Die Entmachtung der deutschen Ordensfraktion
Diese Woche trifft sich der Malteserorden zu einer Art Mitgliederversammlung. Seine „deutsche Fraktion“ wurde zuletzt erheblich geschwächt – auch zu Lasten ihres beachtlichen Einflusses im Globalen Süden.
Die Bundesrepublik steht womöglich vor dem Verlust von Einfluss auf eine große kirchliche Organisation mit starker Präsenz im Globalen Süden. Papst Franziskus hat im Malteserorden, der sich am Mittwoch zu einem sogenannten außerordentlichen Großkapitel trifft, die zuvor dominante „deutsche Fraktion“ um den deutschen Adligen Albrecht Freiherr von Boeselager empfindlich geschwächt. Zusätzlich ist im Gespräch, „Malteser International“ von Rom aus straffer an die Zügel zu nehmen. Die Hilfsorganisation hat ihren Sitz in Köln, von wo aus sie rund 200 Projekte in diversen Ländern des Globalen Südens verwaltet und dort über einigen Einfluss verfügt. Über „Malteser International“ übte dessen „deutsche Fraktion“ bislang zudem großen Einfluss auf Assoziationen des Ordens in diversen anderen Staaten aus. Eine striktere Kontrolle der Hilfsorganisation durch den Malteserorden mit Sitz in Rom brächte eine weitere Schwächung deutscher Positionen mit sich. Die Bundesrepublik hat den Malteserorden im Jahr 2017 als angeblich unabhängigen Staat anerkannt. Beziehungen zu ihm gab es allerdings bereits zuvor – unter anderem auf geheimdienstlicher Ebene.
Beziehungen zu einem Para-Staat
Im November 2017 erkannte die Bundesrepublik Deutschland den Malteserorden, mit vollem Namen eigentlich „Souveräner Ritter- und Hospitalorden vom Heiligen Johannes von Jerusalem, von Rhodos und von Malta“, als angeblich unabhängigen Staat an. Insgesamt 112 Staaten unterhalten derzeit diplomatische Beziehungen zu dem im Mittelalter gegründeten katholischen Orden, darunter auch der Vatikan. Der Malteserorden hat zwar kein eigenes Staatsgebiet, aber dafür ein eigenes Militär, das teilweise an der Seite von NATO-Staaten dient, und er kontrolliert die Hilfsorganisation „Malteser International“, die global – teilweise auch im Auftrag des deutschen Auswärtigen Amtes – eingesetzt wird.
Regierung abgesetzt
Vertreter des Malteserordens treffen sich an diesem Mittwoch, dem 25. Januar 2023, zu einem sogenannten außerordentlichen Generalkapitel. Im Herbst vergangenen Jahres hatte Papst Franziskus die Entlassung des deutschen Adligen Albrecht Freiherr von Boeselager als Großkanzler, das heißt als Außenminister des Para-Staats, verfügt. Außer ihm wurden auch ein Österreicher und ein deutschsprachiger Ungar, die bis dahin jeweils eines der „Hohen Ämter“ des Ordens bekleidet hatten, abgesetzt. Der Papst, faktisch Staatschef des Vatikan, ernannte eine neue Regierung der Malteser mit Sitz in Rom, der Mitglieder des Ordens aus verschiedenen Staaten Europas und Nordamerikas angehören, „jedoch kein Ordensvertreter aus Deutschland“, wie die einflussreiche Frankfurter Allgemeine Zeitung bemerkte.[1] Die „deutsche Fraktion“ der Malteser, die bis dahin die Politik des Ordens politisch dominierte, wurde somit erheblich geschwächt.
Rückschlag für Berlin
Mit der Entmachtung der als liberal geltenden „deutschen Fraktion“ hat Papst Franziskus nicht nur die liberalen Kräfte innerhalb des Para-Staates empfindlich geschwächt, sondern auch die Fraktion, die seit der diplomatischen Anerkennung der Unabhängigkeit des Malteserordens durch die Bundesregierung im Jahr 2017 eng mit der Bundesrepublik zusammenarbeitete. Die deutsche Assoziation der Malteser ist eine der ältesten kontinuierlich existierenden Vereinigungen innerhalb des Malteserordens.[2] Zum Jahresempfang des beim Malteserorden akkreditierten diplomatischen Korps sprach der damalige Großmeister, das heißt der Regierungschef, Fra‘ Marco Luzzago Anfang 2022 noch von „ausgezeichneten Beziehungen zu Deutschland“.[3]
Neue Regierung
Seit dem 14. Juni 2022 amtiert der kanadische Rechtsanwalt John T. Dunlap als neuer Großmeister-Statthalter, sozusagen als Übergangs-Regierungschef, des Ordens. Er wurde an jenem Tag im Beisein des päpstlichen Sonderbeauftragten für den Souveränen Malteserorden, Silvano Kardinal Tomasi, vereidigt. Darüber hinaus übernahm der italienische Politiker Alessandro De Franciscis den Posten des Großhospitaliers des Malteserordens, das heißt des Gesundheitsministers. De Franciscis war zuvor in Italien in mehreren politischen Parteien aktiv und wurde 2005 auf dem Ticket der „Union der Demokraten für Europa“ („Unione Democratici per l’Europa“, UDEUR), einer christdemokratischen Kleinpartei, zum Präsidenten der mittelitalienischen Provinz Caserta gewählt. Im vergangenen Monat besuchte De Franciscis Deutschland und sichtete dabei mehrere Malteserinstitutionen.[4]
Neue Verfassung
Mit der Absetzung der „deutschen Fraktion“ von der Spitze des Malteserordens hat Papst Franziskus auch eine neue Ordensverfassung und ein überarbeitetes Gesetzbuch des Para-Staates in Kraft gesetzt – allerdings ohne diese öffentlich bekanntzumachen. Schon zuvor, im November 2020, hatte das Oberhaupt der katholischen Kirche einen Sonderbeauftragten ernannt, der das außergewöhnliche Recht besaß, Konflikte im Orden im Alleingang und sogar gegen die bis dahin gültige Verfassungscharta sowie gegen den damals gültigen Ordenskodex zu entscheiden. Derzeit werden weitere Reformen wie die Gleichstellung der Frauen innerhalb des Ordens, Mandatszeitbegrenzungen und ein Höchstalter für diverse Ämter diskutiert.[5]
Weitere Schwächung der „deutschen Fraktion“?
