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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Zauberlehrlinge (III)

Der von Berlin forcierte Umsturz in Kiew hat die Macht der verhassten ukrainischen Oligarchen nicht gebrochen, sondern sie lediglich transformiert. Dies geht aus einer aktuellen Analyse des offiziösen Warschauer „Zentrums für Oststudien“ hervor. Demnach können sich ukrainische Oligarchenclans – wenn auch teils andere als vor 2014 – heute unter dem Schutz der EU weiterhin selbst bereichern. Vor allem Präsident Petro Poroschenko, der lange von der Bundesregierung favorisiert wurde und nicht zuletzt Berlin das Präsidentenamt verdankt, erzielt in seiner Eigenschaft als Unternehmer hohe Profite. Weitere Milliardäre sitzen an Schaltstellen im Kiewer Machtapparat. Erste Oligarchen üben zudem offen Kritik an der Assoziierung der Ukraine an die EU. Berlin hat aktiv dazu beigetragen, dass die Macht der ukrainischen Oligarchen fortbesteht.

Die „Revolution der Würde“

Den massiv aus Berlin unterstützten Umsturz liberaler, konservativer und faschistischer Kräfte in der Ukraine im Februar 2014 hatten deutsche Medien und Regierungsvertreter zur „Revolution der Würde“ gegen die berüchtigten Seilschaften der ukrainischen Oligarchen erklärt. Auch die staatsfinanzierte „Deutsche Welle“ sprach davon, die Ukrainer hätten mit dem Staatsstreich die Demokratie gewählt: Sie „wollen den Rechtsstaat“, hieß es.[1] Die Bundesregierung stellte explizit fest, „politische Macht“ bedürfe „der demokratischen Legitimierung“, und wandte sich damit direkt gegen die Herrschaft der ukrainischen Milliardäre.[2] In ihrer praktischen Politik ließ sie allerdings nichts erkennen, was dieser Stellungnahme Rechnung trug – im Gegenteil. Schon die Ende Februar 2014 gebildete Kiewer Umsturzregierung stützte sich unmittelbar auf Oligarchen [3], ohne dass Berlin Einspruch erhob. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat im Frühjahr 2014, um politische Fortschritte zu erzielen, sogar mehrmals direkt mit einflussreichen Oligarchen verhandelt (german-foreign-policy.com berichtete [4]).

Ungebrochene Kontinuität

Entsprechend konnten die ukrainischen Oligarchen ihren Einfluss über den Umsturz hinweg ohne größere Schwierigkeiten bewahren. Dies belegt nun eine aktuelle Studie des Warschauer „Zentrums für Oststudien“ (Osrodek Studiów Wschodnich, OSW), das vom polnischen Außenministerium finanziert wird. Kein einziger Oligarch wurde dem OSW zufolge seit dem Frühjahr 2014 vor Gericht gestellt, keine einzige Privatisierung aus der Amtszeit von Präsident Wiktor Janukowitsch wurde zurückgenommen.[5] Wenn die Kiewer Regierung nach dem Staatsstreich tatsächlich einmal Maßnahmen gegen einzelne Magnaten ergriff, dann geschah dies in der Regel auf Veranlassung anderer Oligarchen, um ihren Konkurrenten zu schaden. Allerdings gab es Machtverschiebungen: Wenngleich die bis Anfang 2014 dominierenden Milliardäre zwar weiterhin neue Unternehmen kaufen konnten, aber einen Einflussverlust hinnehmen mussten, gesellten sich neue Geschäftsmänner hinzu, die das Land seitdem wirtschaftlich und politisch mitdominieren – nicht zuletzt Oligarchen aus dem Umfeld des Oligarchenpräsidenten Petro Poroschenko.

Profitables Präsidentenamt

Poroschenko, der bis zum Staatsstreich im Jahr 2014 nur der zweiten Liga der ukrainischen Oligarchen zugeordnet wurde, ist derjenige Milliardär des Landes, der von der Entwicklung in der Ukraine seit 2014 geschäftlich am meisten profitiert. Er ist der einzige der ukrainischen Oligarchen, der, wie berichtet wird, selbst im Rezessionsjahr 2015 sein persönliches Vermögen vermehren konnte.[6] Laut Angaben des ukrainischen Wirtschaftsministeriums brach das Bruttoinlandsprodukt des Landes im vergangenen Jahr um 10,4 Prozent ein.[7] Für dieses Jahr erwarten Experten einen noch drastischeren Absturz der Wirtschaftskraft des Landes. Unabhängig davon floriert das Konzernimperium des Staatsoberhauptes: Mehrere Konzerne unter Poroschenkos Kontrolle profitieren von Staatsaufträgen; seine neu gegründete Holding „International Investment Bank“ konnte ihre Bilanzsumme im Jahr 2015 um 85 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern.[8]

