»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« — Franklin D. Roosevelt
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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Die große Erhebung

Vor 100 Jahren stürzte ein Aufstand Russisch-Zentralasien ins Chaos. Ein Jahrfünft Bürgerkrieg und Hungersnot folgten

Am 15. September 1916 sandte der deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten von Amerika, Johann Heinrich von Bernstorff, von seinem Landsitz im beschaulichen Rye im US-Bundesstaat New York eine Nachricht an das Auswärtige Amt. Der aus einer einflussreichen deutsch-dänischen Adelsfamilie stammende Diplomat schrieb, dass in Russisch-Turkestan ein Aufstand wegen der »Aushebung Eingeborener« begonnen habe. Damit beschrieb er – in Unkenntnis der langfristigen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Kolonialgebietes des russichen Zarenreichs – den Tropfen, der das Fass in Zentralasien zum Überlaufen gebracht hatte. Über die Ursachen hatte er nichts zu sagen. Besonders interessant an der Depesche ist die Entfernung, welche die ihr zugrundeliegende Information zurücklegte, bevor sie von Russisch-Mittelasien über das chinesische Festland, den Pazifik, quer durch die USA, dann über den Atlantik und letztendlich über das neutrale Schweden in die Wilhelmstraße in Berlin fand. Erst nach einer nahezu kompletten Umrundung des Globus lasen die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes Anfang November dort, was aus ihrer Sicht hinter der Ostfront des Ersten Weltkrieges stattgefunden hatte.

Russische Kolonien in Zentralasien

Der Zorn der Zentralasiaten war innerhalb mehrerer Jahrzehnte gewachsen. Das zaristische Russland hatte sich ein halbes Jahrhundert zuvor nach dem Patt im Krimkrieg (1853–1856) in die zentralasiatischen Gebiete ausgedehnt. Durch Kriege gegen die bis dahin eigenständigen Khanate (Bezeichnung für die historischen Staatsgebiete der türkischen und mongolischen Stämme, jW) Chiwa und Kokand sowie das Emirat von Buchara konnte St. Petersburg immer weiter nach Süden vordringen und die russische Grenze bis an den Einflussbereich Persiens und Afghanistans heranschieben. Während die Truppen des Zaren 1876 Kokand zerschlugen, durften Buchara und Chiwa als Protektorate mit beschränkter Selbstverwaltung weiterexistieren. Die Gebiete des heutigen Turkmenistans, Usbekistans, Kirgisistans und große Teile des östlichen Tadschikistans und südlichen Kasachstans bildeten das Generalgouvernement Turkestan, das durch einen russischen Militärgouverneur verwaltet wurde. Hauptstadt des Generalgouvernements war Taschkent.

Nach der russischen Eroberung forcierte die Kolonialverwaltung im fruchtbaren zentralasiatischen Ferganatal eine ökonomische Transformation, welche den Wandel des Gebietes zu einer Monokulturgegend einleitete. Das gesamte Territorium konzentrierte sich fortan auf die Baumwollproduktion für den innerrussischen Markt. Aus Turkestan kam nahezu die gesamte Baumwolle, welche die russische Textilindustrie benötigte. So wurde das Zarenreich unabhängig von Importen aus den USA. Militärisch hatte Baumwolle damals eine große Bedeutung, da mit der Einführung der sogenannten Schießbaumwolle Mitte des 19. Jahrhunderts die Ära der modernen rauchlosen Treibstoffe in der Waffentechnik begann. Der immer weiter ausgedehnte Baumwollanbau ließ eine muslimische Kompradorenschicht aus Händlern, Landbesitzern und staatlichen Angestellten in Zentralasien entstehen, die lange Zeit loyal zur russischen Zentralmacht stand. Aus ihren Reihen kamen einige Intellektuelle, die eine Autonomie ihrer Gebiete anstrebten, wenige forderten die Unabhängigkeit.

Durch die einseitige Ausrichtung auf Baumwolle geriet das Generalgouvernement Turkestan in eine hochgradige Abhängigkeit von Getreideimporten. Die Hauptanbaugebiete des Russischen Imperiums für Getreide wiederum lagen in der Ukraine und in Südrussland. Für die Versorgungslage in Zentralasien im Ersten Weltkrieg sollte sich die Versorgungsabhängigkeit als katastrophal herausstellen.

