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David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Die neue „Neue Ostpolitik“ (I)

Mit einem Besuch in dem Erdölstaat Aserbaidschan beendet Bundeskanzlerin Angela Merkel am morgigen Samstag ihre aktuelle Reise in die drei Länder des südlichen Kaukasus. Der Besuch hat schon vorab für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, weil die autoritär herrschende aserbaidschanische Regierung einem CDU-Politiker aus der begleitenden Bundestagsdelegation die Einreise verweigerte. Berlin ist gegen den ungewöhnlichen Affront nicht vorgegangen – offenkundig, weil es sich von Baku Unterstützung bei wichtigen Projekten für die deutsche Energieversorgung erhofft und die Annäherung des Landes an Russland bremsen will. Laut Auskunft des Bundeswirtschaftsministeriums kommt Baku trotz eines OSZE-Waffenembargos auch als Empfänger deutscher Rüstungsexporte in Frage. Rheinmetall steckt bereits in entsprechenden Verhandlungen. Seit dem Amtsantritt des neuen Außenministers Heiko Maas (SPD) forciert Berlin eine selbst proklamierte „Neue Ostpolitik“, die mit verstärkten Kooperationsangeboten insbesondere an die Staaten des Südkaukasus einhergeht.

Kleiner Eklat
Bereits vor Merkels Abreise in den Kaukasus hatte die Mitteilung für Schlagzeilen gesorgt, die aserbaidschanische Polizei könne den CDU-Bundestagsabgeordneten Albert Weiler, der Merkel begleiten wollte, festnehmen. Ihm wurde das Visum verweigert, da er 2014 und 2016 die von Baku abtrünnige, mehrheitlich von Armeniern besiedelte Separatistenrepublik Bergkarabach besucht hatte. Letztlich zog sich Weiler nach einer Aussprache mit Merkel aus der Reisedelegation zurück; ein Festhalten am Besuch der Bundeskanzlerin sei „sinnvoll und wichtig“, kamen beide nach Presseberichten überein. Politiker von SPD und FDP kritisierten diesen Schritt. Der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Bijan Djir-Sarai, kommentierte den Fall mit den Worten: „Das ist eine Respektlosigkeit gegenüber dem gesamten Bundestag“.[1] Hätte der Vorgang der Bundesregierung unter anderen Umständen Anlass zu scharfen Attacken gegeben, so zeigt das regierungsamtliche Stillschweigen, dass die Kanzlerin sich von der Regierung in Baku Mithilfe bei wichtigen Vorhaben erhofft.

Rüstungskontakte trotz Embargo
Die Wirtschaftskontakte zu dem Kaukasusstaat Aserbaidschan, zu dem die Bundesrepublik schon im Jahr 1992, unmittelbar nach seiner Gründung, Beziehungen aufgenommen hat, stehen auf einer vergleichsweise breiten Grundlage. Wie der deutsche Botschafter in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku im vergangenen Jahr erklärte, habe Deutschland „mit keinem anderen Staat der Region […] umfangreichere Wirtschaftskontakte als mit Aserbaidschan“ etabliert. Das lasse sich unter anderem daran ablesen, dass es in dem Land als einzigem Mitglied der GUS neben Russland eine deutsche Auslandshandelskammer gibt.[2] Zu den bisherigen Kooperationsfeldern könnte in Zukunft erstmals auch der Rüstungssektor hinzukommen. Wie mehrere deutsche Medien übereinstimmend berichteten, haben Vertreter des Rüstungskonzerns Rheinmetall im Sommer dieses Jahres eine Absichtserklärung mit aserbaidschanischen Regierungsvertretern über die Untersuchung von „Möglichkeiten der Kooperation“ unterschrieben. Seit 1992 besteht – wegen des Konfliktes um Bergkarabach – ein Waffenembargo der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gegenüber Armenien und Aserbaidschan. Dessen ungeachtet erklärte das Bundeswirtschaftsministerium zu der Absichtserklärung von Rheinmetall, ein Export von Rüstungsgütern nach Aserbaidschan könne „in Ausnahmefällen“ möglich sein – ein weiterer Hinweis darauf, dass Berlin mit Nachdruck die Kooperation mit Baku sucht.[3]

