Die zweite Rückkehr des „Populisten“
In der Slowakei droht Berlin der Verlust eines Verbündeten im Ukraine-Krieg: Wahlfavorit Robert Fico will die Waffenlieferungen an Kiew beenden, lehnt die Russland-Sanktionen ab und will enger mit China kooperieren.
Mit der Parlamentswahl in der Slowakei am morgigen Samstag droht der Bundesregierung der Verlust eines wichtigen Verbündeten im Ukraine-Krieg. In den Umfragen führt die Partei SMER des ehemaligen Ministerpräsidenten Robert Fico, der gute Aussichten hat, eine Regierungskoalition bilden zu können – zum vierten Mal nach 2006 und 2012. Zwar geht seine Popularität vor allem auf die soziale und wirtschaftliche Misere zurück, in die das Land unter den vergangenen Regierungen gestürzt ist. Aus Sicht Berlins und des Westens wiegt jedoch schwer, dass Fico einen Kurswechsel in der Ukrainepolitik in Aussicht stellt; so will er nicht nur die Waffenlieferungen an die Ukraine beenden, er lehnt auch die EU-Sanktionen gegen Russland ab. Zudem favorisiert SMER eine engere Zusammenarbeit unter anderem mit China und Kuba. Die derzeitige prowestliche Präsidentin der Slowakei, Zuzana ?aputová, erklärt den Urnengang zur „Schicksalswahl“. Fico und seine Partei SMER wurden wegen ihrer abweichenden außenpolitischen Orientierung bereits während ihrer früheren Regierungsjahre in Deutschland massiv attackiert. Ähnliches zeichnet sich nun erneut ab.
„Schicksalswahl“
Am morgigen Samstag sind die wahlberechtigten Slowaken aufgerufen, ein neues Parlament, den Slowakischen Nationalrat, zu wählen. Laut allen Umfragen führt die Partei SMER („Richtung“) in der Beliebtheit bei der Bevölkerung. Parteichef Robert Fico hat angekündigt, unter einer von ihm geführten Regierung werde „keine weitere Kugel“ an die Ukraine geliefert werden.[1] Fico, der bereits von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2018 als Ministerpräsident amtierte, erklärte darüber hinaus im Wahlkampf mit Blick auf den Ukraine-Krieg: „Dieser Krieg ist nicht unser Krieg“.[2] Die derzeitige liberalkonservative Präsidentin der Slowakei, Zuzana ?aputová, die als „Anker der Westorientierung“ des Landes gilt, sieht den Urnengang als eine „Schicksalswahl“ an: Er sei „eine Abstimmung, ob die Slowaken ihre Demokratie und pro-westliche Orientierung erhalten wollen“.[3]
„Hauptverbündeter“ der Ukraine
Unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine galt die Slowakei noch als einer ihrer „Hauptverbündeter“ („major ally“) in EU und NATO. Sie lieferte als erstes westliches Land Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-Systeme in die Ukraine. Präsidentin ?aputová, die einst für US-amerikanische Nichtregierungsorganisationen gearbeitet hatte, sprach sich früh für einen EU-Kandidatenstatus der Ukraine aus.[4] Die slowakische Unterstützung der Ukraine ist aber schon jetzt nicht bedingungslos: In diesem Frühjahr stoppte die slowakische Regierung den Import von Getreide und Lebensmitteln aus dem östlichen Nachbarland.[5] Eine weitere Einschränkung der bilateralen Beziehungen steht nun möglicherweise nach der Wahl bevor.
