»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.« — Franklin D. Roosevelt
English · Francais · | · RSS

David X. Noack

Kritische Perspektiven auf Geschichte und internationale Politik

Zwischen Königin und Sozialismus

Die drei Karibikstaaten Dominica, Antigua und Barbuda sowie St. Vincent und die Grenadinen sind sowohl Commonwealth- als auch ALBA-Mitglieder

Durch die Veröffentlichungen des Portals Wikileaks kommen immer neue Innenansichten der US-Außenpolitik an die Öffentlichkeit. Besonders interessant und wenig beachtet ist der Fokus der politischen Beobachter im Dienste Washingtons auf die drei Inselstaaten Antigua und Barbuda, Sankt Vincent und die Grenadinen sowie Dominica während der Integration dieser drei ostkaribischen Staaten in das Bündnis ALBA, die Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas. Die Commonwealth-Länder sind seit 2008 bzw. 2009 Mitglieder der linksgerichteten ALBA-Allianz. Deswegen standen sie unter besonderer Beobachtung der internationalen Diplomatie der USA.

Im Gegensatz zu den ALBA-Mitgliedsländern auf dem Festland regieren in den drei kleinen Inselstaaten sozialdemokratische Parteien, von denen beispielsweise die Dominica Labour Party schon seit Jahrzehnten besteht und bereits an vielen Regierungen seit der Unabhängigkeit beteiligt war. Die Frage, ob die Politik der Regierungen dieser drei Inselstaaten einen Linkskurs á la Morales und Correa verfolgten oder die forcierte Annäherung an Venezuela und seine Partner nur ein taktisches Mittel von Mitte-links-Politikern darstellte, steht im Fokus dieses Artikels.

St. Vincent: Linksausleger Ralph Gonsalves

In einer Depesche vom 7. Mai 2007 wurde der Premierminister von St. Vincent und den Grenadinen, Ralph Gonsalves, als ein „starker Linksausleger“ bezeichnet. Angeblich nutzte der vincentinische Regierungschef seinen Einfluss beim ehemaligen venezolanischen Staatschef Hugo Chávez, um die südliche Nachbarinsel Grenada in Nöte zu bringen. So würde auf Druck der Regierung von St. Vincent und den Grenadinen die venezolanische Staatsführung keine zugesagten Projekte mehr auf Grenada finanzieren. Letzterer Inselstaat hat seit einer US-Invasion im Jahr 1983 immer pro-westliche Regierungen und bietet in multilateralen Foren auch oft Israel Unterstützung an. Doch mit solchen internationalen Bündnissen steht Grenada politisch im Gegensatz zur Nachbarinsel St. Vincent.

Ralph Gonsalves, der auch Bücher wie „Das Spektrum des Imperialismus: Der Fall der Karibik“ (University of the West Indies, 1976) und „Der nicht-kapitalistische Entwicklungsweg: Afrika und die Karibik“ (One Caribbean Publishers, 1981) veröffentlicht hat, neige zu „anti-amerikanischen Tiraden“, so der politische Beobachter der US-Botschaft in Bridgetown, der Hauptstadt von Barbados.1 In einem „Führungskräfte-Profil“ der Botschaft der USA beschrieb D. Brent Hardt, ein langjähriger US-Diplomat in der Region und derzeit Botschafter der Vereinigten Staaten in Guayana, ihn als den am weitesten links stehenden Premier der ostkaribischen ALBA-Staaten.

„Genosse Ralph“, der in seinen Studentenzeiten nach Libyen gereist war, stehe philosophisch den Chavisten sehr nahe und neige angeblich zu einem autoritären Führungsstil. Doch intern hätte Gonsalves den USA zugesichert, weiter an den traditionellen Partnern festzuhalten und die Sicherheitskräfte seines Landes hätten sich als enge Partner von US-Diensten erwiesen.2

Doch trotz der inoffiziell getätigten Zusicherungen betrieb die vincentinische Regierung eine Annäherung an die iranische Regierung von Mahmud Ahmadinedschad. Auf Anregung von Hugo Chávez hätte die Regierung von Gonsalves in Teheran über einen Kredit verhandelt, mit dem die Regierung auf St. Vincent einen angeblich überdimensionierten Flughafen bauen wollte. Dieser wiederum sollte den Inselstaat als touristisches Ziel attraktiver machen.3