„Südlicher Gaskorridor“
Die Bedeutung Aserbaidschans rührt vor allem aus seiner Rolle für die deutsche Energieversorgung. Im Jahr 2016 war das Land der fünftgrößte Erdöllieferant der Bundesrepublik noch vor Nigeria, Algerien und dem Irak. Zudem ermöglicht seine geografische Lage den Transport von Öl und Gas an Russland vorbei nach Europa – durch den Südkaukasus und die Türkei. Nach dem Scheitern der unter anderem von führenden deutschen Transatlantikern wie dem ehemaligen Außenminister Joseph Fischer unterstützten Nabucco-Erdgaspipeline, die entlang dieser Trasse hätte verlaufen sollen [4], konzentrierte sich die EU mit ihrem Projekt „Südlicher Gaskorridor“ (SGC) auf die Fertigstellung mehrerer Einzelröhren, allen voran die Transanatolische Pipeline (TANAP). TANAP verlängert die seit 2006 in Betrieb befindliche Südkaukasus-Pipeline, die Gas aus Baku über Tiflis ins türkische Erzurum führt, bis an die türkisch-griechische Grenze. Mit der Eröffnung der quer durch die Türkei verlaufenden TANAP im Juni dieses Jahres materialisierte sich das von der EU massiv mitgeförderte SGC-Projekt endgültig.[5] Im Gegensatz zu der geplanten Nabucco-Röhre, an der der deutsche Energieversorger RWE mit 20 Prozent beteiligt war, befindet sich TANAP überwiegend in der Hand aserbaidschanischer und türkischer Staatskonzerne; westliche Konzerne nehmen nur eine Juniorrolle in dem Pipelineprojekt ein.

An Russland vorbei
Auf die Inbetriebnahme des „Südlichen Gaskorridors“ aufbauend, strebt Berlin nun noch weiter in den Osten. Ein deutscher Regierungsvertreter bestätigte kürzlich gegenüber der britischen Presse, das Anfang August von den Anrainerstaaten geschlossene Abkommen über den völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meers könne der erste Schritt für eine Pipeline aus dem erdgasreichen Turkmenistan nach Aserbaidschan sein.[6] Turkmenistan besitzt die viertgrößten Erdgasreserven der Welt. Mit einer Pipelineverbindung aus Turkmenistan durch das Kaspische Meer nach Aserbaidschan und weiter durch den „Südlichen Gaskorridor“ nach Europa geriete das langfristige Ziel, einen Zugriff auf die zentralasiatischen Vorräte an Russland vorbei zu erlangen, in größere Nähe. Wie es aus Regierungskreisen heißt, wird Merkel das Thema während ihres Aufenthalts in Baku besprechen.

Strategisches Partnerschaftsabkommen
Die deutsch-aserbaidschanische Kooperation könnte dabei auch in einen größeren EU-Kontext eingebunden werden. Seit dem vergangenen Jahr zeigt die aserbaidschanische Regierung großes Interesse an der Neuformulierung eines strategischen Partnerschaftsabkommens mit der EU („Strategic Partnership Agreement“). Der angedachte Vertrag soll viel weiter gehen als das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit Aserbaidschan aus dem Jahr 1999. Der aserbaidschanische Staatschef Ilham Alijew nannte das Abkommen ein „neues Format der Kooperation“.[7]

„Deutsche Standards“
Seine Bemühungen um Kooperation mit der EU begleitend, hat sich Baku eine eigene finanzkräftige Lobby in Deutschland aufgebaut. Im Herbst 2012 unterstützte das staatlich finanzierte Studentennetzwerk von Aserbaidschan ein Landestreffen der Jungen Union in Baden-Württemberg mit einem Finanzzuschuss.[8] In den Jahren 2014 und 2015 zahlten aserbaidschanische Stellen über die Firma Line M-Trade Geld an die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz. Die mecklenburgische Parlamentarierin stimmte 2015 als einzige deutsche Abgeordnete in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gegen die Forderung, der aserbaidschanische Staat müsse endlich politische Gefangene freilassen.[9] Zuvor hatte sie von der Regierung inszenierte Wahlen als „frei“ bezeichnet. Die Firma Line M-Trade wird geführt vom CSU-Politiker Eduard Lintner, der von 1991 bis 1998 als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern amtiert hatte. Lintner hatte im Jahr 2013 eine von aserbaidschanischen Stellen finanzierte Wahlbeobachtungsmission in das Land angeführt und erklärt, die dortigen Wahlen hätten „deutschen Standards“ entsprochen.[10] Im Gegensatz zu Italien, wo ähnlich gelagerte Lobbyfälle inzwischen gerichtlich untersucht werden, gibt es in Deutschland bisher keine Korruptionsermittlungen gegen die Aserbaidschan-Lobbyisten von CDU und CSU.[11]

