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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Der nächste Rückschlag im Sahel

Tschad wirft deutschem Botschafter vor, die Spannungen im Land geschürt zu haben, und weist ihn aus. Damit steckt die deutsche Diplomatie in einem weiteren Sahelstaat in der Krise.

Mit der Ausweisung des deutschen Botschafters geht mit dem Tschad das nächste Land der Sahelzone auf Konfrontationskurs zu den Staaten der EU. Die Regierung in N’Djamena wirft dem Botschafter Berichten zufolge vor, mit intern getätigten Äußerungen die Spannungen im Tschad geschürt zu haben. Die Bundesregierung verteidigt den Diplomaten, lobt seine Tätigkeit als „vorbildlich“ und hat im Gegenzug die tschadische Botschafterin in Berlin des Landes verwiesen. Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Tschad galten zwar als vergleichsweise schwach ausgeprägt: Das Land zählt zur Françafrique, der unmittelbaren Einflusssphäre Frankreichs in seinen ehemaligen Kolonien, in denen es lange Zeit eine neokoloniale Kontrolle aufrechterhalten konnte; entsprechend gelang es zunächst Bonn und später Berlin nie, einen eigenen starken Einfluss aufzubauen. Allerdings folgt die Eskalation des Streits mit N’Djamena schweren Rückschlägen Deutschlands, Frankreichs und der EU in Mali und in Burkina Faso, die beide einen Abzug der auf ihrem Territorium operierenden französischen Truppen durchgesetzt haben. Der Einfluss der EU-Mächte im Sahel gerät ins Wanken.

Botschafter-Ausweisungen
Am 7. April verwies die Regierung des zentralafrikanischen Staates Tschad den deutschen Botschafter dort, Jan-Christian Gordon Kricke, des Landes. Sie begründete den Schritt offiziell mit einer „unhöflichen Haltung“ des Diplomaten sowie mit „mangelndem Respekt für diplomatische Gepflogenheiten“. Berichten zufolge hatte Kricke der tschadischen Regierung zuvor mehrmals in Gesprächen unter anderem mit im Tschad ansässigen Europäern vorgeworfen, den christlichen Bevölkerungsteil zu benachteiligen und das Land zu spalten. In N’Djamena war dies als Versuch begriffen worden, die Spannungen im Tschad zu schüren.[1] Das Auswärtige Amt erklärte, es halte die Vorwürfe für „nicht nachvollziehbar“ [2], und lobte nach der Ausweisung des Botschafters, der zuvor bereits im Niger und als Leiter des Arbeitsstabes Sahel im Auswärtigen Amt tätig gewesen war, dessen „vorbildliche Arbeit“ [3]. Zudem verwies die Bundesregierung die tschadische Botschafterin in Berlin des Landes – „rasch“, wie in der französischen Presse betont wurde.[4] Die tschadische diplomatische Vertretung in Berlin ist eine von nur drei Botschaften des Landes in der EU.

Ein typisches Land der Françafrique
Der Tschad gilt als typisches Land der Françafrique, der ehemaligen französischen Kolonien in Afrika.[5] Die fortgesetzte neokoloniale Abhängigkeit auch nach der offiziellen Unabhängigkeit wird getragen, wie es in einer Untersuchung über die Region heißt, von „hochpersonalisierten Netzwerken, die einen französischen Zugang zu Ressourcen und Märkten in Afrika garantieren“.[6] Dabei ist die Rede von einer Art „Hinterhof“ („pré carré“), der es durch „klientelistische und korrupte Aktivitäten“ erlaubt, eine „politische und ökonomische Kontrolle aufrechtzuerhalten“, die einer „Kolonialbeziehung“ ähnelt.[7] Diese ist auch an sozioökonomischen Daten ablesbar: Der Tschad gilt als eines der ärmsten Länder der Welt; laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen leiden zwei der knapp 18 Millionen Einwohner des Landes an Hunger, 42 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsschwelle.[8]

Frühe Beziehungen
Unter den Bedingungen der Françafrique erlangte der Tschad im Jahr 1960 nominell die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. Bereits im ersten Jahr dieser eingeschränkten Eigenständigkeit nahm die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen mit dem neuen Staat auf.[9] Nachdem die tschadische Regierung die DDR diplomatisch anerkannte, wurden die Beziehungen zwischen der BRD und dem Tschad von Bonn symbolisch heruntergefahren: 1971 und 1972 gab es aufgrund der „Hallstein-Doktrin“ – des westdeutschen Allgemeinvertretungsanspruches – keinen BRD-Botschafter mehr in N’Djamena. Die Beziehungen wurden aber nicht abgebrochen.[10] Mit dem Grundlagenvertrag zwischen der DDR und BRD vom Dezember 1972 endete der westdeutsche Alleinvertretungsanspruch.

