Nach fünf langen Monaten hat Guyana offiziell neuen Präsidenten
Bisherige Regierungspartei hatte auch nach Nachzählung Sieg der Opposition nicht akzeptiert. Wirtschaftliche Gegenwart angespannt, Zukunft hingegen rosig
Fünf Monate nach den Parlamentswahlen und knapp drei Monate, nachdem eine Nachzählung der Stimmen bereits den Sieg von Mohamed Irfaan Ali von der Progressiven Volkspartei/staatsbürgerlich (People’s Progressive Party/Civic, PPP/C) bestätigt hatte, konnte Ali in dieser Woche nun seinen Amtseid als zehnter Präsident von Guyana ablegen und sein Kabinett benennen. Der bisher regierende Nationale Volkskongress (People’s National Congress–Reform, PNC–R) hatte die äußerst knappen Wahlergebnisse lange Zeit nicht anerkannt und angefochten. Ihr Ziel war es, den bisherigen Präsidenten, David A. Granger, wieder vereidigen zu lassen. Nun übernahm die PPP/C jedoch die Regierungsgeschäfte.
Ali will nun vor allem den privaten Sektor wiederbeleben, der bereits vor der Corona-Pandemie angeschlagen war und sich nun in einer noch angespannteren Lage befindet. Erste Treffen mit Repräsentanten aus der Privatwirtschaft fanden in dieser Woche bereits statt.
Die mittelfristige wirtschaftliche Zukunft des Landes sieht allerdings rosig aus. Aufgrund der enormen, kürzlich lokalisierten Erdöl- und Erdgasvorkommen sah beispielsweise der Internationale Währungsfonds (IWF) nach Informationen der BBC die Wachstumsrate der Wirtschaft für dieses Jahr bei 86 Prozent, allerdings noch vor der Corona-Krise. Kein Land auf der Welt verzeichnet solche Prognosen. Auch die Weltbank äußerte sich sehr positiv ob des zu erwarteten Wirtschaftswachstums.
Der Urnengang zum Parlament des kleinen englischsprachigen Landes am 2. März hatte mit einem äußerst knappen Ergebnis geendet. Die eher links orientierte PPP/C gewann im Gegensatz zur Wahl davor einen Sitz dazu und kam auf 33 von 65 Abgeordneten. Die seit 2015 regierende PNC–R wiederum verlor zwei Sitze und wurde mit 31 Abgeordneten zweitstärkste Kraft. Einen Sitz errang ein Parteienbündnis, welches vorab erklärt hatte, lediglich an einer Regierung der nationalen Einheit teilzunehmen und nicht eine PPP/C- oder PNC–R-Regierung mitzutragen. Die bisher oppositionelle Progressive Volkspartei warf der Granger-Regierung vor, ein US-Lobbyunternehmen unter Verwendung von Steuermitteln angeheuert zu haben.
Der Sicherheitsminister und Premierministerkandidat, Khemraj Ramjattan, erhob den Vorwurf, die PPP/C hätte Unterstützung aus Russland erhalten. So hätten drei Personen „mit russischem Hintergrund“ versucht, die Computer der Wahlkommission zu infiltrieren. Der russische Rohstoffkonzern Rusal, der weltweit größte Hersteller von Aluminium, hatte außerdem vier Wochen vor der Wahl alle Tätigkeiten in der Rusal-Mine in Kwakwani im Osten von Guyana eingestellt. Dadurch wurden 300 Angestellte arbeitslos. Ein politisch motivierter Hintergrund wurde vermutet.
Unter Alis Vizepräsidenten, Bharrat Jagdeo, der von 1999 bis 2011 bereits Präsident von Guyana war, baute das kleine Land im Norden Südamerikas seine Beziehungen mit China und Russland aus. Im Jahr 2010 drängte Jagdeo beispielsweise Russland dazu, zukünftig eine größere Rolle in der Karibik, zu der Guyana kulturell und historisch gehört, zu spielen. Unter der PNC–R-Regierung wiederum ging der Auftrag für neu erschlossene Erdölvorkommen an den US-Konzern ExxonMobil. Die Neuformulierung der Ölgesetze des Landes übernahm eine dem US-Erdölkonzern nahestehende Firma. Ein Schwenk hin zum alten Kurs wie unter den PPP/C-Regierungen liegt nahe.
Mit Ali kehrt die südasiatische Volksgruppe Guyanas wieder in die Regierung zurück. Knapp 40 Prozent der Bevölkerung des Landes hat Vorfahren im einstigen Britisch-Indien, dem heutigen Bangladesch, Indien und Pakistan. Fast 30 Prozent der Bevölkerung wiederum hat Vorfahren auf dem afrikanischen Kontinent, 20 Prozent sind gemischt und zehn Prozent Ureinwohner. Erstmals hat mit Irfaan Ali ein südamerikanisches Land ein Staatsoberhaupt islamischen Glaubens.
Erschienen auf amerika21.de, 08.08.2020.