»Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.« — Václav Havel
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Alte Verbündete

Die Bundeswehr bindet Teile der Armee Kroatiens in ihre multinationale Streitkräftekooperation ein. Sie kann dabei an die enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit beider Länder anknüpfen.

Die Bundeswehr bindet Teile der Streitkräfte Kroatiens in ihren im Aufbau begriffenen multinationalen Logistikverbund ein. Wie die Streitkräftebasis berichtet, nehmen kroatische Militärs bereits heute als Beobachter an deutsch-ungarischen Übungen teil, bei denen Truppen aus der Bundesrepublik und aus Ungarn gemeinsame logistische Operationen proben. Ab nächstem Jahr, so heißt es, sei eine aktive Integration kroatischer Einheiten in die Strukturierte Partnerschaft in der Logistik (SpiL) möglich, die Berlin und Budapest etabliert haben. Wirtschaftlich und politisch ist Kroatien schon heute eng an Deutschland gebunden. Die Bundesrepublik ist sein bedeutendster Handelspartner und ein wichtiger Investor in dem südosteuropäischen Land; darüber hinaus bestehen enge politische Beziehungen, die sich auch auf Kroatiens Nachbarland Bosnien-Herzegowina auswirken. Sie gehen zurück auf die entscheidende Rolle, die die Bundesrepublik in den 1990er Jahren bei der Abspaltung Kroatiens von Jugoslawien spielte. Bonn setzte diese damals unter Inkaufnahme erheblicher Konflikte mit Frankreich sowie innerhalb der NATO durch, der Kroatien heute freilich längst angehört.

Entscheidende Unterstützung
Im Dezember 1991 kündigte die deutsche Regierung an, als erstes Land überhaupt Kroatien diplomatisch anzuerkennen. Der Schritt stand im Widerspruch zu Beschlüssen der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG), denen die Bundesregierung zuvor selbst zugestimmt hatte.[1] Damit habe die „deutsche Außenpolitik“ ihr Ziel erreicht, mit Kroatien und Slowenien „an der Adria zwei Vorfeldstaaten deutscher Ordnungspolitik“ zu schaffen, urteilte der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom.[2] Mit dem Segen deutscher Behörden lieferten dann auch noch Waffenunternehmen aus der Bundesrepublik Rüstungsgüter wie die Maschinenpistole MP-5 und die Panzerfaust „Armbrust“ nach Kroatien.[3] Zudem gelangten Fahrzeuge und Waffen aus den Altbeständen der aufgelösten Nationalen Volksarmee in das Adrialand.[4] Die Bundesrepublik Deutschland spielte somit eine Schlüsselrolle bei der Abspaltung Kroatiens von Jugoslawien.

Konflikte in Kauf genommen
Um Kroatiens Unabhängigkeit zu erreichen, nahm die Bundesregierung in Kauf, dass Probleme mit anderen NATO-Mächten entstanden – dies zu einer Zeit, zu der nach der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) im Juli 1991 ohnehin die Konkurrenz zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA die Dynamik innerhalb des westlichen Militärbündnisses prägte.[5] Der deutsche Botschafter in Paris, Jürgen Sudhoff (im Amt von 1991 bis 1995), meldete Anfang 1992 ins Auswärtige Amt, die deutsche Anerkennung Kroatiens habe in Paris „Wunden geschlagen“, die auch Wochen danach „keineswegs verheilt sind“.[6] Um eine deutsche „Einflusszone an der Adria“ zu sichern, hatte die Bundesregierung „erhebliche Binnenkonflikte in der Nordatlantischen Allianz in Kauf“ genommen.[7]

Wiederaufbau mit deutscher Hilfe
Bereits im Frühjahr 1991 hatte der kroatische Unabhängigkeitskrieg begonnen. Die neugebildete kroatische Armee konnte dabei in den ersten beiden Kriegsjahren die Jugoslawische Volksarmee zurückdrängen. Von 1992 bis 1995 gingen die Kämpfe weiter; die kroatischen Truppen bekämpften die De-facto-Republik Serbische Krajina, die zu dieser Zeit Teile Slawoniens und der an Bosnien-Herzegowina grenzenden Gebiete kontrollierte. Im Verlauf der „Operation Oluja“ („Operation Sturm“) vertrieben kroatische Soldaten im August 1995 rund 200.000 Serben aus der Krajina und zerschlugen die nicht anerkannte Republik. Die Gebiete Slawoniens wiederum fielen für drei Jahre unter UN-Verwaltung. Die dortigen serbischen Polizisten wurden vorübergehend in Deutscher Mark bezahlt, um ihnen den Abschied aus dem vormaligen Jugoslawien zu erleichtern.[8] 1998 ging das Gebiet dann endgültig an Kroatien. Bereits 1992 hatte die Regierung in Zagreb die Kroatische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (HBOR) etabliert. Die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau galt dabei als Vorbild und sandte auch Berater zur HBOR. Vom Startkapital der HBOR im Umfang von einer Milliarde Deutscher Mark kam die Hälfte von der deutschen Regierung.[9]