Zu einem wichtigen Faktor der russischen Herrschaft über Zentralasien entwickelte sich am Ende des 19. Jahrhunderts die Zentralasiatische Eisenbahn. Der Bau dieses Transportweges begann in den 1880er Jahren und fand 1904 sein vorläufiges Ende. Die Strecke führte von der am Ural gelegenen Stadt Orenburg ins zentralasiatische Taschkent, von wo die Eisenbahnlinie weiter nach Krasnovodsk am Kaspischen Meer, dem heutigen Turkmenbaschi, lief. Dieses Infrastrukturmittel wurde zu einem wichtigen Vehikel für die ökonomische Durchdringung des Marktes im sogenannten Russisch-Zentralasien. Neben Baumwolle und Seide fanden über die Eisenbahn auch Hirse, Mais, Reis, Tabak und Kartoffeln ihren Weg von den fruchtbaren Gebieten zwischen Amu-Darja und Syr-Darja nach Russisch-Europa und teilweise darüber hinaus nach Westeuropa.

Zuzug von Siedlern

Doch die Bahn transportierte Güter und Menschen in beide Richtungen. Und sie brachte nicht nur Getreide aus dem europäischen Teil Russlands nach Zentralasien, sondern auch Kolonisten. Vor allem von der Wende zum 20. Jahrhundert bis hin zum Kriegsbeginn 1914 hatte der Zuzug von russischen und ukrainischen Siedlern die Landfrage in der Region dramatisch verschärft. Über anderthalb Millionen Russen und Ukrainer kamen nach Zentralasien. Mit Aschgabat im heutigen Turkmenistan und Urgentsch im heutigen Usbekistan entstanden neue, nahezu rein slawische Städte. Die russischen Kolonisationsbemühungen im Generalgouvernement konzentrierten sich auf das Semiretschje-Gebiet (Siebenstromland) zwischen dem Balchaschsee und der Grenze zu China, erstreckten sich aber auch weiter auf Gesamtzentralasien und reichten sogar bis in Teile Chinesisch-Turkestans und Nordpersiens hinein. Ein Migrationsamt in St. Petersburg koordinierte die Siedlungsaktivitäten.

Nicht nur das aufgrund des Zuzugs knapper werdende Land machte den Einheimischen zu schaffen. Darüber hinaus stellten Kirgisen, Kasachen und Usbeken (damals von Wissenschaft und Politik in Deutschland und Russland zusammenfassend »Sarten« genannt) wegen der ausufernden Korruption russischer Beamter die Legitimität der Staatsmacht in diesem südlichen Randgebiet des Zarenreiches immer wieder in Frage. Der baltendeutsche Graf Konstantin K. von der Pahlen unternahm im Auftrag von Zar Nikolaus II. in den Jahren 1908 und 1909 eine Inspektionsreise nach Turkestan. Pahlen kritisierte die zentralistische Regierung des Gouvernements und berichtete, dass nahezu die komplette russische Verwaltung in der Region unbrauchbar sei. Bereits vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges erschien die Lage in dem Gebiet also als instabil, und das russische Staatsoberhaupt wusste davon. Aber auch das hielt Zar Nikolaus II. nicht davon ab, die fatale Entscheidung zu treffen, im Sommer 1916 dort Rekruten auszuheben.

Turkestan selbst blieb vorerst von direkten Einwirkungen des von Deutschland im Juli 1914 vom Zaun gebrochenen Weltkrieges verschont. Die russischen Kolonialherren schlossen die muslimischen Einwohner Zentralasiens – im Gegensatz zu den Muslimen des Wolga-Ural-Gebietes – von der Wehrpflicht aus, da sie ihren unterdrückten Untertanen keine Waffen in die Hände geben wollten. Trotz der Ausnahme von der Wehrpflicht mussten die Zentralasiaten aber für den »Großen Krieg« zwischen den Mittelmächten und Russland zahlen. Im ganzen Zarenreich stiegen in den ersten Kriegsjahren die Steuern. Für die Einwohner Zentralasiens erhob St. Petersburg zusätzlich eine Kriegssteuer von 21 Prozent. Die Produkte aus dem europäischen Teil Russlands verteuerten sich teilweise um 200 Prozent, in manchen Fällen sogar um 400. Die Kolonialbehörden requirierten außerdem Pferde, Kamele und andere als »kriegswichtig« angesehene Güter. Hinzu kam, dass sich im Verlauf des Jahres 1916 die Versorgungslage im gesamten Zarenreich verschlechterte, was katastrophale Auswirkungen auf Russisch-Zentralasien hatte. Mit ausbleibenden Transporten aus der Ukraine und Südrussland verschlechterte sich die Nahrungsmittelversorgung in Turkestan dramatisch.