Die Anziehungskraft der Oligarchen

Als exponiertester Zögling der deutschen Außenpolitik in der Ukraine galt lange Zeit der Ex-Boxer Witali Klitschko. Klitschko verdankte seine anfängliche Popularität nicht zuletzt der Tatsache, dass er eine erfolgreiche Karriere absolviert hatte, ohne von den verhassten Oligarchen abhängig zu sein. Seine Partei UDAR erhielt vor allem in der Gründungsphase direkte Hilfe von der CDU und der Konrad-Adenauer-Stiftung (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Mit dem Staatsstreich im Frühjahr 2014 wechselte sie in die neu geschaffene Regierungskoalition – und Klitschko begann umgehend, seine Kooperation mit führenden Oligarchen des Landes, die er in den Jahren als Zögling der Berliner Außenpolitik aufgebaut hatte, zu intensivieren. Bereits kurz nach der Regierungsbildung Ende Februar 2014 trafen sich Klitschko und Poroschenko mit Dmitro Firtasch, einem der einflussreichsten Oligarchen der Ukraine, in Wien, wo Firtasch wegen einer Strafanzeige in den USA festsaß.[10] Laut Recherchen der britischen Zeitung Guardian steckte hinter dem juristischen Vorgehen gegen ihn das Kalkül, ihn wegen seiner Beziehungen nach Russland politisch kaltzustellen.[11] Unmittelbar nach dem Treffen gab Klitschko den Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur zugunsten von Poroschenko bekannt. Firtasch ist Besitzer des Fernsehsenders TV Inter, der kürzlich von rund 20 ukrainischen Nationalisten überfallen und verwüstet wurde.[12]

Der Strippenzieher

Einer der einflussreichsten Politiker im Umfeld des amtierenden Präsident ist laut Beobachtern der ukrainische Oligarch Ihor Kononenko. Poroschenko und er verrichteten in den 1980er Jahren gemeinsam Militärdienst in der sowjetischen Armee und sind seit der Transformation der Ukraine in einen kapitalistischen Staat Geschäftspartner. Kononenko gilt als Schlüsselfigur in der Parlamentsfraktion der Partei „Block Petro Poroschenko“. Der in Kiew geborene Mann, der als „graue Eminenz“ des „Systems Poroschenko“ bezeichnet wird [13], kontrolliert seit seinem Einzug ins Parlament das nominelle Staatsunternehmen Centrenergo, das 14 Prozent der in der Ukraine verbrauchten Energie produziert.[14]

Oligarch aus Moskau

Ein weiterer Oligarch im Umfeld von Präsident Poroschenko ist Konstantin Grigorischin. Der russische Staatsbürger ist seit zehn Jahren ebenfalls ein Geschäftspartner des derzeit amtierenden ukrainischen Präsidenten. Der frühere Premierminister Arsenij Jazenjuk hat den in Moskau lebenden Grigorischin als „Agenten des FSB“, also des russischen Geheimdienstes, bezeichnet.[15] Zu Grigorischins ausschließlich in der Ukraine tätigen Firmen gehören der Transformatorenhersteller Zaporoschtranformator, das Stahlunternehmen Dneprospetsstal und diverse ukrainische Häfen. Seine Unternehmen zählen zu den profitabelsten des Landes – trotz wirtschaftlicher Rezession.