„Sorgen im Westen“
Bereits als Fico 2006 zum ersten und 2012 zum zweiten Mal Ministerpräsident wurde, rief dies große Sorgen in Berlin hervor (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Ähnlich wie damals führt der Vorsprung seiner Partei SMER in den Umfragen und die hohe Wahrscheinlichkeit, Fico könne erneut ins Ministerpräsidentenamt zurückkehren, zu „hochgezogene[n] Augenbrauen in Brüssel“.[7] Die Entwicklung sei „für die Partner in der EU […] kritisch“, kommentierte etwa die Süddeutsche Zeitung.[8] In einem Interview mit der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung urteilte ein slowakischer Soziologe, mit einem Ministerpräsidenten Fico werde die Slowakei zu einem „weiteren problematischen Partner innerhalb der Europäischen Union“ neben Ungarn.[9] Eine Projektmanagerin der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung erklärt sogar, das Land drohe „prorussischer Propaganda [zu] verfallen“.[10]
Neue außenpolitische Prioritäten
Mit Blick auf die Ukrainepolitik hat Robert Fico neben einem Stopp der Waffenlieferungen angekündigt, bei einer Abstimmung über eine mögliche NATO-Mitgliedschaft des osteuropäischen Landes ein Veto einzulegen.[11] Die Stationierung von Bundeswehrsoldaten im Osten der Slowakei verglich der SMER-Vorsitzende mit dem Einmarsch der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.[12] Auch jenseits der Ukrainepolitik strebt die in den Umfragen führende Partei neue außenpolitische Akzente an. Bei der Vorstellung der außenpolitischen Leitlinien der SMER Anfang des Monats erklärte Fico, es sei eine Forderung seiner Partei, die Beziehungen mit China, Kuba und Vietnam auszubauen und die Beziehungen zu Russland wiederherzustellen.[13]
Gegen Sanktionen
Die ablehnende Haltung der SMER nicht zuletzt gegenüber der westlichen Sanktionspolitik ist in der politischen Landschaft der Slowakei keine Ausnahme. Nur die Hälfte der Parteien, die wahrscheinlich in den nächsten Nationalrat einziehen, unterstützen die Sanktionen der EU gegen Russland. Diejenigen Parteien, die gute Chancen haben, eine neue Koalition zu bilden, sprechen sich nicht nur gegen die Russland-Sanktionen, sondern auch für eine engere Kooperation mit der Volksrepublik China aus.[14] Der mutmaßliche künftige Ministerpräsident Fico nannte die Sanktionen der EU gegen Russland sogar „sinnlos“ und kündigte an, sein Veto gegen sie einlegen zu wollen.[15]
„Konsequenzen“ für die SMER
Berlin hat längst begonnen, Druck auf Fico auszuüben. So drohte der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil SMER „Konsequenzen“ an, sollte sie erneut mit der nationalkonservativen Slowakischen Nationalpartei (SNS) regieren. In der SPD „beobachte“ man die Situation und halte an einem „Cordon sanitaire“ gegenüber der SNS fest, erklärte Klingbeil im Sommer dieses Jahres.[16] Als die SMER das erste Mal ab 2006 mit der SNS regierte, suspendierte die Partei der Europäischen Sozialisten (PES), in der die SPD eine starke Stellung einnimmt, die Mitgliedschaft der SMER.[17] 2008, ein Jahr vor der Wahl zum Europäischen Parlament, endete die Suspendierung. Nach islamfeindlichen Aussagen von Fico im Jahr 2015 erhoben führende PES-Politiker erneut die Forderung, die SMER-Mitgliedschaft auf Eis zu legen.[18] Dass die Drohung mit „Konsequenzen“ Auswirkungen auf die Koalitionsbildung in Bratislava hat, gilt allerdings als unwahrscheinlich.
Lange Einflussarbeit
Deutsche Politikstiftungen, die sich für die Westorientierung des Landes einsetzen, sind bereits seit mehr als drei Jahrzehnten in der Slowakei aktiv. Schon im dritten Monat der zum 1. Januar 1993 erlangten Unabhängigkeit des Landes erhielt die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) vom slowakischen Innenministerium ihre Registrierung. Am Festakt anlässlich von 30 Jahren HSS-Aktivitäten in der Slowakei nahm der damalige Ministerpräsident der Slowakei, Eduard Heger, persönlich teil.[19] Wenige Wochen später musste er aufgrund von Korruptionsskandalen in seiner Regierung zurücktreten. Neben der HSS sind in der Slowakei die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung, die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung aktiv.
„Tyrannei der Mehrheit“
Bereits in den ersten beiden Amtsperioden von Ministerpräsident Fico war die Ablehnung der deutschen Bundesregierung, der Parteienstiftungen und der Medien groß. Als Fico 2006 Ministerpräsident wurde, lud die damalige Bundesregierung ihn demonstrativ nicht zu einem Antrittsbesuch ein.[20] In einem Beitrag der KAS hieß es schon vor Jahren, Ficos Regierung in der Zeit von 2006 bis 2010 sei eine „Tyrannei der Mehrheit“ gewesen.[21] 2011 warnte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, eine Rückkehr Ficos bedeute das „Ende einer Reformära“.[22] Kurz vor den Neuwahlen im Jahr 2012 hieß es in Zeitung, Fico sei „ein Populist“, der schon in der Vergangenheit in seiner Außenpolitik auf enge Beziehungen zu „Kuba, Weißrussland und Russland“ gesetzt habe.[23] Nach seiner Wahl schrieben mehrere deutsche Regionalzeitungen, Fico pflege „einen autoritären Führungsstil“ und wandle „auf populistischen Pfaden“.[24] Nach der Wahl vom Wochenende dürfte die Stoßrichtung wieder ähnlich sein.