Erster Abbruch der Beziehungen
Im Frühjahr 1974 entführten nordtschadische Rebellen den westdeutschen Entwicklungshelfer und Arzt Christoph Staewen, einen Neffen des damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann (SPD), und töteten dessen Frau Elfriede.[11] Um Staewen freizubekommen, übertrug der regierungsfinanzierte Auslandssender Deutsche Welle eine Botschaft der Rebellen. Die Regierung in N’Djamena brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik ab.[12] Darüber hinaus wurden alle Deutschen des Landes verwiesen.[12] Nach einer Zahlung von 2,2 Millionen D-Mark (circa 1,2 Millionen Euro) ließen die Rebellen Staewen wieder frei.[13]

Spielball zwischen Berlin und Paris
Die Europäische Union hatte im Rahmen ihres Militäreinsatzes EUFOR Tchad/RCA in den Jahren 2008 und 2009 mehr als 3.000 Soldaten im Tschad stationiert. Die Bundeswehr beteiligte sich damals explizit nicht an der Entsendung der Truppen, da diese die Herrschaft des Frankreich gegenüber loyalen Staatschefs Idriss Déby stützte. Bundesdeutsche Spitzenpolitiker, etwa die Sprecherin der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, Angelika Beer, kritisierten den Einsatz: Dieser sei eigentlich „eine französische Mission, auf der lediglich eine europäische Marke aufgeklebt wurde“.[14] Nach einem Jahr wurde EUFOR Tchad/RCA abgebrochen, da die Regierungen einer Reihe von EU-Staaten – darunter die Bundesregierung – sich weigerten, den Einsatz zu unterstützen.[15]

Kaum Beziehungen
Aufgrund der engen Anlehnung des Tschad an Frankreich hat Deutschland nur Beziehungen in geringem Umfang zu dem Land. So listet die Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) für die Jahre 2018 bis 2020 Importe und Exporte in kaum erwähnenswertem Umfang auf; im Jahr 2018 importierte Deutschland sogar nur Waren im Wert von 1,3 Millionen Euro aus dem Tschad.[16] Erst kürzlich hat die Bundesregierung angekündigt, die deutschen Aktivitäten in der Sahel-Region auch nach dem Abzug der Bundeswehr aus Mali zu verstetigen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) kündigte eine „Sahel-Initiative“ an, in deren Rahmen das „entwicklungspolitische Engagement sogar [ausgeweitet]“ werden soll.[17] Derzeit ist die bilaterale technische und finanzielle Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit Tschad allerdings eingestellt.[18]

Verstärkte militärische Kontakte
Seit dem Jahr 2014 arbeiten die Streitkräfte der Sahel-Region (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger, Tschad) im Rahmen der Organisation G5 Sahel zusammen. Die tschadische Armee zählt dabei zu den besonders kampferprobten Streitkräften.[19] Im Zuge des 2013 begonnen Bundeswehr-Einsatzes in Mali operierten deutsche und tschadische Truppen zeitweise gemeinsam. Parallel zu den Armeeeinsätzen in Mali unter EU- und UN-Mandat (EUTM Mali und MINUSMA) war von 2014 bis 2021 Frankreich mit seiner Opération Barkhane in mehreren vormaligen französischen Kolonien in West- und Zentralafrika präsent; in diesem Rahmen kooperierten französische Truppen mit Soldaten aus fünf Françafrique-Staaten. Hauptoperationsbasis der Opération Barkhane war ein Stützpunkt in N’Djamena.[20] Frankreich nutzt den Tschad als Plattform, um seine neokolonialen Abhängigkeiten in der Sahel-Region militärisch abzusichern.