Gescheiterte Modernisierung in Chiwa

Zur komplizierten Lage in Russisch-Turkestan hinzu kamen Unruhen in dem nominell selbstständigen Khanat von Chiwa. Der dort ab 1910 regierende Monarch Isfandijar Jurji Bahadur verfolgte seit Beginn seiner Amtszeit eine Modernisierungsstrategie für das kleine Oasenreich. Mit der Einführung von Steuern sowie der Investition in Straßen, Bildung und ein Gesundheitssystem versuchte er, sein Land aus der Rückständigkeit herauszuführen. Doch die Reformpolitik traf auf enormen Widerstand bei den größtenteils nomadisch lebenden Turkmenen, deren soziale Privilegien durch das erstmalige Eintreiben von Steuern in Gefahr gerieten. Der erstarkte turkmenische Widerstand nahm im Verlauf des Jahres 1915 verschiedenste Formen an: Raubzüge, militärische Überfälle gegen die Truppen des Khans und im Jahr 1916 sogar der Einmarsch in die Hauptstadt des Khanats, Chiwa-Stadt.

Nachdem turkmenische Rebellen erstmals Städte eingenommen hatten, drängte General F. V. von Martson, der amtierende russische Gouverneur Turkestans, auf eine politische Lösung des Konfliktes. Khan Isfendiyar Jurji Bahadur wiederum versuchte, den Aufstand deutschen Agenten in die Schuhe zu schieben, wofür die russischen Militärbehörden jedoch keine Beweise fanden. Nach dem Angriff auf Chiwa-Stadt im Jahr 1916 marschierten die Truppen des Zaren im Khanat ein. Die Kolonialmacht setzte ein politisches Abkommen zur Beendigung der Feindseligkeiten durch. Die Autonomie der Turkmenenstämme wurde ausgebaut und ihr Anführer, Junaid Khan, stieg de facto zum Minister auf.

Nach der Einbindung der turkmenischen Opposition in die Regierung wandten sich Teile der Beamtenschaft sowie viele muslimische Geistliche gegen die Zentralmacht in dem Khanat. Kurz darauf eskalierte die Lage. Junaid Khan, später bekannt geworden als der »König der Karakum-Wüste«, wurde von Teilen der Sufi-Geistlichkeit als neues Oberhaupt des Khanats ausgerufen. Er organisierte daraufhin die Unterstützung der turkmenischen Stämme und marschierte mit einer Streitmacht auf Chiwa-Stadt. Als sie dort einrückten, überwältigten die Turkmenen die russischen Truppen, drangen in den Palast des Khans ein und exekutierten dessen Regierung. Einzig das Leben des Isfandijars Jurji Bahadur blieb verschont. Das Turkmenenheer verließ die Stadt kurz darauf wieder. Junaid Khan floh über Persien nach Afghanistan. Doch Chiwa befand sich fortan dauerhaft in einem Zustand des Bürgerkrieges, und Khan kehrte 1918 zurück und schwang sich zum De-facto-Herrscher des Khanats auf.

Doch erst Entwicklungen Tausende Kilometer weiter westlich sollten Russisch-Zentralasien ins Chaos stürzen. Während des sogenannten »Großen Rückzuges« im Verlauf des Jahres 1915 an der russischen Südfront im Gebiet des heutigen Polens und der Ukraine verlor die Armee des Zaren circa 2,4 Millionen Soldaten. Ungefähr 1.410.000 wurden getötet oder verwundet und weitere 976.000 gingen in Gefangenschaft. Zum Ende des zweiten Kriegsjahres hatte Russland somit Kongresspolen bereits vollständig verloren und die Mittelmächte, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, standen Hunderte Kilometer entfernt von den eigenen Grenzen in der Ukraine.

