Rückkehr an die sowjetische Riviera
Die Beziehungen zwischen Abchasien und Russland bleiben widersprüchlich
Viele abchasische Politiker streben mehr Unabhängigkeit von Russland an. Doch aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen ist das alles andere als einfach.
Die gute Ausstattung des öffentlichen Sektors ist im Straßenbild der abchasischen Hauptstadt Suchumi klar sichtbar. Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen scheinen in einem Topzustand zu sein. Nach dem Kaukasuskrieg im Jahr 2008 erkannte Russland die Unabhängigkeit der Republik Abchasien von Georgien an. Nicaragua, Venezuela und einige Pazifikstaaten folgten. Auch die Türkei forcierte ihre Beziehungen, ohne jedoch offizielle diplomatische Kanäle zu etablieren. Somit blieb die 240 000-Einwohner-Republik von Moskau abhängig. Die Schutzmacht kommt derzeit für etwa zwei Drittel des abchasischen Staatshaushaltes auf. Im November 2014 schlossen beide Seiten ein »Abkommen
über eine Allianz und strategische Partnerschaft«, welches unter anderem die Erhöhung der Gehälter im abchasischen öffentlichen Dienst auf das südrussische Niveau vorsieht. Der Vertrag sichert aber auch ab, dass russische Zöllner nun die Grenze zu Georgien kontrollieren. Steigender Lebensstandard auf der einen Seite und erhöhte Abhängigkeit auf der anderen Seite.
Diese enge Umklammerung führt derzeit zu einer widersprüchlichen Situation. So profitiert die frühere »sowjetische Riviera« von dem Tiefpunkt der Beziehungen zwischen Russland und der Türkei. »Zehn Tage Urlaub in Abchasien kosten in etwa so viel wie drei Tage in der Türkei – und hier müssen die Russen nicht einmal ihr Geld umtauschen«, erzählt ein abchasischer Unternehmer. Viele Hotels seien für die gesamte Saison ausgebucht. Zwar profitiert der abchasische Tourismussektor von dem Tief in den türkisch-russischen Beziehungen, aber andererseits leidet die abchasische Wirtschaft unter dem schwachen russischen Rubel sowie der Moskauer Politik im Schwarzmeerraum. So hat der Streit zwischen Ankara und Moskau auch seine Schattenseiten für Suchumi: Die russische Regierung hat Abchasien dazu gedrängt, antitürkische Sanktionen zu verhängen. Offen spricht darüber kein Staatsvertreter. »Unsere Beziehungen zu Russland sind vorbildlich «, erklärt Vizeaußenminister Kan Taniya im Gespräch mit dem »nd«. Hinter vorgehaltener Hand hört man aber, dass die Sanktionen gegen die Türkei nur Schein seien. Enge Beziehungen zu Ankara bieten die Möglichkeit für Suchumi, die Abhängigkeit von Moskau zu verringern. Circa ein Fünftel des abchasischen Außenhandels wickelt der international kaum anerkannte Staat mit der Türkei ab. Quasi als Ausdruck dessen liegt in der Bucht vor der Hauptstadt ein türkischer Frachter, der aufgrund des starken Wellengangs nicht im Hafen bleiben kann.
Da die russischen Ressourcen für die Außenpolitik im Schwarzmeerraum knapper werden, streben viele abchasische Politiker mehr Unabhängigkeit von Russland an. Der infrastrukturelle Anschluss der Krim erfordert viel Geld und deswegen haben russische Politiker die Budgethilfen an Abchasien an neue Bedingungen geknüpft. So will die russische Seite, dass Ausländer in Abchasien Grund und Boden kaufen
können. Russische Oligarchen schielen auf die herrliche Landschaft Abchasiens. Doch das wird in der nationalistisch geprägten politischen Klasse Abchasiens rundherum abgelehnt. »Das wird nicht kommen«, erklärt ein Politinsider in Suchumi.
Ein anderer Weg, um die Unabhängigkeit von Moskau zu schmälern, ist der Tourismus. Mehr Gäste versprechen mehr staatliche Einnahmen und deswegen weniger Bedarf für Budgethilfen. Deswegen bauen Bauarbeiter, darunter viele Zentralasiaten, immer mehr neue Hotels in Suchumi und renovieren alte. Die Usbeken und Kirgisen erzählen, in Abchasien vier Mal so viel verdienen zu können als in Zentralasien. Aufgrund der schmalen industriellen Basis des Landes eine der wenigen Möglichkeiten, außenpolitisch mehr Spielraum zu erlangen. Doch an der Abhängigkeit von Russland wird das nur graduell etwas ändern.
Erschienen in: Neues Deutschland, 20.06.2016