Soziale Probleme
Dabei wird die morgige Parlamentswahl voraussichtlich weniger von der Außenpolitik, sondern mehr von der sozialen und wirtschaftlichen Misere in der Slowakei entschieden. Die Inflation erreichte in dem Land im vergangenen Jahr 12 Prozent; für dieses Jahr werden rund 11 Prozent prognostiziert. Die Teuerungsrate liegt damit etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Eurozone. Dieser trat die Slowakei 2009 bei – im Gegensatz zu den Nachbarstaaten Polen, Ungarn und Tschechien, die die Währung bislang nicht nutzen. Vor allem die gestiegenen Lebensmittelpreise machen der Bevölkerung zu schaffen.[25] Die SMER lehnt die bisherige Austeritätspolitik ab; im Wahlkampf fordert sie, die Nahrungsmittelpreise zu regulieren.[26]
[1] Jan Lopatka, Radovan Stoklasa: ‘Not a single round’: Slovak election could see Kyiv lose staunch ally. reuters.com 21.09.2023.
[2] Jan Puhl: Comeback des Geschassten. spiegel.de 09.05.2023.
[3] Danko Handrick: Ein Wahlsystem der Extreme. tagesschau.de 07.09.2023.
[4] Dmytro Tuzhansky: Why Slovakia Has Become Ukraine’s Major Ally in the EU and NATO. eurointegration.com.ua 08.06.2022.
[5] Jon Henley: Slovakia joins Poland and Hungary in halting Ukraine grain imports. theguardian.com 17.04.2023.
[6] S. dazu Pjöngjang an der Donau, Die Rückkehr des „Populisten“ und Auf „populistischen Pfaden“.
[7] Jan Lopatka, Radovan Stoklasa: ‘Not a single round’: Slovak election could see Kyiv lose staunch ally. reuters.com 21.09.2023.
[8] Viktoria Großmann, Cathrin Kahlweit: Liebesgrüße nach Moskau. Süddeutsche Zeitung 15.09.2023.
[9] Interview mit dem slowakischen Soziologen Michal Vaše?ka. hss.de 22.09.2023.
[10] Barbora Krempaská: Zugespitzter Wahlkampf: Muss Europa einen slowakischen Orbán befürchten? freiheit.org 27.09.2023.
[11] Jan Lopatka, Radovan Stoklasa: ‘Not a single round’: Slovak election could see Kyiv lose staunch ally. reuters.com 21.09.2023.
[12] Balazs Tarnok: The West Can’t Ignore Slovakia’s Election. foreignpolicy.com 18.07.2023.
[13] Smer Presents Foreign Policy Priorities and Stances. tasr.sk 12.09.2023.
[14] Barbara Zmušková, Lucia Yar: Großteil der slowakischen Parteien lehnt neue Russland-Sanktionen ab. euractiv.de 11.09.2023.
[15] Yelizaveta Landenberger: Parlamentswahl in der Slowakei. tagesspiegel.de 11.09.2023.
[16] Barbara Zmušková: Germany’s SPD backs Slovak Hlas joining EU socialists. euractiv.com 11.07.2023.
[17] Slovak party suspended from PES. euractiv.com 13.10.2006.
[18] Pittella asks for the suspension of Robert Fico from the Party of European Socialists (PES). socialistsanddemocrats.eu 23.09.2015.
[19] Markus Ehm: 30 Jahre HSS in der Slowakei. hss.de 17.03.2023.
[20] S. dazu Pjöngjang an der Donau.
[21] Grigorij Mesežnikov: Die Slowakei nach der Wahl. KAS-Auslandsinformationen 4/2011.
[22] Karl-Peter Schwarz: Den Wahlsieg in der Slowakei fest im Blick. faz.net 14.10.2011.
[23] Martin Hock: Slowakische Anleihen – Besser auf die Wahlen warten. faz.net 31.01.2012.
[24] S. dazu Auf „populistischen Pfaden“.
[25] Péter Szitá, Michael O’Shea: Will Slovakia’s Elections Signal War Fatigue? nationalinterest.org 17.09.2023.
[26] Jakub Bokes: For Slovakia’s Left, Welfare Spending and Nationalism Make an Awkward Match, jacobin.com 05.09.2023.
Erschienen auf german-foreign-policy.com, 29.09.2023.
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