Erbitterter Widerstand

Aufgrund der vielen Verluste während des »Großen Rückzuges« griff Zar Nikolaus II. zu drastischen Mitteln. Nach einem Befehl (Ukas) vom 25. Juni 1916 begann die Mobilisierung der nicht-russischen zentralasiatischen Bevölkerung zum Militärdienst im Hinterland. Die Einwohner der Kolonien sollten nun für nicht-bewaffnete Aufgaben hinter der Front herangezogen werden. Einige Turkmenenstämme zeigten sich gefügig, und ihre Männer reisten mit der Eisenbahn in Richtung Front. Doch die meisten Betroffenen revoltierten, und in Russisch-Turkestan explodierte die soziale Lage. Die Grundlagen für solch eine Entwicklung hatte die russische Politik bereits Jahrzehnte zuvor unfreiwillig gelegt.

Von den Turkmenengebieten im Süden bis hin ins Semiretschje-Gebiet leisteten die Einheimischen erbitterten Widerstand. Beispielsweise rebellierten die Yomut-Turkmenen an der Küste des Kaspischen Meeres bei Krasnovodsk gewaltsam gegen die russischen Truppen. Diese wiederum schlugen brutal zurück. Die Zarenarmee massakrierte Hunderte bis Tausende Turkmenen, ging zu Plünderungen über und brannte Nomadenhütten nieder. Viele Turkmenen flohen daraufhin nach Nordpersien, um sich dem direkten Zugriff der russischen Behörden zu entziehen.

Besonders brutal schlugen die russischen Truppen den Widerstand in Kirgisistan nieder. In Kemin und Kotschkorga im heutigen Nordkirgisistan erklärten sich lokale Stammeschefs zu Khans, also zu Oberhäuptern eigenständiger Staaten. Doch die Kolonialmacht ging militärisch gegen die Aufständischen vor. Zehntausende Kasachen und Kirgisen flohen in Richtung chinesischer Grenze. Im Bedelpass im Tienschangebirge kam es schließlich zur Katastrophe: Mehrere tausend Männer erfroren auf dem Pass in 4.200 Metern Höhe. Die Schätzungen reichen heutzutage von 3.000 bis 100.000 Kasachen und Kirgisen, die Ende Juli 1916 dort starben. Im kollektiven Gedächtnis der Kirgisen trägt dieses Ereignis den Namen Urgun, vom kirgisischen Wort für Exodus.

In den Gebieten fernab der Grenzen flohen viele Männer in die Gebirge und machten große Teile Russisch-Zentralasiens fortan als Banden unsicher. In Chiwa wiederum ging der Bürgerkrieg weiter, und nach der Februarrevolution 1917 löste sich das russische Expeditionskorps in dem Khanat quasi auf, da die russischen Soldaten reihenweise flohen. Auch in anderen Teilen Turkestans erodierten die Strukturen der russischen Staatsmacht. Der große Aufstand bildete somit den Anfang einer mehr als fünf Jahre dauernden Zeit von Bürgerkrieg und Revolution. Bis zum Ende des russischen Bürgerkrieges 1922 kam es außerdem immer wieder zu Hungersnöten in Zentralasien.

Im gesamten Gebiet Russisch-Zentralasiens gründeten sich nach der Februarrevolution im Jahr 1917 verschiedene Staaten, unter anderem in den Kasachengebieten der »Alasch Orda« sowie im Süden Turkestans die muslimisch-autonome Regierung von Kokand. Neben den neu gebildeten Regierungen beanspruchten außerdem der Khan von Chiwa und der Emir von Buchara, dass ihre Staaten wieder unabhängig seien.

Bürgerkrieg und Revolution

Einflussreiche Arbeiterräte konnten sich lediglich in Taschkent und in einigen wenigen vor allem russisch dominierten Städten bilden. Für einige Teile Turkestans gab es von der Februar- bis zur Oktoberrevolution 1917 eine Dualität von liberaler Regionsregierung und von den Bolschewiki dominierten Sowjets. Beide wurden jedoch vor allem von ethnischen Russen dominiert. Der von russischen Eisenbahnarbeitern getragene Taschkenter Sowjet zeigte sich zentralasiatischen Muslimen gegenüber unaufgeschlossen, da unter ihnen angeblich keine Proletarier seien.

