Komplizierte Gemengelage
Abchasien nach den Wahlen: Ein Land zwischen politischem Stillstand, Wirtschaftskrise und ausgeweiteten Außenhandelsbeziehungen
Der abchasische Präsident Raul Chadschimba schien angezählt, als bei den Wahlen am 25. August drei Viertel der Wahlberechtigten für die verschiedenen Kandidaten der Opposition gestimmt hatten. Chadschimba, Mitglied der Partei »Forum für nationale Einheit Abchasiens«, hatte in den 1980er Jahren für den sowjetischen Geheimdienst KGB gearbeitet und sich nach dem Beginn des abchasischen Unabhängigkeitskrieges mit Georgien im Jahr 1992 den Streitkräften des kurz zuvor ausgerufenen Staates angeschlossen. Am 8. September konnte er sich in der Stichwahl überraschend gegen den eher blassen Alchas Kwitsinia von der Veteranenvereinigung »Amzachara« durchsetzen.
Die kleine Kaukasusrepublik Abchasien hatte 1993 den Waffengang gegen Georgien gewonnen, die erstrittene Unabhängigkeit wurde aber international nicht anerkannt. Während die GUS-Staaten – allen voran Russland – drakonische Sanktionen verhängten, blieb die Seeverbindung zur Türkei das einzige Tor zur Außenwelt. Tbilissi hatte Moskau als Konzession für die Schließung der georgischen Grenze zu Tschetschenien das Zugeständnis abgerungen, dass Russland auch Abchasien von der Außenwelt abschneiden müsse. Erst mit der Zerschlagung der von Islamisten regierten Tschetschenischen Republik Itschkerien 1999/2000 lockerte Moskau das Embargo.
Russische Akteure wie der damalige Oberbürgermeister von Moskau Juri Luschkow (Amtszeit 1992 bis 2010), aber auch viele Geschäftsmänner begannen langsam, sich in Abchasien zu engagieren. Hinzu kam, dass die EU verschiedene Programme auflegte, um eine Lösung des Konflikts zu finden. Brüssel stieg zum wichtigsten Geldgeber abchasischer Nichtregierungsorganisationen auf. Doch mit dem Putsch in Tbilissi im Jahr 2003 (»Rosenrevolution«) kam der nationalistische und neoliberale Hardliner Micheil Saakaschwili ins Amt – und er setzte auf Konfrontation. 2008 brach er einen Krieg gegen Südossetien vom Zaun, in dem abchasische, russische und südossetische Streitkräfte binnen kürzester Zeit zurückschlugen.
Nach der kurz darauf erfolgten russischen Anerkennung der abchasischen Unabhängigkeit begann der Wiederaufbau des Landes. Tausende Gastarbeiter aus Zentralasien kamen ins Land. Die Londoner Financial Times schrieb von einem »Eldorado an der Schwarzmeerküste«. Doch der Wirtschaftsaufschwung stockte. Der Sinkflug des Ölpreises und die antirussischen Sanktionen von EU- und NATO-Staaten infolge des Ukraine-Konflikts im Jahr 2014 stürzten die Wirtschaft der Russischen Föderation in die Krise. Der russische Rubel, der in Abchasien auch Staatswährung ist, verlor erheblich an Wert.
Es kam wegen der wirtschaftlichen Misere und der Korruption zu Unruhen, und der damalige Präsident Alexander Ankwab floh auf einen russischen Militärstützpunkt. Nach kurzfristig anberaumten Neuwahlen kam Chadschimba 2014 erstmals ins Amt. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern Sergej Bagapsch und Ankwab lehnte sich Chadschimba wieder verstärkt an Russland an und verschärfte die Tonart gegenüber den georgischsprachigen Mingreliern im Süden des Landes. Über 1.000 von ihnen wurden die abchasischen Pässe abgenommen und sie damit ihres aktiven Wahlrechts beraubt. Den mit der EU etablierten Gesprächskanal zur Konfliktprävention in der mehrheitlich von Mingreliern bewohnten Region Gal beendete die Regierung und verwehrte Brüssel die Einrichtung eines Büros in der Republik (siehe Interview).
Trotz der anhaltenden Schwäche des Rubels steigt der Import aus der EU weiter an. Vor allem aus Bulgarien, Griechenland und Italien kommen immer mehr Produkte nach Abchasien. Der Export aus der Kaukasusrepublik nach Westeuropa stockt hingegen, da Brüssel auf georgischen Exportsiegeln beharrt – was die abchasische Regierung ablehnt. Die drei wichtigsten Handelspartner bleiben deswegen vorerst Russland, die Türkei und die Republik Moldau, wie Tamila Merzchulawa, die Vorsitzende der Industrie- und Handelskammer, gegenüber junge Welt erklärte.
Das Land lebt hauptsächlich vom Tourismus sowie dem Export von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Gütern. Vor allem in Gagra im Norden des Landes reiht sich eine Bettenburg an die nächste. Etwa anderthalb Millionen russische Touristen besuchen jährlich die Republik, so Merzchulawa. Beim Export gehen im subtropischen Klima gewachsene Früchte, Nüsse und Wein vor allem nach Russland. Abchasien rangiert bei den Ländern, aus denen Russland Wein importiert, unter den fünf wichtigsten. Fischöl, Holz und Kohle gehen wiederum eher in die Türkei. Nach Erdöl sucht gerade ein abchasisch-russisches Joint-venture vor der Küste des Landes.
Der schwache Rubel führt derzeit zu geringen Zolleinnahmen. Während die Feuerwehr, Schulen und die Polizei modern ausgerüstet sind, kommen die staatlichen Infrastrukturarbeiten kaum voran. Straßen und öffentliche Plätze sind oft ziemlich heruntergekommen. Ob nun die seit langem geplante Eröffnung des Flughafens in der Hauptstadt Aqwa (georgisch: Sochumi) eine Veränderung der wirtschaftlichen Lage bringen wird, ist unklar.
Erschienen in: junge Welt, 12.10.2019.