Zwischen den Großmächten
Das autoritär regierte Aserbaidschan hat – nach dem Ende des armenisch-aserbaidschanischen Krieges um Bergkarabach im Jahr 1994 – für viele Jahre exklusive Beziehungen zur Türkei und vor allem zu den USA gepflegt. Doch im Zuge der Ukraine-Krise ab 2014 verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Baku und Washington dramatisch. Aserbaidschanische Spitzenvertreter warfen der US-Regierung vor, eine „Farbrevolution“ nach Kiewer Modell auch in ihrem Land inszenieren zu wollen.[12] Die Regierung in Baku näherte sich deshalb Russland an. Der aserbaidschanische Außenminister erklärte im Jahr 2016, ein Beitritt seines Landes zur von Moskau angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) sei nicht ausgeschlossen.[13] Darüber hinaus knüpften Aserbaidschan und Russland auch enge Kontakte im außen- und militärpolitischen Bereich.[14] Ebenfalls im Jahr 2016 sicherte die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) Aserbaidschan die Rolle eines „Dialogpartners“ zu. Experten werteten dies als Absage an die NATO und als ein deutliches Signal, dass Baku eher auf enge Beziehungen zu China und Russland setze.[15] Merkel dürfte sich in Aserbaidschan nun – neben ihren Gesprächen über etwaige Erdgaslieferungen aus Turkmenistan – auch um eine engere Anbindung des Landes an Deutschland bemühen.

[1] Severin Weiland: Fall Weiler belastet Merkels Aserbaidschan-Reise. spiegel.de 22.08.2018.
[2] Michael Kindsgrab: Mit keinem anderen Staat der Region hat Deutschland umfangreichere Wirtschaftskontakte wie mit Aserbaidschan. baku.diplo.de 16. September 2017.
[3] Rheinmetall bandelt trotz Embargos mit Aserbaidschan an. n-tv.de 27.06.2018.
[4] S. dazu Das letzte Kapitel.
[5] Ilgar Gurbanov: Azerbaijan’s Cooperation With the EU: A Pragmatic Focus on the Benefits. jamestown.org 28.06.2018.
[6] Guy Chazan: Merkel backs efforts to find alternatives to Russian gas. ft.com 21.08.2018.
[7] Ilgar Gurbanov: Azerbaijan’s Cooperation With the EU: A Pragmatic Focus on the Benefits. jamestown.org 28.06.2018.
[8] Wolfgang Messner: Aserbaidschan finanziert den Landestag der Jungen Union mit. stuttgarter-zeitung.de 26.10.2012.
[9] Hannes Munzinger/Bastian Obermayer/Pia Ratzesberger: Die Aserbaidschan-Connection einer CDU-Abgeordneten. sueddeutsche.de 19.09.2017.
[10] Luke Harding/Caelainn Barr/Dina Nagapetyants: Everything you need to know about the Azerbaijani Laundromat. theguardian.com 04.09.2017.
[11] Sebastian Meyer: LobbyControl fordert Rücktritt der CDU-Bundestagsabgeordneten Karin Strenz. lobbycontrol.de 23.04.2018.
[12] Richard D. Kauzlarich: The Heydar Aliyev Era Ends in Azerbaijan Not with a Bang but a Whisper. brookings.edu 13.01.2015.
[13] Gosan Godjaev: Azerbaijan In EAEU: Is It Possible? eurasiareview.com 18.02.2018.
[14] Aleksandra Jarosiewicz: In the clutches of the Kremlin – Azerbaijan’s security policy. osw.waw.pl 14.09.2016.
[15] John C. K. Daly: Implications of Azerbaijan Moving Closer to the Shanghai Cooperation Organization. jamestown.org 29.03.2016.

Erschienen auf german-foreign-policy.com, 24.08.2018.
Artikel bei GFP erscheinen im Rahmen einer Redaktionsarbeit und sind nicht als Autorenartikel zu sehen.

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  1. Zwischen den Stühlen | David X. Noack:

    […] Key Indicators for Asia and the Pacific 2022: Azerbaijan. adb.org 24.08.2022.[14] S. dazu Die neue „Neue Ostpolitik“ (I).[15] S. dazu Die neue „Neue Ostpolitik“ (II).[16] Michaela Wiegel: Was Frankreichs […]

    --13. Oktober 2023 @ 08:27

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