Die vincentische Regierung setzte die Strategie der Zugeständnisse an alle Seiten fort, um den eigenen außenpolitischen Spielraum zu erweitern. So verteidigte Gonsalves seine Beziehungen zu Venezuela gegenüber US-Diplomaten, versicherte aber auch den Vertretern der USA, eine engere Kooperation mit den Vereinigten Staaten im Bereich der Drogenbekämpfung anzustreben und nicht der ALBA-Gemeinschaftswährung SUCRE beizutreten. Hardt fasste zusammen, dass Gonsalves trotz offen linker Rhetorik ein Pragmatiker sei und effektiv alle internationalen Partner seines Landes nur ausnutze, um für St. Vincent und die Grenadinen das meiste Geld herauszupressen.4

Sieg für die Dominicanische Arbeitspartei

Weitere Berichte der US-Botschaft gehen auf die Zeit unmittelbar nach Dominicas Beitritt zum ALBA-Bündnis zurück. Die etwas mehr als 70.000 Menschen umfassende Inselrepublik trat im Januar 2008 der Bolivarischen Alternative bei. In der Depesche wird das angebliche Unbehagen von Studenten und Wirtschaftsleuten der Insel über die Allianz detailliert beschrieben. Die von Venezuela angekündigte Errichtung einer Öl-Raffinerie sei eine reine Augenwischerei, so angeblich die Ansicht von vielen Dominicanern. Laut dem politischen Beobachter in der US-Botschaft würde Premierminister Roosevelt Skerrit wegen der Allianz mit Venezuela und Kuba an Rückhalt in der Bevölkerung verlieren.5 Doch die Geschichtchen aus der US-Vertretung sollten keine lange Halbwertszeit haben: Anderthalb Jahre später gewann die Dominicanische Arbeitspartei von Skerrit 18 der 21 Sitze im dominicanischen Repräsentantenhaus. Skerrit sitzt seitdem fester im Sattel als jemals zuvor.

Vor den Wahlen hatte der US-Vertreter auf Barbados den dominicanischen Premier Roosevelt Skerrit, der bereits seit 2004 amtiert, als den „bolivarischen Kandidaten“ des Urnengangs skizziert. Skerrit, dessen Amtszeit sich durch Korruption auszeichne, sei der am „wenigsten zuverlässige Alliierte der USA“ in der Region. Der Regierungschef gehe US-Diplomaten aus dem Weg und habe es geschafft, mit venezolanischem und chinesischem Geld seine Wählerbasis zu verbreitern.6

Nach dem Amtsantritt von Skerrit hatte Dominica die langjährige Anerkennung der Republik China (Taiwan) beendet und diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China in die Wege geleitet. Die Volksrepublik sicherte Dominica Infrastrukturmaßnahmen im Umfang von 100 Millionen US-Dollar zu – laut Beobachtern der Lage vor Ort ein Musterbeispiel des Ausbaus des chinesischen Einflusses in Regionen, in denen die westlichen Länder ihr Engagement heruntergefahren haben. Die USA hätten alle Entwicklungshilfemaßnahmen bis auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Drogenhandels mittlerweile eingestellt und Kanada alle Projekte zur Entwicklung des Landes beendet, schrieb Ronald Sanders, Gastdozent am Institute of Commonwealth Studies der Universität London, im Jahr 2011.7

Laut einem weiteren „Führungskräfte-Profil“ der US-Botschaft auf Barbados beschreibt Roosevelt Skerrit, der als er 2004 das Amt des Premiers übernahm mit 31 Jahren der jüngste Regierungschef weltweit war, als einen ideologischen Schüler von „Genossen Ralph“ Gonsalves. Skerrit zeige keinerlei Interesse an Beziehungen zu den USA, versetze gerne den US-Botschafter zu anberaumten Terminen und nenne die Vereinigten Staaten auch gar nicht mehr als strategischen Partner der USA – im Gegensatz zur Volksrepublik China und Venezuela.8

