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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Die Lage in Bergkarabach spitzt sich zu

Immer mehr Menschen fliehen aus der blockierten Region

Wer kann, der flieht aus Bergbakarabach (Arzach). Über 300 Menschen haben nach Medienberichten die völkerrechtlich aserbaidschanische, aber armenisch besiedelte Region in der vergangenen Woche verlassen, viele davon mit russischen Pässen. Baku dürfte das recht sein. Seit aserbaidschanische Soldaten Bergkarabach im Dezember 2022 von der Außenwelt abgeschnitten haben, dürfen nicht einmal mehr Hilfslieferungen wie von Frankreich dieser Tage oder die russischen Friedenstruppen in die Region.

Ganz im eigenen Interesse erlaubt Baku zwar die Ausreise aus Bergkarabach, trotzdem nehmen aserbaidschanische Truppen immer wieder Armenier am Checkpoint im Latschin-Korridor fest – als eine Art Machtdemonstration. Diese Woche traf es beispielsweise drei Studierende, die in Begleitung russischer Friedenstruppen waren. Als die Festnahme und die Anordnung einer zehntägigen Haft publik wurde, kam es in der armenischen Hauptstadt Jerewan zu Protesten vor der russischen Botschaft.

In Bergkarabach nimmt die Verzweiflung derweil zu. Am Montagabend demonstrierten Hunderte Menschen auf dem Platz der Wiedergeburt in der Hauptstadt Stepanakert. Der im Mai 2020 gewählte Präsident der De-facto-Republik, Arajik Harutjunjan, trat vor die Menschenmenge und erklärte, dass er über einen Rücktritt nachdenke. Er werde sich vielleicht der lokalen Miliz anschließen und mit der Waffe seine Heimat verteidigen – angesichts der militärischen Übermacht Aserbaidschans keine rosige Perspektive. Harutjunjan erklärte auch, dass mittlerweile jeder dritte Tod in Bergkarabach in Zusammenhang mit Mangelernährung stehe. Durch die Blockade fehlen Medikamente und Nahrungsmittel, die Geschäfte sind fast leer. Nur drei Tage später, am Donnerstag, legte Harutjunjan sein Amt nieder.

Frankreich versucht zu vermitteln
Im Oktober 2022 hatte die EU eine zivile Mission (Eumcap) an die armenisch-aserbaidschanische Grenze geschickt, um abzusichern, dass die Truppen Bakus wenigstens nicht die international anerkannten Grenzen Armeniens verletzen. Im Januar löste die EU-Mission in Armenien (Euma) unter Leitung des deutschen Bundespolizisten Markus Ritter erstere ab. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, vermittelt parallel. Dem Belgier wird in Brüssel nachgesagt, dass er auf einen Friedensnobelpreis schiele. Deswegen forciere er eine Verhandlungslösung, die am Ende auf eine Verrechtlichung der ethnischen Säuberung der Armenier hinauslaufe. Die jungen Leute sollen vertrieben werden und nur ein paar Ältere bleiben, damit die Bakuer Regierung behaupten kann, sich um die Minderheit zu »kümmern«.

Angesichts der katastrophalen Entwicklungen gibt es in der EU auch Gegenbewegungen. Am Montag forderte die grüne österreichische Parlamentsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic, die EU solle ihren Handel mit Aserbaidschan einstellen. Am Dienstag telefonierte der französische Präsident Emmanuel Macron zunächst mit dem armenischen Präsidenten Nikol Paschinjan wegen der humanitären Katastrophe in Bergkarabach. In einem weiteren Gespräch mit dem aserbaidschanischen Machthaber Ilham Alijew erklärte der, er werde den Latschin-Korridor freigeben, sobald die Straße von Stepanakert nach Agdam befahrbar sei, die angeblich von Armenien sabotiert werde.

Erschienen im nd, 31.08.2023.

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