EU-Kritiker

Dem unmittelbaren Umfeld des Präsidenten gehört schließlich der Oligarch Jurij Kosiuk an. Er leitet das größte ukrainische Agrarunternehmen und gilt als einflussreicher Vertreter der Agrarlobby des Landes. Ganz wie Poroschenko baute Kosiuk seine Unternehmen in der mittelukrainischen Oblast Winnyzja auf, wo auch der heutige Ministerpräsident Wolodymyr Hrojsman Karriere machte – von 2006 bis 2014 als Bürgermeister der Großstadt Winnyzja -, bevor er Ende Februar 2014 Mitglied der Umsturzregierung in Kiew wurde. Poroschenko ernannte Kosiuk zunächst zum stellvertretenden Administrationschef für die Aufsicht über den Verteidigungs- und Sicherheitssektor. Ende 2014 musste er allerdings von dem Posten zurücktreten, da er zu offensichtlich für seine eigenen Firmen gearbeitet hatte.[16] Poroschenko machte ihn daraufhin zu seinem Berater. Im Frühjahr 2016 gab Kosiuk ein Interview, in dem er die Assoziierung der Ukraine mit der Europäischen Union kritisierte: Es handle sich nicht um ein Freihandelsabkommen, da die EU ihren Markt nicht für ukrainische Agrarprodukte geöffnet habe, erklärte er. Die Assoziierung bringe nur Vorteile für eine Seite – und zwar für die EU. Zum ersten Mal seit dem Frühjahr 2014 übte damit ein Kiewer Regierungspolitiker offen Kritik an der EU.

Ökonomische Realitäten

Tatsächlich bleibt die Ukraine trotz ihrer spektakulären Abwendung von der Eurasischen Union ökonomisch eng an deren Mitgründer Russland und Belarus gebunden. Noch im vergangenen Jahr kamen 26,5 Prozent der ukrainischen Importe aus diesen beiden Ländern; Russland war wichtigster Abnehmer ukrainischer Waren vor der Türkei, China und Ägypten, während sich Polen und Italien, die jeweils 5,2 Prozent der ukrainischen Ausfuhr kauften, als erste EU-Staaten auf der ukrainischen Exportrangliste nur Rang fünf teilten.[17] Selbst für die Belieferung der neugegründeten ukrainischen Nationalgarde mit Lastkraftwagen greift der Bogdan-Autokonzern (im Besitz des Präsidenten Poroschenko) auf eine Lizenz des belarussischen Unternehmens MAZ zurück.[18] Der seit nunmehr zweieinhalb Jahren forcierte Pro-EU-Kurs der Ukraine hat an diesen ökonomischen Realitäten nichts geändert; die von Berlin mit an die Macht gebrachte neue Oligarchenriege um Poroschenko tut das Ihre dazu.

Präsident Poroschenko schreitet eine Reihe von Bogdan-Militär-LKWs ab

Mehr zum Thema: Zauberlehrlinge und Zauberlehrlinge (II).

[1] Bernd Johann: Kommentar: Revolution der Würde in der Ukraine. www.dw.com 21.11.2014.
[2] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Sevim Dagdelen et al.: Möglicher Regime-Change in der Ukraine mit der extremen Rechten. Deutscher Bundestag, 18/863 vom 18.03.2014.
[3] S. dazu Die Restauration der Oligarchen.
[4] S. dazu Die Restauration der Oligarchen (II)Die Restauration der Oligarchen (III)Die Restauration der Oligarchen (IV) und Steinmeier und die Oligarchen.
[5] Wojciech Kononczuk: Keystone of the system – Old and New Oligarchs in Ukraine, Studie des Osrodek Studiów Wschodnich, Nr. 59, August 2016.
[6] Reinhard Lauterbach: Bilanzen eines Präsidenten. junge Welt 08.09.2016.
[7] Ukraine’s Government Report: Economy down 10.4 % in 2015. uatoday.tv 02.02.2016.
[8] Reinhard Lauterbach: Bilanzen eines Präsidenten. junge Welt 08.09.2016.
[9] S. dazu Der Schlag des BoxersDer Schlag des Boxers (II) und Unser Mann in Kiew.
[10] Firtasch: Treffen mit Klitschko?, wien.orf.at 04.04.2014.
[11] Shaun Walker: Caught between Russia and the US? The curious case of Ukraine’s Dmytro Firtash, theguardian.com 23.01.2016.
[12] S. dazu Zauberlehrlinge (II).
[13] Julia Smirnova: Wichtiger Reformer rechnet mit Poroschenkos Staat ab, welt.de 04.02.2016.
[14], [15], [16] Wojciech Kononczuk: Keystone of the system – Old and New Oligarchs in Ukraine, Studie des Osrodek Studiów Wschodnich, Nr. 59, August 2016. [17] Ukraine: Wirtschaftsdaten kompakt. www.gtai.de Mai 2016.
[18] Graham Stack/Sergei Kuznetsov/Ben Aris: Poroshenko’s empire – the business of being Ukraine’s president. intellinews.com 29.08.2016.

Erschienen im Rahmen der Redaktionsarbeit von german-foreign-policy.com 06.10.2016.
Bildquelle: Wikimedia, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

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