Größtmöglicher Vorteil für Antigua und Barbuda

Im Gegensatz zu Skerrit erschien in den US-Dokumenten der „Mann des Volkes“ Baldwin Spencer. Der Premierminister von Antigua und Barbuda habe sich fünf Jahre nach seinem ersten Amtsantritt im Jahr 2004 zur dominanten Figur der antiguanischen Politik gemausert, notierte D. Brent Hardt am 10. Dezember 2009 in Barbados. Doch Spencer setze, trotz einer Pro-ALBA-Rhetorik seit dem Beitritt zu diesem bolivarischen Bündnis, nicht auf eine einseitige Ausrichtung weg von den USA. Ähnlich wie die Administration des vincentinischen Premierministers Gonsalves sei die Regierung von Antigua und Barbuda darauf bedacht, einen größtmöglichen Vorteil durch Kooperationen mit vielen Partnern zu gewinnen.9 Auf Antigua und Barbuda wurde beispielsweise ein venezolanischer Kredit über zehn Millionen US-Dollar genutzt, um Häuser für Familien mit mittlerem und niedrigem Einkommen zu bauen.10

Die drei ostkaribischen Inselstaaten würden das ALBA-Bündnis vor allem ausnutzen, um den eigenen außenpolitischen Spielraum zu erweitern, notierte D. Brent Hardt in der Botschaft der USA im barbadischen Bridgetown am 4. August 2009.11 Der vincentinische Premier Ralph Gonsalves versicherte gegenüber US-Diplomaten, dass ein Beitritt zum ALBA-Bündnis nicht schwergefallen sei, da die kodifizierten Grundlagen der bolivarischen Allianz für jeden selbstverständlich seien. Außerdem sollten die traditionellen Partner des ostkaribischen Inselstaates sich keine Sorgen machen, denn ALBA habe keine militärische und keine nachrichtendienstliche Dimension. Gonsalves machte auch noch einmal auf die praktische Dimension der Bündnisse mit Venezuela aufmerksam und legte dar, dass beispielsweise von den Erträgen aus dem ebenfalls von Venezuela initiierten Petrocaribe-Abkommen ein neuer Kran für den Hafen in der Hauptstadt Kingstown gebaut wurde.12

Doch das politische Kapital, welches Gonsalves und die von ihm angeführte Arbeitereinheitspartei aus diesen Abkommen schlagen konnten, reichte nicht für ein zentrales politisches Projekt des amtierenden Premiers: Am 25. November 2009 war die vincentinische Bevölkerung aufgerufen, an einem Verfassungsreferendum teilzunehmen. Das neue Grundgesetz hätte aus dem 120.000 Einwohner zählenden Inselstaat eine Republik gemacht. Doch 55,3 Prozent der Wahlberechtigten stimmten dagegen und sorgten somit für eine herbe Niederlage des Premiers. Doch damit nicht genug, startete die Londoner Firma Strategic Communications Laboratories (SCL) Aktivitäten in dem Inselstaat.

Das „Beratungsunternehmen“ des ehemaligen Tory-Parlamentsmitglied Geoffrey Pattie stand im Verdacht, Lobbyarbeit für die oppositionelle Neue Demokratische Partei (NDP) zu tätigen. Die NDP, in der Internationalen Demokratischen Union ein Partner der britischen Tories sowie von CDU und CSU, hatte ihren Zenit während der 1980er und 1990er Jahre, als diese konservative Kraft die dominierende Kraft im vincentinischen Parlament war und jahrzehntelang den Premier stellte. Gonsalves drohte, der Firma SCL die Arbeitserlaubnis zu entziehen – angesichts der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Inselstaates eine legitime Forderung. Doch in der US-Botschaft in Barbados tauchten sofort die Vorwürfe des Autoritarismus auf.13 Die vincentinischen Wahlen vom 13. Dezember 2010 gewann die Arbeitereinheitspartei knapp mit 51,1 Prozent der abgegebenen Stimmen und acht von 15 Sitzen im Parlament dieser konstitutionellen Monarchie.