Zwischen BRD und USA
Infolge der Abspaltung Kroatiens übernahm der Bundesnachrichtendienst (BND) „die vollständige Kontrolle über die neuen kroatischen Geheimdienste“.[10] Zunächst versuchte die US-Regierung es mit einer „geopolitischen Arbeitsteilung“, wobei Deutschland Kroatien als „primäre Einflusssphäre“ erhalten sollte, während die USA sich auf Bosnien-Herzegowina konzentrieren wollten.[11] Mitte der 1990er Jahre ging die US-Regierung dann jedoch daran, den deutschen Zugriff auf die kroatischen Geheimdienste zu minimieren, indem sich Washington dort selbst betätigte.[12]

Öffnung zur EU
Um die Jahrtausendwende begann die kroatische Regierung, wichtige Unternehmen zu privatisieren und den Handel auf die EU auszurichten. Im Jahr 1999 übernahm die Deutsche Telekom den damaligen kroatischen Telefonmonopolisten Hrvatski Telekom (Kroatische Telekom). Bei der verstärkten Öffnung für ausländische Investoren ab dem Jahr 2000 spielten – neben österreichischen – deutsche Konzerne eine führende Rolle.[13] Dabei muss beachtet werden, dass Österreich seit den frühen 1930er Jahren traditionell als deutsche „Brücke“ für den „Drang nach Südosten“ diente.[14]

Interessenkonvergenz der Großmächte
Bereits im Frühjahr 1991 hatte der deutsche NATO-Generalsekretär Manfred Wörner (im Amt 1988 bis 1994) in einem Pressehintergrundgespräch erklärt, Kroatien solle neben einer Reihe weiterer ostmitteleuropäischer Staaten aufgrund der „gemeinsamen Geschichte (…), Kultur und Religion“ in die NATO aufgenommen werden.[15] In den 1990er Jahren war das allerdings noch keine konkrete Option. Ab den frühen 2000er Jahren nahmen die kroatischen Streitkräfte neben deutschen Soldaten an NATO-Operationen wie KFOR in der von Serbien abtrünnigen De-facto-Republik Kosovo, „Operation Active Endeavour“ im Mittelmeer und ISAF in Afghanistan teil. Im April 2009 trat Kroatien dann dem nordatlantischen Militärbündnis bei.

Parteiensystem
Seit der Unabhängigkeit wird die kroatische Politik von der rechtskonservativen HDZ („Kroatische Demokratische Gemeinschaft“) dominiert. Mehr als zwei Drittel der vergangenen drei Jahrzehnte stellte die HDZ Kroatiens Premierminister. In den 1990ern wurde die HDZ vom Nationalisten Franjo Tudjman geprägt, wobei es eine Minderheitenfraktion gab, die die HDZ in eine „kroatische CDU“ umwandeln wollte.[16] Anfang der 2000er Jahre konnten sich die liberalkonservativen Modernisierer in der HDZ durchsetzen und bauten die Partei nach dem Vorbild der CDU um.[17] Seitdem ist die HDZ den deutschen Unionsparteien eng verbunden. Dennoch bleibt die Partei stark nationalistisch ausgerichtet und pflegt die Tradition einstiger NS-Kollaborateure.[18] Die derzeit oppositionelle Sozialdemokratische Partei Kroatiens (SDP), die von 2000 bis 2003 und von 2011 bis 2016 den Ministerpräsidenten stellte, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der HDZ. Als die SDP das vergangene Mal regierte, konzentrierte sie sich darauf, die Arbeitsgesetze zu lockern und Privatisierungen zu forcieren. Im kroatischen Parteienspektrum gibt es einen starken neoliberalen Konsens.[19]

Parteien- und Stiftungskooperationen
In der kroatischen Hauptstadt Zagreb sind eine Reihe deutscher staatlicher und politiknaher Institutionen präsent. Sowohl die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung als auch die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung, die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung und die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung unterhalten Stiftungsbüros in der Stadt. Darüber hinaus haben das Goethe-Institut, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, eine Abteilung des dem Auswärtigen Amt unterstehenden Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten, eigene Büros.[20]

„Größter Handelspartner“
Zudem ist die Bundesrepublik Kroatiens größter Handelspartner. Mit fast drei Millionen Touristen aus Deutschland stellten die Deutschen im vergangenen Jahr das zahlenmäßig größte Kontingent ausländischer Urlaubsgäste in dem Land.[21] Im Jahr 2018 gingen 13,1 Prozent der kroatischen Exporte in die Bundesrepublik; 15,2 Prozent der kroatischen Importe kamen aus Deutschland.[22] Bei den ausländischen Direktinvestitionen sank der deutsche Anteil allerdings von 23,7 Prozent im Jahr 2000 auf 9,4 Prozent im Jahr 2018, wobei der österreichische Anteil im gleichen Zeitraum relativ stabil blieb (2000: 21,9 Prozent, 2018: 23,2 Prozent).[23] Auf der Rangliste der deutschen Handelspartner wiederum hat Kroatien einen nur mäßigen Stellenwert: Bei den deutschen Exporten liegt es auf Platz 45 vor der Ukraine und Ägypten, bei den Importen auf Platz 54 vor Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.[24] Während Deutschland für die kroatische Wirtschaft enorm wichtig ist, ist Kroatien für die deutsche Wirtschaft nicht besonders bedeutend.

