»Wichtige Prinzipien können und dürfen nicht gebrochen werden!« — Abraham Lincoln
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Die „Europäisierung“ Transnistriens

Der von Kiew verhängte Stopp russischer Erdgaslieferungen durch ukrainische Pipelines führt in der Republik Moldau zu einer schweren Energiekrise und zwingt die abgespaltene De-facto-Republik Transnistrien zu engeren Kontakten mit der EU.

Deutschland und die EU können einen Punktsieg im Ringen mit Russland um Einfluss auf die von der Republik Moldau abgespaltene De-facto-Republik Transnistrien feiern. Ursache ist eine schwere Energiekrise in Moldau und Transnistrien, die durch die Entscheidung der ukrainischen Regierung ausgelöst wurde, ab diesem Jahr kein russisches Erdgas mehr durch ukrainische Pipelines in Richtung Westen strömen zu lassen. Bis Ende 2024 war das noch der Fall gewesen. Mit dem Gas hatten vor allem Ungarn, die Slowakei und eben Moldau ihre Versorgung sichergestellt; Kiew hatte dafür rund 800 Millionen US-Dollar jährlich kassiert. Die Bundesrepublik und die EU unter Leitung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stärken derweil ihre Kontakte zur Regierung der abgespaltenen De-facto-Republik Transnistrien in Tiraspol. Dort geht der traditionell dominante russische Einfluss aufgrund des Ukrainekriegs und der auch dadurch bedingten Abschottung des Gebiets von Russland gegenwärtig zurück. Ein Experte urteilte kürzlich: Transnistriens „Zukunft liegt in Europa“. Aus Sicht Berlins wäre das ein Erfolg im Bestreben, Moskaus Einfluss in Südosteuropa zurückzudrängen.

Transitstopp

Im vergangenen Jahr kündigte die ukrainische Regierung an, den Transit russischen Erdgases über ukrainisches Territorium endgültig zu stoppen. 2024 hatte Kiew noch die – vertraglich festgelegte – Lieferung von rund 15 Milliarden Kubikmetern Erdgas aus Russland über den Transitknotenpunkt Sudscha und ukrainische Pipelines in Richtung Westen gestattet. Dies geschah durchaus zum eigenen Nutzen: Durch den Transit hatte der ukrainische Fiskus rund 800 Millionen US-Dollar jährlich an Transitgebühren von russischen Erdgaskonzernen eingenommen. Nun teilte Kiew allerdings mit, den im Jahr 2019 für die Laufzeit von 2020 bis 2024 geschlossenen Liefervertrag nicht verlängern zu wollen – und zwar, um den Kriegsgegner Russland durch den Wegfall von Einnahmen aus dem Erdölverkauf zu schwächen.[1] In der EU sind von dem Stopp vor allem die Slowakei und Ungarn betroffen, deren Regierungen sich für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg einsetzen. Darüber hinaus war von Anfang an klar, dass vor allem die zwischen Rumänien und der Ukraine gelegene Republik Moldau unter dem Transitstopp leiden würde. Dennoch kündigte der moldauische Premierminister Dorin Recean im September vergangenen Jahres an – unrealistischerweise, wie Beobachter übereinstimmend konstatieren – , die Gas- und Strompreise für die Bürger der Republik Moldau würden nicht steigen.[2] Es kam anders.

Energiekrise

Seit dem 1. Januar 2025 fließt – wie angekündigt – kein russisches Erdgas mehr über ukrainische Pipelines in die Republik Moldau. Mit dem Ende des russischen Gastransits musste das Elektrizitätswerk Kutschurgan, das in Transnistrien liegt, seine Arbeit einstellen. Aus Kutschurgan kamen bis dahin nicht nur der Strom für Transnistrien selbst, das sich Anfang der 1990er Jahre von der Republik Moldau abgespalten hatte, sondern auch rund 70 Prozent des Stroms für die Gebiete, die bis heute unter der Kontrolle der moldauischen Regierung in Chi?in?u stehen.[3] In der De-facto-Republik Transnistrien führte der Stopp der russischen Erdgaslieferungen im Januar zu einer beispiellosen Energiekrise; in der Region wurden Fabriken stillgelegt, Stromausfälle plagten die gesamte Bevölkerung. In Moldau selbst schnellten bereits binnen der ersten beiden Tage der Energiekrise die Strompreise – entgegen den Ankündigungen von Premier Recean – um bis zu 75 Prozent und die Heizkosten um 40 Prozent in die Höhe.[4] Der Bürgermeister der nordmoldauischen Stadt B?l?i, Alexandr Petkov von der linken Partidul Nostru, forderte die Regierung in Chi?in?u auf, die Bürger zu entschädigen; sie litten unter der, wie er unter Verweis auf Recean urteilte, inkompetenten Energiepolitik der Regierung.[5]

Zwischenlösung

Die Europäische Kommission hat nun EU-Entwicklungshilfe bereitgestellt: Sie versorgt Transnistrien bis zum 10. Februar kostenlos mit Gas; entsprechend kann über das Elektrizitätswerk Kutschurgan auch Moldau selbst mit Strom beliefert werden.[6] Transnistriens Regierungschef Wadim Krasnoselski dankte daraufhin EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) persönlich für die Unterstützung.[7] Darüber hinaus bot die ukrainische Regierung an, sowohl der Republik Moldau als auch Transnistrien Kohle zu liefern.[8] Ob die Regierungen in Chi?in?u und Tiraspol auf das ukrainische Angebot eingehen, ist noch nicht bekannt.