Prekäre Abhängigkeit
Im Februar 2019 griff die französische Armee in einem Umfang in den tschadischen Bürgerkrieg ein wie schon lange nicht mehr: Damals bombardierten Truppen Frankreichs eigenständig Rebellengruppen, die sich gegen die autoritäre Herrschaft des seit 1990 regierenden Staatschefs Idriss Déby stellten. Zuvor hatte Frankreich sich gewöhnlich darauf konzentriert, die tschadische Armee zu unterstützen.[21] Im April 2021 starb Déby dann an Verletzungen, die er sich unter nicht wirklich geklärten Umständen zugezogen hatte; die offizielle Version dazu lautet, er habe sie sich bei einem Frontbesuch in einem Rebellengebiet zugezogen. Sein Adoptivsohn Mahamat Idriss Déby Itno übernahm daraufhin den Posten des Präsidenten des militärischen Übergangsrates und ist somit De-facto-Präsident des Tschads. Ursprünglich sollten nach 18 Monaten Junta-Herrschaft Wahlen abgehalten werden, doch der militärische Übergangsrat verschob sie im Oktober um zwei Jahre.[22]

[1] Pourquoi Mahamat Idriss Déby Itno a renvoyé l’ambassadeur allemand. jeuneafrique.com 12.04.2023.
[2] Deutscher Botschafter ausgewiesen. taz.de 08.04.2023.
[3] Germany expels Chad’s ambassador in tit-for-tat response. dw.com 11.04.2023.
[4] Pascal Thibaut: L’Allemagne annonce à son tour l’expulsion de l’ambassadeur du Tchad. rfi.fr 12.04.2023.
[5] Xavier Hussein: Françafrique: Alive and Well in Franco-Chadian Relations. internationalaffairshouse.org 23.05.2021.
[6] Ian Taylor: France à fric: the CFA zone in Africa and neocolonialism, in: Third World Quarterly, Jg. 40 (2019), Nr. 6, S. 1064–1088 (hier: S. 1065).
[7] Maja Bovcon: Françafrique and regime theory, in: European Journal of International Relations, Jg. 19 (2011), Nr. 1, S. 5–26 (hier: S. 6/7).
[8] Chad’s junta delays elections by two years, allows interim leader Deby to stay in power. france24.com 02.10.2022. Sowie: Chad. wfp.org.
[9] Torben Gülstorff: Resetting the Relevance of the Berlin Wall – German Public Diplomacies on the African Continent During the Cold War, in: Óscar J. Martín García/Rósa Magnúsdóttir (Hgg.): Machineries of Persuasion – European Soft Power and Public Diplomacy during the Cold War, München 2018, S. 85–104 (hier: S. 90).
[10] Sonderbare Laufbahn, in: DER SPIEGEL 36/1978.
[11] Nathaniel K. Powell: The ‘Claustre Affair’ – A Hostage Crisis, France, and Civil War in Chad, 1974–77, in: Jussi M. Hanhimäki/Bernhard Blumenau (Hgg.): An International History of Terrorism – Western and Non-Western Experiences, Abingdon/New York (NY) 2013, S. 189–209 (hier: S. 194).
[12] Tschad weist alle Deutschen aus, in: DIE ZEIT 26/1974.
[13] Sonderbare Laufbahn, in: DER SPIEGEL 36/1978.
[14] S. dazu Militär für Afrika (II).
[15] S. dazu Transatlantische Front.
[16] Wirtschaftsdaten kompakt: Tschad. gtai.de Mai 2021.
[17] Weiter Anti-Terror-Kampf im Sahel. taz.de 10.04.2023.
[18] Deutschland und Tschad: bilaterale Beziehungen. auswaertiges-amt.de 14.04.2023.
[19] Philippe Leymarie: Frankreichs Krieg im Sahel, in: Le Monde diplomatique, 11.02.2021.
[20] Philippe Leymarie: Militärische Optionen, in: Le Monde diplomatique, 12.07.2018.
[21] Rémi Carayol: Die Rückkehr der Generäle, in: Le Monde diplomatique, 11.07.2019.
[22] Chad’s junta delays elections by two years, allows interim leader Deby to stay in power. france24.com 02.10.2022.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 19.04.2023.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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