie“, habe vor allem aber Einfluss in Westafrika und könne der NATO als „strategisches Sprungbrett“ dienen. Passy verlangt, Kap Verde solle
zunächst Mitglied der NATO-„Partnerschaft für den Frieden“, dann Mitglied der OSZE und schließlich Mitglied der NATO selbst werden.[8]

Eine besondere Partnerschaft

Für Deutschland günstig ist, dass Kap Verde zudem im Jahr 2007 eine „Spezielle Partnerschaft“ mit der EU geschlossen hat – in der EU wird die deutsche Hegemonie schließlich nicht, wie in der NATO, von den USA in den Schatten gestellt. Die „Spezielle Partnerschaft“ sieht unter anderem eine „Förderung der Annäherung von Kap Verde an die Gebiete in äußerster Randlage [der] EU“ vor. Für den Zeitraum von 2007 bis 2013 erhalten die Inseln im Atlantik dazu sogar Mittel aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der eigentlich für die Wirtschaftsförderung schwacher Gebiete in den EU-Mitgliedsstaaten vorgesehen ist. Der kap-verdische Präsident José Maria Neves dient das Land der EU als nützlichen Kooperationspartner an – die EU könne über Kap Verde „den Raum der Sicherheit und Stabilität in den südlichen Teil des Nordatlantiks ausdehnen“. Neves hat bereits 2005 den Vorschlag gemacht, die Kap Verden sollten den Euro übernehmen und perspektivisch den Status eines Vollmitgliedes der EU anstreben. Damit wird erstmals ein Schritt diskutiert, der zuvor allenfalls als absurd belächelt wurde: die territoriale Expansion der zur Weltmacht strebenden EU auf den afrikanischen Kontinent.

[1] Kap Verde wurde gemeinsam mit Guinea-Bissau im Jahr 1975 von Portugal aus dem Kolonialstatus entlassen und vollzog 1981 seine Trennung von Guinea-Bissau.
[2] Deutscher Bundestag, Drucksache 14/3958, 28.07.2000
[3] Wenn NRW mit Kiribati handelt; Die Welt 18.04.2004
[4] s. dazu Zentraler Zukunftsmarkt, Korruptionsbekämpfer und Nicht China überlassen
[5] Dieter Schenk: BKA – Polizeihilfe für Folterregime, Bonn 2008
[6] s. dazu s. dazu Neue Kriege in Afrika
[7] Kap Verde: Außenpolitik; www.auswaertiges-amt.de
[8] Solomon Passy: Six Essays on NATO’s Cooperation with the External World; www.isis-europe.org

german-foreign-policy.com, 14.01.2010

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