„Zukunft in Europa“

Mit direkten Kontakten zwischen der De-facto-Regierung in Tiraspol und der Europäischen Kommission schreitet die Anbindung Transnistriens an die EU weiter voran. Für eine solche „Europäisierung“ hatte eine Autorin der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) bereits im Jahr 2010 plädiert.[9] Im Dezember 2015 kündigten transnistrische Behördenvertreter an, ihre De-facto-Republik werde dem „tiefen Freihandelsabkommen“ (Deep and Comprehensive Free Trade Area, DCFTA) der Republik Moldau mit der EU beitreten; der Schritt wurde dann auch tatsächlich realisiert. EU-Mitarbeiter überwachten dabei die Einführung einer Mehrwertsteuer, die anderthalb Jahrzehnte zuvor abgeschafft worden war – weil sie armutsfördernd wirke, hatte es dazu in Transnistrien geheißen.[10] Im Jahr 2017, ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt, reiste der transnistrische Präsident Krasnoselski das erste Mal in die EU; seit 2019 veröffentlicht das transnistrische Präsidialamt seine Pressemitteilungen auch in englischer Sprache.[11] Transnistriens „Zukunft liegt in Europa“, schrieb jüngst der britische Transnistrien-Experte Thomas de Waal. Aufgrund von lockeren Praktiken bei der Passvergabe durch das EU-Mitglied Rumänien besitzen viele Transnistrier bereits eine EU-Staatsbürgerschaft.[12]

Im Ukrainekrieg neutral

Hintergrund der aktuellen Bestrebungen, die „Europäisierung“ Transnistriens zu forcieren, ist der Ukrainekrieg. Die transnistrische Regierung verhält sich in diesem weiterhin neutral und hat weder die ukrainische Regierung verprellt noch der russischen Armee erlaubt, transnistrisches Territorium für Kriegshandlungen zu nutzen.[13] Durch diplomatische Manöver hatte sich die De-facto-Regierung in Tiraspol sogar anfangs von der russischen Regierung distanziert.[14] Wenige Monate nach dem Beginn des Ukrainekriegs hatte die deutsche Botschafterin in der Republik Moldau, Margret Uebber, Transnistrien besucht und dort den Außenminister und den Präsidenten der De-facto-Republik zu offiziellen Gesprächen getroffen.[15] Die in Berlin schon lange erhoffte „Europäisierung“ Transnistriens gewinnt damit weiter an Kontur.

[1] Suriya Evans-Pritchard Jayanti: Moldova is the real loser from the end of Russian gas transit through Ukraine. atlanticcouncil.org 10.01.2025.
[2] ?????: ????????? ? ???? ?????? ?? ????? ??????? ????? ??????? ?????? ?? ???? ? ???. point.md 11.09.2024.
[3] Thomas de Waal: Moldova’s Gas Crisis Is Europe’s Headache. carnegieendowment.org 16.01.2025.
[4] ??????? ????????????: ??????? ?????????? ? ????????????? ? ????? ??????? ?? ?????? ??????. ??????? ?? ????????????? ? ??????? ?? 3 ??????. newsmaker.md 03.01.2025.
[5] Primarul municipiului B?l?i a cerut guvernului compensarea prejudiciilor aduse ora?ului din cauza politicii incompetente în domeniul energetic. noi.md 04.01.2025.
[6] Thomas de Waal: Moldova’s Gas Crisis Is Europe’s Headache. carnegieendowment.org 16.01.2025.
[7] Am?git de Putin, separatistul Krasnoselski mul?ume?te Uniunii Europene pentru c? a scos Transnistria din bezn?. Cet??enii din stânga Nistrului au ie?it în strad? s? s?rb?toreasc?. ziarulnational.md 01.02.2025.
[8] Gavin Blackburn: Kyiv says it can supply Moldova with coal as gas transit agreement with Russia ends. euronews.com 26.01.2025.
[9] S. dazu Ein Testlauf für Eurasien.
[10] S. dazu Die Schwarzmeermacht EU.
[11] David X. Noack: Transnistria’s Diplomacy During the First 15 Months of the Russian War. defactostates.ut.ee 20.07.2023.
[12] Thomas de Waal: Moldova’s Gas Crisis Is Europe’s Headache. carnegieendowment.org 16.01.2025
[13], [14] David X. Noack: Transnistria’s Diplomacy During the First 15 Months of the Russian War. defactostates.ut.ee 20.07.2023.
[15] Vitaly Ignatiev Meets with Ambassador Extraordinary and Plenipotentiary of Germany. mid.gospmr.org 15.12.2022. Vadim Krasnoselsky Received the German Ambassador. mid.gospmr.org 14.12.2022.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 04.02.2025.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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