Eine Reform, die derzeit diskutiert wird, ist die mögliche Beschneidung oder gar gänzliche Abschaffung der finanziellen Unabhängigkeit von „Malteser International“.[6] Die Hilfsorganisation mit Sitz in Köln verwaltet von Deutschland aus 200 Projekte in diversen Ländern des Globalen Südens. Der deutsche Adlige Boeselager hatte sie während seiner Amtszeit als Großhospitalier des Ordens im Jahr 2005 gegründet. Über „Malteser International“ übt der „deutsche Flügel“ großen Einfluss auf Assoziationen des Ordens in diversen Staaten aus.[7] Indem der Vatikan mehr Aktivitäten innerhalb des Malteserordens zentralisiert, könnte die „deutsche Fraktion“ erheblich geschwächt werden.
Drohender Zerfall
Das Vorgehen des Vatikans stößt auf Widerstand in Teilen des Malteserordens. Der Präsident von dessen libanesischer Assoziation, Marwan Sehnaoui, „schäme sich“ für die Zustände im Orden, heißt es in Berichten. Konkret warf Sehnaoui vom Papst entsandten Vertretern wie Kardinal Tomasi vor, sie würden mit ihrer von Papst Franziskus gedeckten Vorgehensweise die Souveränität des Ordens „zertrampeln“ und das Vertrauen des Papstes „missbrauchen“.[8] Der Libanese gilt als Verbündeter der „deutschen Fraktion“ innerhalb des Malteserordens.[9] In Berichten ist bereits von „Zerfall“ und von einer angeblich drohenden „Spaltung“ des Malteserordens die Rede.[10]
Alte Geheimdienstkontakte
Die Bundesrepublik und der Malteserorden hielten bereits vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen seit Jahrzehnten Kontakt. So erhielt Reinhard Gehlen, Leiter der nach ihm benannten „Organisation Gehlen“, aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst hervorging, bereits im Jahr 1949 eine Privataudienz beim damaligen Papst Pius XII. In den 1950er Jahren unterhielten rund 30 Staaten – vor allem in Westeuropa und Lateinamerika – diplomatische Beziehungen zum Malteserorden; dieser konnte somit Gesandte bestellen, die mit diplomatischen Pässen und Privilegien ausgestattet waren. Gehlen, der – obwohl Protestant – ab 1948 auch Malteserritter war, pflegte deshalb bereits Ende der 1940er und im Verlauf der 1950er Jahre Kontakte zum Malteserorden.[11]
[1] Matthias Rüb: Droht dem Malteserorden der Zerfall? faz.net 04.09.2022.
[2] Constantin Magnis: Gefallene Ritter: Malteserordner und Vatikan – Der Machtkampf zwischen den zwei ältesten Institutionen der Welt, Hamburg 2020, S. 28.
[3] Ansprache des Statthalters des Großmeisters Fra‘ Marco Luzzago für das beim Souveränen Malteserorden akkreditierte Diplomatische Korps. orderofmalta.int 11.01.2022. S. auch Deutschlands Partnerorden und Die „deutsche Fraktion“ der Malteser.
[4] Besuch des Großhospitaliers bei den Aktivitäten des Malteserordens in Deutschland. orderofmalta.int 19.12.2022.
[5], [6] Rüb: Matthias Rüb: Droht dem Malteserorden der Zerfall? faz.net 04.09.2022.
[7] Magnis: Gefallene Ritter, S. 117.
[8] Matthias Rüb: Droht dem Malteserorden der Zerfall? faz.net 04.09.2022.
[9] Magnis: Gefallene Ritter, S. 75 & 78.
[10] Matthias Rüb: Droht dem Malteserorden der Zerfall? faz.net 04.09.2022.
[11] Erich Schmidt-Eenboom/Christoph Franceschini: Die Org und der Malteserorden. geheimdienste.info (ohne Datum).
Erschienen auf german-foreign-policy.com, 24.01.2023.
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