Die muslimisch-autonomistische Regierung von Turkestan in Kokand konnte schnell ein Netzwerk von politischen Organisationsstrukturen in Gesamtwestturkestan aufbauen und beabsichtigte, das russisch-turkestanische politische Leben in Kokand zu konzentrieren. Außerdem nahm sie Kontakt mit der Alasch-Orda-Regierung in Orenburg auf. In Turkmenistan wiederum organisierten die politischen Führer einen gesamtturkmenischen Kongress, der dann Delegierte zur Regierung nach Kokand schickte.

Nach Spannungen zwischen armenischen Christen und Muslimen im Februar 1918 marschierte die Rote Armee in Kokand ein und massakrierte den größten Teil der Kokand-Regierung. In der Stadt selbst gingen Rotarmisten und Nationalisten der Armenischen Revolutionären Föderation, der sogenannten Daschnakenpartei, zu Plünderungen über. Die Zerstörung Kokands gilt als Initialzündung der »Basmatschen«-Bewegung, der sich zaristische Offiziere, enteignete Bauern und antisowjetische muslimische Konservative anschlossen. Bis ins Jahr 1933 hinein stellte der weitestgehend unkoordinierte und asymmetrische Widerstand der Basmatschen die sowjetische Kontrolle über Zentralasien immer wieder in Frage.

In der Berliner Wilhelmstraße bekamen die Mitarbeiter des deutschen Auswärtigen Amts wenig von all diesen Ereignissen mit. Erst im Revolutionsjahr 1917 mehrten sich die Berichte aus Turkestan, und die Deutschen begannen mit Planungen für den zentralasiatischen Raum. Legationssekretär Otto Günther von Wesendonk schrieb am 24. April 1918, dass das chinesisch-zentralasiatische Kaschgar »in unseren Gesichtskreis« getreten sei. Die folgenden Monate bereiteten die Außenamtsmitarbeiter die Entsendung von Konsuln nach Chinesisch- und Russisch-Zentralasien vor. Diese sollten Informationen sammeln und gegebenenfalls die Region für einen deutschen Truppeneinmarsch vorbereiten. Diese Planungen wurden mit dem Waffenstillstand an der Westfront im Herbst 1918 beendet. Um den Deutschen zuvorzukommen, entsandte Britisch-Indien im Spätsommer 1918 ein Expeditionskorps von 450 Soldaten nach Aschgabat. In den Turkmenengebieten kämpften die Briten gegen die Rote Armee bis zum August 1919.

Im Februar 1920 kam Michail Frunse, der erfolgreichste militärische Taktiker auf der Seite der Bolschewiki, mit einer Streitmacht von über 100.000 Mann nach Turkestan. Frunse, selbst in Russisch-Zentralasien geboren, entmachtete den Taschkenter Sowjet und ließ die aus Moskau angereiste Turkkomissja an seine Stelle treten. Unter Frunses Kommando schlug die Rote Armee die unterschiedlichen Kräfte der Weißen in der Region nieder und konnte alle großen Städte im früheren Russisch-Zentralasien unter Moskaus Kontrolle bringen.

Der große Aufstand von 1916, der darauffolgende Exodus und die sich anschließenden Bürgerkriege, Revolutionen und Konterrevolutionen sowie Hungersnöte dezimierten die Bevölkerung Turkestans um mehrere Millionen Menschen. Lebten zu Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 noch circa 7,1 Millionen Menschen im Generalgouvernement, waren es sechs Jahre später nur noch ungefähr 5,2 Millionen.

Mit dem antikolonialen Aufstand versuchten die Zentralasiaten, das Joch des Zarenreiches abzuschütteln. Das unorganisierte Vorgehen endete jedoch im Desaster für die Einheimischen. Die Kolonialmacht konnte die Aufbegehrenden mit äußerster Brutalität niederringen. Eine Zerfallsphase der Staatlichkeit in der russisch-kolonialen Peripherie begann. Sie endete erst mit dem Einmarsch der Roten Armee im Jahr 1920. An die Stelle des alten Zarenreiches trat die Ordnung der Bolschewiki.

Literaturtipp:

Jörn Happel: Nomadische Lebenswelten und zarische Politik: Der Aufstand in Zentralasien 1916, Stuttgart 2010.

Erschienen in: junge Welt, 19.09.2016.

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