„Unterstützung radikaler Nationalisten“
Die deutsch-kroatische Allianz wirkt sich auch auf Kroatiens Nachbarland Bosnien-Herzegowina aus. Dort bekleidet seit dem August 2021 der CSU-Politiker Christian Schmidt das Amt des „Hohen Repräsentanten“. In dieser Funktion kann er in Bosnien-Herzegowina eigenmächtig Amtsträger entlassen, Gesetze verändern oder erlassen und sogar neue staatliche Behörden schaffen. Der CSU-Politiker fiel in den vergangenen beiden Jahren, wie berichtet wird, vor allem mit „Unterstützung radikaler Nationalisten“ auf.[25] So sei er bei der bosnischen Schwesterpartei der kroatischen HDZ aufgetreten, die „ideologisch noch immer eng mit dem kroatischen Ustascha-Staat während des Zweiten Weltkrieges verbunden“ sei. Bei solchen Treffen habe Schmidt sich mehrmals mit bosnisch-kroatischen Extremisten unter der Flagge Herceg-Bosnas ablichten lassen, einer von 1992 bis 1995 existierenden, stark nationalistisch geprägten kroatischen De-facto-Republik.

[1] Beverly Crawford: Explaining Defection from International Cooperation: Germany’s Unilateral Recognition of Croatia, in: World Politics, Jg. 48 (1996), Nr. 4, S. 482–521 (hier: S. 482).
[2] Erich Schmidt-Eenboom: Der BND: Schnüffler ohne Nase – die unheimliche Macht im Staate, Düsseldorf 1995, S. 421.
[3] Ebenda, S. 422/423.
[4] Ebenda, S. 424/425.
[5] Schmidt-Eenboom: Der BND, S. 427.
[6] Andreas Wirsching/Stefan Creuzberger/Hélène Miard-Delacroix (Hgg.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1992 – Band I: 1. Januar bis 30. Juni 1992, Berlin/Boston (MA) 2023, Dok.-Nr. 16: Drahtbericht des Botschafters Sudhoff, Paris, 16.01.1992.
[7] Erich Schmidt-Eenboom: Der Schattenkrieger – Klaus Kinkel und der BND, Düsseldorf 1995, S. 211.
[8] Derek Boothby: The Political Challenges of Administering Eastern Slavonia, in: Global Governance, Jg. 10 (2004), Nr. 1, S. 37–51 (hier: S. 43).
[9] William Bartlett: Croatia – Between Europe and the Balkans, London/New York (NY) 2003, S. 98.
[10] Schmidt-Eenboom: Der Schattenkrieger, S. 234.
[11] Susan L. Woodward: Balkan Tragedy: Chaos and Dissolution after the Cold War, Washington 1995, S. 196/197.
[12] Schmidt-Eenboom: Der Schattenkrieger, S. 235/236.
[13] Davor Paukovic/Viseslav Raos: Democratic Deficits, Delayed Democratization and Prolonged EU Accession, in: Pero Maldini/Davor Paukovic (Hgg.): Croatia and the European Union – Changes and Development, London/New York (NY) 2016, S. 33–52 (hier: S. 40).
[14] Carl Freytag: Deutschlands „Drang nach Südosten“ – Der Mitteleuropäische Wirtschaftstag und der „Ergänzungsraum Südosteuropa“ 1931–1945, Göttingen 2012, S. 37.
[15] Journalist Andreas Zumach über Ukraine & Geopolitik – Jung & Naiv: Folge 630. youtube.com 06.03.2023.
[16] Karl Gersuny: Tudjman bestreitet Existenzrecht Bosniens. tageszeitung 16.10.1993.
[17] Robert Bideleux/Ian Jeffries: The Balkans – A Post-Communist History, London 2007, S. 222.
[18] S. dazu Die nächste EU-Ratspräsidentschaft.
[19] Juraj Katalenac: Neoliberalism in the Rose Garden. jacobin.com 15.12.2016.
[20], [21] Deutschland und Kroatien: Bilaterale Beziehungen. auswaertiges-amt.de 03.03.2023.
[22] Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche: Handbook of Statistics 2019, Wien 2019, S. 198.
[23] Ebenda, S. 246.
[24] Außenhandel – Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland (vorläufige Ergebnisse). destatis.de 10.02.2023.
[25] Erich Rathfelder: Verbunden mit den Rechtsextremen. taz.de 19.02.2023.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 05.10.2023.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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