Ein Paradigmenwechsel, zwei lockere Allianzen

Die Depeschen aus der US-Botschaft auf Barbados bieten einen Überblick über die Einschätzungen der Diplomaten der Vereinigten Staaten von Amerika über die Politik der Inselstaaten. Anscheinend wurden die sozialdemokratischen Politiker der Commonwealth-Staaten Dominica, Antigua und Barbuda sowie Sankt Vincent und die Grenadinen äußerst unterschiedlich eingeschätzt. So stach der Regierungschef von letzterem Inselstaat, Ralph Gonsalves, intellektuell hervor und agierte als politischer Mentor des Premier des Nachbarstaates, Roosevelt Skerrit. Die Politik Skerrits wiederum zeichnete sich damals gegenüber den USA durch eine offen feindselige Haltung und eine damit einhergehende wirtschaftliche Annäherung an die Bolivarische Republik Venezuela sowie die Volksrepublik China aus.

Die Premiers der beiden konstitutionellen Monarchien, Gonsalves (St. Vincent und den Grenadinen) und Spencer (Antigua und Barbuda), zeichneten sich hingegen durch eine äußerst pragmatische Haltung aus. Einerseits behielten die beiden Regierungen die Beziehungen zu den Commonwealth-Partnern Großbritannien und Kanada sowie auch zu den USA bei und bauten diese teilweise sogar aus. Andererseits näherten sich die beiden Staaten dem Linksblock der ALBA-Staaten und damit einhergehend auch den anderen Staaten wie Libyen und dem Iran an. Im Zentrum der Aufmerksamkeit dieser beiden Politiker standen nach US-Einschätzungen dabei die finanziellen Anreize, die sich den hochgradig von Außenwirtschaft abhängigen Inselstaaten dadurch boten.

  • 1. Wikileaks-Depesche 07BRIDGETOWN573: Grenada Pm Mitchell On Chavez’s Bad List?, Bridgetown (Barbados), 09.05.2007
  • 2. Wikileaks-Depesche 09BRIDGETOWN622: Leadership Profile: St. Vincent Pm Ralph Gonsalves, Bridgetown (Barbados), 08.10.2009.
  • 3. Wikileaks-Depesche 09BRIDGETOWN689: St. Vincent Continues Iran Courtship In Hopes Of Airport Funding, Bridgetown (Barbados), 30.10.2009.
  • 4. Wikileaks-Depesche 09BRIDGETOWN689: Gonsalves Defends Ties With Venezuela, But Welcomes Deeper U.S. Engagement, Bridgetown (Barbados), 19.11.2009.
  • 5. Wikileaks-Depesche 08BRIDGETOWN89: Dominicans Concerned About Alba, Bridgetown (Barbados), 13.02.2008.
  • 6. Wikileaks-Depesche 09BRIDGETOWN745: Dominica Election Primer: The Bolivarian Candidate, Bridgetown (Barbados), 04.12.2009.
  • 7. Ronald Sanders: China’s presence in Dominica, caribbean360.com 28.04.2011.
  • 8. Wikileaks-Depesche 09BRIDGETOWN745: Dominica Election Primer: The Bolivarian Candidate, Bridgetown (Barbados), 04.12.2009.
  • 9. Wikileaks-Depesche 09BRIDGETOWN753: Leadership Profile: Antigua And Barbuda Pm Baldwin Spencer, Bridgetown (Barbados), 10.12.2009.
  • 10. Wikileaks-Depesche 08BRIDGETOWN62: „ALBA“ Gains Momentum In The Eastern Caribbean, Sort Of, Bridgetown (Barbados), 01.02.2008.
  • 11. Wikileaks-Depesche 09BRIDGETOWN471: Alba’s Allure To Antigua Et Al, Bridgetown (Barbados), 04.08.2009.
  • 12. Wikileaks-Depesche 08BRIDGETOWN62: „ALBA“ Gains Momentum In The Eastern Caribbean, Sort Of, Bridgetown (Barbados), 01.02.2008.
  • 13. Wikileaks-Depesche 10BRIDGETOWN27: Vincentian PM Gonsalves Threatens Media Outlet, Civil Society, Bridgetown (Barbados), 19.02.2010.

amerika21.de, 28.05.2013

Leave a Reply

Neueste Kommentare